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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 1
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Rapsilber, M.: Aus den Berliner Kunstsalons
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Nr. f

Die Aun st-Halle.

und koloristischen Finessen des Iaxonismus zu be-
wundern sind, und eine weitere Sammlung von
Zeichnungen des Parisers M. Dechomas etwa in der
Art eines Daumier, aber ohne dessen genialen Zug und
ohne daß irgend ein Anlaß zu ergründen wäre, wes-
halb man derartig nichtssagendes Zeug nach Berlin
importirt hat. Recht erfreulich aber berührt eine Reihe
von Gemälden des Münchner Dunkelmalers Benno
Becker, der sich allmählich aus dem ehedem beliebten
nächtlichen Schwarzblau in ein elegisches Graugrün
und in reindekorative Allüren, die gegenwärtig in
München das Neueste vom Neuen sind, hineingearbeitet
hat. Das Kloster auf dem Berge, die Abendruhe über
den stillen Weihern, die Einsamkeit in abgelegenen
Thälern und ein Idyll am Flußufer sind die Motive,
die Becker, im Toskanischen erspäht und die er mit
einer Staffage von Zypressen und Silberpappeln
stimmungsvoll gehoben hat.
Auch im Salon A. Wertheim sind die Münchener
reichlich vertreten. Am bedeutsamsten der Landschafts-
maler Fritz Rabending, der in Südtirol am Mandron-
gletscher, im Eisackthal und auf dem Schiern, an Wild-
bächen und auf Waldwieseu die gewaltige Felsarchitektur
des Hochgebirges mit starker und kühner Faust ge-
meistert hat. Dazu gesellt sich der radikale Sezessionist
N. Schramm-Zittau mit eiuer schönen und warmgetönten
Abendlandschaft und einem Hühncrhof, wie er deren
schon viele gemalt hat, um das Spiel der Sonnenlichter
an bunten Hahnenfedern zu erhaschen. Es scheint, als
ob der Künstler aus einem ungebärdigen Farbengewühl
mehr und mehr zu fester Zeichnung und Gestaltung
überlenken wolle, was seinem virtuosen Kolorismus
gewiß nicht Abbruch thun wird. Des Ferneren sehen
wir bei Wertheim ein prächtiges Stillleben von frisch
vom Baum gefallenen Kastanien von der Wienerin
Olga Wiesinger-Florian und eine Anzahl von getüpfelten
und gesprenkelten Landschaften von Hans Tichy nach
der bekannten französischen Art der Luministen, aber in
einer schwächlichen und temperamentlosen Nachahmung.
Ueberhaupt dominirt im Salon Wertheim nach wie vor
dieser sezessionistisch hingewühlte Kitsch und die Schmier-
skizze nicht sehr talentvoller Anfänger. Man sollte
meinen, daß Derartiges längst veraltet und zum Sterben
langweilig geworden wäre, aber immer wieder werden
solche Sezessionstalente entdeckt und mit breitem Be-
hagen vorgebändigt.
Die September-Ausstellung im Salon Schulte
war vor Allem bemerkeuswerth durch das Debüt einer
tschechischen Künstlergruppe „Manes", so benannt
nach dem Nationalheiligen und Maler Manes, der vor
drei und mehr Jahrzehnten in Prag gewirkt hat. Ganz
augenscheinlich wollen die Herren Tschechen Hussiten-
Farbe bekennen, indem sie den Manen ihres viellieben
Manes Weihrauch streuen, aber vorläufig ist ihnen
das Autochthone, das Bodenwüchsige und Nationale
noch nicht recht geläufig, insofern sie an ihren pariser
und Münchener Vorbildern kleben. Nur dem Ioza
Hopka gelingt es, in einer farbenschreienden Kirmes
und in einer ebenso grellen Frohnleichnam-Prozession
so fremdartige Bilder zu schaffen, daß man ihm willig
den Ruhm reinen Tschechenthums zuerkennt. Aber
Hopka, der im Uebrigen unter dem Einfluß der wiener
Schule steht, ist bei Weitem nicht der bedeutendste
Künstler der Gruppe. Das ist vielmehr Anton Slavicek,
ein schön gereistes Talent der Landschaftsmalerei.
Seine Bilder, ein spiegelndes Wasser am Ouai, eine
bewegte Stimmung über rothen Dächern und ein alter
Klosterhof, zeigen eine Schulung, die ebenso auf
München, wie auf Paris hinweist. Angenehm berühren

