Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Cohen-Portheim, Paul: Asiatischer und europäischer Geist in der Kunst, 2
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27227#0076

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
der 3eit zu [teilen, je nad) feinem Charakter reagierte er hierauf. Die meiften, durd)
die Not gezwungen, baten die Gefellfcßaft um Ent[d)uldigung, daß fie (anders) geboren
feien und beeilten ficß, der Hagesgefcßmacklofigkeit zu ßuldigen. Diejenigen Künftler,
welchen diefe Kapitulation vor dem Feind unmöglich) war, zogen ficß von dem Leben
zurück und predigten die Leßre von dem Selbftzweck der Kunft: L’art pour l’art, oder
ße wurden aus Ekel zu Revolutionären. In die eine oder andere Kategorie gehören
alle großen Künftler diefer 3eik
Diefe Revolutionäre bereiteten den großen Hmfcßwung, die Rückkehr zum Geifte,
vor. Von außen gefeßen kam der 3ufarcimenbrucß der „europäifcßen 3ivilifation“ durd)
Weltkrieg, junger und Revolution, docß find diefe nur die äußeren Folgen der inneren
(Handlung, die ficß zuerft in Köpfen einiger Denker vollzog. Ruskin uud Morris,
Nießfcße, Holftoi, Doftojewski und Strindberg waren die Cotengräber des Rationalismus
und die geiftigen Hrßeber der Revolution. Die „europäifeße“ Kunft ift tot, und damit
erwaeßt die Kunft in Europa zu neuem Leben.

Die Kunft in Europa ift ßeute nießt meßr das, was icß „europäifeße Kunft“ nannte,
und die Kunft in Äfien ift feßon feit Jaßrßunderten nießt meßr das, was icß als „afia-
tifeße Kunft“ bezeießnet ßabe. Europa ßat ficß dem öftlicßen Idealismus genäßert, und
Äßen (gerade Oftafien) ift von dem europäifeßen Materialismus beeinßußt worden. So
näßert ficß die 3eit, wo fie i.ßre Verwandtfcßaft erkennen und zufammenßießen werden,
um eine neue und ßößere Kunft zu feßaffen. Bedingung dazu ift, daß fie denfelben
Glauben ßaben, diefelbe (Haßrßeit fueßen.
Älles weift darauf ßin, daß diefer Glaube im Entfteßen begriffen ift. Man ßat ge-
fagt, daß alle Religionen denfelben Inßalt ßaben, und das ift infofern waßr, als die
Grundlage aller Religionen die Überzeugung ift, daß die (Heit eine Scßöpfung des
Geiftes ift. So verfeßiedenartig die Symbole find, in denen die Religionen diefen Geift
verkörpern — verfeßiedenartig, wie die Völker und 3^iten, denen ße entfprangen —
fo gleicß bleibt ßcß der Grundgedanke aller Religionen, aller Metapßyfik und aller Kunft.
Fjierin ßat nur das wißenfcßaftlicße 3ßitalter eine Äusnaßme gemaeßt. Es ßat ver-
fueßt, den Geift als ein Produkt der Materie zu erklären. Als (Hiffenfcßaft erkannte
man nur die „exakte (Hiffenfcßaft“ an, d. ß. die (Hiffenfcßaft, die ficß mit den Dingen
befcßäftigt, die man meffen kann — und dazu geßört der Geift nießt. Meffen kann
man die Materie, nießt den Geift, und meffen kann man das, was ftatifcß ift — aber
nießt die Bewegung und den ewigen (Hecßfel. Man ßatte alles gemeßen und glaubte
alles zu kennen, man ßatte das Leben bis zu feinen einfaeßften Erfcßeinungsformen
reduziert, dann aber ftand man wieder vor dem Rätfel. Die exakte (Hiffenfcßaft blieb
die Antwort auf die Frage über den Hrfprung des Lebens fcßuldig. Damals entftand
das (Hort von dem „Bankrott der (Hiffenfcßaft“.
Nun aber braeß auf allen Gebieten der (Hiffenfcßaft eine Flut von Entdeckungen und
neuen Ideen ßerein und diefe ßaben der „exakten (Hiffenfcßaft“ ißre Bafis — die
Materie — geraubt. In unferer 3eit ift es die (Hiffenfcßaft, die ißren Glauben als
Aberglauben erkannt ßat, und naeß einem neuen ringt. Die (Hirklicßkeit, die man zu
kennen glaubte, ßat ßcß als ein Crugbild erwiefen, die vorige Geleßrtengeneration
glaubte die „ewigen Naturgefetje“ enträtfelt zu ßaben, die jetzige gefteßt, daß fie nur
Cßeorien, nur (Haßrfcßeinlicßkeiten kennt, fießer weiß ße nur das eine: daß das (Helt-
bild, welcßes der menfeßließe Verftand für die (Hirklicßkeit ßält, nießt die (Hirklicßkeit,

54
 
Annotationen