Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0617
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Rabén, Hans: Die Stockholmer Ausstellung 1930
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den Industriellen eignen. Sie wollen selbständige
Schöpfer sein, was leicht dazu führt, daß sie sich
nur mit dekorativer Ausschmückung beschäftigen,
anstatt mit den Gegenständen selbst. Aber da hat
man glücklicherweise die Architekten zur Verfügung,
und Schweden besitzt zur Zeit eine Generation
junger Architekten mit Feuer im Gemüt und Propor-
tionsempfindung im Auge, die alle Vorbedingungen
dafür zu erfüllen scheinen, veraltete kunstindu-
strielle Traditionen einer ersprießlichen Erneuerung
entgegenzuführen.
In der Industrie ist das Interesse sehr verschieden
für die verschiedenen Zweige. Wo man in neuester
Zeit bedeutende technische Fortschritte zu verzeich-
nen hat, wurden die alten Formen merklich unzeitge-
mäß, und die Sehnsucht nach Neuem kommt den Zie-
len der Ausstellung entgegen. So ist das Interesse
rege bei allen Erzeugern von Baumaterialien, archi-
tektonischen Einzelteilen und normalen Inneneinrich-
tungen von Gaststätten, Büros, Läden, Küchen, Bade-
zimmern. Ebenso verhält es sich mit den Herstellern
von Verkehrsmitteln, Lichtwerbegerät, Straßenaus-
rüstungen, Garteneinrichtungen, Beleuchtungsgegen
ständen aller Art und Musikinstrumenten.
Einige Industrien haben sich zwar technisch er-
neuert, es fällt ihnen aber nicht besonders schwer,
sich den überlieferten Mustern anzupassen. Dies
gilt für die Textilindustrie, die grafische Industrie
und die Tapetenfabrikation, wobei es sich also
hauptsächlich um Artikel für Flächendekorierung
handelt, die ja unglückseligerweise eine große
Fähigkeit hat, ohne Zusammenhang mit dem Material
zu gedeihen. Freilich sind in Schweden seit gerau-
mer Zeit Kräfte am Werke, um das Gefühl für das
Material zu stärken, aber solange noch zahlreiche
Künstler eigensinnig daheim in ihren Ateliers sitzen
bleiben und Textil in Skizzenbüchern zeichnen, ist
es schwierig, eine Neugeburt zustande zu bringen.
Wie weit es der Ausstellung gelingen wird, die Ent-
wicklung auf diesen Gebieten vorwärtszutreiben,
läßt sich vorläufig schwer voraussehen.
Schließlich muß gesagt werden, daß viele Indu-
strielle durch die häufig herausfordernde Moder-
nität des Funktionalismus abgeschreckt werden, die
ihm das Aussehen einer Modelaune gibt. Andere
wiederum, denen viel daran liegt, sich als „up to
date" zu erweisen, haben eine gewisse Vorliebe
gerade für die Übertreibungen, und das ist in man-
cher Hinsicht noch gefährlicher als das Mißtrauen,
das oft mit sachlichen Gründen überwunden werden
kann.
Zum Schluß ein paar Worte über das Äußere der
Ausstellung. Das Gelände liegt an beiden Ufern
einer Bucht, die sich zu einem Kanal verengt. An dem
einen Ufer entlang geht ein breiter Korso, an dem
die Ausstellungshallen stehen und dem sie ihre gro-
ßen Glasfenster zukehren wie Läden an einer Ge-
schäftsstraße. Am Ende dieses Korsos liegt der
Festplatz auf einer etwas tieferen Ebene, die man
auf breiten, niedrigen, etwa an eine Terrassenanlage
erinnernden Treppen erreicht. Auf der Treppe steht
ein fast 100 Meter hoher, seitlich gestützter Stahl-
mast. Ein wenig weiter entfernt liegt die Wohnungs-
abteilung mit Villen, Reihenhäusern und Mietswoh-
nungen in allen Bedarfsgattungen für verschiedene
Familiengrößen und Zahlungsfähigkeiten. Eine Klapp-
brücke führt zum anderen Ufer hinüber, wo eine
Krankenhaus- und Schulausstellung sowie verschie-
dene Restaurants liegen. An einem großen neuzeit-
lichen Vergnügungspark wird es natürlich auch nicht
fehlen. Auf dem Wasser wird man eine schwim-
mende Insel mit Restaurant und Tanzboden finden.
Auch ein Zeißplanetarium gehört zu den Attraktio-
nen. Man hat also das Wasser in das eigentliche
Ausstellungsgelände mit hineinbezogen, und von
dort aus wird sich dem Besucher der reichste und
festlichste Anblick bieten. Dadurch wird ein hoher
Schönheitswert für die Ausstellung geschaffen, die
auf diese Weise Stockholms Charakter als Wasser-
stadt bestens zum Ausdruck bringen wird.
Die Hallen werden selbstverständlich in modern-
stem Stil errichtet als einfachster und vom Stand-
punkt der Ausstellung denkbar wirksamster Rahmen
für die zur Schau gebrachten Gegenstände. Jeg-
liche museumsartige Feierlichkeit im Aufbau wird
vermieden, und alles ist darauf berechnet, die Aus-
stellung auf wirtschaftliche Grundlage zu stellen.
