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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Riezler, Walter; Cornelius, Hans: Gespräch über die Theorie Britsch-Kornmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0094

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sichtbare Gestaltung, — wobei eben das, was ge-
staltet wird, in den beiden Fällen etwas völlig ver-
schiedenes ist. Überhaupt halte ich den Begriff
„Beurteilung" — der nun freilich nicht von Britsch,
sondern von Conrad Fiedler stammt — in diesem
Zusammenhange für bedenklich. Doch nähere ich
mich damit schon der zentralen Frage, und diese

wollte ich ja heute noch nicht berühren. Einstweilen
mögen diese vorläufigen Bemerkungen genügen, —
gegen die Sie jedenfalls sehr Wesentliches einzu-
wenden haben!

Herzlichst
Ihr

W. Riezler

Prof. Dr. Hans Cornelius an Dr. Walter Riezler

Verehrter Freund!

Ihre Bemerkungen über Britschs Theorie setzen
mich, da ich darauf erwidern soll, in einige Verlegen-
heit: denn gerade der Punkt, an dem Sie angreifen,
die Praxis des Zeichenunterrichts für Kinder in der
Kornmannschen Schule, ist mir aus eigener Anschau-
ung nicht bekannt. Ich habe nur einerseits die Art
kennengelernt, wie Britsch selbst in seinen Aktkur-
sen das Vorstellungszeichnen übte; — ich habe
selbst später lange in den „Münchener Lehrwerk-
stätten" in dieser Weise unterrichtet, worüber ich in
meiner „Kunstpädagogik" (bei Rentsch, München und
Zürich) des näheren berichtet habe. Andererseits
kenne ich eine große Menge von Kinderzeichnungen
aus solchen Schulen, wo die Anregungen von Britsch
und Kornmann durch die Zeichenlehrer in die Tat um-
gesetzt wurden. Und ich muß sagen, daß ich bei die-
sen Zeichnungen, die weit besser als die kleine Aus-
wahl der Münchener Ausstellung die fortschrei-
tende Entwicklung der Schüler erkennen lie-
ßen, durchaus nicht den Eindruck des Unbehagens
hatte, den Sie von der Münchener Ausstellung da-
vongetragen haben. Aber über solche Eindrücke
läßt sich natürlich nicht streiten, und so ist an die-
sem Punkt eine Diskussion nicht wohl anzuknüpfen.
Nur das eine kann ich mit großer Bestimmtheit
sagen: daß nämlich dieser Zeichenunterricht nicht
in der Weise verfährt, wie Sie es voraussetzen. Es
ist den Kindern nichts von ägyptischer Kunst oder
anderen angeblich primitiven Erzeugnissen vorge-
legt worden. Wo sich also Verwandtschaften mit
diesen zeigen, kommen sie nicht von außen, sondern
von innen. Auch werden, wie mir von den betreffen-
den Lehrern ausdrücklich versichert worden ist, die
Kinder keineswegs dazu angeleitet, die sichtbare
Welt in bestimmter Weise zu beurteilen oder, wie
Sie es ausdrückten, sich über bestimmte Tat-
bestände vorstellungsmäßig klar zu werden.

Der letztere Ausdruck soll mir als Anlaß dienen,
von den vorigen bloß negativen Feststeilungen zur
positiven Diskussion zu gelangen; wobei ich freilich
nicht umhin kann, auf das Zentralproblem selbst
schon zuzusteuern.

Ich glaube, daß die Absichten Britschs wie meine
eigenen mit den soeben wiedergegebenen und auch
sonst häufig gebrauchten Ausdrücken nicht ganz
zutreffend bezeichnet werden. Es handelt sich nicht
um ein Klarwerden über die sichtbare Welt und ihre
wirklichen Tatbestände. Es handelt sich vielmehr
nur um ein Klarwerden über die eigeneVorstel-
I u n g. Es kommt nicht nur dem Kinde (wie Sie es
im Gegensatz zur Kunst des ägyptischen Zeichners

betonen), sondern es kommt auch der in Frage
stehenden Theorie der Kunst und des Kunstunter-
richts gar nicht so sehr darauf an, „wie ein Baum
aussieht", sondern nur darauf, wie die „Idee" —
oder sagen wir lieber einfach die „Vorstellung" —
des Baumes, die das Kind oder der Künstler hat,
„lebendig zu machen" ist —; womit, wenn ich recht
sehe, nichts anderes gemeint sein kann, als die Vor-
stellung so weit zu bringen, daß sie in irgendeinem
Material erkennbar wiedergegeben werden kann. Ich
möchte das dadurch kurz bezeichnen, daß ich sage,
die Vorstellung werde in irgendeinem Material
sichtbar gestaltet.

Aus diesem Streben nach dem „Lebendigmachen"
der von innen her zur Gestaltung drängenden Vor-
stellung erwächst der künstlerische Prozeß; und er
erwächst genau so wie bei den durch äußere An-
lässe hervorgerufenen Vorstellungen („Baum") auch
bei solchen, die nicht auf diesem Wege veranlaßt
sind und daher nicht irrig als Abbilder von Natur-
dingen ausgelegt werden — wie das am klarsten
bei architektonischen Vorstellungen zutage liegt.

Ob man die für jene Verarbeitung der Vorstellung
nötige geistige Haltung und Arbeit zweckmäßig als
„Beurteilung" bezeichnen soll, darüber mag man
verschiedener Ansicht sein. Sicher aber dürfte für
die geforderte Gestaltung unentbehrlich sein, daß
der Gestaltende sich darüber klar wird (nicht in Be-
griffen, sondern in der praktischen Erfahrung des
Gestaltens!), was für sichtbare Eigenschaften sei-
ner Vorstellung anhaften und in welcher Weise er
sie besser sichtbar machen kann, als es mit dem
ersten primitiven Gekritzel (beim Kinde) oder der
ersten Skizze (beim Künstler) geschieht.

Diese geistige Haltung aufBegriffezubrin-
g e n , ist die Aufgabe der Kunsttheorie, wie Britsch
sie auffaßte. Aus der Theorie die Folgerungen für
die Praxis des Unterrichts zu ziehen, ist eine wei-
tere Aufgabe. Es scheint mir, daß viele der Miß-
verständnisse, die sich an Britschs (und Kornmanns)
Darlegungen anschließen, von der Verwechslung
beider Aufgaben herrühren.

Aber ich weiß nicht, ob ich mit diesen Ausführun-
gen nicht schon viel weiter gegangen bin, als es
fürs erste erwünscht ist. Ich warte daher lieber ab,
was Sie zu meinen Äußerungen sagen, damit ich
sehe, ob ich nicht etwa an Ihnen vorbeigeredet
habe; wie es in dieser schwierigen Angelegenheit ja
leicht vorkommen könnte.

Herzlichst
Ihr

H. Cornelius

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