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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256-281 (1. November 1905 - 30. November 1905)
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47. Jahrgang. — Nr. 256.

Mittwoch, 1. November 1905.

Erstes Vlatt.

^rscheint täglich. SonntagS »uSgcnommen. Pretr mit Familienblättern monatlick 50 Pfg in's Haus gebracht, bei ber Expedition und den Ameiastaiioncn abgekolt 40 Pio Dnrch die P»ft

bezogen viertcliährlich 1,35 Mk ausschließlich Zustellgebnhr.

^«zetgcnpr-rs: 20 Mg- sür die lipaltige Petitzeile sder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiefige Geichäfts. und Privatanzeigen ermähigt. - Fü, die Aatnavm.k von Anzeigm
«n HMmmtm Tagen wird keine Nerantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnkerate ans den Plackattafel« der^Heidelkerger Zeitnng nnd den stodtiichen An'chiaaitell^, F-rnkprecher 82.



Das Manifest des Zaren.

. Das Manifest des Zaren vom 30. Oktober ist
-x^ sehr wichtiges historisches Dokument. ein Markstein in
^ 'Geschichte der inneren Entwicklung RuUands. Sein
^ortlaut ift folgender:

^ Wir Mkolaus von Gottes Gnckden Kaiser und Selbst-
"lerrschbr aller Reußen, Zar von Polen, Großfürst von
us>n. erklären allen unscren treuen Untertanen,
op, di>e Wirren und die Errcgung in unseren
Iouptstädten und zahlreichen anderen Orten unsereZ
^ches unser Herz mit großer und schmerzlicher
a uer erfüllen. Das Glück des russischen Herrschers
^ Uninittelbar verknüpft mit dem Gtück des Volkcs und
^ Schmerz des Volkes ist der Schmerz des Herrschers.
^ den gegenwärtigen Unruhen kann eine tiefe natio-
Zerrüttung und eine Bedrohung der Unverletzlich-
Xund der Einheit unseres Reiches entstehen. Die hohe
^ch unseren Herrscherberuf auferlegte Pflicht befiehlt
uns mit allen Unsern ISinnen und mit Unserer gan-
Kraft zu bemühen, um das Aufhören dex für den
L.sOut so gefährlichen Wirren zu beschleunigen. Nachdem
den in Betracht kommenden Behörden befohlen ha-
O' Maßregeln zu treffen, um die unmittelbaren Kund^-
Ungeu der Unordnung der Ausschreitung und Gewalt-
itz - ^iten abzustellen. damit sriedliche Leute, die nur das
o>treben haben, ruhig ihre Pflicht zu erfüllen, geschützt

^evden, haben wir es für unentbehrlich erkannt, um rnit
dte auf die Beruhigung des öffentlichen Lebens
^.Keleuden allgemeinen Maßnahmen zu verwirklichen,
s, o Aktionen der obersten Regierung zu
r e i n h e i t l i ch e n. Wir legen der Regicrung die
Ulcht mie solgt, Unseren unbeugsamen Willen zu
^lullen:

^ s- Der Bevölkerung die unerschütterlichen G r u n d-
^ 8 e n der b ü r g e r l i ch e n F r e i h e i t zu verleihen,
^chsgründet ist, auf die wirkliche Un v er le tz l i ch-

L u

. r t der Person, die Freiheit des G e w i s s e n s,
.^Nede, derVersammtungen und Vereini-
u g e n.

^ Ohne die früher angeordneten Wahlen für die

oatstz^,^ aufzuschieben zur T e i l n a h m e an der

hx ^ ^ o in dem Maß, als es die Kürze der bis zur Ein-

H^lung der Duma noch abkausenden Zeit gestattet, die

iew ^ on der BevöIkerung zu berufen, welche

das Wahlrecht völlig entbehren, wobei ihnen dann

^ tveitox^ Entwicklung des Grundsatzes des allgemeinen

^'"llrechts der neuerdings begründeten gesetzgeberischen

^ung der Dinge überlassen wird.

