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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177-203 (1. August 1905 - 31. August 1905)
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Mittwoch, 30. August lÜÜL. Ersres Blatt. 47. Jahrgang. — Nr. 2Ü2

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« besttmmten Tagen wird keine Berantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf dsn Plackattafcln d-r Hei'oelberger Zeitung nnd den städMchm Nnschlagstellen. Ferniprecher 82.

Dev politische Waldmichel in Nr. 8.

^ Jm Waldmichel wird erzählt, wie der Weihbischof Kü-
! ^I vgn Freiburg, der 'das Examengesetz durch Hinaus-
'dndung junger Priester verletzte, vor Gericht zitiert
^upde, das ihn, weil er nicht! erschien, durch Polizei vor-
Aren ließ. Daraus erwidert der „Schwäb. Merkur":
ün einem Rechtsstaat gibt es kein Ansehen der Person.

Mschos, der die Gesetze mitzachtet und sich weigert,
°br Borladung des zustäiidigen Gerichts Folge zu leisten,
slluß genau ebenso vorgeführt werden, wie ein anderer
^terblicher, das verlangt die Gleiäsheit vor dem Gesetz,
7>eZentrum sonst imwer im Mnnde führt, die aber
!^r einen Mschof nicht geltcn soll! Die Weigerung war
natürlich daranf berechnet, beim katholischen Bvlk Btit-
i^d und Entrüstung zu erregen, aber das Gericht hat die
^ache sehr nüchtern behandelt, indem der Bischof die
"drakonische" Strafe von 600 Mk. erhielt. Den Betrag
s'oß sjch der Bischos abpfänden, wieder ein Mittel zur
^gitation. Einige junge Priester wurden eingesperrt,
^st sie ohnc Staatsexamen sich als kirchliche Amtsperso-
geberdeten ünd Amtshandlungen vornahmen. Das
^ar objektiv nichts als Recht, subjektiv kann man heute
^Ugeben, daß es sür die Betrofsenen hart war, da sie nur
ökln. Gebot des Dischofs folgten. Man darf aber bei
?stedem nicht verg.essen, vaß sene Zeit eine solche des
^arnpses um die Abgrenzung staatlicher und kirch-
^cher Rechte war. Mißgriffe sind auf beiden Seiten ge-
Aacht worden, und seitens der Illtramontanen wurde nicht
^st lanter einwandsreien Mitteln gekämpst. Die Verun-
Äimpfungen, die der Minister Lamey und Jolly seitens
i^Ner Parter zu ertragen hatten, wiegen die Vorführung
Mschofs sNibel reichlich auf. Wie groß die Kampfes-
^itze war, wird seder begreifen, der jetzt, nach mehr als
Jahren, die Ausbrüche Priesterlicher Gehässigkeit iin
^aldmichel li-est.. Ein Bsispicl: Die Kurie verwarf
p>s por vler Jahrzehnten erlasfene Schulgesetz un'd beein-
^ußte die in den Ortsschulrat -gewählten Katholiken, die
solgten, die Wahl abzulehnen. Dafür bekamen die
dewählten eine Geldstrafe, wie das Gesetz vorschreibt,
^ud wie sie heute nsch Verjenlge bekommt, der z. B. die
^ahl als Gemeinderat ablehnt, ohne 60 Jahre alt zu sein.
pttd biese Strafen wurden zn einer dlokletianischen Chri-
stenperfolgung ausgebauschl! Es wurde gesagt, die Strase
ungerecht, weil die Leute in ihrem Gewissen gebunden
^en usw. Auf die Ausführungen antwortete der über
. d ganze erbärmliche Agitation empörte Minister Lamey
der 2. Kammer: „T-as Gesetz ist das össentliche Ge-
"Uissen, wer daneben noch ein Privatg-ewissen haben will,
b>uß eben zahlen!" Der Sinn dieser Worte ist klar. Der
^inister äußerte die edle und hohe Aufsassnng, daß in
lStändeversamnilung durch die erwählten Vertreter des
^olks das öffentliche Gewissen znm Ausdrnck komme, und
^aß der Staat keine Rücksicht darauf nehmen könne, ob
idmand sich einreden läßt, das Gesetz gehe gegen sein Ge-
^issem Eine Geldstrafe war doch das Mslüeste, was gegen
^ie von den Ultramontanen erregte und genährte systenia-
tische Obstruktion angewendet werden konnte. Ja, wie

