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Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

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Nr. 256-281 (1. November 1905 - 30. November 1905)
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Donnerstag. 9. Aovember 1905.

Erstes Blatt.

47. Jahrgang. — Nr. 263.

^rscheint täglrch, SorrntagS Mlrgenommea, PreiL orit FamilienLlättern monatlich b0 Pfg. in's H<ms gebracht, bei ber Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfennig.

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Politische Konsequenzert.

Beginn der nächsten R e i chs t a g s t a g u n g
str ^ näher. Man nmß sich deshalb über deit

^ ^'genden Punkt der demnäch'stigen Ver'handlungen ktar
^ So irmnnigfaltig auch die Aufgaben sein

^ ^ d-er uächsten! Reichstagstagung zur Be-
s^. .^ung gelangen werden, klar ist, daß es auf die Ent-
ug ^ einem Punkte ankommen wird, um sagen
es. ^Nnen, ob die Tagung dem Paterlande genützt hat
^ ? nicht, auf die Entscheidun g in der Finanz-
f ivrrn. Auch in der Politik folgt die Entwicklung
Dst Gesetzen. Es ist Datsache, daß die Bevölterung
^.dtschsgiihA um jährlich etwa 800 000 Kopse zu

^Mt. Das ist eine Erscheinnng, die an sich uicht zu

vielmehr frendig zu begrüßen ist. Gi'bt sie doch
^ davon, daß das dcutsche Volk zu den aufstreben-
i.. ^taateu gehört, daß es seine Krast nicht verloren! hat,
> ^ 'datz es bei der allgemein^en Wehrpflicht von Jähr zu
hstf Mehr imstande ist, seine Verteidigungsstellung ge-

'^düb.

'Ol

er etwa angrisfslustigen anderen Völkern zu stär-
Diese Bevölkerungsz.uiiahme hat indessen eine po-

Kvnsequenz für die leitenden Staatsmänner, und
y, Äjst öie, dafür zu sorgen, daß die jährlich neu auf-
kvv b"^en 800 000 Menschlen a u ch eruährt werden
i:ii Dazu ist wieder die Beschaffung von Arbeit
^ ^Äigen Umfang-e unbedingte Voraussetzung. Denn
Df^ich-land ist kein Äwnd, -in dem das Volk von den ohne
tz^chchenhilfe wachsenden Naturerzengnissen- leben kan-n.
sogar eine so starke B'evö-lk-erung, wie sie gegen-
vorhanden- ist und in Zukunft nochj b-edeu-
? llrößer werden wird, nicht von den durch Menschen-
dyP rrzeugten' tanidwirtschastlichen Prodiikten und der
f, erwachsenden Arbeit -leben. HandeI und I n-
^.^?rie müssen zur Hilfe ko-mnien, um die nötige
eits» und Erwerbsgeleg-enheit und damit das nötige
h,-5^mmen allen Teileu der Gesamtb-evülkerung zu ge-
Wie aber hot sich in den letzten Jahrzehnten die
^st stir Handel und- in der J-ndustrie gestaltet? Würden
^ ihrer Tätigkeit allein anf den Jnlandsm-arkt an-
^ "wseu sein-, so -würden Millionen von Dcutschen keine
nrung haben. Der Jnlandsmarkt allein gibt nicht
Arbeitsgelsgenheit, daß davon die ganze Bevölke-
leben könnte. Der Auslandshandel umsaßt im
fyg ^ etlva ein Dutzend Milliarden Mark. Davon ent-
'etwa fünf Milliarden -auf Erzeugnisse, die von
z^.stchtand au das Auslan-d, vlso auf den Weltmarkt
^ werden. Ma-n kann stch danach' leicht ausrech-
wie großer Bevölkerungsteil in Deutschland- von
tzi-, das Äusland zu- liefernden Arbeit in s'einlem
„i ^rungszustande abhängig ist. Der Auslandsmarkt
Ti'ov^, Deutschland erhalten bleiben, sonst hat ein
z H . Deil der deutschen Bevölkerung n i cht genug
^ ! i e n. Dieser Konseguenz muß sich- die Poütik wei-
s^^ch'assen. Sie muß Wjege einschlagen, die den deut-
sch^ ^rzeugnissen Absatz auf deu Auslandsmärktm ver-
sicheru. Natürlich wird- d-er Unternehmungs-
Iüdividuen die Einzelarbeit übernehmm, aber
ÄDstsche Politik wird- 'die Grundlagen dafür schaffm

Stadttheater.

