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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 21
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Zimmern, Helen: Die historische Ausstellung in Siena
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Nr. 21

Die A u n st - H a l l e.

323

vollen Metallarbeiten, die einst der Stolz Siena's ge-
wesen, das noch heute einen hohen Ruf in dieser
Branche genießt. Aus dem ersten Raum, der einen
antiken Wartesaal für Bogenschützen darstellt, gelangen
wir zum Arsenal der Republik. Unter den hier be-
findlichen alten Waffen find auserlesen kostbare Stücke,
deren manche nicht erblickt wurden seit den Tagen,
wo Toledo den Sienesen die Mode des Waffentragens
vorschrieb. Ueber einer Trophäe der bei Montalcino
f555 geschlagenen Sienesen steht eine Inschrift, die
sicher kontemporär ist: „Viva in etsrno il popolo
ältsnäitortz äella Inderin s äelln diu8t,iUn." Zu den
groben vornehmer Schmiedekunst zählt u. A. eine An-
zahl von Feuerböcken, die besondere Erwähnung ver-
dienen. Es dürfte sich als lohnend erweisen, sie zu
kopiren.
Sind wir durch die herrlichen Eisengitter von
Giacomo di Giovanni getreten, die dazu dienen, die
Kapelle des Palazzo pubblico von dem profanen Theil
des Gebäudes abzugrenzen, so erwartet uns eine neue
Ueberraschung. Denn hier sind in einem vollendet ge-
schmackvollen Arrangement die Reliquienkästen und
-Schreine zur Schau gestellt, die von den verschiedenen
Kirchen des Sienaer Gebiets hergeliehen wurden:
Schätze, die man sonst nicht zu sehen bekommt, ja nicht
einmal, wenn sie zu den seltenen feierlichen Gelegen-
heiten aus ihrem dreifachen Verschluß ans Licht ge-
fördert werden, da dann die herandrängende Menge
der Gläubigen ein Betrachten unmöglich macht. Das
Innere dieser Kapelle, wo bisher stets ein mystisches
Halbdunkel herrschte, in welches nur die goldenen
Heiligenscheine der Fresken von Taddeo di Bartolo
hineinleuchteten, erhellen jetzt einige elektrische Kugel-
lampen, bei deren sanft strahlendem Licht wir die Kost-
barkeiten alle — die hier heimischen, wie die hinzu-
gekommenen — ungehindert bewundern können. Da
sehen wir den Reliquienschrein für das Haupt des
Heil. Galgano, gothisch, in prächtiger Ausführung; einen
Schrein, aus Grvieto gesandt, das Behältniß für das
Haupt des Heil. Severino, ein Werk Ugolino's di Vieri,
und noch einen, der Pietro di Lands zugeschrieben
wird, ganz aus Gold, mit Rubinen besetzt, als ob
Blutstropfen aus der Reliquie hervorquellen. Und
daneben, von Sodoma's Madonna liebevoll behütet,
glänzt die vom Papst Alexander VII. dem Dom von
Siena gestiftete goldene Rose und desgleichen die
andere goldene Rose, mit der Papst Pius II. die Ge-
meinde seiner Vaterstadt beschenkte, und die, von be-
sonderer künstlerischer Schönheit, den feinen Geschmack
dieses humanistisch hochgebildeten Pontifex bekundet.
Der Saal, den wir nun von der Kapelle aus betreten,
ist mit den herrlichsten Goldschmiedearbeiten angefüllt,
besonders solchen zum Kirchengebrauch. Da sind
Kelche, Weihrauchfässer und -Büchsen, Weihwasser-
becken und Weihkessel, Liborien rc., und jedes Stück
ist eine perle der Goldschmiedekunst, entzückend in Form
und Farben, von den Kruzifixen sind viele ganz herr-
lich, und manche darunter haben ein sehr hohes Alter,
wie die ungekreuzten Füße Lhristi zeigen, ein Merkmal,
daß sie noch aus der Zeit vor Giotto stammen. Diese
Abtheilung, die sich in dem Saal befindet, wo Lorenzetti
mit philosophischem Geist 1337 die Folgen einer guten
und einer schlechten Negierung malerisch geschildert, ist
eine der am höchsten gepriesenen und am meisten be-
staunten Vorführungen der so reichen Ausstellung.
Noch sprachen wir nicht von den 15 Räumen,
welche den 350 Gemälden gewidmet sind, 3M davon
der Schule von Siena des 1I. und f5. Jahrhunderts
angehörend. Und diese ebenso reichhaltige, wie voll-

