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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Villon, Pierre: Das Plakat in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0680

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Plakat

Entwurf Loupot

mit anspruchsvollen Gemälden den Schönheitssinn,
mit schlechten Witzen den Geist des Passanten
kitzeln wollen. Doch die Psychologie der Reklame
kennt keine Kompromisse, und die Umsatzziffer einer
Industrie, die Bilanz einer Gesellschaft verbessert
sich mit gutgeführten Reklamefeldzügen, welche aus
den Erkenntnissen dieser Psychologie die Leitge-
danken ihrer Taktik entnommen haben.

Die Laboratoriumsexperimente der neuen Malerei
gaben, ohne mit dieser Absicht gemacht zu sein,
dem Plakat Mittel in die Hand, die gerade dieser
Psychologie entsprechen. — Die Fotografie hatte
die bildende Kunst der Verpflichtung die Natur nach-
zubilden enthoben. Deshalb suchte sie die zum
Symbol vereinfachte Form der Dinge wiederzugeben
oder sogar durch die alleinige Beziehung von geome-
trischen Flächen und von Farbwerten zueinander,
ohne Zuhilfenahme gegenständlicher Assoziationen,
Empfindungen im Beschauer auszulösen. — Die Be-
freiung der Farbharmonie von der Naturabhängig-
keit hatte sich das Plakat schon vorher aus seinen
eigenen Gesetzen abgeleitet. Capiello malte schon
grüne Pferde auf rotem Grund. Erst A. M. Cassandre
und Jean Carlu wußten aus dem Plakat ein „Ideo-
gramm" zu machen und durch eine straffe geome-
trische Komposition seine Wirkung auf die Spitze
zu treiben.

Das so aus der Befolgung eines eindeutig ge-
stellten Programms hervorgegangene Plakat, das
die Mittel der „L'art pour I'arf'-Malerei zu seinen
Zwecken benützt, hat sich in Frankreich durchge-
setzt. Während aber diese nur von einer kleinen
Zahl von Eingeweihten gekostet wird, weil sie längst

die Beziehung zur großen Masse verloren hatr
sprechen die Plakate von Colin und Loupot, von
Cassandre und Carlu täglich zu Millionen von Men-
schen. Sie sind die anerkannten Qualitätsprodukte
eines lebensverwachsenen, nicht künstlich gezüch-
teten, Gestaltungsgebietes so wie der Jazz eines
Jack Hylton, wie die Filme eines Chaplin, wie die
Betonbauten eines Freyssinet Qualitätsprodukte
anderer unsteriler Gebiete sind.

Lange Gespräche mit den Schöpfern dieser
Plakate, insbesondere mit dem klugen und überaus
feinempfindenden Jean Carlu haben mir gezeigt, daß
sie selber die Rolle erkannt haben, welche ihnen zu-
kommt. Sie wissen, wie sehr das Zweckdienliche,
das Reklamemäßige ihrer Werbetafeln das Wesent-
liche des Ausdrucks derselben, ihres künstlerischen
Gehaltes also, ausmacht; daß nicht etwa umgekehrt
die Kunst nur am Zweckhaften „angewandt" ist.

Roger Ginsburger, Paris

Plakat

Entwurf Cassandre

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