Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920
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https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0026
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Heft 1
DOI article:Kirchner, Joachim: Moderne Landschaftsmalerei
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durch) [eine Leidenfcßaften und Empfindungen vergeiftigt. Es genügt ißm nicßt, einen
Landfcßaftsausfcßnitt in differenzierten Licßtftimmungen und Farbennuancen, wie er fiel)
in einem beftimmten Momente dem Äuge darbietet, feftzußalten, er fud)t aus dem
Wecßfel der Erfcßeinungen das ißm wefentlid) und ewig bedeutungsvoll Erfd)einende
l)erauszufcl)älen. Seine Stellungnahme zur Natur ift pßilofophifcßer als die des Im-
preffioniften, fentimental in Scl)illerfd)em Sinne, da feine Bilder die Natur nid)t un-
befangen wiederfpiegeln, fondern als Ausdruck eines inneren Erlebniffes gewertet fein
wollen. Ein Landfcl)aftsmaler diefer Ärt wird es verfeßmähen, nach) billigen Effekten
zu tjafeßen und nur das anmutig Gefällige eines beftimmten landf<±>aftlict)en Eindrucks
im Bilde feftzußalten. Er malt nid)t Berge und Fluren, Flußläufe und Seen an diefem
oder jenem Orte, fondern das Gebirge, die See, ort- und zeitlos als Äusdruck eines
unveränderlichen, fiel) ftets gleichbleibenden Weltgefcßehens. Ift er wie Franz Secken-
dorf in den Orient gewandert oder hat er wie Max Pechftein die Südfee bereift, fo
will er auch ßier nic±)t mit dem photographischen Apparate wetteifern oder als tempera-
mentvoller Plauderer und Illuftrator die Herrlichkeit fremder Wunderländer kommen-
tieren, fondern er fuch)t die Befonderheit des exotifchen Charakters diefer Landfd)aften
aus dem Vielerlei des Sichtbaren herauszuheben, ünd auch da, wo er [ich in der Dar-
ftellung von der reinen Natur entfernt und die Behaufungen der Menfch)en zum Gegen-
ftande feiner Darftellung macht, malt er das Dorf in feiner typifeßen Gemeinfchaft mit
der umgebenden ländlichen Natur, zeigt er uns die Stadt in ihrer Armfeligkeit als
Woßnftätte arbeitfamer Menfcßen, die in engen Mietsh)äufern, umgeben von ragenden
Fabrikfch)loten freudlos ihr Dafein friften. So wird uns der moderne Landfch)aftsmaler
zum Führer und Interpreten in der Welt des Sichtbaren, feine Kunft ift eine ftumme
Mahnung, den Blick von der 3ufälligkeit der einzelnen Erfcßeinung abzuwenden und
den allgemeinen geiftigen Potenzen, die in den Dingen verborgen feßlummern, eine
höhere Bedeutung beizumeffen.
IV.
Für die befondere Ärt der Durchführung des Vergeiftigungsprozeffes gibt es keine
beftimmten Rezepte und Regeln. Jedes Künftlertemperament wird die Natur anders
empfinden und für die Überfettung der real gegebenen Formen feine eigentümliche
FJandfcßrift wählen. Der eine wird [ich mehr an die ficl)tbare Erfcheinungsform halten,
der andere bei der Geftaltung vifionärer Vorftellungen zu größerer Äbftraktion neigen.
Immerhin mangelt es troß aller Differenziertheit nicht an gemeinfamen ftiliftifcßen Merk-
malen. Der Kontur, den die auf malerifche Prinzipien aufgebaute impreffioniftifche
Kunft geßiffentlid) vernaeßläffigt hatte, lebt von neuem auf, am ftärkften vielleicht in
Pechfteins, Fockendorfs und Waskes Landfchaften, die gerade durch den zwingenden
Rhythmus der Linienführung eine prägnante Note erhalten. Bemerkenswert ift, daß
die Linie niemals an der vorderen Bildßäcße haften bleibt, fondern ftets in die Liefe
des Bildes führt. Dies Moment ift nicht unwefentlid), da der lineare Stil, zumal da,
wo er eine teppichhaft dekorative Wirkung erftrebt, zu einem Verharren in derfelben
Fläche auffordert. Wie fel)r es aber gerade den modernen Landfehaftern auf tiefen-
hafte Wirkungen ankommt, beweift die Catfache, daß fie fiel) ihre Landfchaften auf-
bauen und in räumliche Schichten gliedern, hierdurch erhält die gefamte Bildkompo-
fition ein plaftifches Gefüge und die von der Pleinairmalerei her übliche Luftperfpektive
erfeßeint vollgültig erfeßt. 3ugleid) aber ift mit diefer neuartigen Bildgliederung die