schon sruher berichtet, auf einmal war die Kurie nicht
mehr gegen das Schulgesetz, fondern erteilte Geistlichen
und Laien die Evlaubnis, in den Ortsfchulrat einzntre-
ten. Warum denn jetzt? Warum nicht von Anfang an?
Warum, war jetzt mit dem Gewissen vereinbar, was Vor-
her Sünde gewesen sein sollte? Gibt es parlamentarische
Ausdrücke, um dieses Derhalten der Kurie richtig zu be-
zeichnen? Was mögen jene armen Geldstrafenmärtyrer
gedacht haben, als sie merkten, daß die Kurie nun sölbst
den Standpunkt Lameys anerkannte? Nach mehr a.ls
40 Jahren stellt der Waldinichel den Ausspruch so hin,
als habe Lamey gesagt, man müsse den Menschen mehr ge-
horchen als Gott! Die beiden Mtnister, Lamey, Jolly
und ihr Gegner, Weihbischos Kübel, rnhen längst im
Grabe, die Liberalen haben Gras über jene unentschuld-
baren Vorgänge wachsen lassen, west ste mit der Gegen-
partei im Frieden leben wollten, aber der heilige Prie-
sterzorn kann die Derträglichkeit nicht dulden, er muß
alle jene Vorkommnisse wiöder aufleben lassen, angeblich
um die Jnteressen der katholischen Kirche zu verteidigen!
Tabei hat die Kirche gar keine Ursache, stolz auf ihre Er-
folge Zu sein. Zieht man das Fazit der damaligen
Kämpfe, so hat die Kurie vollständig nachgegeben und
nachgeben mrissen in der Schnlsrage (zweima-l be-
züglich der Schulaufsicht und bezüglich des simultanen
Chavakters der Schule), in der Frage der städtischen
SpitaIfonds, in der St i s t u n g s f r a g e, in der
bürgerlichen S t a n d e s b e a m t u n g und manchen
kleineren Sachen, während sie recht behalten hat in der
Frage des S t a a t s e x a mens der Theologen und der
Errichtung von Knabenkonvikten. Jenes Examen wollte
der Staat einführen ans den gerechtfertigtsten Beweg-
gründen. Er wollte einen gebildeten und womöglich va-
terländisch gesinnten Klerus erzogen wissen. Der Staat
ist damit nicht dnrchgedrungen, er inußte anerkennen, daß
er hier einen Eingriff in kirchliche Angslegenheiten ver-
sucht hatte und mutzte aus Äas Examen verzichten. Er
ließ auch die Knabenseminarien zu, was ein sehr ver-
yängnisvoller Schritt war. Wer was will das alles
heißen gegenüber den zahllosen Uebergriffen der Kirche
auf welkliches Gebiet und gegenüber den Niederlagen,
die sie dabei erlitten hat. Was soll überhaupt
diese ganze Waldmichslei? Das ist die reine „Pvlitik
der Rache", di-e selbst Geistl. Rat Wacker für verwerflich
crklärte. Das ist kein Ausfluß des Zentrumsprogramms,
wie es für den kommendon Wahlkampf verkündigt wurde,
sondern das ist der nackte U l t r am o n t a n i s mu s,
den die Zentrumsführer aus bnrgerlichen und Beamten-
kreisen für eine verleumderische Erfindung ihrer Gegner
erklärt haben, das ist nicht ein Streben nach Frieden,
sondern eine Verewigung des Streites nm des Streites
willen, das ist mtt einem Wort nur Rom, nicht
Deutschland! Mag das deutsche Volk an der konfessionellen
Spaltung zu Grunde gehen, wenn nur über seine Trüm-
mcr Rom herrscht! Fm le'tzten Landtag ertönten Reden
aus der Mitte des Zentrums, die entschieden friedlich ge-
stimnit waren. „Beurteilen Sie uns doch nach unseren
Taten!" rief man d-en Liberalen zu. Man gab sich als

