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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 282-305 (1. Dezember 1905 - 30. Dezember 1905)
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Freitag, 29. Dezember 1995.

Erstes Blatt

47. Zahrgasg. — Nr. 304

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Versammlung von ^abakinteressenten.

^ Heidelberg, 29. Dez.

Gestern Nachmittag fand im Tanzsaale der Stadthalle eine
don der hiesigen Handelskammer einberufene Versammlung
*on Taüakinterefsenten statt.

Eingeladen und anwesend waren die meisten Tabakfabri-
«rnten des Bezirks, ferner Vertreter des Zigarrenhandels, der
^abakarbeiter und der Orte, in denen sich Tabakfabriken befin-
ven, sowie der Landwirtschaft. Auherdem wohnten die Herren
dieichstagsabgeordneten Beck und Müller sowie die Herren Land-
iogsabgeordneten Dr. Wilckens, Rohrhurst und Quenzer der
^ersammlung bei. Gegen Schluh erschien auch Herr Land-
«rgsabgeordnetcr Pfeiffle, der versehentlich erst spät und dann
»urch Telephon eingeladen worden war.

Herr Handelskammerpräsident Schott bcgrühte und er-
»ffnete die Versammlung mit dcm Hinweis darauf, datz die Han-
delskammer sich verpflichtet gcfühlt habe, angcsichts der neuen
^abaksteuervorlage cine Aussprache der Jnteressenten ihres Bc-
8>rks herbeizuführcn und dankte insbcsondere den Herren Abge-
»rdneten für ihr Erfcheinen.

Die Aussprache, dic in mancherlei Beziehung recht iniereffant
svar, dauerte etlva 314 Stunden. Wir müsfen uns darauf be-
ichränkcn, sie hier gauz kurz zu fkizzieren.

Das Hauptreferat erstattete Herr Kommerzienrat Land-
iried. Die Tabakindustrie, die schon mit S4 Millionen be-
«stct sei, habe die Empfindung, das Aschcichrödel zu sein. Keine
Andustrie erfordere mehr Jntelligenz, Ausdauer und Geschick als
°wse; hei kciner sei die Arbeit im Verhältnis zum Umsatz grö-
ver, bci keiner die Schwicrigkeit beim Einkauf und Verkauf be-
beutendcr. Dazu seien grohe Kapitalien nötig; in zwei Jah-
^en werde das Kapital einmal umgesetzt. Von Dividenden von

und mehr Prozent sei heute nicht mehr die Rede, höchstens
vori ciuer annehmbaren Verzinsung. Redner führte dann
A>s, mie diese Jndustrien schon seit vielen Jahrcn unter dcr
^snnruhigung durch Steuerpläne und Steueränderungen zu
Aöen hahe. Er konnte da bis in die 60er Jahre zurückgehen.
T»»n kam er auf die neue Steuervorlage zn sprechcn. Während
die Steuer 46 Mark, der Zoll 85 Mark beträgt, also zwischen
veiden eine Spannung von 40 Mark besteht, sieht die neue Vor-
fuge Sätze von 62 und 125 Mark, also cine Spannung von 63
T^ark vor. Zur Begründnng der Vorlage werdc gesagt, sie bc-
tzUristjge die Landwirtschaft und lege die Last auf starke Schul-
An. Beides sei nicht richtig. Dic erhöhte Spannung zwischcn
^neuer und Zoll werde vielleicht in dcr Uebergangszeit der
^andwirtschaft Vorteil bringen, dann aber werde man einc
^eberproduktion bekommen und die Preise werden unter den
Mtzerigeri niederstcn Tiefstand fallen. Jhren wahren Vortcil
die Landwirtschaft nicht in dcr erhöhten Spannung zu
lvchen, sondcrn darin, dah sie zum Qualitätsbau übcrgehe. Die
^vrsuche seiner Firma hätten gezeigt, dah dies möglich sei. Die
vauptgefahr auch für die tabakbauende Landwirtschaft fei der
?uckgang des Konfums, dcr bei ciner Erhöhung der Steuer
ncher eintrcten lverdc. Er hoffe, dah die Volksvcrtretung die
«teuer verwerfen werde. Was die Behauptung betreffe, dah
vre Steucr auf dic stärkeren Schultcrn gclegt wcrden solle, so
Wf darauf hinzuweifen, dah 85 Prozent der Zigarrenproduktion
ZParren im Werte bis zu 6 Pfg. erzeuge. Wer solle die Bc-
f^stung von 3f<L—4 Mark pcr Tausend tragen? Der Kcmsument
">erde sic ablehncn, dcr Händlcr könne sie nicht tragen. Entwcdcr
'Puss» die Zigarre schlechter oder im Gewicht leichter werden.
Ane Lbwälzung auf das Ausland sei auch nicht möglich, denn
«"r brauchen das Ausland, nicht umgekehrt. Der Konsum würde
SUruckgehen. die Produktion mühte eingeschränkt und ein erheb-
stcher Teil dcr 200 000 Arbeiter entlaffen werden. Sie hatten
lu erster Linie zu leiden. Was das für unsern Bezirk, der 8000
^ollarbeiter beschäftige, zu bedenten habc, sei klar. Man sage
">ohl, norddcutsche und wcstfälische Fabrikanten würdcn zu uns
w»imen; das sei nicht richtig. Sie würden nach dem Elsah, wo

