Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (47) — 1905 (Juli bis Dezember)

DOI Kapitel:
Nr. 204-229 (1. September 1905 - 30. September 1905)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16474#0674

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
April starb. Seit Menschengedenken htelten dls Priester in allen
Kirchen für den Landesfürsten, wenn er zn seinen Vätem heim--
ging, feierliche Seelenämter ab. Nun brach Erzbischof v. Vicari
plöhlich mit diesem schönen Brauch, gegen den er selbst bisher
nichts einzuwenden hatte. Er grub alte päpstliche Satzungen ans
und verbotdie Seelenämter für Großhcrzog Leopold; ja
entgegen cinem dringenden Wunsch der Regierung urdnete eran,
daß die stark geschmälerte Trauerfcier nicht in einen Hauptgottcs-
dienst, sondern am Sonntag nachmittag stattfinde. Das alles
erschien dem Volk wie geringschätzige Mißachtung gegcn
den guten Großherzog, um dcn jeder trauerte, und wie ein 'Lauf-
feuer flog die EntrLlstung darüber durchs ganze Land. Die
Regieruirg erkannte die kirchlichen Handlungen, die der Erzbischof
statt der Seelenämter anordnete, nicht als vollgültigen Trauer-
gottesdienst an, und viele Priestcr ehrten trotz des erzbischöflichen
Berbots den toten Großherzog, wie seine Varfahren, nnch Brauch
und Herkommen durch Seelenämter. Dafür wurden sie vom Erz-
bischof zu Strafexerzitien in St. Pcter verurteilt. So steht's mit
dem Trauerkonflikt vom Jahr 1852.

Bergbauer: Ja, mein Vater selig hat mirs auch erzählt.
Die ganze Gemeinde stand damals wic ein Mann für den
gütigen Großhcrzog Leopold ein, und unser alter Pfarrer war
ünter denen, die ihm ein Seelenamt abhielten. Er meinte, unser
Herrgott habe am allerwenigsten etwas daaegen, wenn man
einem wackeren Fürsten, der sein Lebtag der Kirche nur gutes er-
wies, alle kirchliche Ehre antut.

Franzsepp: Nur ein Wort noch! Jch mein', wenn man
in Freiburg absolut Händel mit dem Staat wollte, gabs dann
keine andere Gelegenheit, als am offcnen Grab des
Landesherrn? Mich dünkt's gradezu Sünde, die Trauer im
Land so rücksichtslos zu stören, wie's 1862 geschah, und in tiefster
Seele dauert mich nnser Grotzherzog Friedrich Jhm starb in
Großherzog Leopold der treue Natcr, und auf seine jungen
Schultern legte sich die schwere Last der Regierung. Noch waren
die Wunden, die die Revolution von 1849 dem Landc schlug,
lange nicht vernarbt, und nun mußte er am Sarg des guten
Vaters schon den Unfrieden spüren, den seitdem die ultra-
nwntane Partei ohne Unterlaß im Lande nährt.

Schmiedpeter: Recht hast! Der Trauerkvnflikt war nur
das gelinde Vorspiel. Ein Jahr darauf kam dsr bitLerdöse
Kirchenstreit. Die Kirchengewalt wollte ganz los sein
vom St«r«rt. Der war bereit, der Kirche mehr Selbständigke't zu
geben. Aber in Freiburg war die Losung: Alles odcr nichts,
und schließlich drohte die Kurie mit Rcbellion gegen das, was
schon 50 Jahre Rechtens war in kirchlichen Dingen. Da erklärte
die Regierung im April 53, der Großherzog werde die Gesetze
und die Verfassung gegen jeden Eingriff schützen; für die
Folgen sei der verantwortlich, der anerkannte Gesetze ver-
letze. Trotzdem verkündete Erzdischof v. Vicari im
Juli 53, er werde die Rechte des Staates gegenüber der Kirche
fortan nicht mehr achten. Das war die Kriegserklärnng,
und ihr folgte gleich die Tat. Der Erzbischof schritt einfach hin-
weg über die Befugnisse, die dem Landesherrn seit langem zu-
standen bei der B e s e tz un g der Pfründen, bei der Prüf -
nng der Priesterkandid aten, bei derV erw al t u n g des
Kirchenvermögens, beim Erlaß kirchlicher Vcrfügungen.
Von den Katholif'chen Oberkirchciträten in Karlsruhe aber
verlangte der Erzbischof, daß sie gegen das geltende Recht ihr
A m t führen. Die erwidertcn, der Herr Erzbischof sei, wic sie
selber und jeder Untertan, verpflichtet, den Gesetzen und
Verordnungen zu g eh o rch en, und weil sie ihrer beschworenen
Pflicht als Bertreter des Landesherrn treu blieben, verhängte
der Erzbischof im November 1853 über sie den grosten Kirchcn-
bann.