auch die Porträt-Aquarelle in Illustratoren-Manier des
des Max Svabinsky. Sonst wäre über die Manes-
Maler, die sich erfreulicher weise nicht als Chauvinisten
gebärden, sondern auch deutschen Gästen ihre Pforten
öffnen, nichts weiter zu sagen. — Dem Herkommen
gemäß bietet die erste Herbstausstellung bei Schulte
eine Reihe von Werken aus den pariser Salons, durch-
weg feine und saubere Arbeiten, die allerdings mehr
von dem guten Geschmack als von der Genialität ihrer
Urheber Zeugniß ablegen. Aucb in Paris ist dafür
gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
— Da noch andere Ausländer vertreten sind, wie der
Norweger Thorolf Holmboe, der Holländer Ferdinand
Hart Nibbrig, der Franzose Renö Seyssaud und der
Spanier Ramon Garrido, so bleibt für die Deutschen
nur ein kleiner Spielraum übrig. Der Hamburger
Carl Albrecht erfreut mit zwei meisterlichen Stillleben,
und wie ein Gruß aus dem Jenseits berührt eine kleine
Sammlung von Arbeiten des kürzlich in Frankfurt ver-
storbenen Genremalers Otto Scholderer, der ein Zeit-
und Studiengenosse von Victor Müller gewesen ist.
Die Hauptwerke Scholderer's datiren aus den sechziger
und siebziger Jahren und zeigen daher eine farbensatte
und glatte Schönheit und jenen Idealismus, der sich
mit Vorliebe im Renaissancestil kostümirte, wie zu er-
sehen ist an dem weltbekannten Bilde der verhallenden
Akkorde.
Im Salon von Keller u. Reiner endlich ist eine
Reihe von Gemälden und Studien des Deutschrussen
Sascha Schneider zur Ausstellung gelangt, wären die
Bilder, namentlich das achttheilige Riesentableau „Um
die Wahrheit", noch nirgends gezeigt, so hätten wir
hier eine starke Sensation zu gewärtigen, ähnlich wie
vor acht Jahren, als der Künstler mit seinen mosko-
vitisch-fremdartigen Kartons auftauchte. Mittlerweile
hat sich Sascha Schneider zu einem Nietzsche-Apostel
entwickelt in seinen kühnen, nicht immer verständlichen
Gedankenmalereien und philosophisch gefärbten Phanta-
sien, in denen sich Größe und Kraft mit bizarrer Laune
und gesuchter Pose wunderlich mischen. Ls ist nicht
leicht, eine Formel zu findeu für den eigenartigen und
eigensinnigen Künstler, der ein bedeutender Zeichner
ist und ohne Zweifel auch den weg zum großen Maler
finden wird. Neu ist unter den fünf Gemälden nur
der Eros, der, im goldgelben Lichte stehend, vor einem
Felde von blühenden Königskerzen die Hände wie ein
antiker Beter und Bekenner erhebt. Malerisch am
höchsten steht aber wohl das Bild, das einen „hohen
Sinn" zu vergegenständlichen bestrebt ist. In seltsamer
Pose, das eine Bein und die eine Schulter mit einem
violetten Laken drapirt, lehnt sich der rothhaarige
Uebermensch an die Altanbalustrade seines Palastes,
mehr ein Komödiant, als ein Held. Und nun thut sich
vor ihm die Herrlichkeit der Welt auf. Tief unten der
Rivierafelsen mit dem Schloß am sonnenblauen, lachen-
den Meer, dahinter das grandiose Hochgebirge und
darüber wieder eine gigantische Wolkenburg. Diese
idealististische Staffel ist wirklich großartig und hin-
reißend schön das Land und das Meer und die Sonne
und der Hochflug der Gedanken, der hier Form fassen
will.
M. Rapsilber.
 
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