moderne und Äeutschgestnnte Manner und reichte den An-
dersgläubigen die Freundeshand. Ja, war denn das so
gemeint? Da muß man fragon: Wer ist denn maßgebend
im Zentrum, die Landg-srichtspräsident Zehnter, Rechts-
anwalt Fehrenbach, Amtsgerichtsdirektor Gießler, Bür-
germeister Schüler und andere, oder der Benefiziat
Schofer in Freiburg, der die Fahne des unverfälschien
llltramontanismus schwingt? Sollen die genannten Män-
ner, die es gewiß mit ihren Reden ehrlich meinten, nur
die Lockvögel sein, die man aushängt, um Mitläuser an-
zulocken' und das nati-onale Gewissvn einzuschläsern, bis
man mit ihrer Hilfe die M a ch- t erlangt hat, um sie als
überflüssig in den Winkel stellen zu können? Haben öie
Genannten nie darüber nach-gedacht, daß ihnen das Los
der 'Lender, der Hansjakob, der Baumstark beschieden sein
könnte, sobald man sie nicht mehr braucht? Können sie
eine ander-e Beha-ndlung erwarten von einer Seite, die
erst kürzlich dem verstorbenen Baumstark einen Fußtritt
ins Grab versetzte, um! zngleich einen geliebten Amts-
bruder damit zu treffen? Und wenn in Rom selbst der
frömmste deutsche Kvtholik nie für ganz voll gcn-ommen
wird, sondern immer ein leis-es Ketzergerüchlein an sich
behält, wenn ein Mschos Ketteler an die Wand g-edrückt,
ein Bischof Stroßmayer niedergeschrien, ein Bischof Hefele
in seinem Jnnersten gebrochen wurde, was können denn
die Zehnter, die Fehrenbach, die Gießler, die Schüler
anderes beanspruchen? Man dars wohl -erwarten, daß die
genannten Männer, die bisher auch bei der G-sgenparter
in vollster Achtnng stehen, sich über ihre St-ellung zum
Waldmichel erkIären, und daß sie üamit nicht warten,
bis ihn-en im Landtag die kräftigsten Stellen vorgelesen
lwsrden, denn dann, wenn man die Früchte der Hetzerei
bei den Wahlen eingeheimst hät, ist es zu spät, die Un-
wahrhaftigkeit zu tadeln. Jetzt ist es Zeit, daß ein
Wort- gesprochen wird; geschieht es nicht, dann müsfen sich
die Betresfenden gefallsn lassen, daß künstig ihre fried--
sertigen und moderneii gesärbten Erklärungsn in der
2. Kammer bei allen freien Göistsrn Deutschlands einen
Widerhall erwecken, den man Höflich als einen Heiter-
keitserfolg zu bezeichnen pflegt. Es mag den Herren
schwer wevden, gegen die „Fanatiker im eigenen Lager"'
aufzutreten, aber bei dieser Gelegenheit muß sich zeigen,
ob ibr Mannesmub e ch t ist, oder ob er sich nur einer Rs-
gierung gegenüber zeigt, von der sie genau wissen, dast
sie ihnen nichts tun kann und auch nichts tun will.

Deutsches Reich-

— Die in dem „Berliner Gewerkschvftskartell" zu-
sammengefaßten sog. Lokalorganisierten haben
dieser Tage in Gemeinschaft mit dbn Ana r ch i st e n eine
von m-ehr als 3000 Personen angenonimene Resolution
gesaßt, w-elche die bisherige Methode der Sozialdenio-
kratie, insbesondere die parlamentarische, verwirft und
die „wahrhast- revolutionären Elemente" zusanimenfassen
will, um auf dem Weg des Generalstreiks zum Umsturz
der -bestehenden Gesellschaftsordnung zu gelangen. Die
Resolution soll dem Jenenser Parteitag vorgelegt werden.

Kleme Zeituug.

— Frankfurt n. M., 28. Aug. Eine große Gesellschaft
iranzösischerLehrer kam am Sonntag Vormit-
tag hier an. Die 70 Herren upd Damen, Vertreter aller
Nrovinzen Frankreichs und aller Schulgattungen, wurden
vni Bahn-h-of von- ihren Frankftirter Kollegen empfangen
vnd für den ganzen Tag in Qbhut genommsn. Man
Keigte ihnen die Schönheiten der S-Hidt und sorgte sür
rhre Unterkunst. Abends bereitete man den sranzösischen
Gästen ein Bankett im Börsensaal. Vier Lehrerv-ereine
^att-sn sich zu dieser Veranstaltung vereinigt: der Dcrein
Eademisch gebildeter Lehrer, der Lehrerverein, der Leh-
terinnenverein und die Allgemeins LehrerverfamnÄung.
Älre Mitglieder füllten den Saal bis auf die Plätze, die
bran den Güstsn reserbiert hatte. Um -hakb 9 Uhr be-
grützte Direktor Dörr die Erschienenen, die bnnte deutsch-
sranzösische Reih-en machten und über die Sprachgrenze
viit vieleni 'Eifcr nnd Geschick wegkamen. Eine lang-e
^ei'he von Redrn, verschieden in der Sprache und im
Temperament, brachte den Grundzug der Deranstaltung
ZUm Ausöruck: das Beivußtsein der genteinsamen
Arbeit für den Fri -sd -en. So konnte der Vor-
sttzende im Laufe dss Mends mit gutem Grund die Ver-
samnÄung auch im Namen des Franksurter Fri e°
densvereins begrützen. J-edes Wort, 'das 'die Freuiid-
§chaft Deutschlaitds und Frankreichs betonte, fand stürnii-

