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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Renner, Paul: Kritische Anmerkungen zum Farben-Unterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0341

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wie man nur Zahlen systematisch ordnen kann, wäh-
rend es schlechterdings kein gemeinsames System
gibt, in das man sieben Zigaretten, sieben Ziegel-
steine, sieben Äpfel und sieben Kanarienvögel ord-
nen könnte.

Das absolut neutrale Grau ist die am wenigsten
ausgeprägte, ist die verhüllteste Farbigkeit; es ist
im Sinne der Heft 4, Seite 92 zuletzt erwähnten Be-
deutung des Wortes Farbe die Farblosigkeit selbst.
Ihm steht gegenüber die nackte, entschiedenste,
reinste Farbigkeit. Und damit haben wir die zweite
gegensätzliche Beziehung gefunden, in die jeder
denkbare Farbton sich ordnen läßt. Man kann von
zwei Farben immer sagen, daß die eine reiner, die
andere verhüllter sei oder daß sie den gleichen Grad
der Reinheit hätten. Die absolut verhüllten trüben
Farben liegen, wie wir schon gesehen haben, auf
der Achse zwischen dem weißen und schwarzen Pol.
Alle übrigen Farben lassen sich in zylindrischen
Schichten gleichen Reinheitsgrades um diese Achse
anordnen. Jeder Querschnitt senkrecht zur Achse
würde die Farben gleicher Helligkeit oder Dunkel-
heit treffen.

Die reinen Farben selbst aber ordnen wir in einem
Kreise an. Was bedeutet nun dieser so oft erwähnte
Farbenkreis? Wenn man in einer Ähnlichkeitsreihe
der reinen Farben von irgendeiner Farbe ausgeht,
so kommt man immer wieder von der anderen Seite
auf sie zurück. Wir kommen von Rot über Violett,
Blau, Grün, Gelb, Orange zu Rot; oder umgekehrt
über Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett auch wieder
zu Rot. Der Kreis ist, wie in alten Zeiten der ein-
gerollte Drache oder die Schlange, die sich in den
Schwanz beißt, das Sinnbild für die Wiederkehr des
Gleichen, das Symbol für ein Fortschreiten, das wie-
der zum Ausgangspunkt führt. Und das ist nun die
dritte und letzte Bestimmung jeder Farbe. Von
jeder denkbaren Farbe kann im Sinne einer Kreis-
bewegung, einer Drehung des Farbenkreises also
vorwärts oder rückwärts geschritten werden, wobei
sich dann immer der Farbton ändert. Der Sprach-
gebrauch scheint im Farbenkreis noch einen warmen
und einen kalten Pol zu kennen: den warmen Pol
etwa im rötlichen Orange, den kalten im Blau-Grün.
Denn er bezeichnet diese dritte aller möglichen Be-
ziehungen zwischen zwei Farben einfach so: eine
Farbe sei kälter oder wärmer als die andere.

Da es sich bei der künstlerischen Bewältigung der
Farbe immer nur um die Relation der Farben, d. h.
um ihr Verhältnis zueinander handelt, mußten wir von
dieser dreifachen Gegensätzlichkeit so ausführlich
sprechen. Und ich wiederhole deshalb: Eine Farbe
kann ERSTENS HELLER ODER DUNKLER sein als
die andere, ZWEITENS REINER ODER TRÜBER (ver-
hüllter) und DRITTENS WÄRMER ODER KÄLTER.
Wir haben damit ein dreifaches Koordinatensystem
gefunden, durch das jede Farbengattung bestimm-
bar ist. Und darum genügt ein dreidimensionaler
Körper als anschauliches Sinnbild dieses Farben-
systems. Man könnte dies nur bestreiten, wenn man
nicht Farbengattungen ordnen will, sondern wenn
man Oberflächenfarben und Erscheinungsfarben in
ein gemeinsames System zu bringen versucht. Das
ist aber, wie wir am neutralen Grau vorhin schon
gezeigt haben, so unmöglich als sinnlos.

