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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Vertov, Dziga: Vom "Kino-Auge zum "Radio-Auge": (aus dem Alphabet der "Kinoki")
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0441

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4.

Montage: ist das Organisieren der Kino-
Cadren in ein Kinowerk, ist mit den aufgenom-
menen Cadren ein Kinowerk niederschreiben. Es
ist aber nicht das Sammeln von Cadren zu ein-
zelnen „Szenen" (Theaterrichtung) oder passen-
der Cadren zu den Unterschriften (Literatur-
richtung).

5.

Kino-Auge = Kino-Niederschrift der Fakten -
Bewegung für den dokumentären Film.

6.

„Kino-Auge" ist nicht nur der Name des
Filmes, ist nicht nur die Bezeichnung einer
Gruppe von Kino-Arbeitern, ist nicht nur irgend-
eine Richtung in der sogenannten „Kunst"
(rechts oder links).

Kino-Auge — ist eine sich immer weiter ver-
breitende Bewegung, ist die Einwirkung durch
Fakten gegenüber der Einwirkung durch Erdich-
tetes, wie stark diese Wirkung auch immer sein
mag.

Kino-Auge — ist die dokumentäre Kino-De-
chiffrierung der sichtbaren Welt mit Hilfe des
menschlichen, unbewaffneten Auges.

7.

Kino-Auge — ist die Überwindung der Entfer-
nung, — ist ein visuelles Bündnis zwischen den
Menschen der ganzen Welt auf Grundlage des
unaufhörlichen Austausches der sichtbaren
Fakten, der Kino-Dokumente, im Gegensatz zu
den kinotheatralischen Vorstellungen „mehr oder
weniger gewöhnlicher Art" (Lenin).

8.

Kino-Auge — ist die Überwindung der Zeit, —
ist ein visuelles Bündnis zwischen den zeitlich
voneinander getrennten Gegebenheiten. Kino-
Auge — ist die Konzentration und Zerlegung der
Zeit. Kino-Auge — ermöglicht uns die mensch-
lichen Vorgänge in jedem beliebigen zeitlichen
Ablauf, der sonst dem menschlichen Auge uner-
reichbar ist, zu sehen, in jeder für das mensch-
liche Auge unerfaßbaren Zeitdauer.

9.

Zur Lösung der gestellten Aufgabe utilisiert
das Kino-Auge alle der Kino-Kamera besonders
entsprechenden Aufnahmemittel, — Zeitraffer,
Mikro-Aufnahme, Rücklauf-Aufnahme, Trick-Auf-
nahme, Aufnahme vom bewegten Standpunkt,
Aufnahme unerwarteter Verkürzungen usw., die
nicht als Tricks, nicht als Ausnahme anzunehmen
sind, sondern als normales und gesetzmäßig
breit angewandtes Aufnahmeverfahren.

10.

Zur Lösung der vom Kino-Auge gestellten Auf-
gabe werden alle nur möglichen Montagemitte!

Aus „Das elfte Jahr"

Film von Dsiga Werthoff

utilisiert, die verschiedensten Punkte der Welt
werden aneinandergereiht und zusammengefügt,
in den verschiedensten Zeitabläufen werden alle
bisherigen Gesetze der Konstruktion der Kino-
Werke annulliert.

11.

Durch das Einschneiden in das scheinbare
Chaos des menschlichen Lebens will das Kino-
Auge in dem Leben selbst die Antwort auf das

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