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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 17
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Rapsilber, M.: IX. Ausstellung der Berliner Sezession
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Nr. f?

Die Run st-Halle.

265

einer allgemeinen und charaktervollen Erscheinung,
zu einer im Ort tiefeinwurzelnden Kunst und zu einem
ausgesprochenen Münchner Stil. Dasselbe Grund-
gesetz im Kunstschaffen sehen wir auch in Düssel-
dorf, in Karlsruhe, Weimar, Dresden und wo es sonst
Brennpunkte der Kunst giebt, herrlich bewahrheitet.
Line Berliner Kunst giebt es aber nicht. Nur in den
tiefsten Schichten des Schaffens, in der Legion der
Namenlosen giebt es eine Gemeinsamkeit, die einen
Stil zu bedingen pflegt. Aber davon müssen wir hier
absehen. Die Großstadt, die den Verkehr Aller mit
Allen unmöglich macht, ist kein Hinderungsgrund für
eine ortswüchsige Kunst. Denn in Paris, in London,
in Wien haben wir wohl einen scharfgeprägten Stil.
Das was sich als Berliner Kunst ausgiebt, ist ein
Konglomerat, ein Mischmasch ohne die chemischen Ver-
bindungen eines ins Allgemeine und Große wirkenden
Geistes. Demnach scheint Berlin immer noch ein un-
artikulirtes Gemeinwesen zu sein. Die in Berlin wirken-
den Künstler lieben Berlin nicht, sind nicht stolz darauf,
hier wirken und schaffen und die wohlthaten der auf-
strebenden Millionenstadt genießen zu dürfen. Die
meisten der Zuziehenden kommen sozusagen als Frei-
beuter, als Marktschreier, als Aventuriers, um ihre
Fortune zu machen und dann lachend heimzukehren an
den Ort heimatlichen Behagens und dort den Profit
in Muße zu verschmausen. Aber so etwas pflegt sich
bitter zu rächen. Der herbe und spröde Otzuin8 loei
in Berlin hat eine grausame Freude daran, den In-
dustrierittern der Kunst das Genick zu brechen. Rasend
schnell entarten hier jene Halbtalente, die in anderen
Kunststädten, von der Gemeinsamkeit getragen, sich auf
einer anständigen Höhe dauernd halten würden. Ze
mehr sie aber des Fluches der Unfruchtbarkeit inne
werden, um so marktschreierischer gebärden sie sich, um
so frivoler kitzeln sie die perversen Neigungen des groß-
städtischen Zigeunerpacks und um so mehr versuchen sie
durch Rohheit und Unfläthigkeit die Köpfe der Affen
und Laffen Zu umnebeln. Das ist aber immer der An-
fang vom Ende. Auch die Sezession als solche trifft
der Vorwurf, daß sie eine ausgffxrochene Berliner Kunst
nicht gefördert, sogar die sich etwa zeigenden Ansätze
im Keim erstickt hat. Die Berliner Sezession, wie sie
sich nachgerade entwickelt hat, ist ein Zufallskonglomerat.
Als Ganzes hat sie gar keine Bedeutung. Ihr Ruhm
und Glanz hängt lediglich an den Leistungen von fünf
oder sechs Künstlern. Offenbaren sich diese Meister und
Matadore in all ihrem Glanze, nun gut, dann mag die
Freude in Israel groß sein, dann wird man vor der
Sezession in aller Ehrerbietung den Hut abziehen,
wenn aber, wie in diesem Jahre, diese Matadore
gerade versagen und halbwüchsigen Kitsch zur Strecke
bringen, o weh, dann müssen eben die Münchner, die
Karlsruher, die Dänen begütigend ihren Mantel über
die Berliner Pleite breiten und die Kosten der Aus-
stellung tragen. Und das thun sie auch und weil wirk-
lich gute Sachen von auswärts eingeliefert sind, ver-
fehlt die Ausstellung ihren Zweck nicht. Das Manko
der Berliner schreibt sich wohl daher, daß sie ihre
Kräfte zersplittert haben. Zn diesem Sommer sind in
Deutschland nicht weniger als sechs große Ausstellungen
veranstaltet, vornehmlich aber haben sich die wieder
vereinten und versöhnten Sezessionen zu einer großen
Demonstration in München verabredet und wir wollen
daher annehmen, daß die Berliner mit ihren besten
Arbeiten nach dem Süden gravitiren.
will man der heurigen Berliner Sezession die beste
Seite abgewinnen, so schaue man sich nicht zuerst die
Malereien, sondern die Bildwerke an, denn da finden