/X Heibelberg, 9. November.
^^aliges Gostspiel der S t r i n d b e r g - T o u r n e e

^^^^^^iel^Äbend.

von Aug. Strind-
o--4 Krempien.

Leute scheuen sich, einer Hinrichtung zuzusehen. Die
I-ch-Mge! Das ist doch gar nichts! Aber cine Folterung,
ssiii, ch !chon mehr. Wenn erst die Daumenschrauben kommen
Ü Streckleiter, hierauf die glühenden Zangen u. das
Avy das siedende Oel für die frischen Wunden: das packt.
, w zwei sicki gegenseitig foltern, einer die Qual und Lie
andern mit immLr neuen, immer raffinierter erdach-
steigernd, dann ist das Höchste erreicht. Dann be-
strjgljch wir jcnes Gelächter der Hölle zu hören, da die uner-
'stt Dual zu unserm Schaudern die Formen der Heiter-
. Tj tzunmt.

zcigt uns zwei Leute, die sich in dieser Weise
z-ä^nen Artillerie-Kapitän und seine Frau, ein Ehepaar,
stg, zs^.hor seiner silberncn Hochzeit steht. Weshalb sie cs
»n^felu ' - nns nicht klar; aber datz sie cs tun müssen, daran
nsir fD. Niir die vier Akte hindurch je länger desto weniger.
§?Nz ss, dank der grotzen Kunst des Dichters, zum Schlutz
Wäneh/?^^' ^atz nus einer Trennung nichts wird, datz siö
Höllendasein nicht nur bis zur silbernen Hochzeit,

^vriiiei nian dcn Jnhalt des Stückes auf einc hausbackene
^iari st ^ ^stnn man sagen: zwei harte Steine mahlen nicht.

.°nisck>^ hinzufügen: kein Hatz ist schärfer, als der kalte,
?stchrriio4,^^nndenc, zwischen zwci Personen, die aneinander
" sind, sich also keinen Augenblick ausweichen können,
Urid s"' ciuander ftündlich angewiesen sind, wie der Kapi-
"iu,ost-r,wwe Frau auf ihrcr einsamen Jnsel. Er geht in die
"ure übcr, crfüllt die Wohnräume, ist allgegenwärtig,

»^u bis

an ihr unseliges Endc fortsetzen werden.

m-üssen, daß dieser Unternehmiunjgsgeist iiicht etwa Hin-
dernisse sindet, bie er nicht übersteigen kann. Sichon ein-
mat hat ja Deutschland einen Aufschwung im Welthandel
gehabt, in den Dagen der Hansa, Wie -d-ie Aera damals
geendet, weiß man, nnd die damaligen Ersahrungen nicht
zu beachten, wäre eine politisch-e Dumncheit ersten Ran-
ges. Also, die Politik hat den Absatz deutscher Erzeug-
ii'isse auf dem- Weltma, rkt sicher zu stellen,
Das kann sie wieder nur d.wnrch, dah sie die Bahnen der
Weltpolitik innehält, die sie glücklicherweise schon
seit einiger Zeit beschritten hat. Die Folge davon aber
ist, daß sie Deutschland die Macht verschafft, die im Rate
der Völker nllein Anerkennung findet. Und 'diese Macht
wieder kann nnr geschaffen werden, wenn das nötige Geld
dazu vorhanden ist, Dieses m u ß also beschafft werden.
So sisht man, daß eine Politis -che Notwendig -
keit -auf dieser Bähn immer aus d-er anderen- hervorgeht.
Und mögen die Sozialdemokraten auch noch so schöne
Worte gebrauchen, um glauben zu machen, sie hütten ein
Mittel, Deutschland aus diesem Kreise politisch-er Konse-
guen-zen h-erauszuheben, ihre Wort-e beruhen auf Selbst-
täuschnnig. Sie wollen lediglich- sich selbst an die Stelle
der jetzigen politischen Leitung setzen, und dazu ist ihnen
Alles recht. Hat überdies doch ein-er aus ihren Reihen
selbst -auf diese Politischen Notwendi-gkeiten hingewiesen.
Der Reichstag aber wird zu entscheiden haben, ob cr sähig
ist, d-ie Awangslage, in der Deutschland sich befindet, zn
erkennen und daraus die Konseguenz zu ziehen, die schließ-
lich auf die Bewilliigung der nötigen Gelder hinausläuft.

