Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0665
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Doesburg, Theo van: Das Buch und seine Gestaltung
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So wie in der Malerei der Fauvismus über-
wunden ist, so ist auch in der Buchgestaltung die
dynamische ordnungslose Typografie überwun-
den. Nur für eine sehr kurze Zeit war sie leben-
dig, berechtigt und echt, aber dabei wurde das
Buch vergewaltigt, es wurde mit einem Maulkorb
versehen und von der Werbe-Pest angesteckt.
Die Fotomontage, die „Surimpression", die Ent-
proportionierung wurden zu Lockmitteln für
Reiselektüre und Handschuhreklame.
Das Buch, auch in moderner Gestalt, beäng-
stigt den Bürger nicht mehr, er hat sich an die
Streifen, Punkte und Balken gewöhnt und in
seinem Klubsessel mit jeder geistigen Revolution
ausgesöhnt. Und wir, werden wir zur klassischen
Automatik zurückkehren? Nein, wir zerlegen das
Buch in seine Elemente und schaffen ihm eine
neue Gestalt.
Das Buch ist kein Bild.
Das Bild ist ein Kunstwerk, das heißt die opti-
sche Manifestation des Geistes. Das Buch da-
gegen e n t h ä 11 ein Kunstwerk: das Literarische.
Die literarische oder dichterische Tiefe ist ver-
borgen hinter der Oberfläche: Satz, Typografie,
Einband. Ob das Buch schlecht, automatisch
oder gut gedruckt ist, ändert an dem Literari-
schen im wesentlichen gar nichts, denn das Lite-
rarische oder Dichterische ist vollständig ab-
strakt. Ein schlechtes Buch wird nicht besser,
wenn es auch noch so schön mit vielen Streifen,
Stäben und Punkten aufgemacht wird. Es bleibt
ein schlechtes Buch.
Das Buch wird gelesen, und zwar von links
nach rechts und von oben nach unten, die eine
Zeile nach der anderen. Aber gleichzeitig wird es
gesehen, die ganze Seite auf einmal. Durch
diesen gleichzeitigen Vorgang (akustisch-optisch)
hat sich das moderne Buch um eine neue „pla-
stische" Dimension bereichert. Der alte Satz-
aufbau war passiv und frontal, während der
moderne Satzaufbau aktiv und raumzeitlich ist.
Das moderne Buch hat aufgehört nur ein kino-
matografischer Ablauf von verschiedenen Vor-
gängen zu sein. An Stelle der „Dauer" ist die
„Intensität" getreten und der Intensität wegen
fordern wir eine typografische Unterstützung des
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wunden ist, so ist auch in der Buchgestaltung die
dynamische ordnungslose Typografie überwun-
den. Nur für eine sehr kurze Zeit war sie leben-
dig, berechtigt und echt, aber dabei wurde das
Buch vergewaltigt, es wurde mit einem Maulkorb
versehen und von der Werbe-Pest angesteckt.
Die Fotomontage, die „Surimpression", die Ent-
proportionierung wurden zu Lockmitteln für
Reiselektüre und Handschuhreklame.
Das Buch, auch in moderner Gestalt, beäng-
stigt den Bürger nicht mehr, er hat sich an die
Streifen, Punkte und Balken gewöhnt und in
seinem Klubsessel mit jeder geistigen Revolution
ausgesöhnt. Und wir, werden wir zur klassischen
Automatik zurückkehren? Nein, wir zerlegen das
Buch in seine Elemente und schaffen ihm eine
neue Gestalt.
Das Buch ist kein Bild.
Das Bild ist ein Kunstwerk, das heißt die opti-
sche Manifestation des Geistes. Das Buch da-
gegen e n t h ä 11 ein Kunstwerk: das Literarische.
Die literarische oder dichterische Tiefe ist ver-
borgen hinter der Oberfläche: Satz, Typografie,
Einband. Ob das Buch schlecht, automatisch
oder gut gedruckt ist, ändert an dem Literari-
schen im wesentlichen gar nichts, denn das Lite-
rarische oder Dichterische ist vollständig ab-
strakt. Ein schlechtes Buch wird nicht besser,
wenn es auch noch so schön mit vielen Streifen,
Stäben und Punkten aufgemacht wird. Es bleibt
ein schlechtes Buch.
Das Buch wird gelesen, und zwar von links
nach rechts und von oben nach unten, die eine
Zeile nach der anderen. Aber gleichzeitig wird es
gesehen, die ganze Seite auf einmal. Durch
diesen gleichzeitigen Vorgang (akustisch-optisch)
hat sich das moderne Buch um eine neue „pla-
stische" Dimension bereichert. Der alte Satz-
aufbau war passiv und frontal, während der
moderne Satzaufbau aktiv und raumzeitlich ist.
Das moderne Buch hat aufgehört nur ein kino-
matografischer Ablauf von verschiedenen Vor-
gängen zu sein. An Stelle der „Dauer" ist die
„Intensität" getreten und der Intensität wegen
fordern wir eine typografische Unterstützung des
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