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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 6
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Rapsilber, M.: Von Berliner Kunst
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88 Die Kunst-Halle. Nr. 6

Zuge, ein Bild, das als Bühnenhintergrund gewiß
einen großartig-vornehmen Effekt machen würde. Unter
den hochgestelzten Bäumen duckt sich das Dorf in Er-
wartung des Unwetters, wie ein banges Kaninchen
unter den Tatzen des Würgers. Alles ist ins Groß-
mächtige gereckt und schnurgerade schießt die schwarz-
graue Wolkenmasse in die Tiefe. Oben aber öffnet
sich ein Lichtthor, als ob ein Rembrandt-Engel hervor-
treten solle, um den Dörflern die frohe Botschaft zu
verkünden. Gewiß steckt Rasse und malerischer Elan in
dieser Rkünchnerei, aber es ist eine Kunst, die hart an
Abgrunds Rand wandelt.
Der Bildhauer Fritz Heinemann hat neuerdings
die reiche Entfaltung seines Schaffens in einer Atelier-
ausstellung zur Anschauung gebracht. Der Künstler
hat als Holzbildhauer begonnen und als solcher eine
vortreffliche Schulung für die ideale Plastik gehabt.
Die dekorativ stilisirende Note ist beim Bildhauer sicher-
lich nie vom Uebel. Zn diesem Sinne schuf Heinemann
fein empfundene Grabdenkmäler, die zu den besten
unserer Tage gehören. Die attische Stele, die spät-
griechisch-römische Urne und der elegisch zarte Genius,
der im Empire wieder auflebte, waren vornehmlich die
Motive, die er zu neuem Leben erweckte. An Rathhaus-
bauten hatte er Gelegenheit, den dekorativen Monu-
mentalstil zu üben, und von da ging er zum freien
Denkmal über. Sein Kaiserdenkmal für Schneidemühl
athmet eine schlichte würde, weniger gelungen finde
ich dagegen ein Bismarck-Denkmal, weil er hier fast
ängstlich den dekorativen Schwung bei Seite that, ob-
wohl doch eine gewisse heroische Stilisirung gerade bei
der Bismarck-Figur den Kürassierstiefel-Naturalismus
zu überwinden trachten sollte. Zn jüngster Zeit lieferte
Heinemann für das Rlelanchthon-Haus in Bretten drei
Reformatoren - StandbilSer in der vorgeschriebenen
pastoral-feierlichen Haltung und von persönlicher Eigen-
art zugleich. Daneben laufen Porträtbildwerke, Kinder-
bildnisse von holder Znnigkeit, Frauenbüsten von poly-
chromer Noblesse und die Krone seiner Schöpfungen,
die feindurchgeistigte Büste des Geheimrath Orth. Nun
aber leitet das überlebensgroße Bronzebildwerk eines
„Kain" eine neue Phase in der Entwicklung des
Künstlers ein. wenn sich die Vollkraft eines hoch-
gemuthen Künstlerlebens spannt und strafft, dann taucht
als Höchstes und Letztes das Zdeal der großgeistigen,
der monumentalen Form am Horizont der Meisterschaft
auf. Zm „Kain" erstrebte Heinemann diesen großen
Wurf und meisterte ihn auch in der oorwärtsstürmen-
wucht des vom Gottesfluch getroffenen Urmenschen.
Ls ist der Moment dargestellt, wo dem Niesen die
Kräfte zu erlahmen beginnen, wo die Kniee angst-
bebend einsinken, wo die Hand verzweiflungsvoll an
die hochpulsenden Schläfen greift und das stiere Ent-
setzen bestialisch aus den Augen bricht. Dabei aber ist
doch ein gewisses Maß gewahrt, eben das Maß der
Formenschönheit, die sich rundet und ebnet zur statuarischen
Gemessenheit und zu jener würde, die dem plastischen
Kunstwerk vornehmlich eigen ist oder sein sollte. Es
ist erfreulich, daß der Künstler sich von dem outrirten
Zmpressionismus der modernen Plastik nicht hat ein-
fangen lassen. Dazu gesellt sich als neueste Arbeit der
Entwurf eines Monumentalbrunnens für den Steinplatz
in Tharlottenburg. Begreiflicher weise ist der Brunnen
zur Hochschule für die bildenden Künste, welche den
Platz beherrscht, in Beziehung gesetzt. Auf dem ragen-
den Postament erblicken wir, getragen von einem die
Künste rexräsentirenden Puttenfries, die feierliche Ge-
stalt der Pallas Athene, eine Viktoria in der ausge-
streckten Rechten haltend. Der feinfaltige Mantel der