Hans Raben
529
Schöpfer sein, was leicht dazu führt, daß sie sich
nur mit dekorativer Ausschmückung beschäftigen,
anstatt mit den Gegenständen selbst. Aber da hat
man glücklicherweise die Architekten zur Verfügung,
und Schweden besitzt zur Zeit eine Generation
junger Architekten mit Feuer im Gemüt und Propor-
tionsempfindung im Auge, die alle Vorbedingungen
dafür zu erfüllen scheinen, veraltete kunstindu-
strielle Traditionen einer ersprießlichen Erneuerung
entgegenzuführen.
In der Industrie ist das Interesse sehr verschieden
für die verschiedenen Zweige. Wo man in neuester
Zeit bedeutende technische Fortschritte zu verzeich-
nen hat, wurden die alten Formen merklich unzeitge-
mäß, und die Sehnsucht nach Neuem kommt den Zie-
len der Ausstellung entgegen. So ist das Interesse
rege bei allen Erzeugern von Baumaterialien, archi-
tektonischen Einzelteilen und normalen Inneneinrich-
tungen von Gaststätten, Büros, Läden, Küchen, Bade-
zimmern. Ebenso verhält es sich mit den Herstellern
von Verkehrsmitteln, Lichtwerbegerät, Straßenaus-
rüstungen, Garteneinrichtungen, Beleuchtungsgegen
ständen aller Art und Musikinstrumenten.
Einige Industrien haben sich zwar technisch er-
neuert, es fällt ihnen aber nicht besonders schwer,
sich den überlieferten Mustern anzupassen. Dies
gilt für die Textilindustrie, die grafische Industrie
und die Tapetenfabrikation, wobei es sich also
hauptsächlich um Artikel für Flächendekorierung
handelt, die ja unglückseligerweise eine große
Fähigkeit hat, ohne Zusammenhang mit dem Material
zu gedeihen. Freilich sind in Schweden seit gerau-
mer Zeit Kräfte am Werke, um das Gefühl für das
Material zu stärken, aber solange noch zahlreiche
Künstler eigensinnig daheim in ihren Ateliers sitzen
bleiben und Textil in Skizzenbüchern zeichnen, ist
es schwierig, eine Neugeburt zustande zu bringen.
Wie weit es der Ausstellung gelingen wird, die Ent-
wicklung auf diesen Gebieten vorwärtszutreiben,
läßt sich vorläufig schwer voraussehen.
Schließlich muß gesagt werden, daß viele Indu-
strielle durch die häufig herausfordernde Moder-
nität des Funktionalismus abgeschreckt werden, die
ihm das Aussehen einer Modelaune gibt. Andere
wiederum, denen viel daran liegt, sich als „up to
date" zu erweisen, haben eine gewisse Vorliebe
gerade für die Übertreibungen, und das ist in man-
cher Hinsicht noch gefährlicher als das Mißtrauen,
das oft mit sachlichen Gründen überwunden werden
kann.
Zum Schluß ein paar Worte über das Äußere der
Ausstellung. Das Gelände liegt an beiden Ufern
einer Bucht, die sich zu einem Kanal verengt. An dem
einen Ufer entlang geht ein breiter Korso, an dem
die Ausstellungshallen stehen und dem sie ihre gro-
ßen Glasfenster zukehren wie Läden an einer Ge-
schäftsstraße. Am Ende dieses Korsos liegt der
Festplatz auf einer etwas tieferen Ebene, die man
auf breiten, niedrigen, etwa an eine Terrassenanlage
erinnernden Treppen erreicht. Auf der Treppe steht
ein fast 100 Meter hoher, seitlich gestützter Stahl-
mast. Ein wenig weiter entfernt liegt die Wohnungs-
abteilung mit Villen, Reihenhäusern und Mietswoh-
nungen in allen Bedarfsgattungen für verschiedene
Familiengrößen und Zahlungsfähigkeiten. Eine Klapp-
brücke führt zum anderen Ufer hinüber, wo eine
Krankenhaus- und Schulausstellung sowie verschie-
dene Restaurants liegen. An einem großen neuzeit-
lichen Vergnügungspark wird es natürlich auch nicht
fehlen. Auf dem Wasser wird man eine schwim-
mende Insel mit Restaurant und Tanzboden finden.
Auch ein Zeißplanetarium gehört zu den Attraktio-
nen. Man hat also das Wasser in das eigentliche
Ausstellungsgelände mit hineinbezogen, und von
dort aus wird sich dem Besucher der reichste und
festlichste Anblick bieten. Dadurch wird ein hoher
Schönheitswert für die Ausstellung geschaffen, die
auf diese Weise Stockholms Charakter als Wasser-
stadt bestens zum Ausdruck bringen wird.
Die Hallen werden selbstverständlich in modern-
stem Stil errichtet als einfachster und vom Stand-
punkt der Ausstellung denkbar wirksamster Rahmen
für die zur Schau gebrachten Gegenstände. Jeg-
liche museumsartige Feierlichkeit im Aufbau wird
vermieden, und alles ist darauf berechnet, die Aus-
stellung auf wirtschaftliche Grundlage zu stellen.
Hans Raben
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