Deutsches Neich.

— Ae Wde hr au sg a b e n für die Mari n e,
die von den verbündeten Regierungen für notwendi'g er-
a-chtet werben un-d die vom Reichstag in der kommenden
Sesfion b-ewilligt wcrdeü sollen, bewegen sich in zwei
verschiedenen Richtungen. Einmal würde durch Vergrö-
ßerun'g der Schiffstypen und Verstärkun>g 'der Artillerie
innerha-Ib des Rahmens des Flottengesetzes von 1900 eine
erhebliche Ausgabenstcigerung stattfinden. Zum anderen
solleN' über das Wottengesetz hinaus sechs Panzerkrenzer
und s-echs Torpedohootdivisionen zu je sechs Booten ge-
'bant werden. Doch wären 'das nur die einmaligen er-
höhten Aus'gaben. Es kommt dazu noch- die Steigernng
der fortlaufen'den Ausgaben, die durch Dermchrnng des
Offizier- und MaN'Nsch-aftsmiaterials und stärkere Jn-
diensthaltungen entsteht. Ueber die Einzelheiten all die-
ser Mchrkosten liegen bis jetzt noch keine amtlich-en Mit-
teilungen vor, Die „Kölnische Volkszeitung" schätzt sie
auf durchschnittlich mindestens 70 Millionen, und
diese Rechnnng ist, wie nach zuverlässiger Jnsormation be-
kannt wird, im w e s e n t l i ch e n richtig.

—- Das technische Personal -des „Vorwärts" gab
am letzten Sonnta-g den ausgeschiödenen sechs Redak-
tenren e i n A b s ch i e d s fest. Jm Namien- 'der Ar-
beiter des „Vorwärts" erklärte Genosse Faber, die außer-
ordentlichen Unistände, unter denen der Austritt -der Re-
d-aktcnre erfolgt fei, hätten das technisch-e P-ersonal erst

vergiftet nicht nur die Stunden, nein, die Minuten und Sekun-
den. Dabei wird er schlietzlrch zur Lebensgewohnheit, wie än-
dere Gifte auch. Er wird zuni Bedürfnis.

Das Alles zeigt uns Strindberg mit einer Meisterschaft son-
dergleichen in psychologischer Malerei. Oder zeugt es nicht von
überragendem Können, wenn ein Dichter es vermag, das Publi-
kum, das sich rm Jnncrsten abgestotzen fühlt, vicr Akte hin-
durch zu lautloser, die Nerven aufs höchste anspannender inne-
rer Anteilnahme zu zwingen? Und noch dazu durch etne Dich-
tung mit so wenig Handlung? Unablässig fühlen wrr uns ge-
trieben, in das Jnnere dieser Charaktere einzudringen. Sind
wirklich solche Menschen möglich? fragen wir uns. Mit Be-
gierde greifen wir jeden Hinweis des Dichters auf, der uns
dcm Verständnis näher führsn kann. Die schwere Jugend des
Kapitäns, seinen Alkoholismus, seine Herzkrankheit, seine epi-
lepsieartigen Anfälle, die verzerrten Schilderungen seines Cha-
rakters durch die Frau, das Alles stellen wir im Geiste zusam-
men, um ein Bibd von seinem Wesen zu gewinnen; dazu seine
Vampyrnatur, welche gleichsam in die Seelen Anderer hinein-
kriecht, um sie zu beherrschen. Und auch bei der Frau verfol-
gen wir jede Aeutzerung, die uns einen Blick in ihr uns rät-
selhaftes Jnnerestes tun lätzt. Als Hilfsperson erscheint der
Vetter Quaraniänemeister, der, von beiden Seiten in Anspruch
genommen, gewissermatzen als Prisma dient, das die Charak-
teremanationen zerlegt und damit sür uns deutlicher macht.
Es blttzen dabei Dinge auf, die man unter dem Namen Sadis-
mus und Masochismus seit neuerer Zeit bezeichnct und die
manches verständlich machen. Kurz, der quälerische Abend bie-
tet doch Blicke in die Tiefen und Abgründe menschlichen Wesens,
wie sie uns nur ein eminenter Geist eröffnen kann.

