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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 19
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Neumann, Ernst: Was die Kunst in Paris sagt
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Die A u n st - H a ll e

Nr.

29 s

schriften zu erkennen. Zwei sitzende Männer, beides
harte, knochenschwere Gesellen, Rodin's Figur reales,
in Lrz gegossenes Leben, Meunier's Gestalt dagegen
vergeistigtes Leben eines durch monotone Arbeit ver-
bildeten Körpers, uns mit heiliger Ehrfurcht erfüllend.
Zwei entgegengesetzte Prinzipien finden hier einen
wunderbar vollendeten Ausdruck. Rodin nennt sein
Werk „der Denker" und erreicht die Wirkung der
realsten Menschlichkeit. Der Mann springt im nächsten
Augenblick aus, dann wehe den Andern, die ihm den
Weg versperren. Meunier's modern klassischer Geist
stellt uns einem seiner Bergleute gegenüber, deren
Züge uns wie gehärteter Stahl ansprechen. Dieser
Mann wird ruhig und lange fitzen und an unseren
Gedanken theilnehmen, er ist „die Arbeit" selbst.
Und die Gemälde? — Um uns in dieser Bilder-
stadt nicht rettungslos zu verlaufen, treten wir zunächst
einen Drientierungsmarsch an. Der Katalog erschreckt
uns, 263^ Nummern, mein Gott. s32^ Gemälde,
300 Dessins an Aquarellen, Pastellen und Miniaturen,
300 Skulpturen, 200 Gravuren, fOO Architekturen und
stOO Nummern der Sektion cleeoi'S-bik et Obfets
Nachdem wir treppauf, treppab über Gallerten
und durch Säle gesteuert sind und hier und da genippt
haben, suchen wir uns an einem stillen Ort zu fassen,
denn die Ausstellung ist gut besucht. Da giebt es
Bilder aus jedem Zeitalter, aus jeder Schule, bis hin
zur Schule der Ungeschulten. Da giebt es Rembrandts,
Velasquezs, Ribots, Präraphaeliten und Naphaeliten,
die mehr oder weniger überlebten französischen Akade-
miker in großer Zahl. Dann kommen die modernen
Isten, pleinair-, Point-, Impression- und Allegoristen,
viel moderne Landschaft in überbunten Farben, viele
Porträts aller Schulen und riesengroße Fassaden-
gemälde als beliebte Theatercoups. Ts ist ein Tohu-
wabohu von allem, was dem Maler unter den pinsel
kommen kann, nicht zu vergessen die Schönmalerei.
Hier giebt es rothes, gelbes blaues, grünes und
violettes Fleisch — Spektralfleisch und Alles hat rothe
Haare. Die Frauendarstellung in jeder Form ist vor-
herrschend und der Mann tritt, um mit Grabbe zu
reden, im Malerschauspiel nur als Karikatur auf. Von
männlichen Porträts rettet eigentlich nur ein Bild von
Sarge nt die Ehre unseres Geschlechts, aber er rettet
sie. Ts ist das Porträt des Lord Ribblesdale in
doppelter Lebensgröße. Hier steht ein Mann in ein-
fachem dunklem Neükostüm, mit seinem so vornehmen,
feinen und lebhaften Gesichtsausdruck, in der ganzen
Ruhe des Weltmanns vor einem einfachen unbemerk-
baren Hintergrund. Ts scheint, daß der Künstler diesen
Genleman höflichst gebeten hat, sich einen Moment auf
diesen Platz der Oeffentlichkeit zu stellen. Mit einem
unsichtbaren ironischen Zug in Ausdruck und Haltung
folgt Lord Ribblesdale dieser ehrenvollen Aufforderung,
doch schon zeigt die Art, wie er lässig die Reitpeitsche
in der herabhängenden Linken hält, den nervösen
Wunsch, nicht länger, als auch nur eine Sekunde diesen
Platz einnehmen zu wollen. So hat der Künstler es
verstanden, den Mann uns zu zeigen, dabei ist das
Ganze von einer Schönheit der Zeichnung, einer Aus-
gewogenheit des Tones und einer Anspruchslosigkeit
der Technik, daß man überrascht sich fragen muß, wie
dies Alles zu verbinden überhaupt möglich ist.
Neben diesem Zauberkünstler entdecken wir bei ein-
gehender Betrachtung der Bilder vor Allem noch ein
Porträt eines Mannes, welches für uns von doppeltem
Interesse ist. Die Frauen mögen mir verzeihen, daß
ich noch nicht genug französische Höflichkeit besitze, um