Löhne billiger sind, als bei uns und allenfalls nach Oberba-
k^u gehen. Gegen die Zigarettenstencr wehrten sich die Fabri-
?uten nicht, nur gegen die vorgeschlagene Form. Er glaube^

wenn man die Erbschaftssteuer richtig ausbauen würde, dann
würde das Reich über die Finanzschwierigkeiten hinauskommen
und auf Erhöhung der Einnahmen aus dcm Tabak verzichten
können.

Auch Direktor Schott meinte, dah man sich über die Wirk-
samkeit der erhöhten Spannung zwischen Steuer und Zoll in
landwirtfchaftlichen Kreisen einer Täuschung hingebe. 44 Proz.
des einheimischen Tabakbaues entfalle auf Pfeifengut und Kau-
tabak. Die würden bei erhöhter Steuer teurer werden, der
Konsum würde zurückgehen. Das habe sich bei früheren Ge°
legenheiten gezeigt. Auch er empfehle, mehr auf Oualitätsbau
abzuheben.

Herr Steingötter, der Vorstand dcs landwirtschaft-
lichen Bezirksvereins, ist bezüglich der Spannung anderer An-
sicht. Schon 1894 habe die Landwirtschaft um Erhöhung der
Spannung gebeten. Die Landwirtschaft könne in diesem Falle
nicht Harid in Hand mit der Fabrikation gehen. Er glaube
auch nicht, datz eine Ueberproduktion mit Erhöhung der Span-
nung eintreten würde. Andererseits wünfche auch er, dah die
Landwirte mehr auf Qualitätsbau Bedacht nähmen.

Herr Martin Hönig, Tabakarbeitcr aus Sandhausen, er-
klärte der Vorlage gegenüber die Jntereffen von Fabrikanten
und Arbeiter für solidarisch. 1884 seien 15 000 Arbeiter brot-
los geworden. Wohl sei ihr Verdienst ein kärglicher, nach der
Statistik betrage er nur 507 Mark, aber sie fänden anderswo
keinen Unterschlupf. Sie mühten Protest erheben gegen die
Vorlage, die sie der Not und dem Elend aussetzen würde.

