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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Hahm, Konrad: Lichtbilder: zu den Arbeiten von Helmar Lerski
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Zu den Aufnahmen aus dem Grosskraftwerk Klingenberg bei Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0266

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auf die impressionistische Note, auf die
Stimmungssuche mit Stellung und Zutaten. Der
so beliebten Aufteilung der Flächen in allge-
meine Helligkeiten und Dunkelheiten, in Ton-
werte, die rein malerisch empfunden sind, setzt
er eine reine Lichtarbeit am Objekt entgegen,
indem er alles dort wirksame Licht plastisch
sammelt, um es mit der Linse festzuhalten. Er
schafft in diesem Sinne „Originale", weil er das
Objekt durch das Phänomen des Lichts ganz be-
wußt gestalten läßt, aber nicht, um es aufzu-
lösen, sondern um es zu verstärken. In den rei-
fen Arbeiten der letzten Zeit sind die Menschen,
die er fotografiert, nicht Themen für einen Por-
trätselbstzweck, sondern Mittel zum Zweck einer
künstlerischen Bildhaftigkeit. Er überschreitet
damit bewußt den Rahmen der objektiven Be-
richterstattung, die man Film und Foto einräumt,
und steigert (im Menschenantlitz besonders ein-
drucksvoll) den Wesenskern seines Objektes
durch Lichtauswahl. Auf die Bildhauerei über-
tragen geschieht dort dasselbe durch plastische
Aufteilung der reflektierenden Flächen. Er läßt
sein Objekt vom Licht nicht umschleiern, um ge-
wisse Bildwirkungen zu erzielen, sondern will es
durch Licht entschleiern und steigern, um eine
geistige Wirklichkeit zu erreichen, unabhängig

vom Zufälligen in Miene und Haltung. Seine so
persönliche Lichtkunst erlaubt ihm jede „Auffas-
sung" des Ausdrucks, er hat nicht anders wie
ein Maler alle Kombinationsmöglichkeiten der
Charakteristik in der Hand, er kann, wie er sagt,
„die ganze Skala der Menschlichkeit an einem
Gesicht demonstrieren". Die Bildwirkung also
überträgt sich nicht vom Objekt, dem „er eine
Seite ablauscht", auf ihn, sondern er entzieht
dem Objekt das zufällig Individuelle und vertieft
das Typische. Seine Bilder sind dadurch Abstrak-
tionen und doch nur Verinnerlichungen des vor-
handenen Wirklichen. Die künstlerische Wahrheit
entsteht durch das besondere Leben des Lichts
am Naturbild des Objektes, und diese Synthese
ist vom geistigen Auge und der Einbildungskraft
des Autors genau so abhängig wie jeder künstle-
rische Schöpfungsprozeß. Die hier abgebildeten
Fotos sind, von ihrer künstlerischen Bedeutung
und bildnerischen Einheitlichkeit abgesehen, Er-
zeugnisse, die nur durch die der Fotografie eige-
nen Mittel ohne Anleihe bei anderen Kunstgat-
tungen möglich geworden sind. Lerski erschafft
mit diesen Versuchen das Licht - Bild aus seinen
eigensten Bedingtheiten und erobert es für
die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten un-
serer Zeit. Konrad Hahm

ZU DEN AUFNAHMEN AUS DEM GROSSKRAFTWERK
KLINGENBERG BEI BERLIN

Was der Fotograf in einem so großen Werk
mit der Kamera erfassen kann, sind räumliche
Ausschnitte einer großen Anlage, von der bedeu-
tende und wichtige Teile dem Blick überhaupt
entzogen sind.

Die Formen, die wir sehen, sind etwa bei
einem Verladesteg oder dem Gerüst einer Halle,
Darstellungen mechanischer Funktionen.

Was wir bei einem Generator sehen können,
ist Schale und Schutz, selbst Träger, Bürsten
und Anker im Innern sind Formen mechanischer
Funktionen. Aber das, was diesen mechanischen
Funktionen den Sinn und Zweck gibt, ist die Er-
zeugung, Leitung und Umwandlung der Elektri-
zität, Für die mechanische Funktion, das Lagern
eines Generators auf dem Boden, das Gefüge
der Schalen, haben wir eine Empfindung.

Aber das ist das Unheimliche dieser Gebilde,
daß sie Kräfte erzeugen und enthalten, gegen

die die mechanische Funktion gering ist und nur
zu ihrer Erzeugung dient, Kräfte, die unser Vor-
stellungsvermögen nicht fassen kann.

Hier beginnt, vom Gesichtspunkt des mensch-
lichen Formempfindens gesehen, das Unfaßliche,
aber Beseelte dieser Formen.

Die Funktion eines Türgriffs oder noch eines
Krans ist erfaßbar in der Form, die Funktion
eines Dynamos oder eines Radioapparats läßt
sich erklären, aber nicht erfühlen.

Vielleicht bildet sich bei kommenden Gene-
rationen ein Erfassungsvermögen für diese
Energievorgänge, die unsichtbar sind: eine neue
Vorstellungskraft, die nicht an Formen gebunden
ist, sondern hinter und in den Formen Ströme
wirken fühlt, wie auch mittelalterliche Menschen
in den Malereien Grünewalds nicht die Formen
und Farben sahen, sondern mit Spannung er-
füllten Äther und Lichtraum. L.

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