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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 230-255 (2. Oktober 1905 - 31. Oktober 1905)
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Sarnstag, 28. Oktober 1905

Erstes Vlatt.

47. Jahrgang» — Nr. 253

tigllch, Lmmtog» MtAgkllGoiM«». Prei» «rtt UaxrwevtLLtLer» aumatlich bv Pfg. i«'» H«ni» gebvrcht, bei der Bxpebit«« und den Zweigftationen abgeholt 40 Psemrt^

D«kch di« Post bezogen vierteljährlich 1,3b Mt. auSschlietzlich Zustellgebühr.

>»»«i»«np ret»: Sv Pf». fitr die Ispaldige Petit-eik -der bcrcsRsrm». NeHlanegeiie 40 Ps». KLr hieftye Veschift»» «u» Pri»M««»oi»e» errxätzigt. — KLr die Aufnahim« von Anzeiger,
W» bestinunten Lage» lairb keine Berantwortkchlech übermrmnie». — 8 »schlag der Jnserat« auf Le» PlaLrttatzct» d« Heidelderger Zeitung u. den städt. Anschlagstellen. Fernspr. 88.

Die Konservativen eine Zentrumsfiliale.

e. Die badischen Ko u s e r v a tive n haben in

hinter uns liegenden Wahl gezeigt, datz ihrIdeal
oas Zentrum ist. Lesen wir den „Gewissensrus an
Unsere Positiven und konservativen Leute", den die kon-
>ervative Partei uach der Hauptwahl erlassen hat, so
veißt es da nach einem jammernden Eingang:

Jahraus, jahrein hört man von unseren kirchlich ge-
Vnnten Lenten klagen:

1. Man klagt, daß der Jugend zn viel Freiheiten ge-
geben seien, und geht hin, und wahlt bieselben Liberalen,
^elche alle heilsamen Schranken für die Jngend nieder-
gerissen haben.

2. Man klagt, daß so wenig Religion in der Schule
gelehrt werde, und geht hin und wählt dieselben Liberalen,
g>elche die Neligionsstnnden auf drei beschränkt und die
k>ei der letzten Generalsynods gegen die Einführung einer
dierten Religionsstunde gestimmt haben.

3. Man klagt über die Verstümmelung bes Katechis-
sstus, daß die wichtigen Artikel über die Auferstchung,

Himmelfahrt, die Wiederkunft Christi gestrichen wor-
^en sinü, und geht hin und wählt dieselben Liberalen, dis
oas getan haben und nicht ruhen werden, bis unser Kate-
chisnius und noch viel anderes Gute aus der Schule
draußen ist.

4. Man entrüstet sich über den Mannheimer Antrag
^uf Abfchaffung des apostolischen Glaubensbekenntnisses,
und gcht hin und wählt dieselben Liberalen, welche er-
rlärt haben, sie werden mit diefem Antrag wieder kom-
"ren, bis das apostolische Maubensbekenntnis gefallen ist.

6. Man hört und liest, wie immer lauter die Bestre-
^ungen der Liberalen hervortreten: Heraus mit dem
gunzen Religionsunterricht aus der Schute! Diese Gesahr
chroht auch bei uns in Baden und wenn wir nicht wachen,
^vMrit sie srüher, als wir denken, über nns. Absr unsere
bositiven evangelischen Christen stnd ganz ruhig dabei:
Dex Staat wird das schon verhüten. Nein, der Staat
^uird das nicht verhüten können, wenn er nicht Lie nötigen
^eute dazu in der Kammer hat. Und die Liberalen wer°
^on, so schön sie auch vor der Wsthl vom Ehristentum zu
keden wisien und sich als kirchliche Leute hinstellen, ein
Stück ums andere von dem, was unser Volk an Cchristen-
tum noch hat, fallen lassen und dann werden unsere Leute
^ie Hände über dem Kops zusammenschlagen: ja, hätten
^ir das gewußt!

Von den fünf namentlich erhobenen Anklagen gegön
s'en Liberalismus sind also 4 religiös. Das Zentrum
ibielt den Vorwnrs der Unterdrückung der katholi-
! chen ReIigion gegen den Block aus, die Konser-
^ätiven die Unterdrückung der „Positive n."