Herr Ferdinand Liebhold fügte den Ausführungen des
Referenten einiges hinzu. Er machte darauf aufmerksam, dah
die Tabakindustrie eine der wenigen sei, die ohnc Maschinen ar-
beite. Warnm gehe man nicht an die chemische, die Farbwaren-,
die elektrische Jndustrie? Man munkelte, dah man in Berlin,
in der Einsicht, dah die Vorlage nicht durchgehe, den Gcdanken
einer Wertsteuer wieder erwäge; allein eine solche sei ganz un-
durchführbar. Er hoffe, dah der Herr Reichstagsabgeordnete
des Bezirks, deffen Abstimmnng in der Zolltarisfrage nicht Allen
gefallen habe, jetzt zeigen wevde, datz er ein Herz für Handel
und Jndustrie besitze.

Herr Bürgermcister Hambrccht von Sandhausen wics da-
rauf hin, >me sehr sein Ort von der Tabakindustrie abhänge.
Man hätte früher den Tabakzoll crhöhen sollen. Jnzwischen
habe sich dcr Gefchmack an den überseeischen Tabak gewöhnt.
Jetzt könne man das nicht mehr machcn, ohne den Konsum und
damit die Fabrikation schwer zu schädigen. Man solle doch an
die Arbeiter dcnken und sie schonend behandeln. So wie die
Vorlage sei, könne sie nicht angenommen werden.

Herr Marx beschäftigt fich mit dem öfters gemachten Hin-
weis, dah im Ausland, besonders in den Monopolländern, der
Tabak per Kopf der Bevölkerung mehr bringe, als bei uns. Dem-
gegenüber hebt er herdor, dah dort 13 000, bci uns 200 000 Ar-
beiter beschäftigt werden, dah dort mit Maschinen, bei uns mit
der Hand gearbeitet werde. Die Verhältniffe seien also nicht
"ohne weiteres zu vergleichen.

Herr Reichstagsabgeordneter Beck wies darauf hin, dah,
wie es auch die Reden in der Verfammlung erkennen liehen, die
Stcllungnahme eincs Reichstagsabgeordneten in diescr Ange-
legenheit schwierig sei. Landwirtschaft, Fabrikant und Arbeiter
stellen ihre Schnur auf, da könne der Reichstagsabgeovdnete übcr
die ein-e oder die andere stolpern. Dah die Landwirtschaft ein
Jntereffe an einem höheren Schutze habe, sei sicher, anch glaube
er mit Steingötter nicht, dah eine Ueberproduktion eintreten
werde, denn dcr Landmann von heute kenne die Konjunkturen
und die Produktionsbedingungen; er wiffe, auf welchen Böden
Tabak gebaut werden könne und auf welchen nicht. Andererfeits
verkenne Rcdner nicht, dah die Vorlage einen einschnsidenden
Griff in die Verhältniffe der Fabrikanten, der Händlcr, dcr
Hilfsgcwerbe und der Arbeiter bedeute. Er dürfe aber der
Pflicht, dic Vorlage zu prüfen, sich nicht entziehen. Die Finanz-
not im Reich sei so groh, dah ihr cndlich abgeholfen werden
müsse.^ Da dürfe der einzelne Vertreter sich nicht versagen,
da müsse er mitwirken, müffe suchen, auf welchem Wcge die
widerstrebenden Jntereffen zu vereinigen möglich sei. Die heu-

Prozeh Sartorius.