^ ^Us unerschütterliche Regek aufzustellen, daß kein

dvr Kraft treten kann, ohne Genehmigung

^-.^taatsduma und daß -dem Erwählten 'des

st „ ,os die Möglichckeit der wirklichen Teilnahme an der
. e t,.

orwachung -dcr Gesetzlichk-eit der Handlung der
Uns ernannten Behörde gewährleistet wird.

lassen den Ruf ergehen an alle treuen Söhne
onds, sich ihrer Pfticht an das Vaterlan-d zu erin-
tjyP.^d bei der Beendigung- der Wirren und Widerwär-
^o^ou zu helfen und gemeinsam mit uns alle ihr-e

«vn-
Uery

Antrittsvorlesung des Pros. Peavody

^^orlin, 25. Okt. Wie schon kurz gemeld-et, ha
^rrm^orikanische Professor P-eabody -gestern den Profes
sch^uuusch zmischen den deutschen und den amerikani
u^bersitäten in Gegenwart des Kaisers mit seinei
Ktsrede feierlich eingeleitet.
or Kaiser erschien um 11 Uhr. Er war begleite
. oueraladjutanten von Pl-essen und wurde von
dkxj. ^lchtsrninister Studt zu sein-em Platz in der erster
keh>? lleführt. Gleich darauf trat der cmrerikanrsch-e Ge
^orj!> Pult. Er hielt in englischer Sprache einer

. ug stber akademische Reziprozität.
kvu,, " . stSystem ^ Schutzzölle, so ungefähr fing er an
^iste ^uch ^ür das Reich üer Jd-een gelten. Dst
f^ariy^ ^u-l't sei vielmehr berufen, sich fr-ei von Land zr
^Utsg^u dowegen. Die Amerikaner hätten so viel vor
Philosophie, von Hegel, Fichtc. Schleiermacher
^oua r- os nur eine natürliche Erwiderung wäre
^ uach Deutschland käm.en, um einiges vor
der »x ^and und ihren Lehren zu erzählcn. Dann ginc
^ei-n^, ragende auf die Begründung der Geschichte der

weru ""P

d?r »x ^slnd und rhren Lehren zu erzählen.

^rli,o,"^gende auf üie Begr ^ _

^icklm^ i'oiner heimischen Universität, auf ihre Eni
flri, ^ ^ Möglichkeit rhrer Verständrgung nähe

^emeinsame der humanistischen Bestrebunge:
olz drübeu, kennzeichnet er mit einem Satze, de

sei. seiner Terminologie wörtlich wiedergegebe!

^Ucap'' Gemeinsame üarin: Tbat the bighe

'ou is ihu guarantes oft the christian state'

Kräste an -die Wie'derherstellung der Ruhe un>d des Frie-
dsns, an eine unerschütterliche Ordnung zu setzen.

Gegeben den 17. (30.) Oktober zu Peterhof, im 11.
Jahre unserer Regierung._gez. Nikolaus.

Das Manifcst wurde um Mitternacht durch Sonder-
ausg-abe der Petcrsburger Telegraph-enagentur und des
Regierungsboten veröffentlicht und auf den Stra-
ßen verteilt. Es rief überall den besten Eindruck
hervor. Auf 'üem Newsky-Prospekt hatte sich eine große
Menschenmenge angesammelt. Alle lasen die Extra-
blätter. Ruse, es lebe die Freiheit, ertönten. Die Menge
forderte die Patrouillen auf, in die Kasernen zurückzu-
kchren.

Die ganze Nacht hindurch zog-en große Volksmengen
unter Absingung der Marseillaise durch die Straßen.
Beim Untersuchungsgefängnis wurde üie Marseillaise ge-
sung-en, am Hause Pobjedonoszews wurde gepfisfen. Die
Umzüge dauerten bis in die vierte Morgenstunde. Die
Polizei griff nicht ein. Aüch in den andern großen
Städten des Reiches hat üas Manifest einen gUnstigen
-Eindruck gemacht und man darf hoffen, daß nun allmäh-
lich wied-er die Ruhe zurückk-chren wird.

Man darf nicht 'ü-aran zweiseln, -datz es aufrichtige
und ehrliche Absicht des Zaren ist, ein RegimLnt im Sinne
s-eines Manifestes in Rußland einzurichten. Zum Beweis
-dafür wird auch jeuer BWicht des Gr-afen Witte veröf-
fentlicht, auf welchen der Zar die Bemerkung gesetzt
hatte: Zur Richtschnur zu nehmen. Es zeigt sich, daß
üas Manifest direkt aus dem Gedankeninhalt dieses Be-
richtes geschöpft ist. Also der gute Wille, angetrieben
durch eiu nicht gelind-es Revolutiönchen des russischen
Volk-es ist da, es fragt sich nur, wie es mit der Aus-
siihrung gehen wird. Da schiebt sich zwischen Krone und
Volk das verrottete, nichtsnutzige Beamtentum ein, das
in Wahrheit bisher selbstherrlicher Beherrscher Ruß-
lcmüs war und diese St-ellung nicht einbüßen will. Da
kann BiÄes, ja -das Meiste noch verdorben werden, falls
das Volk nicht die Kraft und die Ausdauer zeigt, diesen
Augiasstall zu reinigen.