das Dargestellte dem Darsteller voranzusetzen. Dieses
Porträt ist von Niemand weniger, als von Lucien
Simon gemalt und stellt Niemand weniger als den Maler
Jacques B lanche dar, den rasfinirtesten Seelenmaler des
schönen Geschlechts, eigentlich müßte man sagen, den
Maler einer Frau. Lin besseres Porträt hat Simon
wohl kaum gemalt und der hochinteressante Künstler
wird uns interessanter, je länger wir sein Bildniß be-
trachten. Stützt er da nicht eine feine nervöse Hand
auf eine Stuhllehne, eine Hand, deren Finger in den
Haaren der Schläfen zu spielen scheinen, den Kopf mit
seinen edlen, müden Zügen und doch so thatkräftigem
Ausdruck leicht auf die Seite neigend und das Ganze
von der sicheren, vorsichtigen und starken Hand Simon's
gezogen. Neber die räthselhaft klaren, zugleich harten
und weichen Züge des Künstlers hinweg, eilen unsere
Gedanken zu seinem Werk „Kk Ollörubiu äe
Hier liegt eine Frau, noch halb Kind, in glänzendem
Atlasgewand in einen Stuhl geworfen — ein Nerven-
bündel. Den Kopf, schmollend schmerzliche Züge, auf
die Seite geneigt, die eine Hand leicht auf der Stuhl-
lehne gekrümmt, die andere schlaff, dein Beschauer zu
herabhängend, die Beine — fast ist das Wort zu derb
— in taubengraue Atlas-Kniehosen gekleidet, enthülle,:
vom Knie abwärts Glieder, welche so fein, so weich
und wohlgeformt sind, daß inan glauben könnte, eine
geistvoll moderne Laune der Natur habe den Körper
geschaffen und denselben einem Künstler wie Blanche
anvertraut.
Hieran schließt sich eine ganze Grupps von
Künstlern, welche gleichfalls das moderne Weib in
seinem ganzen seelischen und physischen Linfluß auf den
Mann zur Darstellung zu bringen sucht. Die Frauen-
darstellung in der bildenden Kunst nimmt heute einen
größeren Raum, denn je ein, so daß es interessant ist,
den Ursachen hier ein wenig nachzugehen. Ls ist
natürlich, daß die modernen männlichen Funktionen sich
mehr und mehr dem Maler als Stoff entziehen. Die
beständig wachsenden Lxistenzsorgen, die stetig sich
steigernden Responsabilitäten des Mannes liefern dem
bildenden Künstler zuletzt nur eine färb- und formlose
Bekleidung, ein ebenso farbloses Gesicht und einen
Schädel aus, den man seziren müßte, um seine Welt
kontrolliren zu können. Hier versagt der Pinsel des
Künstlers, denn seine Welt ist eine Bewegungs- und
Farbenwelt. Die Frauen der modernen Generationen,
stetig sich mit ihren Anlagen differenzirend, werden für
den Formendarsteller eine unerschöpfliche Ouelle. Das
Bewegungs- und Mienenspiel ün Zusammenklang oder
im Kontrast mit dem Milieu der modernen Frau giebt
dem Künstler genug Ingredienzien in die Hand, um die
Symptome unseres modernen Lebens zum Ausdruck und
zur umfassenden Darstellung bringen zu können.
Blanche's Kunst ist zugleich französisch und eng-
lisch. Englisch in der vornehmen, von jeder Koketterie
freie,: Auffassung und Arbeit, französisch im Tsprit,
der uns Deutschen in seiner so wunderbar leichten
schmetterlingsartig glänzenden und flatternden Form
ewig fremd sein wird, wir haben unser,: Kant, den
Mann aus Königsberg, er verdolmetscht uns die Sprache
des Lebens und der reinen Vernunft, und es gehören
wurmstichige Beine dazu, um ihm durchaus folgen zu
können, aber die müden Beine des Philosophen taugen
nicht für den Künstler. Bauern, Hühner und Schollen
sind zwar auch sehr nützliche Dinge, von ersteren lassen
sich gute Simplizissimus-Zeichnungen mit politischen
Witzen machen, und Hühner werden in Frankreich sehr
gut zubereitet. Aber beides können nur für die Diffe-
renzierteren insofern malerische Objekte sein, als es sich
 
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