ftruktive Grundlage für ein rßytßmifcßes Element gewonnen, das für die moderne
Landfcßaftsmalerei von wefentlicßfter Bedeutung ift. Man wird der jungen Kunft nie
%
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Landfcßaftsausfcßnitt in differenzierten Licßtftimmungen und Farbennuancen, wie er fiel)
in einem beftimmten Momente dem Äuge darbietet, feftzußalten, er fud)t aus dem
Wecßfel der Erfcßeinungen das ißm wefentlid) und ewig bedeutungsvoll Erfd)einende
l)erauszufcl)älen. Seine Stellungnahme zur Natur ift pßilofophifcßer als die des Im-
preffioniften, fentimental in Scl)illerfd)em Sinne, da feine Bilder die Natur nid)t un-
befangen wiederfpiegeln, fondern als Ausdruck eines inneren Erlebniffes gewertet fein
wollen. Ein Landfcl)aftsmaler diefer Ärt wird es verfeßmähen, nach) billigen Effekten
zu tjafeßen und nur das anmutig Gefällige eines beftimmten landf<±>aftlict)en Eindrucks
im Bilde feftzußalten. Er malt nid)t Berge und Fluren, Flußläufe und Seen an diefem
oder jenem Orte, fondern das Gebirge, die See, ort- und zeitlos als Äusdruck eines
unveränderlichen, fiel) ftets gleichbleibenden Weltgefcßehens. Ift er wie Franz Secken-
dorf in den Orient gewandert oder hat er wie Max Pechftein die Südfee bereift, fo
will er auch ßier nic±)t mit dem photographischen Apparate wetteifern oder als tempera-
mentvoller Plauderer und Illuftrator die Herrlichkeit fremder Wunderländer kommen-
tieren, fondern er fuch)t die Befonderheit des exotifchen Charakters diefer Landfd)aften
aus dem Vielerlei des Sichtbaren herauszuheben, ünd auch da, wo er [ich in der Dar-
ftellung von der reinen Natur entfernt und die Behaufungen der Menfch)en zum Gegen-
ftande feiner Darftellung macht, malt er das Dorf in feiner typifeßen Gemeinfchaft mit
der umgebenden ländlichen Natur, zeigt er uns die Stadt in ihrer Armfeligkeit als
Woßnftätte arbeitfamer Menfcßen, die in engen Mietsh)äufern, umgeben von ragenden
Fabrikfch)loten freudlos ihr Dafein friften. So wird uns der moderne Landfch)aftsmaler
zum Führer und Interpreten in der Welt des Sichtbaren, feine Kunft ift eine ftumme
Mahnung, den Blick von der 3ufälligkeit der einzelnen Erfcßeinung abzuwenden und
den allgemeinen geiftigen Potenzen, die in den Dingen verborgen feßlummern, eine
höhere Bedeutung beizumeffen.
IV.
Für die befondere Ärt der Durchführung des Vergeiftigungsprozeffes gibt es keine
beftimmten Rezepte und Regeln. Jedes Künftlertemperament wird die Natur anders
empfinden und für die Überfettung der real gegebenen Formen feine eigentümliche
FJandfcßrift wählen. Der eine wird [ich mehr an die ficl)tbare Erfcheinungsform halten,
der andere bei der Geftaltung vifionärer Vorftellungen zu größerer Äbftraktion neigen.
Immerhin mangelt es troß aller Differenziertheit nicht an gemeinfamen ftiliftifcßen Merk-
malen. Der Kontur, den die auf malerifche Prinzipien aufgebaute impreffioniftifche
Kunft geßiffentlid) vernaeßläffigt hatte, lebt von neuem auf, am ftärkften vielleicht in
Pechfteins, Fockendorfs und Waskes Landfchaften, die gerade durch den zwingenden
Rhythmus der Linienführung eine prägnante Note erhalten. Bemerkenswert ift, daß
die Linie niemals an der vorderen Bildßäcße haften bleibt, fondern ftets in die Liefe
des Bildes führt. Dies Moment ift nicht unwefentlid), da der lineare Stil, zumal da,
wo er eine teppichhaft dekorative Wirkung erftrebt, zu einem Verharren in derfelben
Fläche auffordert. Wie fel)r es aber gerade den modernen Landfehaftern auf tiefen-
hafte Wirkungen ankommt, beweift die Catfache, daß fie fiel) ihre Landfchaften auf-
bauen und in räumliche Schichten gliedern, hierdurch erhält die gefamte Bildkompo-
fition ein plaftifches Gefüge und die von der Pleinairmalerei her übliche Luftperfpektive
erfeßeint vollgültig erfeßt. 3ugleid) aber ift mit diefer neuartigen Bildgliederung die
ftruktive Grundlage für ein rßytßmifcßes Element gewonnen, das für die moderne
Landfcßaftsmalerei von wefentlicßfter Bedeutung ift. Man wird der jungen Kunft nie
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