Franzsepp: Jst das nicht Die ärgste Strafe in Ser
Kirche?

Schmiedpeter: Freilich, dic bedeutet in der geistlichen
Welt fast soviel, wie im Staat dic Hinrichtung. Weu der
große Bann trifft, der ist von der Kirche und ihren Sakramenten
ausgeschlossen; ihm droht die zeitliche und ewige Verdammnis.
Ja, früher traf den Gebannten noch des Reiches „A ch t" ; nie-
mand durft' ihm Obdach, Speise und Trank bieten und jeder
konnt' ihn straflos töten. Kurz, beim Kirchenbann gings um
Leben und Seligkeit.

BergHauer: Ja, bedenkt man's recht, so wiegt der Bann
tausend mal schwerer, als hohe Geldbuße und lange Gefängnis-
haft. Aber wie leichthin grisf die Kurie zu dieser schärfsten Waffe
— im Kirchenstreit gegen die Oberkirchenräte und später
im Kulturkampf gegen den Bürgermeistsr von Konstanz
und gegen den Pfarrer von Balg! Däbei waren nicht,
wie Ler „Waldmichel" fabclt, Vorschriften dcs Heilands
im Spiel; nein, recht weltliche Dinge — Machtgelüste,
Stistungsgelder, Staatsprüfungen. Gut weiß ich's noch. Der
Bürgermeister von Konstanz wahrte nur das klare Recht der Stadt auf

ihre Spitalstiftung und der Pfarrer von Balg erfuchte nur vflicht-

gemäß die Regierung um Dispcns von der Staatsprüfung. Die
Oberkirchenräte aber hielten Lreu zu Großherzog und Gesetz, und
daß sie dafür gebannt wurden, war doch das bitterste Unrecht.

Schmiedpeter: Ganz einverstandcn, aber nnn weiter im
Tcxt! Zu gleicher Zcit, wo cr die Oberkirchenrätc aus der Kirche
trieb, erlleßErzbischofVicari einenHirtenbrief, dcr dieRegierung
scharf angriff; er bcfahl, den Hirtenbrief vvn allen Kanzeln
zu verlesen und in den sonntäglichen Predigten cinzuschärfen.
Das hieß nichts, als dasVolk in dcn Gottcshäuscrn gcgen die Rc-
giernng aufstacheln. Das konntc dcr Staat nicht dulden:
er verbot drum die Verkündigung des Hirtcnbriefs, der ihm
überdies wider die Vorschrift nicht zuvor mitgeteilt wurde. D i e
Geistlichen, die das Verbot des Staats befolgten, nahm der
Erzbischof in Strafe, und die Geistlichen, die den Hirtenbrief
in der Kirche verlasen, bedachte der Staat erst mit Haft- und
dann niit Geldstrafen.

Franzsepp: Das war ja der reine Krieg im Frieden.
Was sagte denn das Land dazu?

Schmicdpeter: Der Landtag erklärte: Die Erzbifchöf-
liche Krrt'ie hat sich durch ihr Vorgehen in Wiverfpruch ge-
setzt rnit Sen GrunSlagen Ser Staatsorvnnng. Darin
war die Ersts und die Zweite Kammer ganz einig; doch
redetcn sie, wie der Großherzog, für einen friedlichen Ausgleich-
Aber im Jahr 54 wurde der Streit nur noch schlimmer. Die
Kurie vergab eigenmächtig Pfarrpfründen, über die sie nicht ver-
fügen durfte. Dem schob die Regierung einen Riegel vor: sie
sperrte das Einkommen aus diesen Pfründen und übergab den
Vorsitz im Siiftungsrat, der das örtliche Kirchenvermögcn
unter Aufsicht des staatlichen Oberkirchenrats vcrwaltete,
dem Bürgermeister, statt deM' Pfarrer. 3tun riß aber die Kurie
die Verwaltu n g des Kirch cn v ermö gen s ganz an sich. Dgs
ließ sich die Reg'erung nicht bietcn: sie trat 'energisch fiir die
Rechte des Staats und der Gemeinden cin. Die ultramontane
Partei abcr wiegelte das Volk nach Kräften auf, besonders im
Odenwald und im Tanbergrnnd; dort mußte in mehr
als einen Orr Militär gelegt werden, um die erregten Gemüter
zu beruhigcn. So brachte der Kirchenstreit das Land,- das kaum
erst von der Reoolution des Iahres 49 genas, wieder hart b i s
an den Nand des Aufruhrs.

