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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Lotz, Wilhelm: Das Kunstgewerbe unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0230

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als vollkommen schöne Gebilde erscheinen. Der
Ingenieur hat keinen goldenen Schnitt angewandt
oder rhythmische Proportionen gezeichnet, er
hat gerechnet. Auch die römischen Wasserleitun-
gen sind von Ingenieuren gebaut worden und
nicht von Künstlern.

Dennoch gibt es selbst bei den technischen
Formen gewisse Spielräume für die Gestaltung,
denn es gibt kaum nur konstruierte Formen. Ge-
wiß, Fahrrad und Lokomotive sind vollendete
technische Gestaltung. Aber etwa das Schiffs-
hebewerk in Niederfinow, zu dem wir die Entwürfe
in Heft 2 des dritten Jahrgangs veröffentlicht
haben, konnte formal gut und schlecht gelöst
werden. Fast bei allen Ingenieurarbeiten ergeben
sich Notwendigkeiten für gefühlsmäßige Gestal-
tung über das Errechnete hinaus. Schon da-
durch, daß man immer etwas stärker konstruiert
als rein notwendig. Dieser Überschuß an Mate-
rial und Konstruktion gibt erst das Gefühl der
Sicherheit.

Wenn wir Ingenieurerzeugnisse bewundern,
dürfen wir nicht vergessen, daß nicht e i n Inge-
nieur der Gestalter ist, sondern daß eine Ent-
wicklungsreihe vorausgeht, für die das Erzeugnis,
das wir heute sehen, die augenblickliche Stufe
darstellt. Die Ingenieure, die daran gearbeitet
haben, haben unbewußt konstruktives Gefühl,
Materialgefühl und selbst ein zeitlich bedingtes
Formgefühl, das bei einer solchen hinter- und
nebeneinander geschalteten Gemeinschaftsar-
beit zum Durchbruch kommt.

Was wir heute an Kunstgewerbe sehen, ist
ohne Tradition, aber belastet mit formalen Er-
innerungen und mit dem falschen Ehrgeiz,
Besonderes, Einmaliges, nie Dagewesenes zu

Detail eines modischen Kleides Fot° stone

Reicher Dekor, der die Wirkung des Materials steigert. Die
Textilindustrie muß immer neue Stoffe erfinden, deren
Materialwirkung auffällig ist. Aber mehr denn je wird die
individuelle „Note" der Frau durch die heutige Mode betont.
Der Typ der Frau ist das Primäre, dem sich das Kleid unter-
ordnet, besser: den es unterstreicht

machen. Die chinesischen Töpfer hatten nicht
nur technische Tradition, sondern auch eine Tra-
dition der Gestaltung, sie haben dieselben For-

Handgeschlagenes Rahm-
service

von Büttenklepper & Schmidt,
Berlin. Die Handarbeit befriedigt
hier das Bedürfnis nach besonders
wertvollen Stücken, die nicht all-
täglich, sondern einmalig sind

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