Wir begnügen uns hier mit einer kurzen Entgegnnng:

1. Drei Religionsstunden unter 16 Schulstnn-
^n sind wahrlich das Aeußerste, was man von der Volks-
^chule billig verlangen kann. Diese, im Verein mit Kon>
lirmanden- und Kommunionsnnterricht sollen nicht genll-
6^n? Haben sie nicht seit Jahrzehnten in Baden ge-
^ügt? Wer beantragt das Neue, die Liberalen oder die
^onservativen?

2. Die „wichtigen Artikel über die Auferstehung und
^ie Himmelfahrt Christi" sind im Katechismus (Frage
^4 nnd 53) nicht gestrichen. Das ist nicht wahr. Sie
stnd für den S ch u l unterricht frei für die Wahl

Lehrenden, werden aber samt den sehr problematischen
^lid auch von den konservativen Frommen durchaus nicht
^kaktisch genommen, sondern auch von ihnen gänzlich
anders als von der erstsn Christenheit verstandenen Lehre
d°n der „Wiederkunf t" Christi (Frage 56) vorge-
ichriebenerniaßen im K o n f i r m a n d e n n n t e r r i ch t

bchandelt.

3. ELensowenig ging der Mannheimer Antrag, den
?ir voll unterschreiben, auf A bschasfung dcs apo-
stolischen Glaubensbekenntnisses, sondern auf dessen f a -
^llttativen, nicht mehr o b l i g a t o r i s ch e n Ge-

brauch.

4. „Horaus mit dem ganzen Religionsnnterricht aus

Schule!" rusen sür diese hellhörigen Konservativen

^lohr und mehr die Liberalen. Daß im offiziellen Wahl-
^ufruf derselben das Gegenteil stand, was tnts?
Die Konservativen kennen uns ja besser, als wir uns
ielbst! _

Dies zur Feststellung der Wahrheit. Und nun noch
^ins: Das ist jedenfalls sicher, daß mit einer dermaßen
k.ugen Auffasinng vom Christentum der religiöse Libera-
iismus noch viel weniger gehen kann, als der politische
Liberalismus mit üen Konservativen. Wie sich im Be-

Die heri

'zirk Mosbach die Konservativen nicht gkscheut haben,
die politische Hand des Zentrums unter Umständen, die
„Täuschung" überschrieben werden müsien, zu erfassen, so
spricht aus dieser Auffassung von Chri-
stentum ein Geist der Versteinerung von
dem der fortschreitendeProtestantis-
mus sick) nicht energisch genug abwenden
kan n!

Demsches Reich.

— Am königlichen Hvflager in Dresden, in der Ka-
serne des sächsischen 2. Grenadierregiments und anläß-
lich der Enthülluiig des Moltke-Denkmals hat Kaiser
Wilhelm Worte gesprochen, deren tiefernste B s-
deutung in der ganzen Welt verstanden werden wird.
Wir wollen dis markantesten Sätze hier wiedergeben.

Zum Obersten des 2. Grenadierregiments in Dres-
de n:

Wir leben in einer Zeit, in der jeder wehr-
h a f t i g e j u n g e D e u t s ch e b e r e i t s e i n m u ß,
für das Vaterland cinzntreten. Jch bin überzeugt, daß
jeder meiner Grenadiere sich dieser Pslicht bewußt ist.
Zum König von Sachsen:

Eurc Majestät haben unlängst die Gnade gehabt,
mit warmen, anerkennenden Worten der Arbeit des
vergangenen odcr vielmehr des ablaufenden Jahres
zu gedenken, und in anerkennendster Weise über die
Tätigkeit der obersten Reichsbeamten sich zu änßern.
Jch bitte meinen herzlichsten Dank dafür entgegenzu-
nehmen. Solche Worte tun wohl nach so schwerer
Arbeit, mie sie dieser Sommer gebracht hat. Wenn so
das Dentsche Reich sich entwickelt, wie ich es vorhin
skizzierte, dann können wir ruhig mit aufgeschlagenein
Visier und freiem deutschem Mannesmut, wie er ver-
lishen wird durch ein ruhiges und gutes Gewissen,
einem jeden ins Auge blicken, dem es belieben sollte,
uns auf unserer Bahn entgegenzntreten.