Franzsepp. Jch kann's mir denken. Das muß ja die
Köpse vcrwirren, wcnn die Kirchengewalt, die doch die Achtung
vvr der Obrigkeit und vor dcm Gcs'etz prcdigen soll, einfach über
Recht und Herkommen wegschreitet. Aber was tat schließlich die
Regierung in dicsem wilden Streit?

Schmiedpetcr: Erst leitetc sie gegen den Erzbischof
Untersuchnng ein. Jn der Anklage stand, er habe dic öffent-
lichc Ruhc gefährdet nnd zum Ungehorsam gegen die
Gesetze aufgereizt. Gleichzeitig stellte die Regierung in
der „Karlsruher Zeitung" fcst,' daß dcr Erzbischof' in scinem
Treucid vor dem Großherzog Gchorsam gegen die Gesetze gelobt
hattc. Um weiteren Unfrieden zu verhü'tcn, ließ die Regierung
den Erzbischof acht Tage lang in seinem Palais zu Freibürg be-
wachen- Zuletzt abec zog sie'es vor, auf anderem Weg, als durch
Polizei und Gericht, im Lande Ruhe zu schasfen: sie trat niit
Ro m in Verhandlnngen cin, die nach fünf Jahren zu cinem Ab-
kommcn, dcm Eottkorvat von 1859 führten. Da aber dec
Landtag deiu nicht zustimmte, regelte man durch Vaö Gcsetz
vom 9. Oktover 1660 das Verhültnis von Staat und Kircho,
so wie es heute noch in Kraft ist.

Bcrgbaucr: So, jetzt Schluß fllr heut'. Jch muß heiM-
's wird Zeit zum Füttern. Nur eins noch! Meine Ansicht ist:
Schuld an den bosen Dingen von anno 53 und 54 ist cinzig die
Kuric in Freiburg. Wollt' sie damals mehr Rechte, als ihr das
Gcsetz gab, so mußte sie mit der Regierung in Ruhe verhandeln-
Die war zum Nachgeben bereit und alles weniger als kriegslustig
gesinnt. Die Liberalen hatten damals so gut wie nichts
zusagen in Baden. Dic M inister waren eher R ü ck-
schrittler; ihr Herz ncigte zum ultramontansn Oester-
reich. Aber keins Regierung, die noch auf Würde häst,
durfte sich Zugeständnisse durch offene Empörung abtrotzen
lassen. Kurzum, der Störenfricd saß nicht in Karlsruhe; ek
saß in Freiburg. Die Kurie Srach ve» Streit mit dem
StaatvomZämr, rrnv sie griff varin zuerst zu vcrbitternven
Strafen. Der „Waldmichel" lamentiert Tag und Nacht über
die „Verfolgung" der Bischöfe und Geistlichen,'die doch nur Strafe
traf, weil sie das Gesetz verletzten. Ganz still aber ist er davon,
wie die Kurie gcgen staatstreue Priester, Beamte nnd Bürger-
meister den großen Kirchenbann schleuderte, wie sie giltige Rechte
mißachtete und Unfrieden im Volk stiftete. Den Vorschriften des
HeÜands, von denen der „Waldmichel" spricht, war das direkt
znwider, und Recht hat der Hansjakob, wenn er sagt: Di<
Kirche hat vorallenanderen die christliche Pflicht, liebet
Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tunl

Redaktion, Druck und Vsrlag der „Badischsn Landeszsstung", G. m. b. H., Karlsruhe.
 
Annotationen