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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Lotz, Wilhelm: 1932
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0516

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Großsiedlung, denn die gebauten Siedlungen wer-
den sich mehr nach der realen augenblicklichen
Situation richten müssen. Wo es aber irgend mög-
lich ist, sollte man auch in der Ausstellung prak-
tische Aufgaben stellen; sie mögen im Umfang und
Ausmaß noch so bescheiden sein, aber neu in der
Problemstellung. Ich denke an Dinge, die dann ähn-
lich vorwärts weisend sein mögen wie in Stuttgart
der Miessche Glasraum. Wenn diese Ausstellung,
die ja letzthin eine Demonstration sein soll, nicht
ganz stark durchsetzt ist von Schöpfungen, die nicht
nur auf der augenblicklichen technischen und so-
zialen Struktur aufbauen, sondern die von Menschen
geschaffen sind, die ein Gefühl für das haben, was
kommen muß, die eine künstlerische Sehergabe be-
sitzen, dann wird sie nicht die Anziehungskraft aus-
üben, die sie haben soll.

Ich möchte fast vorschlagen, daß man von folgen-
den Gesichtspunkten aus die einzelnen Gebiete des
Jäckhschen Programms betrachtet: 1. Wo und wie
liegt das Problem? 2. In welchem Sinn ist das Pro-
blem heute schon realisiert, wo liegt die Zielrichtung
und aus welchem Antrieb heraus geschieht die Reali-
sierung? 3. An welche Idee glauben wir, daß sie die
wirkliche der neuen Zeit ist, und welche aus Be-
kennertrieb geforderte Lösung kann die Ausstellung
selbst schaffen?

Wenn man das ausgezeichnete Rahmenprogramm
auf diese Weise durchkneten würde, so kämen die
ganz großen Triebkräfte unserer heutigen Zeit, so-
weit sie vom Menschen und seinem geistigen Welt-
bild ausgehen, von selbst zum Durchbruch, Kräfte
wie die soziale Frage, die Herausbildung eines in
jeder Beziehung gesunden Menschengeschlechts,
die Gemeinschaftsidee, die Friedensidee, die Auf-
deckung, Erforschung und Dienstbarmachung der
Naturkräfte.

Eine sehr große Schwierigkeit ist ohne Zweifel die
Sichtbarmachung der Probleme in Form einer Aus-
stellung. Jäckh verweist in seiner Schrift auf die
Gesolei, die Pressa und die Ausstellungen der
Reichszentrale für Heimatdienst und des Zentral-
instituts für Erziehung und Unterricht. Es kann nicht
bestritten werden, daß diese Versuche sehr inter-
essant und teilweise sehr lebendig sind. Aber sie
sind es lediglich für den Fachmann. Die Pressa
durchzustudieren, ist nur ganz wenigen Menschen
gelungen. Diese Art der Anschaulichmachung ist
eine ungeheuer schwierige und sie ermüdet, sie muß
studiert werden wie ein schwieriges problemati-
sches Buch. Man kann auch ganz verschiedener
Meinung darüber sefn, ob die genannten Versuche
einer künstlerischen Kritik standhalten können,
jedenfalls das eine muß eingewandt werden, daß
solche Ausstellungen, die gebaute Lehrbücher und
Konstruktionen sind, vor mehr repräsentativen Aus-
stellungen den großen Nachteil haben, daß man im
Material selbst vom Lehrstoff erstickt und nicht
direkt in den Zustand künstlerischer Erregung ver-
setzt wird. Dieses Moment, das man beim Besuch
eines Theaters oder einer großen schönen Garten-
anlage oder guter Museen als Vorteil buchen
kann, ist sehr wichtig für Ausstellungen. Eine Aus-
stellung muß an sich ein Erlebnis sein und nicht
erst dann, wenn man sie als gebautes Lehrbuch
durchgearbeitet hat. Die Mittel der Veranschau-
lichung abstrakter Probleme mögen noch so gut

