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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 204-229 (1. September 1905 - 30. September 1905)
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Freitag, 15. September 1905.

Erstes Vlatt.

47. Jahrgang. — Nr. 216.

Jena.

0. Es liegt etwas NriheKdrohenöes in dem thüringi-
ichen Städtenamen, und die Jena-Brücke in Paris rust
die Eriunerung au Ichicksalsschläge und Niederlagen
in uns wach. Und nun ist die deutsche Sozialdemokratie so
kühn und beruft ihren diesjährigen Parteitag nach —
Tena ein. Fühlt sie sich noch so stark, daß selbst ein un-
Vorhergesehenes „Jena" ihr keinen Schaden bringen
könnte? Der stolze Bau der rüdikälen Arbeiterschaft hat
doch in letzter Zeit manche bedenkliche Risse auszuweisen
gehabt. Von jeher war ja die Zahl der Meinungen in
der Sozialdemokratie groß; doch stets hindcrte der Re-
ipekt vor den „Großen" in der Partei die kleinen Schreier
daran, allzusehr sich bemerkbar zu machen.

Das ist anders geworden in den letzten Monaten.
Allerortcn gärt es in der Arbeiterorganisation. Radi-
kalc, Rcvisionisten, Gewerkschaftler, Anarchiesozialisten,
lRehringianer u. a. m. erheben ungestraft ihre Stimme
und wersen sich die größten Beleidigungen an den Kopf.
llnd das Haupt der. Partei, der älte Feuerkopf Bebe l,
lleht ruhig dabei und — schw-eigt. Das L i t e r a t e n -
Sezänk zwischen dem „Vorwärts" einerseits und der
^ehringschen „Leipziger Volkszeitung" und der Kauts-
kyschen „Neuen Zeit" andererseits, über das die Führer
der Partei bisher vornehm zu lächeln pflegten, ist eine
''3,186 celebre geworden. Vou allen Seiten wird Zünd-
swsf herbeigetragen, und nach der ganzen Lage der Dinge
Icheint es in 'Jena zu einer 'KatastroPhe kommen zu soAen,
denn dort wird Bebel reden, weil er m u ß.

Der Parteitag nimmt am 17. d. M. seinen Anfang
j^nd bis zum 23. Lauern. . Jm Vordcrgruude des
Lnteresses steht diesmal die F r a g e d e s „V o r-
chärt s", dem die Mehringsche „Leipziger Volkszeitung"
'd unerhörter Weise zu Leibe gegangen ist. Das Zenträl-
"rgan soll nach dem Willen des „großen M'ehring" seincs
f'niversalen Charakters entkleidet und zum Berliner Lo-
olblatt degradiert werden. Die meisten Genossen stehen
ich'em Bestreben nicht einmal unsympathisch gegenüber.

Würzeln des „Vorwärts" lagen bisher ja stets in der
.^rchshauptstadt und man würde gewiß gern der Lokali-
^rung dieses Parteiblattes zustimmen, wenn eben uicht
"r Mehringsche Pferdefuß nachklappte und man nicht
o>inen könnte, daß die ganze Campagne gegen den „Vor-
uärts" nur eine Aktion zu Gunsten der „Leipziger Volks-
^rtung" bedeuten solle.

Die 'Geister werden also ob dieser Frage hart an
^ Wander platzen. Auch die Frage der Gewer k s ch a f-
ch! o, die sich jüngst als Anarchisozialisten proklamieren,
''^'d manchen Führer in Grimm versetzen und ihnen bit-
^ Worte in den Mund legen.

. hängt also in den 8 Septembertagen eine düstere
llisch^ Wolke iiber dem thüringischen Städtchen. Wen
! die Blitze treffen, die daraus herniederfähren
kann es wissen. Jedenfalls werden scharse
. ^'iüduelle stattfinden. Die Genossen ganz Deutschlands
ven Parteitage sicherlich mit größter Spamiung
Zstgegen

und auch die bürgerlichen Parteien stehen dieser

^eschwerderecht und Anzeigepflicht bei
Soldatenmißhandlungen.