^Nuhbach, 27. Dez. Am dritten Verhandlungstage hat
L?rtorius nach übereinstimmcnden Gerichtsberichten wcgcn der
^Avendung von Waffer aus dem dreckigen Muhbach zu Wein-
»>,c die er für sich selbst zugeben muhte, die Behauptung
^stkgestE, es sei in Muhbach allgemein üblich, das Muhbach-
cTf'wr zu verwenden. Auf Veranlaflung des Bürgermeisters
"un am Sonntag nachmittag im Gemeindchause zu Muh-
»eN eine Protestvcrsammlung statt, die von den Winzcrn so
besucht >var, dah das Gemeindehaus bei weitem nicht
s.j reichw, Der Bürgermcistcr selbst referierte und wies auf
Protestbrief an die Staatsanwaltschaft hin, der aber noch
genügc. Es müsse eine derartige starke Verdächtigung der
tzctzSen Gemeinde und eine solch schwere Schädigung des Muh-
v,S?r Weinhandcls mit allcr Schärfe und Einmütigkeit zurück-
«^wiesen tverdcn. Er stellte fest, dah seines Wiffens seit dem
1899, wo Muhbach cinc Wasserleitung bekam, das Wasser
tz-ss-Nuhbaches auch in filtriertem Zustand zur Reinigung^der
jfstffrr nsw. nicht mchr verwcndct wordcn ist, autzer von Sar-
tzie in' gleichcn Sinne äuherten sich mchrere Winzer und
tz, >>rrtreter der Winzergenossenschaft. Die Erregung in dcr
txj ^wnilung war bisweilen eine sehr grohc, doch kam cs zu
st^rlei Ausschreitungen, da es an bcsonnencn Männern glück-
g^'^veise nicht fehlte. Schliehlich wurde nach manchem Hin
rhT Her eine Resolution cinstimmig angcnommen, in wel-
»et ^ Aussagc von Sartorius als gänzlich unwahr und geeig-
vijt' "" Gemeinde Muhbach schwcre Schädigungen zuzufügen,
allcr Cntschiedenheit zurückgewiefen tvird.
ricki I°»kenthal, 28. Dez. Heute begann nach dcm Be-
»rr „Frankf. Ztg." die Vernehmung dcr vom Staatsan-
Ä >,i ^rladenen Belastungsfachverständigen. Prof.
8er ^ 'E» erklärt, er habe von der crsten Vernehmung einen
IckiiUt Pcinlichen Eindruck bekommen und sei geradezu er-
"ert gewescn, als er bci Sartorius anfangs das Gefühl nicht

nur der Erschütterung, sondern des vollständig Niedergeschmet-
tertseins wahrnahm. Jn den Büchern wurden Angaben gefun-
den, die er als Sachverständiger mit Notwendigkeit nur auf
künstliche Bukettstoffe deuten könne. Sartorius habe bei der
Vernehmung nicht nur die Aussagen vom Vormittag am Nach-
mittag geändert, sondern sogar von Seite zu Seite des vorge-
legten Buches denselben Aufzeichnungen eine andere Deutung
zu geben versucht, und mit Bleistift auf den inkriminierten Stel-
len herumgekritzelt. Aus dem ganzen Zusammenhang, in dem
die Wkürzung „Sh." sich finde, sei er zu der bestimmtesten
Ueberzeugung gekommen, dah sie Zuckerwasser bedeute.
Auch der rcchnerische Beweis sei nach jener Richtung ein
zwingender und von Fall zu Fall gelungen. Kulisch kommt
zu dem Schluh, daß dcr Angeklagte mit Zuckerwasser in ge-
radczu ungchcurem Umfange gehandclt habe, datz er 60 Teilp
Most mit 40 Teilen Zuckerwaffer verdünnt habe. Die verbotene
Rückverbefferung sci aus den Büchern in zahlreichen Fällen im
Verhältnis von 60 zu 33 odcr 50 zu 50 usw. nachwcisbar. Die
Moste seien nicht im Sinnc des Gesetzcs „verbeffcrt", sondern
vermehrt, und idabei sei der Wein in sciner ganzen Ernte
bezüglich der guten Eigenschaften nach dcm Geseh ebenfalls un-
statthafter Aenderungen unterworfen ivorden.