Etwas Brutaleres als dieses Stück ist wohl noch nicht ge°
schrieben wordcn. „Seit ich sie nackt gesehcn", sagt cinmal der
Kapitän von seiner Frau, das heitzt moralisch nackt, llnd in
der Tat, das ganze Beftreben des Dichters geht dahin, uns
zwei tyrannische Naturen in ihrer ganzen moralischen Blöhe zu

recht -veranla-ßt, ihnen ein-en' Abs-chied zu bieten, w-ie er
sonst unter Kameraden u. P-arteigenossen üblich sei. Die
Redakteure antwortet-en in mehrereir Reden, in -denen sie
für Äas Solidaritätsgefüh-l dankten und erklärten, die
Vorgän-ge der letzten Zeit hätten sie davon überzeu-gt, datz
es noüven-dig sei, die'Prinzipien der Soziald-eniokr'atie
künftig um so f-ester und leidenschllstlicher zu' verfechten.

— Es verlautet, datz d -e u tf ch -e L a n d w i r t e ans
dem Süden Rutzlands nach Deutsch-Ost-
afrika ü b e r z u s i e d -e l n beabsichtigeir. Diese Ab-
sicht hat z-ur Zeit noch keine -greifbare Form angenom-
men, wohl aber hatten- sch-on vor Jahren- deutsche Acker-
bauer üb-er Odess-a ein-e Anfrage an die deutsch-ostasrikani-
schen- B'ehörden wegen ein-er möglichen Ansisdelung in
Deutsch-Qstafrika gerichtet. Es wurde ihnen damals ge-
raten, zunächst ein-en- V-ertvauensm-ann nach Deutsch^Ost-
afrika zu senden, der si-ch dort n-äh-er mit den Derhältnissen
vertraut mache nnd gegebenenfalls die Ansisdelung vor-
bereite, Jn diesem StäüiuM war die Angelegenheit ge»
blieben. Es ist aber jedenf-alls leicht mög-Iich-, -datz die
unsi-cheren Zustände, die in vielen Gebieten Südrußl-ands
zur Zeit -herrschen, -die Auswan-dernn'gslust der dortigen
Aandwirte verstärkt haben. So weit es sich hier um
Landwirte mit -erheblichen G'eld-m-itt-eln handeln würde,.
darf man wohl -auf das beste E n t g e g e n k o m m e n
der Kolonialbehövden rech-nen, Westusambara, 'das Pare-
gebirge und der Kilim-andscharo werden, da der Ausbau
der Eisenbahn bis' Azuschu-Ja-Ehini jetzt nur noch eine
Frage d-er Zeit zu sein sch-eint, für eine allni-ähliche und
vor'sichtige Setzhastmachun-g öeutscher europäischer Acker-
bauer schon jetzt in B-etracht gezoigen werdeni können,

— Die vier neuen- M i l i t ä r r-ei t-a nst a l t e n
für die preußische Kavallerie, die nach den Plänen des
Kri-sgsministerinms -gleichsam als Vor'bereitun-gsschn.Ien
sür das Militärreitinstitut in Hannover errichtet werden
sollen, kommen, wie nunmehr seststeht, n-a-ch Posen, Sprot-
tau, BruchsaI und Soltau in der Lüneburger Heide.
Die neuen Reitanstalten sollen bereits im Laufe des
uächsten Jahres in Angriff genom-M'en wer'oen,

Baden.