Göttin ist mit einem archaistischen Anflug stilisirt, und
zwar so eigenartig, daß sich von allen Seiten eine
interessant ausgestaltete Silhouette ergiebt. Der Sockel
ladet zu beiden Seiten in langgestreckten Wangen aus,
welche zwei Gruppen von Hippokamp und Nereide
tragen, in zärtlicher Eintracht und in humorvoll er-
faßtem widerstreben die Harmonie und Disharmonie
der Naturgewalten symbolisirend. Dieser Brunnen,
dessen Architektur von Bernhard Schaede entworfen
ist, kennzeichnet sich als eine glückliche Lösung der ge-
stellten Aufgabe.
Ein neues Glasgemälde von Melchior Lechter,
das erst in diesen Tagen fertig gestellt worden, dazu
von demselben Meister eine Reihe von Landschafts-
pastellen, italienische Frühlingseindrücke aus San
Gimignano und Siena, die gleichfalls ein Lrzeugniß
des laufenden Zahres sind, werden gegenwärtig im
Salon von Keller u. Reiner gezeigt. Daß Lechter
gerade in Siena neue Anregungen suchte und fand, ist
aus seiner ganzen Art wohl begreiflich. Das Eigen-
artige an den zarten Frühlingsbildern ist nun aber,
daß der Künstler mit naiven Sinnen die toskanische
Holdseligkeit und Maienschöne erschaute, ohne in sie
die Tiefe seiner Gedanken Hineinzugeheimnissen oder
sie in das mystische Dämmerlicht zu verklären. Lechter
hat die reine Natur abgeschrieben, allerdings nicht die
profane Natur schlechtweg, sondern die Natur in ihrem
bräutlichen Zauber, wie er sich dem tiefen Künstler-
gemüth allein offenbart. San Gimignano ist ein altes
Bergnest, das weit ab von der großen Heerstraße ver-
wunschen ist und nun wie ein Märchen aus den Tagen
Barbarossa's anmuthet, so ursprünglich erhalten sind
die gewaltigen, cyklopischen Bollwerke, die Kirchen,
Plätze und Straßen sammt der landschaftlichen Um-
gebung, die eine stille Größe und vornehme Herrlichkeit
athmet. Und ähnlich ist es mit der hochgethürmten
Siena. Die archaistische Znnigkeit und knospende
Frühreife der Kunst dieser gebenedeiten Stadt wirft
einen Abglanz auf Lechter's Pastelle, die auch so still,
so weich, so zart empfunden und heimlichen Zubilirens
voll sind über die Maienpracht des glückseligen Toskana.
Das Glasgemälde ist für einen Musiksalon bestimmt
und das Motiv nennt der Künstler: „Ritter Keuschheit".
Die Farbenskizze dazu stammt schon aus dem Zahr s8s>7,
der Karton entstand im vorigen Zahre, er ist gleichfalls
ausgestellt, um dem kundigen Auge darzuthun, mit
welch' einem technischen Ernst Lechter arbeitet, um aus
dem gegebenen Material an sich die höchste Wirkens-
kraft zu entwickeln. Die Znschrift: „Mit der Schönheit
feierlicher Krone schmücke ich deine Zugend" deutet
den Sinn der Darstellung aus. Der gepanzerte und
im Prunkmantel prangende Ritter, mit dem Rosenkranz
um das Haupt, setzt der züchtig geneigten und an-
dächtig erschauernden Zungfrau, die in nackter Glorie
und im Schmuck des langwallenden Blondhaars aus
dem Rosengehege hervorgetreten, die Krone auf das
Haupt und den Weihespruch bekräftigt des Ritters er-
hobene Hand. Eine ekstatische Farbenpracht erforderte
der feierlich stilisirte Gedanke. Die beiden Gestalten
stehen auf einem tieffunkelnden Blau, das aller Ge-
heimnisse Born zu sein scheint. Der Goldglanz der
Rüstung, die rothe Blumenbordüre auf dem Nitter-
mantel stehen dem keuschen Schimmer der Zungfrau
entgegen, vermitteln den Uebergang aus dem Tiefblau
zu dem Znkarnatglanz, dem höchsten Ton, in welchem
das leuchtende Leben des Glasgemäldes gipfelt und
gipfelnd sich vergeistigt. Aus dem Blau steigen knorrig
verästelte Rosenranken empor, die in der Höhle hinter
der Fialenreihe in einem Gluthfeuer von rothen Rosen-
 
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