DcuLsches Reich.

— Der „Staatsanzeiger" meldet: Dem Pastor von
Bodelschwingh wurde der Rote Adlerordm zweiter
Klasse, dem Generaldircktor Ballin üie Brillanten
znm Stern des Kronenordens 2. Klasse verliehen.

— Wenn die Zurückziehung -der Besatz-
ungstrnppen aus China auch von der Allge-
meinheit mit Recht freudig begrüßt wird, so löst sie doch
innerhalb 'dcs xtzeeres ein-e ganz andere Stimmung aus,
ind-em eine Anz-ahl von Stabsoffizieren, Hauptleuten
und Oberleutnants nach ihrer Rückkehr in die Heimat
wieder in das Heer eingereiht werden muß, woraus sich
eine Verzögerung der Beförderung ergibt. Diese ist ohne-
hin schon schlecht genng, namentlich aber Lei der Jnfanl-
terie, wo die meisten Offiziere einzureihen stüü. Von den
zurückkehrenden Qffizieren bis einfchließlich zum Ober-
I-eutnant abwärts, sind in den Etat des Heeres einzureihen

Schließlich kam er auf Friednch den Großen zu sprechen
und ganz zum Schluß anf den Präsid-enten Roosevelt,
von d-cm dr vor seiner Abreise aus Amerika cinen schrifl-
lichen Glückwunsch- zum Gelehrt-enaustausch- als ein II n°
terpfandfür denFrieden bekommen hatte. Dieses
Schreiben, das er wörtlich vorlas, wurde mit stürmjschem
Händeklatschen von der Zuhörerschaft bcantwortet. Leb-
h-aftsr Beifall folgte auch dem kurz darauf eintreten-den
Ende des Vortrages.

Der Brief des Präsidenten Roosevclt lautet:

Mein lieber Herr Peabody! Jch interessiere mich
höchlich für den akademischen Austausch, der zwischen un-
serer Harvard-Universität und -der von Berlin eingerich-
tet worden ist. Das Unternehmen scheint niir von Wich-
tigkoit gleichermaßen für Sie Geschichte der Entwicklung
des H-ochschuIwesens, wie von d-em Standpunkt der För-
derung guter B-eziehungen zwischen den beiden Ländern.
Jch h-ege eine sehr lebhafte Teilnahme für das Unterneh-
men und schätze in hohem Maße die großherzige und wohl-
wollende Gesinnun-g, mit welcher d-ie deutsche Regierung
auf den Plan eingegangen ist. J-ch hoffe nicht nur, son-
dern ich g-Iaube, daß der Austausch sruchtbar fortwirken
und von direktem nnd indirektem Vorteil für di-e Völker
beider Länder sein wird. Aufrichtig der Jhre. T-h e o -
doreRoosevelt.

Der Kaiser erhob sich safort und zog Professor Pea-
body in ein längeres Gespräch. Dann wandte er stch
um und ging anf üen amerikanifchen Botschafter Mr.

Die heutiqe Nuwmet' umsasst viev Btätter Msannneu

bei der Jnfanterie 1 Generalmajor, 1 Oberst, 1 Oberst-
leutnant, 5 Majore, 17 Hauptleute, 33 Oberleutnants,
bei der Kavallerie 1 Rittmeister, 1 Oberleutnant, ber
der Feldartillerie 1 Hauptnmnn, 3 Oberleutnants, bei
den Pionieren 1 Hauptmann, 2 Oberleutnants, beim
Train 1 Oberleutnant, fo 'üaß die Jnfanterie die Stau-
ung in der Befördernng am meiften empfinden wird. Mit
der Auflösung der ostasiatischen Besatzungs'brigade ver-
schwindet eine kaiserliche Truppe, als welche nunmehr nur
noch 'die Marine-Jnfanteri-e und die verschiedenen Schutz-
truppen anzuschen sind.

Baden.