Wir wollen uns diesen Farbendoppelkegel noch
einmal recht anschaulich machen. Hier, wo ich

stehe, sei das neutrale Grau, und zwar die Hellig-
keitsstufe, die genau in der Mitte zwischen Weiß
und Schwarz liegt. Im Zenith über mir sei das Weiß,
im Nadir unter mir das Schwarz. Der kreisförmige
Horizont wäre dann der Farbenkreis, auf dem die
reinen Farben anzuordnen sind. Ich kann dann von
meinem Standort, dem neutralen Grau aus, nach
jeder Richtung hin vorschreiten und komme dann in
immer reinere Farben. Wie unser Horizont orientiert
ist nach Osten, Westen, Norden, Süden, so orien-
tiere ich auch den Farbenkreis nach Rot, Grün, Blau,
Gelb. Wenn wir alle Punkte des Farbenkreises ver-
binden mit den beiden Endpunkten der Schwarz-
Weiß-Achse, so entsteht der Farbendoppelkegel, in
dem nun jede denkbare Farbengattung ihren beson-
deren Ort hat.

Und vergessen wir nicht, daß es sich hier wirklich
nur um eine ORIENTIERUNG handelt. Es gibt in
der Wirklichkeit kein absolutes Rot, kein absolutes
Schwarz, Grau oder Weiß. Nur in der Idee gibt es
absolute Farben. In der Realität sind alle Farben
relativ. Und deshalb soll man den Gewinn, den
Kunst oder Wissenschaft von einem Farbenatlas
haben können, nicht überschätzen.

FARBE UND ZAHL

Man ordnet im Farbenkreis die beiden Farben,
die sich am wenigsten ähnlich sind, so an, daß sie
sich über dem Mittelpunkt gegenüber liegen. In wel-
chem Winkel sich aber die Kreisdurchmesser schnei-
den, welche von einer Gegenfarbe zur andern füh-
ren, dafür gibt es aus dem Wesen der Farbe keine
exakte Bestimmung. Deshalb ist es auch nicht mög-
lich, einen Farbenkreis herzustellen, bei dem jede
Willkür vermieden wäre. Und deshalb mußten alle
Versuche fehlschlagen, aus der Gradeinteilung des
Farbenkreises das Verhältnis von zwei Farben zu-
einander, wie man es bei Klängen ohne weiteres
kann, zahlenmäßig zu bestimmen. Wir haben exakte
Zahlen für die Wellenlänge der regenbogenfarbigen
Lichtstrahlen, in welche das Prisma einen Strahl des
weißen Tageslichtes auseinanderbreitet. Hier las-
sen sich ebenso exakte Rechnungen anstellen wie
bei der durch schwingende Körper in Wellenbewe-
gung versetzten Luft, die als physikalischer Vor-
gang dem Phänomen der Klänge zugrunde liegt.
Aber aus diesen Zahlen können wir leider für die
künstlerische Bewältigung der Farbe keinen Nutzen
ziehen; so ergiebig auch diese Messungen für die
Erforschung der Kräfte und der Materie im Kosmos
geworden sind.

Die längsten Wellen dieser eigentümlichen Bewe-
gung sind viele Kilometer lang. Die Wellen von
600 m Länge sind uns von den SOS-Rufen der draht-
losen Telegraphie und vom Radio bekannt: sehr viel
kleiner sind die Wärmewellen, und die Wellenlänge
der Lichtstrahlen reicht etwa von 750 bis 380 Mil-
lionstel Millimeter. (Eine Oktave von Rot bis zu
beinahe wieder Rot!) Noch viel kürzere Wellen
haben dann die Röntgenstrahlen. Die roten Licht-
strahlen haben die längsten Wellen; es folgen dann
mit immer kürzeren Orange, Gelb und Grün. Bis zu
dieser Wellenlänge reicht auch noch die Wärmewir-
kung der Strahlen; dann kommen mit noch kürzeren
und chemisch besonders wirksamen Weilen Grün,
Blau, Violett. Aber diesen Wellenlängen, die sich
genau messen lassen, entsprechen nicht gleiche

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