— Jn einem offenen Brief an dcn Landtagsabgeordneten
Schmidt stellt Landgerichtsrat Obkircher fest, daß er
sich überall für Beibehaltung des Religionsunter--
richts in der Volksschnle ansgesprochen habe. Die
gegenteilige Behauptimg sci Unwahrheit, Wir möchten
hinzufügen, daß nicht nur der Religionsmiterricht in der
Volksschule beibehalten wcrden mnß. sondern er noch sehr
wesentlich verbessert werden sollte, daß cr lebendiger
und fruchtbringender gemacht werden sollte, iiidem man ihn
vcm nnnötigem und veraltetcm Ballast befreit. Man frage
jeden ehemaligen Volksschüler imd er wird sagen, daß er
mit uiiaiigeiiehmen Empfindimgen an die Religioiisstunde
zurückdcnkt. Das liegt nicht au den Lebrern, das liegt an
den Vorschriften, die fiir den Religionsunterricht in Kraft
sind.

Heidelberg, 9. Nov. Der „Pfälzer Bote" kol-
portiert n-ochmals das Gerücht, Oberbürgerm-eister Dr.
WiIckens wer-de in die Erste Kammer eintreten. Anch

zeigen. Sie sind einander würdig, und sie allein vermögen ein-
ander Stand zu halten, das ist das Schlutzurteil, zu dem man
gelangt. Die Frau erscheint in der ersten Zeit sympathrscher,
trotz der fürchterlichen, hatzerfüllten Aeutzerungen, die sie ge-
gen ihren Gatten gedraucht, wünscht sie ihrn doch direkt ins Ge-
sicht, daß er sterbe und bedauert sie doch, als er schwer leidend
an den Strand geht, datz cr „leider" nicht umgefallen sei. Als
sie dann aber sich des schwachen Vetters bemächtigt, und, wie
er aufmuckt, ihn zwingt, ihr die Fütze zn küssen, da merkt man
erst, mit was für einem Weibe man es zu tun hat.

Von den drei Darstellenden verdient Frl. Riechers alles
Lob; welche Einfachheit und eindringliche Wahrheit liegt doch
in ihrem Spiel; diese Frau ist so, wie der Dichter dte Alice ge-
meint hat. Wenn sie überhaupt möglich ist, dann kann sie nur
so sein, Jn diesem Gedanken sind wohl alle Zuschauer ein-
ander begegnet. Die Darstellung der Männer war weniger
überzeugend. Herr Striebeck, der Kapitän, arbeitete viek
mit dem wuchtigen Ton Talbots, was unnatürlich in einer
häuslichen Aussprache zu zweit und zu dritt klang, auch wcnn
man in Rechnung zieht, datz Alkoholiker das Pathos lieben.
Die Figur des Quanrantänemeisters befremdet anfangs stark.
Erst nach und nach wird man sich klar darüber, datz er sich aus
der Schwäche und der Perversität in einem gewifsen Pietismus
hineingerettet hat, der allerdings scine Probe nur schlecht besteht.
Die Zurückhaltung des Herrn Neher in dcn ersten Akten
grenzte dicht an Teilnahmslosigkeit und das war Les Guten zn
viel.

Ob es wohl gelingen wird, das deutsche Publikum zu
Strindberg zu bekehren? Wer wollte das voraussagen! So viel
aber ist sicher, was tiefe Erfassung eines Problcms aus dem
Seelenleben anbetrifft, so kann die Mitwclt von ihm und sei-
nem Totentanz viel lernen. Nur ein Gewaltiger kann sich
seine Aufgabe so stcllen, und sie so lösen, F. M.
 
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