-— Der „Pfälzer B o t e" benutzt gleich andern
Zentrumsblättern das zwischen Liberalen und Sozialde-
mokratie geschlossene taktische Wkommen, um eifrig
feinen Patriotismus, seine Ehristlichkeit und seine mo-
narchische Gesinnung in empfehlende Erinnerung zu brin-
gen. Er sollte däbei aber auch nicht vergessen,
die cherne Dreistigk-eit hinzuzufüg-en, mit der das Zen>-
trum Andern einen Vorwurf aus dem zu machen sucht,
w-as es selbst getan. S-o etwas wirkt komisch, wie sich
das kürzlich eklatant in einer Wählerversammlung in
Riedböhringen im Wahlkreis Donaueschingen-Engen
zeigte. Dort sprach am Freitag Abend Lan-dgerichtsrat
Scherer aus Karlsruhe vor einer ftark besuchten Ver-
fammlung. Jhr wohnten auch zwei Zentrumsgeistliche
an. Jn der Diskussioni gestand nun- der Pfarrer von
Hondingen zu, daß -das Zentrum sich auch schon mit der
Sozialüemokratie verbündet habe, aber nuir zu denr
Zweck, damit die liberale Partei die Mehrheit verliere.
Unter dem lebhaften Beifall der Versammelten erwiderte
Herr Scher-er, datz die liberalen Parteien das Beispiel
des Zentrums nur nachgea-hmt hätten, üamit das Zen--
trum nicht dis Mehrheit gewinne. Später behauptete
der Pfarrverweser von Riedböhringen, das Budgetrecht
ha'be gar nicht mehr den Jnhalt wie früher. Ms er auf-
gefordert wurde, dies uäher zu erläutern, fchwieg 'der
geistliche Redner. Nun wurden Zwischenrufe laut: „Da
langt's nicht mehr", und schlietzlich ries ein- Wähler:
„Wenn der Herr Pfarrverweser nichts mchr weitz, so
foll er aufhören und sich setze n." So geschah's denn-
auch unter allgemeiner Zustimmiung und Heiterkeit 'der
Bürger. Auch dem „Pfälzer Boten" muß man zurufen:
Setzen Sie stch, wenn Sie nichts bssseres als solche Kinde--
reien v-orzubring-en ha-ben. Wer sich auf den Illtraman-
tanismus verltes, sei -es Volk oder Fürst, war noch immer
verloren, dagegen: Wie heißt es im Nationallied: Liebe
des freien Mannes gründet den Herrscherthron,
wie Fels im Meer.

ZlRs der Karlsruher ZeitAAg-

Karlsruhe, 31. Okt. Die Großherzogin traf
gestern' mittag halb 1 Uhr in der Lungenheilstätte Luiseu-
heim bei Marzell ein und wurde von 'üem Geheimen
Oberregierungsrat Rastna, sowie den Vorstands- und
Ansfchußmitgliedern' bsgrüßt. Nach Vorstellung der Ein-
geladenen fand die Einwsihungsfeier 'der Anstalt statt,
an welche stch die Besichtigung der einzelnen Gebäulich-

Tower zu, um etst mit ihm, dann mit seiner Gattin
einige Worte zu sprechen. Unter einem dreifach-en Hoch,
das der Rektor ausbrachte und in das die Studenten in»
nerhalb und auß-erhalb der Türen einstimmten, verließ
der Kaiser die Aula.

Kleine Zeitnng.

— Hochschulnachrichten. Prof. Dr. jur. Konrad Beyerle.
Ordinarius für deutsche Reichsgeschichte, deutfches Privatrecht,
bürgerliches Recht und Handelsrecht an der Breslauer Uni-
versität, hat den an ihn ergangenen Rus an die Universität
Göttingen cmgenommen. Er wird demselben 1806 Folge
leisten. Dr. Beherle war zuerst Privatdozent an der Freiburger
Universität, erhielt Dezember 1900 den Charakter Extraordina-
rius und im Juli 1902 ein etatmäßiges Extraordinariat. Jm
Herbst desselben Jahres folgte er einer Berufung nach Breslau.

— Mnnchkii, 30. Okt. Von besonderer Seite erfährt
die „Frankf. Ztg.", daß ini- Koburger Scheidungsprozeß
Frau Kamwersänger Brucks, geschiedene Gräfin La-
r i s ch, als Hauptzeugin gegen den Prinzen Philipp von
Koburg vernommen werden soll. Bei dieser G-elegenheit
wird vermutlich anch das Ende des Kronprinzen
Rudolph von -Oesterreich zur Sprache kommen.

— Breslau, 27. Qkt. Ueber den kürzlich erfolgten
Selbstmord des ftud. jür. Ernst Treutler, eines
Sohnes des Rittergutsb-esitzers Treutler in Kunzendorf,
Kreis Neurode i. Schl., wird noch folgendes bekannt.
Der junge Student war in 'J e n a einer fa-rbentr-agen-
den, schlagenden Verbindung beigetreten und geriet

18 Serten.
 
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