kommen repräsentative Sammlung ist zu Stande ge-
kommen, ohne daß es dazu auch nur eines einzigen
Gemäldes aus der hiesigen Gallerte bedurft hätte. Ein
Beweis, wie reich an Kunstwerken die Kirchen und
Privathäuser Sienas noch sind trotz allen Sammeleifers
der auf solche Schätze fahndenden Ausländer. Auch
für die Fruchtbarkeit der lokalen Schule ist dies ein
glänzender Beweis. Und wie trefflich das Arrangement
in chronologischer Ordnung unter feinfühliger Berück-
sichtigung des Geschmacks! Hier kommt es Einem so
recht zum Bewußtsein, wie keine Ablenkung durch
wissenschaftliche Forschung, keinerlei Probleme der Be-
wegung oder Anatomie die Ruhe der Sienaer RIaler
gestört hat. wir erblicken auch kaum Einiges in
Bildnißmalerei, noch viel weniger Mythologisches. Und
man begreift, wie solch' ein konservativer, um nicht zu
sagen rückschrittlicher Geist dem naturalistischen Zuge
der Renaissance solange widerstrebt hat. Dies hier
ist christliche Kunst in des Wortes voller Bedeutung.
Jedes Motiv ein heiliges, schlicht und einfach, nicht
individuell, nicht manierirt. wir begegnen Duccio,
dem Rivalen Giotto's, dessen Madonnen sich allmählich
den byzantinischen Fesseln entwanden. Vertreten sind der
herrliche Matteo di Giovanni, Sani di Pietro, Bene-
venuto di Torsarelli, Vecchietta und noch viele Andere,
darunter Manche, deren Werke leben, während ihre
Namen vergessen sind. Sie alle sind zart und sanft,
ihre Bilder sind mit dem Herzen gemalt, eine tiefe
Religiosität bekundend, die im alten Siena nicht Formel-
wesen war, und die einherging mit der festen Ueber-
zeugung, daß die Obrigkeit ihrer Stadt von Gott ein-
gesetzt und ihre Negierung eine heilige Institution sei.
Einen Ausdruck dieses frommen Glaubens finden wir
aufbewahrt in einem Satz der Statuten einer Ver-
brüderung von 60 sienesischen Malern aus dem Jahre
1335: „votsrs, 8Ap6re, volers, von amore." Sie gaben
noch ihr Bestes in dem mystischen verlangen, den
Menschen zum Ebenbild Gottes zu erheben, während
ihre florentinischen Zeitgenossen mit humanistischem
Eifer dem Bestreben huldigten, Gott als Bild des
Menschen zu verkörpern.
In der Sala di Gnore mit dem Bischofsthron
sind die Werke der sog. goldenen Epoche der Sienaer
Kunst versammelt, Erzeugnisse von Sodoma, Beccafumi,
pacchia und ihren Schülern. Hier ist das Kirchen-
banner von Sodoma mit den kräftigen Schatten und
glänzenden Lichtern, das in seiner glühenden Farben-
pracht bei Prozessionen weithin geleuchtet haben muß.
wie frisch die Farben jenes Tondo von Beccafumi,
wie gestern hingemalt; wie edel und klassisch formen-
schön die Madonna von peruzzi, Architekt und Maler,
ein Schüler von Bramante und Raphael.
Ich habe nur einen oberflächlichen Ueberblick geben
können und selbst damit meinen Raum überschritten.
Bis zum Herbst wird diese glänzende Ausstellung ge-
öffnet bleiben, und wer sich ihren Besuch gestatten
kann, sollte ihn nicht versäumen. Die Veranstaltung
gewährt einen Begriff von dem unermeßlichen Neich-
thum an Kunstschätzen, der noch in dieser einen Pro-
vinz Italiens vorhanden ist.
 
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