, 'pu einer Polemik über den apokryphen Mißhando-
^.^6serlaß des Preußischen 'Kriegsministers erklärt sich
"K'reuzzeitung" von dem gegenwärtigen Zustand
^ öefriedigt. „Die Bestimmungen über das Be-
,.7^^ierecht reichten völlig aus und üie Strafen werden
wckuchtslos zur Anwendung gebracht." Die trostlosen Fol-
^en der Cinführung der Anzeigepflicht wären, so meint
^e „Krenzzeitung", „kaum auszudenken". Min, dieser
oge stt Unteroffizier eines Garderegiments, also
Clitetruppe, wegen MiMandlung in 34o Föllen
wordcn. Er hat diese Mißhandlungen monate-
uickn lorigesetzt und sie kamen schließlich ans Dageslicht,
^Wt weil das Beschwerderecht ausgeübt wurde, sondern
vpr' gepeinigter Soldat einen Selbstmord-

w v - ^ewacht weil dann nach den Beweggrünöen
^ ciewm unglücklichen Schritt geforscht wurde. Wenn
iunger krästiger Mensch lieber durch
Ai,?"n Peiniger entgehen will als durch üie

fmbung des Beschwerderechts, dann ist es ein startes
l'agen, daß die Bestimmnngen über das Be-
^ erderecht völlig ausreichen. Es ist nicht einzusehen,
-Owl"- tlnzeigepflicht trostlose Folgen für unser
am « mützte. Die Disziplin und die Lust

inc> 'stOldatenstand wird nuchr erschüttert, wenn ein Unhol'd
allen Vorschristen entgegen die Soldaten pei-
-ston" ^ ^nn Anzeigen sofort ohne jeden Jn-
zenweg an den Hauptmann erstattet u. dadurch fortge-

er st e n g r o ß e n Kr i s e in der 3 Millionenpartei nicht
teilnahmslos gegenüber.

Ueber 120 Anträge liegen bereits zu den verschiedeneu
Reseraten über die Parteitätigkeit vor. Der Bericht des
Parteivorstandes ist bereits bekannt gegoben und verös-
fentlicht worden. Er sieht die allgemeine Gefchäftslage
im rofigften Lichte.

Anch 'die Frage deS M a s s e n st r e i k s wird er-
regte Debatten zeitigen, denn grade in dieser Bezichnng
herrschen scharfe Gegensätze in den führenden Kreisen.
Ebenso wird der „gute Ton" einer neuen Kritik unterzo-
gen werden, da Mehring sich nur allein als machtgebender
Bxurteiler 'dafür erklärt hat und manche Parteigenossen
in dieser Angelegenheit noch wesentlich anderer Meinung
sind und sogar seinen Astsschluß aus der Partei verlangen,
denn g-erade seinen ,,-guten Ton" pflegt man in Genosfen-
kreisen als „Sauher'denton" zu bezeichnen.

Auch der Abg. v. VolIm a r wird sich verantworten
müssen. Er leugnet seine Beziehungen zu dem fogenann-
ten „S chw e i n e a r t i k e I" in einem Part-eiorgane, in
dem gesagt wurde, „ein Schwein, das zur Schlachtbank
geführt werde, sei besser daran, als ein Sold'at, L-er etwa
um 'den Marokkorummel sein Leben einsetzen müsse", in
bürgerlichen Blättern ab, was ihm sehr übel
vermerkt wnrde.

Von strategischer iBedeutung sind die Einigungsver-
handlungen mit den polnischen Sozialdemo-
kraten, di-e gleichsalls zur Sprache gebracht wer'den sol-
len.

Ans allem ergiebt sich, daß besonders innerePar-
teifragen in >Jena zur V-erhandlnug komm-en wer-
den, wie auch die derMaiseier, die za auf den Par-
teitagen schon heimisch geworden ist. U-uffällig ist, daß
keine politisch-propagandistischen Frag-en aus der Tages-
ordnung stehcn, anch nicht die einer sozialdemokratischen
Weltpolitik.

Natürlich werden auch die Genossinnen zu
Worte kommen. Sie werden schon am Dage vor der
ersten „Männerschlacht" eine Anssprache haben.

Der Parteitag der deutsch-en Sozialdemokraten wird
also manch überrasch-endes Moment bringen. sodaß man
sein-em- Uusgange mit Spannung entgegensehen kann.
Wird das Nomen zum iOmen werden ?-

Deutsckies Neich.

Baden.

