Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

DOI Artikel:
Doesburg, Theo van: Film als reine Gestaltung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0300

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nacheinander der Flächen werden niemals eine
neue Filmgestaltung ermöglichen. Sogar das
„moderne'' Auge fängt schon an, zu ermüden,
denn diese Bildrhythmisierung beruht auf Effekt
und Zufall, es ist neuer Illusionismus.

Was wir nun endlich von dem Film als rein
schöpferische Manifestation verlangen, ist:

1, Logischer Aufbau des Filmbaues mit den
reinen Mitteln: Licht, Bewegung, Schatten.

2. Kontrollierbare (geometrische) Orchestra-
tion von Licht- und Schattengebilden.

Der unbegrenzte Lichtraum wird erst Ge-
stalt bekommen, wenn wir imstande sind, ihn
gleichzeitig nach allen Richtungen und vermit-
tels der Bewegung auch in der Richtung der Zeit
(kontinuierlich und diskontinuierlich), körper-
lich zu bestimmen. Körperlich, das will aber
keineswegs heißen: illusionistisch.

Bis jetzt ist der Film, realistisch oder abstrakt,
illusionistisch oder über-impressionistisch, aus
unseren geläufigen Raumempfindungen konstru-
iert worden, aber der Film als reines Kunstwerk
wird aus einer unendlich reicheren Raumempfin-
dung aufgebaut sein. Anstatt einer malerischen
wird eher eine architektonische Einstellung not-
wendig sein. Denn die neue eroberte Materie
wird die neue Lichtarchitektur ermög-

Moment aus den Farblichtspielen

von Hirschfeld-Mack, Weimar

liehen und ganz ungeahnte Dimensionen hervor-
rufen können.

Ich habe bis jetzt nur die erste Phase des
neuen Films berührt, ich habe die Notwendigkeit
zur Sprengung der umrahmten „Bildfläche" (die
Ebene) gezeigt und auf die Möglichkeit hinge-
wiesen, aus dem grenzenlosen Lichtraum film-
technisch, das heißt mittels der Bewegung, ein
Filmkontinuum zu konstruieren. Dieser ganze
Vorgang läßt sich nur farblos, also schwarz auf
weiß, konstruieren. Im zweiten Stadium wird die-
ser kristallinische Raum durch die Farben ge-
staltet und mittels der Bewegung orchestriert.

Der Betrachter wird in eine ganz neue Welt
hineinschauen, er wird dem ganzen Vorgang die-
ser dynamischen Lichtplastik folgen können wie
etwa einem Orchesterwerk Schönbergs, Stra-
winskys oder Antheils. Aus dem Erwähnten geht
hervor, daß der Zuschauerraum Teil des Film-
raums wird. Die Trennung von „Projektions-
fläche" und „Zuschauerraum" ist aufgehoben.
Der Zuschauer wird den Film nicht mehr wie eine
Theatervorführung betrachten, sondern so-
wohl optisch als akustisch miterleben. Denn das
zukünftige Filmwerk ist nicht wie die Malerei eine
konstante und stumme Gestaltung, sondern die
neue Simultanität optischer und fonetischer Aus-
drucksmöglichkeiten.*)

Die Versuche verschiedener Künstler, die in
dieser Richtung Pionierarbeit geleistet haben
(Eggeling, Richter, Leger-Murphy, Man Ray und
andere), schließen eine Periode ab, die wir als
fotografisch und malerisch orientierte Filmge-
staltung betrachten können.

Die neuen Versuche unterliegen den Gesetzen
eines fast architektonischen Aufbaues des poly-
dimensionalen Filmraums und sind geome-
trisch orientiert. Sie sind deshalb weniger
künstlerischer als wissenschaftlicher Natur, be-
reiten aber auf dieser Basis eine Orchestration
vor, die sich in ganz neuen ungeahnten Dimen-
sionen entwickeln wird. Theo van Doesburg

*) Im „Studio 28" in Paris sah ich die Farblichtspiele von Baranof
de Rossine („Ciavier optique"). Die Farblichtspiele stehen zwar
technisch außerhalb des Gebietes des Films, aber die ganze
Wirkung ist dermaßen intensiv, daß man gerade für die Ent-
wicklung des neuen raumzeitlichen Films dieses Experiment nicht
außer acht lassen soll.

Wir geben den vorstehenden Ausführungen van Doesburgs wegen
ihrer Konsequenz gern Raum, obgleich wir auf dem Standpunkt
stehen, daß für den Film eine konkrete Problemstellung und eine
konkrete Klärung seiner Mittel notwendig ist. Nur so wird er
zu einer eigenen Entwicklung kommen können und die Vorurteile
werden fallen müssen. Die Schriftleitung.

248
 
Annotationen