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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Ethos der neuen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0332

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— insbesondere der Siedlungs- und Städtebau —
und im Augenblick treten sogar die anderen
Künste hinter ihr zurück. Es scheint also, als
ob die kritischen, die weltlichen, positivistischen,
kurz die u n magischen Triebkräfte der Neuzeit
erst zu ihrer aufbauendsten Leistung an-
setzen: daß vorläufig tatsächlich eine Epoche
des Bauens kommt ohne den „Glauben" im alten
magischen oder transzendenten Sinn. Die Mei-
nung, daß solche recht eigentlich weltliche Archi-
tektur niemals die zentrale Funktion der Bau-
kunst in den großen religiösen Vergangenheiten
ausüben könne, daß mithin die Rolle der Bau-
kunst als eine öffentliche sichtbare Aus-
druckskunst überhaupt ausgespielt sei, erscheint

— um es nochmals zu sagen — als ein wissen-
schaftlich anfechtbarer Schluß aus einer weit
zurückliegenden Vergangenheit auf die Zukunft.
Jedenfalls bleibt es gegenüber den beträcht-
lichen Gegenwartstatsachen und Zukunftszei-
chen nur ein subjektiver Glaube, vielleicht nur
ein Wunsch, wenn man vermutet, daß dennoch
auf weiteste Sicht ohne eine Wiedergeburt des
Magischen und danach des Religiösen und Kul-
tischen eine große stilschöpferische Baukunst
nicht möglich sein werde.

Für heute und morgen ist dem Faktum ins
Auge zu sehen: daß wir uns, was Gesinnung
und was Gestaltung anbetrifft, im ganzen erst
noch in den Anfängen des kritisch-technischen
Geistes befinden. Die ,,Stahlzeit" beginnt erst
den ganzen Planeten zu erobern: der Osten ins-
besondere wird ihr — trotz oberflächlicher An-
näherung — noch lange und mit ungeahnt star-
ken Reaktionen widerstehen. Die sieben mage-
ren Weltjahre des Glaubens liegen wohl erst vor
uns. Nur indem wir dies hinnehmen, haben wir
auch die Kraft, das Eine und das Naheliegende
zu tun und zu leisten, was heute nottut in den
Zeiten der Dürre. —

Eins bleibt freilich gewiß auch für heute und
morgen. So wenig die Baukunst, ja die Kunst
überhaupt auf absehbare Zeit das Pathos des
Religiösen oder des Dynastischen, den Zauber
des Gottesgnadentums überhaupt als ragende
Schatten hinter sich fühlen wird, so wenig wird
sie auf die Dauer ganz einer sittlichen Idee,
ja eines Ethos entbehren können. Nur ein solches
Ethos wird der Ratio des neuen Bauens die nö-
tige Wärme, die Auftriebskraft verleihen, aus
welcher ihr nicht Monumentalität — darauf
kommt es nicht an —, nicht ein „neuer Stil" —
danach läßt sich nicht fragen — wohl aber die
letzte innere Überzeugungskraft fließen muß.

Ohne einen solchen „Glauben" wird es frei-
lich auch morgen kein „Bauen" geben.

Fragt man die Architekten, die Ingenieure von
heute, für welche „Idee" sie am Ende gestalten,
aus welchem Glauben sie schaffen, so wird man
— bei denen, die sich überhaupt ihre Gedanken
darüber machen — eine Antwort bekommen, die
von einer gewissen Übereinstimmung der Mei-
nungen zeugt und die sich in der Tat naturnot-
wendig jedem Denkenden aufdrängt. Der Bau-
meister heute fühlt sich verantwortlich für den
Menschen, und zwar für den freien, leben-
digen Menschen schlechthin, dessen Dasein
nicht mehr unter den ungeheuren Lebenshem-
mungen des Dogmatisch-Metaphysischen und
des Dynastischen steht. Diesem Menschen wür-
digen Raum für Wohnung, Arbeit und Feier zu
schaffen, seinen Bedürfnissen zu dienen, nicht
der Verkörperung irgendwelcher Schicksalslast
übergeordneter Gewalten: dies ist das hohe Ziel
einer Baugestaltung, ja einer Kunstsprache über-
haupt, die nicht einschüchtern, sondern einladen
will. Solche Baukunst und Kunst zieht ihr Gesetz
nicht aus dem Pathos unerreichbarer Mächte,
sondern sie findet ihr Ethos in den Aufgaben
menschlicher Gemeinschaft.

Daß die neue Architektur dem Menschen und
seiner Gemeinschaft dienen soll, ist ein Gedanke
von unverkennbar ethisch-sozialer Färbung. Nun
erscheint freilich gegenüber der öffentlichen
Verkehrsarchitektur, der städtebaulichen Pla-
nung, der Siedlung und Wohnung gerade die re-
präsentativste Aufgabe von heute, die Gestal-
tung der City, Turmhaus und Fabrik, ohne
solche tiefere Rechtfertigung. Die — wenn
schon gleichfalls kollektiven und anonymen —
Wirtschaftsmächte, die Gewalten des Unterneh-
mertums und des Hochkapitalismus, wie sie hier
als Auftraggeber sichtbar werden, entbehren für
einen Großteil der Menschheit jener suggesti-
ven Würde, die die Potenzen des religiösen
Glaubens und lange Zeit auch die Gottesgna-
dentümer weltlicher Herrschaft auszustrahlen
vermochten. Vieles an ihrer Massenwirkung und
in ihrer Formdisziplin, vieles an ihrer technischen
Brillianz und Zeitgemäßheit erscheint uns als
Werbung für Mächte von doch nur problemati-
schem Anspruch. Wo es sich nicht um Reprä-
sentationen des schlechthin gültigen Wertes,
sondern um Reklame für immerhin umstrittene
Mächte handelt, deren Angebot unverkennbar
dem bloßen Nutzen dient, wird der Künstler nicht
diejenige gläubige Gewißheit finden, aus deren
Naivität erst neue Gestaltung fraglos und darum
schlechthin notwendig geboren wird. Heute sagt
sich der Architekt, der Künstler noch oft, daß es
ihm gleichgültig sein müsse, welchen Gewalten

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