Dr. K r u g - Landau pflichtet Kulisch unbedingt bei. Bei
der Deutung von S. H. als ein besondercr Wein tvürde sich
überdies ein von dcn tatsächlichcn Analysen völlig abweichendes
Bild ergcben. Weiter gehörten die Lagen von Mutzbach zu dcn
bevorzugten der Pfalz unid hätten eine Zuckerung nicht oder nicht
in hohem Mahe nötig, zumal nicht in dem so gutcn Weinjahr
1904. Weinkontrolleur Weiser: Der Fall S. hat sich nicht
aus den Dennnziationen entwickelt, sondern aus Bücherrevisio-
uen, die seinerzeit bei anherpfälzischen Drogistcn wcgen des
Falles Möhlinger vorgenommen wurden. Man fand bei Möh-
linger unter Deckadresscn seines Affistenten Eckstein gelicfertc
Chemikalien aus neuestcr Zeit in Menge von mehreren tausend
Kilogramm: Glycerin, Weinsteinsäure, Schwefelwaffer, Phos-


tige Versammlung sei für ihn sehr lehrreich. Dah die Dorlage,
wie die Regierung sie eingebracht habe, den hier vorgetragenen
Bedenken nicht vollauf Rechnung getragen habe, gebe er zu. Sie
müffe aufs genaueste geprüft werden in dem Sinne, wie Baffer-
mann im Reichstage ausgeführt nnd der Fraktion die Stellung-
nahme vorbehalten habe. Dem schließe er sich an. Früher sei
er für die Wertsteuer geivesen, jetzt aber sei er etwas davon ab-
gekommen. Ehe die Sache bis zur Abstimmung gediehen sei,
werde er mit den Jntereffenten nochmals Fühlung nehmen.
Ohne wesentliche Abänderungen werde die Vorlage schwerlich
Gesetz werden. Uebrigens habe man die Uebergangsbestimmun-
gen, die manche günstige Bestimmungen enthielten, hier gar
nicht berührt; er möchte wünschen, dah sie nicht auher acht ge-
laffen würden.

Nach einer kleinen Diskussion, ob und inwieweit die bis-
herigen Redner einiges aus der Vorlage akzeptiert haben, be-
handelte Herr Landtagsabgeordneter und Tabakfabrikant
Mayer aus Mannheim in intereffanter Weise nochmals die
ganze Materie. Da der Bericht schon Icmg geworden ist, können
tvir nur einige Gedanken' aus seiner Rede kurz hervorheben.
Cr machte unter anderm darauf aufmerksam, dah die Span-
nung zwischen Steuer u. Zoll zwar absolut gröher werden solle,
prozentual abcr die gleiche bleibe. Die Landwirte möchten sich
doch viel mehr auf den Qualitätsbau als auf die Spannung
verlaffen. Eine Usberproduktion sei auch bei dcr gröhten Span-
nung zu befürchten. Sehr eingehend wies Redner das enge
Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Tabakindustrie nach.
Die Tabakirümstrie ziehe zu den Arbeitern in die Dörfer; sie
paffe sich ihnen an. Jn der Hopfenzeit schliehe sie, in der Zeit
dcr Fruchternte schränke sie sich ein. Das vermöge keine an-
dere Jndustrie. Die Tabakarbeiter seien zugleich vielfach Land-
wirte. Sie arbeiten in beiden Branchen und daher komme auch
der statistisch ausgerechnete Jahrcsdurchschnittslohn von 507 Mk.
Wenn man die wirklichen Arbeitstage u. die Arbeitsstundcn zähle,
dann bekomme diese Zifser ein ganz anderes Gesicht. Bei einer
privaten Statistik in seinen Betrieben sei er in manchen Fällen
bis auf 140 Arbeitstage im Jahr gekommen. Man sehc doch die
Tabakindustrieorte, wie z. B. Sandhausen, an, wie sie heute sind
und wie sie früher waren. Da merke man den Segen, dcn der
regelmähige bare Verdienst in die ländlichen Orte bringe. Ge-
rade die kleinen Existenzen in der Fabrikation seien am schwer-
sten bedroht, die Gefahr für die grötzeren sei geringer. Für
jene und für die mit Entlaffung gedrohten Arbeiter gelte es,
einzutreten.