sein, man mag alle Register ziehen, den Tonfilm, die
Schallplatte, die bewegliche Projektion, es wird
doch nicht das beim Beschauer ausgelöst werden,
was er von einer Ausstellung verlangt. Man mag
noch soviel von der wirtschaftlichen Bedingtheit der
Ausstellungen, von ihrer Rationalisierung, von ihrer
wirtschaftlichen Rentabilität reden, letzthin müssen
sie doch etwas ähnliches wie ein Kunstwerk sein, sie
müssen starke ästhetische Eindrücke hinterlassen.
Das soll nicht nur heißen, daß man die Ausstellungs-
hallen und die Räume und das Ausstellungsgelände
und die Art der Aufmachung künstlerisch so gut wie
nur irgend möglich macht, sondern daß man bewußt
in den räumlichen Ablauf der Ausstellung Schöpfun-
gen einschaltet, die einen starken Eindruck machen.
Nirgends ist dafür bessere und umfassendere Gele-
genheit als bei der geplanten Ausstellung „Die Neue
Zeit". Man denke sich etwa, wie vorteilhaft es wer-
den kann, wenn man durch Räume hindurchgegangen
ist, die einem mit allen Mitteln das Gedankliche einer
Gruppe nähergebracht haben, und dann zu einer
wunderbaren Raumschöpfung gelangt, die irgendwie
innerlich, weniger gedanklich als künstlerisch, mit
dem verbunden ist, was einem soeben lehrhaft ver-
mittelt wurde. Das kann ein herrlicher neuartiger
Glasraum, eine sehr gutes Bild, eine großartige
Maschine oder eine Plastik sein. Dieser Wert, der
einem dann vermittelt wird, soll aber frei bleiben
von allem Lehrhaften. Er soll auch frei sein von
allem äußerlich Zeitgebundenen und nur durch sich
selbst wirken. Wie diese Raumfolgen in sich abge-
wogen werden, in welchem Tempo man durch sie
hindurchgeführt wird, das ist vor allen Dingen eine
künstlerische Angelegenheit, denn jene mehr lehr-
haften Räume müssen ja durch die Zuhilfenahme von
Dingen, die zeitlich ablaufen, wie Filme oder Schall-
platten, in ganz bestimmtem Tempo durcheilt wer-
den. Man wird sich dieses Moment des zeitlich ge-
ordneten Durchgeführtwerdens durch die Ausstel-
lung genau überlegen müssen und es ordnen wie
einen Filmablauf. So wird die Ausstellung selbst
durch die Zwangsläufigkeit des zeitlichen Raumerle-
bens ein Ausdruck unserer neuen Einstellung zum
Raumzeitproblem sein. Daß das nicht heißen soll,
daß der Besucher gezwungen ist, eine ganz be-
stimmte Zeit für den Besuch der Ausstellung auf-
zuwenden, daß sein Aufenthalt in den Räumen
diktatorisch geregelt ist, dürfte selbstverständlich
sein. Es soll lediglich heißen, daß die Ausstellung
als raumzeitliches Erlebnis gestaltet sein muß. Die
neue Zeit muß hier vor allem erlebt, jedenfalls mehr
erlebt als gelehrt werden. Die abstrakten Probleme
müssen einmal modern pädagogisch durch die neue
Ausstellungsform erkannt werden, aber ebenso
wichtig ist es, daß sie in den künstlerischen Schöp-
fungen, das soll nicht heißen, nur in den Schöpfun-
gen der freien Kunst, erfühlt und erlebt werden.
So glaube ich, daß man etwa die systematische Dar-
stellung des bolschewistischen Systems in Rußland
gefühlsmäßig untermalen kann durch einen Werthoff-
Film oder durch gute russische Propaganda-Plakate
und daß man das Verhältnis des Amerikaners zur
heutigen Zeit und ebenso die Wirtschaftsstruktur
Amerikas besser versteht, wenn man es auch ge-
fühlsmäßig durch typische amerikanische Waren
oder durch ein amerikanisches Wohnheim illustriert.
Welch feine Beziehungen zwischen modernen physi-

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