sich drei Skulpturen von hohem, wohl gar erstem Rang.
Zn der Eingangshalle steht der Bogenspatmer von
Nicolaus Friedrich. Vor sich hat der herkulisch gebaute
Mann das Bogenholz auf dem Boden stehen und nun
legt er sich mit der ganzen Wucht seines Körpers in
die Kurve und dabei spielen alle Kräfte und Muskula-
turen und Schönheiten des Mannesleibes. Dann treffen
wir zwei Büsten von Max Kruse, in welchen sich ein
Höhepunkt deutscher Kunst offenbart. Das unendlich
komplizirte Leben des modernen Menschen hat der
Künstler in die Marmorbüste des Neichsbankpräsidenten
Vr. Koch und noch mehr in die Holzbüste des Schrift-
stellers Friedrich Dernburg hineingearbeitet. Namentlich
das letztere Kunstwerk löst die gestellte Aufgabe in einer
kühnen und verblüffenden Art. Der Dargestellte wirft
den Kopf hoch auf, schließt die zwinkernden Augen, und
nun vermeinen wir auf den lächelnd vibrirenden Lippen
ein Bonmot, eine geistreiche Definition tanzen und
tänzeln zu sehen. So aus eigenstem Wesen heraus und
so mit eigensten Mitteln ist seit Langem bei uns keine
Persönlichkeit künstlerisch gestaltet worden. Da haben
wir, was noch niemals dargestellt ist, in höherem Sinne
die Personifikation und ein Symbol des modernen
Feuilletons und die reine Inkarnation des modernen
Feuilletonisten. Gegen diese Büste kommt keine der
Berliner Malereien auf und ich wüßte auch nicht, daß
irgend eine als That zu feiern wäre, so gern ich das
thäte. Diesmal sind es merkwürdiger weise nicht die
Herren und Meister, die im h ohen Rath der Ausstellungs-
leitung sitzen, sondern mehr die Maler, so sich in zweiter
Ordnung bescheiden, an deren Werken eine gewisse
Schauensfreude aufkommt. Lin großes, auf das sorg-
fältigste studirtes Bild eines nächtlich funkelnden Berliner
Nangierbahnhofes von Baluschek, das ebenso große
und ehrlich durchgeführte Gemälde einer Rieseneiche
in Hochsommergluthen, durch deren Geäst die Sonnen-
strahlen als prismatisch gleißende Elfen spielen, machen
sich am meisten und wohlthuendsten bemerkbar. Heile-
mann, König und Lepsius erfreuen die Augen mit
sympathischen Bildnissen. Die blühende Hallig von
Alberts, ein Interieur von Heinrich Hübner, ein Strom-
bild von Ulrich Hübner, eine Schneelandschaft von
Moll heben sich des weiteren hervor als Leistungen,
die nicht allein an die Zigeunernerven appelliren wollen.
Aber auch das sind nur Bilder wie andere Bilder, die
sich zu Dutzenden aus dem Schwall der großen Berliner
Ausstellung herausfischen ließen. Von den Künstlern
der ersten Ordnung haben Gaul und Tuaillon über-
haupt nichts gebracht, Klimsch eine mäßige Büste,
L. v. Hofmann zwei ärmliche Skizzen und da diese gar
zu nichtssagend und trübselig dreinschauen noch eins
seiner holden und süßen Idylle älteren Datums, das
von Berliner Ausstellungen her schon bekannt ist.
Leistikow zeigt peinige Landschaften, die nicht zu den
charakteristischen oder koloristischen oder geistreichen ge-
hören. Corinth gar hat sich diesmal geradezu ver-
hauen auf einer schmierselig uninteressanten und schauer-
lich rohen Grablegung, insofern dem langen Oberkörper
des Todten winzig kleine Beinstümpfchen aus Platz-
mangel anhängen, denn da, wo die Beine sich entwickeln
sollten, hört die Leinwand plötzlich auf und zu einer
Zeichnung in der Verkürzung scheint das Können eines
Corinth nicht auszureichen. Am mangelnden Können
scheiterte auch Slevogt beim Bildniß einer exotischen
Kabarettänzerin. Wohl sticht der gelbblaue Farbenxlatz
der Malerei gewaltig in die Augen, aber des weiteren,
als es galt die Grazie der Bewegungen, die schöne
Linie des Halses, die feine Form von Arm und Hals
und die wollüstige Weichheit des dekolletirten Fleisches
 
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