Freiburg, 14. Sept. Die „Bad. Pol. Korr."
schreibt: Won der s o zi aI d em o k r a t i s ch e n Par -
t e i wurden hier E n g l e r (18. Nezirk), Kräuter
(19. Bezirk) und Christiansen (20. Bezirk) als
Landtagskandidaten aufgestellt. Die meisten
sozialdemokratischen Stimmen dürften im 19. Bezirk
fallen. Wie uns bekannt ist, macht sich die Sozialdemo-
kratie Hoffnung auf den 19. Wahlkreis. Sie glanbt hier
die Unterstützung einer andern Partei gegen Wahlhilfe
in den b-eiden anderen B-ezirken zu erhalten.

Karlsruhe, 14. Sept. -Zu den von der badi-
schen Regierung veranstalteten Erhebungen über

setzte Mißhandlungen unmöglich gemacht werden. Wenn
schließlich die „Kreuzz-eitung" sagt, die Strasen wegen
Mißhandlungen würden mit rückhaltloser Streng-e zur
Anwendung gebracht, so ist in dem oben erwähnten Fall
allerdings der Peiniger streng bestrast w-orden (If^
Jahr-e Gefängnis und Degradätion), die Milde -der kriegs-
gerichtlichen Urteile hat aber schon oft Erstaunen hervor-
gerufen und den Sogialdemokraten willkommenen Stoff
für ihre Agitation geliefert.

Kleine Zeitung.

— Einc Himalayabcsteigung. Ter durch seine Reisen
ins H-imalayagebirge bekannte Neuenbur-ger Arzt Dr.
Jacot-Gnillarmot hatte anfangs d. I. eine nene Expe-
dition ausgerüstet zur Ersteigung des 85K6 ÄAeter hohen
Kantschindschinga im Ost-Himalaya, aüf der Grenze zwi-
schen Sikkim, Nepal und Tib-et. Außer -Dr. Jacot betei-
ligten sich an dem Reiseunternehmen der irische Jng-enieur
A. E. Crowley, Leutnant Mexis Pache ans Morges
(Waadt) nnd Ch. 'Ad. Reymond aus Neuenburg. Schtvei-
zerische Führer wurden nicht mitgenommen, dagegen Yat-
.ten die englische Regierung eine Eskorte Gnrkha-Goldalen
zur Verfügung gestellt, die ausgezeichnete Berggängcr
und aus Nepal gebürtig sind. Die Reisenden hatten die
Absicht, wenn möglich üen Rekord des Engländers Gra-
ham zu schlagen, der am Ende des 18 Fährhunderts den
Punkt 7200 Meter über Meer erreicht batte. Der Auf-
stieg begann am 8. August morgens. Ssi: diejem Tage
hatte man in der Schweiz keine Nachricht mehr von den'

die FIeischnot wir'd 'öer „Bad. Pol. Korr." von wohl-
insormierter Seite geschrieben: Das lobenswerte Vor-
gehen der badischen Regierung in Sachen der Fleischnoi
ist aus die direkte F-nitiative unseres verehrt-en Landes-
sürsten zurückzuführen. Man hat darin einen Akt jenev
schönen landesväterlichen Fürsorge z-u erblicken, die von
jeher ein hervorstechender W-esenszug Großherzog Fried-
richs war. Bestätigt die Regierungs-Enquete auch nur
einen Bruchteit Ler vieterlei Kla-gen über die Grundur-
sachen der Fleischverteuerung, so wjrd die -bädische Regie-
rung wohl kaum säumen, unverzüglich im Bündesrat ihre
Stimme zur Linderung des Notzustandes zu erheben.

Württemberg.

Merge n thei m, 13. Sept. Bei der gestrigen
Stichwahl zum Landtag stimmten von 6198 Wahlberech-
tigten 5221 ab. Es entsielen anf Regierungsrat Hoeff-
ner (Dentsche Partei) 2817 Stimm-en, auf Gemeinderat
IIIshöffer-Edelfingen (Bund der Landwirte) 2400 Stim-
men. H-oeffner ist gewählt. 4 Stimmen waren ungiltig..

AuÄarrd

Oesterreich-Ungarn.