Herr LanLtagsabgeordn. Dr. Wilckens dankte zngleich im
Namen seiner Kollegen für die wcrtvolle Jnformation, die ihnen
zu teil geworden sei. Eine Finanzreform müffe zustande kom-
men. Bis jeht habe er den Eindruck, datz nur die Erbschafts-
steuer allgemeinen Anklang finde. Er sei auch dafür, sie derr
direkten Abkömmlingen auszuerlegen, aber er warne doch davor,
ihren Ertrag zu überschätzen. Jn der Tabaksteuer behiclten scine
Freunde und er sich die Stellungnahme vor. So wie die Re-
gierung sie vorgeschlagen habe, habe sie wohl kcine Aussicht, aber
vielleicht sei eine Verständigung in dem von Baffermann ange-
deuteten Rahmen möglich. Jedcnfalls müffe dcr Neichstag die
Vorlage genau prüfrn. Auch im Landtag werde man sie ruhig
prüfen und dahin wirken, dah die badische Jndustrie keine we-
sentliche Schädigung erfahre. Aber auch an die Finanzreform
müssen wir denken und dafür sorgen, dah cin Zustand aufhöri,
welcher die Einzelstaaten an der Lösung ihrer Aufgaben durch-
die Verhältniffe im Reich beeinträchtigt.

Herr Hummel berichtete über die Agitation gegen dia
Vorlagc im Wicslocher Bezirk und über die dort aufgesetzte
Maffenpctition.

Herr Hormuth sprach vom Standpunkte der Händler
aus gegen die Vorlage. Die Zigarren mühtcn, falls dicselbe
Gesetz würdc, minderwcrtig oder klciner wcrden. Das lichen
sich die Konsumenten aber nicht gefallen. Er spreche besonders
von der 5- und 6-Pfennig Zigarre, von der die Händler lebtcn.
Der Geschmack des Publikums habe sich verfeinert. Wenn Bra-
sil so verteuert würde, dah die Fabrikantcn zum Pfälzer greifen
mühten, dann würde der Konsum sehr zurückgehen.

phorwasser usw. Naturwein sei bei S. nur in ganz geringen
Mengen gefunden worden. S.'s llmsah in den Jahren 1901 bis
1904 betrage jährlich zwischen 820 Fuder für 390 000 Mark und
946 Fuder für 370 000 Mark. S.'s jährlichen Reingewirm
hieraus schätzt Weiser auf etwa 100 000 Mark. Sachverständiger
Emanuel M a r x bestätigt die von Weiscr aufgostellte Reinge-
winnschätzung. S. berechne überdies durchschnittlich 60—70 Mk.
mehr als andere pro Fuder. Das Gutachten des von der Ver-
teidigrmg geladenen Prof. Dr. Wilhelm Fresenius aus
Wiesbaden erkennt im allgemeinen die Folgcrnngen Kulischs
und Anrthors an, läht aber auch die Möglichkeit einer anderen
Deutung offen und läuft durchweg auf ein non liquet hinaus.

Jn der N a ch m i t t a g s s i tzu n g dauerte die Sachver-
ständigenvernehniung fort. Voraussichtlich wird morgen Freitag
die Beweisaufnahme beendet sein.

Kleine Zeitrrrrg.

— Bei dem Spaziergang des Kaiscrs am HeiligaöenÄ
>hat dreser, wie allfährlich, wieder cm bedürftige Personen,
Gartenarbeiter, Kinder usw. blanke neue Geldftüche ver-
teilt. Zunächst prouienierte er vormittags durch den
Park zu Sanssouct, wo die Parkaufseher, Gartenarbeiter
uuid verschiedene Kinder von ihm bedacht wurden. Noch-
mittngs um 2 Uhr begab er sich daun zur Kaserne des 1.
GardereMwents, um der Bescherung der Leibkompanie,
deren Chef Priuz Eitel Friodrich ist, beizuwohnen. Auf
dein Wege dorthiu scheEe er bedürftig<en älteren Leuten
Zweiinarkstücke. Am Neustädter Tor begegnete er etner
Danie aus Äer Potsdamer Adelsgesellschaft, die er per»
sönlich kannte. Sie ging mit ihren Kindern spazieren
 
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