Bei der Moltkefeier:

Das zweite Mas, das gilt der Znkunst und der
Gegenwart! Wie es in der Welt steht mit
uns, haben die Herrengesehen. Darum
das Pulver trocken, das Schwert geschliffen, das Ziel
erkannt, die Kräste gespannt und öie Schwarzseher
verbannt!

Solche Worte des Kaisers lassen erkennen, datz auch
jetzt, nach Ueberwindung der Marokko-Krisis, Deutschland
nicht etwa auf seinen diplomatischen Lorbeeren ausr-uhen
darf. Zn der Beunruhigung, die da und dort einge-
treten ist, geben indessen diese aus militärischen Anlässen
gesprochenen Worte keinen Grund. Der Kaiser hat ledig-
lich aus den Ereignissen der letzten Wochen die sich für
Deutschland ganz natürlich ergebenden Folgerungen ge-
zogen. So wird zudem auch offiziell bestimmt versichert.

— Die Frankfurter „Volksstimme" teilt mit: „Ter
Parteivorstand hat den sechs „Vorwärts" - Redak-
teuren nntersagt, die Preßstimmen über den Kon-
flikt zn veröffentlichen. Die Vcröffentljchung einer neuen
Erklärung der sechs Redakteure für -heute haben die drei
Redakteure der Minderheit gestern in der
Druckerei verhindsrt. Der Verein Arbeiterpresse
soll sich tn einer außerordentlichen Generalversammtung
mit der Sache befassen." Die „Vorwärts"-Redakteure wer-
den sich schließlich noch an die vielgeschmähte bürgerüche
Presse wenden müssen, um nicht mundtot gemacht zu
werden!

Baden.

Kartsruhe, 27. Okt. Der Präsident dcs Großh.
Finanzmiiiisteriüms, Geh. Rat Becker, ist gestern von
Berlin, wo er an den Beratungen der Bundesratsaus-
schüsse über die Reichsfinanzreforin Teil genoinmen hatte,
wieder hierher zurückgekehrt.

Bayern.

M ünchen, 27. Okt. Der W ah lg e s ctza us -
schuß der Abgeordnetonkammer hat seine Bcratnngen
begonnen. Mg. Dr. Müller-Hof (lib.) stellt folgenden
auf Erzielung einer Einsstmmigksit berechneten Ver -
m i t t e l n n g s a n t r a g: „Der Ausschuß wolle bc-
schließen, Artikel 14 zu fassen wie solgt: Die Wahl der
Abgeordneten ist direkt und geheim. Sie erfolgt durch
absolute Mehrheit allsr in einem Wahlkreis abgege-
bcnen gültigen Stinimen. Stellt sich in einem Wahlkrcis,
in welchem nur ein Abgeordneter gewählt wird, bei der
Wahl eine absol-nte Mehrheit nicht heraus, so ist nur unter
den zwei Kandidaten zu wählen, welche die meisten Stim-

c;e Nummer umraßt vier Biätter zusammeu

men erhalten häben. Stellt stch bei einer Wahl in einem
Wahlkreis, wo zwei Abgeordnete zu wählen sind, eine
Mehrheit gemäß Absatz 1 nicht heraus, so ist eine weitere
Wahlhandlung vorzunehmen, bei welcher die relative
Mehrheit ohne Rücksicht anf ihr Verhältnis zur Gesamt-
zahl der abgegebenen gültigen Stimmen entscheidet. Er-
gibt sich bei einer dieser Wahlhandlungen Stimmengleich-
heit, so entscheidet das Los, das vom Wahlkommissär ge-
zogen wird."

Äus dr'r KsrlsrNtzer LeituN-st,

— Seine Königliche Hoheit der Grohherzog haben
den, Kommandanten des 4. Gendarmeriedistrikts, Major Lud-
wig Philipp G r a b er t in Mannheim, zum Kommandanten
des 2. Gendarmeriedistrikts in Freiburg ernannt.

— Betriebssekretär Ludwig Fromm in Karlsruhe wurde
bis zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in den Ruhestand
verseht.