—Die Flngschrift, wegen der in Un-garn eine gewal-
tige A-usr-egung entstanden ist, und die eine grohe Po--
lizeisuche veranlaßt hat, führt den Titel „Di e unga -
rische Krise und die H o h e n z o l l e r n" und
ist ein elendes Machwerk. Es wird darin nichts Geringe-
res gepredigt, als üaß Kaiser Wilhelm, um den Frieden
zu sichern, die Verschmelzung Oesterreichs mit dein deut-
schen Reich dnrchführen un'd zugleich-Ungarn unter gleich-
zeitiger Einverleibnng Galiziens, Dalmatiens und Bvs-
niens zu einem unabhängigen Königreich nnter einem
Hohenzollern machen müsse, das die V-erpflichtung zu
übernehmen hätte, den Balkan bis Salonik zu annektieren.
Die Forderung ist so krotesk, daß sie nich-t widerlegt zu
werden braucht, und man konnte mit Recht Äie Schrifk
zn den literarischen Eintagsfliegen rechnen, wenn man
den deutschen Sta-ndpnnkt einnahm. Jn ein anderes
Licht tritt die Veröffentlichnng jedoch im Zusammenhang
mit der drohenden Zuspitzung der innersn Verh-ältnisse
Ungarns «nd die Stellung der beiden Reichshälsten zw
einander.

Frankreich.

P a r i s, 14. Sept. Die Marseiller Geschäftswelt
-war gestern durch die Nachricht b-eunruhigt, daß die Schifs-
fahrt im SuezkanaI infolge des Unterganges des
mit 7000 Kilogramm Dynamit beladenen englischen
Dampfers „Chathain" sür drei Wochen unt-erbrochen
werde. Die Snezgesellschaft erklärt heute in einer Note,
daß die Schiffahrt nur für kurze Zeit unö nur
nachts und dann behufs Bes-eitignng des gesunkenerr
Schiffes für einige Stunden unterbrochen werde„
Rußland.

Petersburg, 14. Sept. Verschiedenen Bahnen
wurde gestattet, von der Feuerung mit Naphtha zur
Feuerung mit Kohle tcherzugehen un-d ihren Kohlen--
bedars über die baltischen H-äf-en aus EngIand zu be-
ziehen. Die Rjaesan-Uralbahn wird ihren Kohlenbedarf

Reisenden erhalten. Nun kommt der Bsricht, Leutnant
Pache sei üurch Lawinensturz umgekommen. Unüberwiii?.
liche Schwierigkeiten, die die Eingeborenen bereiten, bät-
ten die Reisen'den genötigt, den Rückiveg nach Darschiling-
anzntreten, wo sie am 20. S-eptem'ber einzutreffen geden».
ken. Der verunglückte Leutnant Pache hatte den südafri-
kanischen Krieg in den Reihen der Buren als Freiwilligex
mitgemacht.

— „Hier ift aües voll!" Unter dieser Spitzmarke
wird aus Höchst a. M. folgende spaßige Geschichte berich-
tet: Der Zng ist eben im Bahnhof eingefahren, die Passa-
giere sind aus- und eingestieg-en und schon werden die Wa-
gentüren geschlossen, damit es w-eitergehe. Da konrmt
mit hochrotem G-esicht noch eine ekvas sehr korpulentv
Frau angewalzt, -eilt aus ein Kupee zn, in welchem 7
oder 8 Frankfurter Winglinge sitzen, und beginnt einzn-
steig-en. Doch da schallte ihr aus einem halben Dutzenb
jKchlen entgegen: „Alles v-oll, — Alles voll hier, schn's-e
denn nit, ldaß hier Alles voll ist?" Die resolute Frau
klimmt ruh-ig weiter empor — plnmps — sttzt sie Kvi-
schen den gestreisten und karrierten Wmgling-en, daß sie
auseinanderspritzen, wie die kleinen Fische vor dem rau-
benden Hecht. Und dabei sagte ste: „tzch sercht mich nit,
ich -hab jo alle Dag mit „Volle" zn dhun und waaß
mit'n nmzugehen, — ich- sein e Wertssraa!"

— Eine ncue Wildart hat man in Fmnkreich ent-
deckt. Ter Generalrat -des >Departements Cüte d'Qor hat
nämlich beschlossen, die Weinbergsschnecke sortan zu dem
„jagdbaren Wld" zu rechnen. „Bravo!" ruft der „Fi-
 
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