sch-sn Beifall. An den deutschen Kaiser und an
Präsident Loubet wurden Telegranxme gesandt.
Die französischen Leh-rer und Lehrerinnen wollen den
Montag noch Frankfurt widmen. Dann geht es welter
rheinabwärts.

— Ein Berliner Hochstaplerpaar in Mnnchen ver-
haftet. Freitag V-ormittag kam in ein Münchener Bank-
geschäft ein Herr und bestellte 8490 Kronen in österreichi-
schen Banknoten, die ihm nachmittags in eineni Laden in
der Altstadt ausgehändigt werden sollten. Pünklich t'am
der Bankbote mit dem Geld in den Laden; der Fremde
war nuch da und suchte si-ch anscheinend eben Waren aus.
Er nahni die Banknoten in Empfang, zählte sie nach, legte
sie in eine blaue M-appe, die er vor den Augen ües Bank-
boten nnd der Ladengehilsen- anf den Ladentisch legte,
nnd -bemerkte dann, er müsse anf seinen Kompagnon 'war-
wn, der jeden Augenblick eintreffen könnte. Jnzwischen
wolle er sich noch Zigarren holen. Er ging auch auf die
Straße und sprang in eine eben vorüberfahrende leer-e
Droschke, kam aber nicht weit, denn der Bankbote war ihm
gefolgt, hi-elt ihn fest, und führte ihn in den Laden zu-
rück, wo sich herausstellte, daß üie Mappe leer war. Der
Fremde -gestand auch sosort den Diebstähl zu, bemerkte
äber, er habe das Geld bereits v-erräumt, seinen Spießge-
sellen wcrde er unter keinen Nmständen nennen. Man
übergab ihn der Polizei, üie bei ihin von dem Gelde nichks
vovfand. Nnn war der Polizei bekannt, daß der ganz
gleiche Schwindel auch in Prag und zwar erst in diesem

Sommer verübt worden war. Dort hatte der Gauner,
dessen Beschreibung genau sftmmte, 1500 Kron-sn ergau-
nert. Er h-atte sich in Pra-g als „Hanns König aus Ber-
lin mit Frau" -eingetragen; man vermutete ganz richtig,
daß sein angeblich-er Spieß-geselle eine Frau sei, un-d
forschte demgemäß nach. Es stellte sich heraus, daß man
es mit dem 23jährigen Kaufmann Hanns ^Vrökel aus B-er-
lin zu tun hat; die „Frau" wurde am Hauptbahnhoft
eben als sie den Zug besteigen w-ollte, verhaftet. Sie be-
sand sich ini Besitz des enftvendeten Geldes — es handelt
sich um die Frau eines Schneiders in Berlin, die ihrem
Mann mit Krökel durchgebrannt war. Im Besitz Krökels
b-efand sich eine Straßenbahnfährkarte aus Prag; er ge-
stand auch ein, daß er dort das gleiche Manövcr verübt hat.

— PaNs, 26. Aug. Der plötzliche Tod Croniers.
'des Präsidenten des Verwaltungsrats 'der großen fran-
zöstschen Z-uck-erraffinerie S a y, erregt ungeheures Anf-
schen. Man bringt ih-n mit der Zucksrspekulation und dein
.Krach Faluzots in Derbindung und sprickst von Selbst.
mord. Nach!dem „Temps" s-oll der Sohn Croniers seinen
Vater gestern Vormittag mit einer Wunde an der Seite
tot in seinem ArbeitsziwiU'Lr gefunden haben. Die Firma
Say stellt dagegen einen Selb'stmord als ausgeschlossen
-hin und erklärt, Cronier sei wahrscheinlich einer Herz-
krankheit erlegen.

— Halle a. S., 28. Aug. Beim Entladen eines
-Gewchres zerschmetterte heute srüh ein Schuß dem
Assistentsn der landwirtschastlichen Dersuchsstation in
 
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