Kartsruh-e, 27. Okt. Zur gestrigen Frühstücks-
tafel in Schloß Baden erschienen die Prinzessin Wil-
helm, die Herzogin von Anhalt, der Erbprinz und die
Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen.

Ä-rslLttl'.

Schwedcn.

Stockholm, 27. Okt. Der König richtete an
den Präsidenten des norwegischen Storthing ein
Schreiben, in dem es heißt: Nachdem ich Norwegen als
vollständig von Schweden getrennten Staat anerkannt
habe, benachrichtige ich Sie, daß ich beschlossen habe, auf
die Krone Norweg-ens zn verzichten, die
mir trotz meineß guten Willens im Laufe der Jahre bit-
tere S-orgen bereitet hat. Doch wünsche ich dem Lande
und Volke nnr Gntes. Jn Anbetracht der Wendung,
welche die Beziehungen der beiden Länder zu einander
genommen haben, kann ich nicht glauben, daß es für oas
Glück 'der beiden Länder nützlich wäre, wenn ein Prinz
meines Hauses die Krone Norwegens annehme. Fn bei-
den Ländern würde es sicherlich nicht ausbl-eiben, daß Miß-
trauen sich erhebt, welches sich ebsnso gegen ihn wie mich
wenden würöe. Dieses Mißtrauen würde nur zu leicht
ein Hindernis der Besserung der gegsnseitigen Beziehun-
gen der teider getrennten Völker bilden. Daher kann ich
das Anerbieten des Storthings nicht annehmen.
Schließlich dankt üer König Allen, die während der Re-
gierung ihm in Norwegen treu gedient haben nnd bittet,
ihm auch weiterhin ihre Zuneigung zu bewähren.

Zu derr Tlichwalilen.

X Kirchheim, 27. Okt. Gestern Abend hielten die
Vertrauensmänner der liberalen Partei eine Versammlung ab,
in welcher nach eingehender Erörterung einstimmig be-
schlossen wurde, der Weisung der Parteileitung strengste
Folge zu leisten und so zu zeigen, datz auch die liberalen
Wähler die Parteidisziplin hochhalten.

Kirchheim, 28. Okt. Gestern fand in der „Linde"
hierselbst eine von über hundert Wählern besuchte
Versammlnng statt, die von Herrn O. Werner von
Heidetberg geleitet wurde. Es- sprach für die deutsch-
soziale Kandidatur Hcrr M ü s; i g aus Mannheim und
dann Herr Mampel selbst. Vom Block trat thnen
Prof. Metzger, von den Sozialdemokraten der Wg.
Lehmann entgegen. Die Versammlung verlies sehr
st ü r m i s ch.

Karlsruhe, 27. Okt. Nachdem -bekannt güvor-
üen, dah sich maßgebende Aührer dex Zentrums-
partei -am letzten Samstag bei Dressbach-Mannheim
um die Wahlhilfe der Sozialdemokraten
bemüht hätten, verrät heute ein hiesiges sozialdemokra-
tisches Organ, daß ein hervorragender Jührer der
Konservativen bereit war, der Sozialdemo -
kratie konservative Stimmen zuzufüh-
r e n, wenn die Sozialsemokraten in einem anderen
Bezirk den Konservativen ihre Stinimen hätten zukom-
men lassen. Die Parteileitung der Koiiservativcn, deren
Presse über das taktische Abkommcn des Blocks mit den
Sozialdemokraten die schärfsten Töne gefnnden hat, wirö
nicht umhin können, zu dicser Enthüllnng ^des leitenden
Organs der badischen Sozialdcmokraten «tcllung zn
nehmen. Entgegen der von öer Partcileitung ausg-cgebe-
nen Parole der Stimmenthaltnng in der hiesigen Stadt
sordert das Zentrum in einem heute Mittag verbrei-
tetcn Flngblatt die katbolischen Wähler zur Stimm -
abga b e für die S o z i a l d e m o k r a t i e auf.

Frciburg, 27. Okt. Von hier aus kann bestötigt
werden, daß das Zentrum ein Stichwahlbündnis mit der

Ü8 Terten.
 
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