Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 9.1904

DOI issue:
Nummer 22
DOI article:
Esswein, Hermann: Persönlichkeit und Technik
Citation link: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunst_halle1904/0392

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ZZ8 Die Aunst - Halle. Nr. 22

meßen führenden Momente aufmerksam zu machen, die
sich ergeben, sobald man Persönlichkeit und Technik in
ihren Wechselbeziehungen betrachtet.
Reine fruchtbare Vergleichung zweier Elemente
des künstlerischen Schaffens, die, aufeinander ein-
wirkend, einander wechselseitig beeinflussend, ein drittes,
das Kunstwerk, als einheitlich geschlossenes, als Resul-
tat ergaben, ist nun aber möglich, wenn nicht ein
außerhalb der Sphäre des Künstlers gelegenes, ob-
jektives Element in Betracht gezogen wird, an welchem
sich die subjektiven Momente des künstlerischen wollens
(Persönlichkeit) und des künstlerischen Könnens (Technik)
fortwährend bestimmen und kontrolliren lassen.
Welche neutrale Sphäre, welches tsrtium oom-
pai-Monis für unser Thema in Betracht kommt, wird
rasch klar sein, wenn wir uns zunächst fragen, durch
welche Faktoren die Technik des Künstlers bestimmt
wird. — Nur durch seiue Persönlichkeit? wo wäre
da eine Kontrolle möglich, da es ganz vom subjektiven
Befinden jedes Einzelnen abhängt, unter dem Begriff
der künstlerischen Persönlichkeit dies oder jenes zu ver-
stehen, je nach dein idealen wollen und Streben, das
der Kunstbetrachtende in die Persönlichkeiten aus sich
heraus einsühlt? Oder ist Persönlichkeit schlechthin das
Ueberzeugende? Nein, denn wir wissen, daß das, was
den Linen überzeugt, ost das Kopsschüttelu des Anderen
erregt. Andererseits, was hätten wir ohne jene neu-
trale Sphäre, auf der man sich verständigen kann, unter
Technik zu verstehen? — wenn nicht aus dem Be-
griffe „Persönlichkeit", kann der Begriff Technik aus
sich selbst herausdefinirt werden? Bei der Technik eines
Handwerks wäre dies sicher ohne weiteres möglich
und erlaubt. Man brauchte dazu nur eiu Lehrbuch
des betreffenden Handwerks zu verfassen und darin
genau die Werkzeuge und die Griffe zu ihrer An-
wendung zu schildern, Griffe, die, immer die nemlichen,
immer dasselbe hervorbringen.
Nun ist die bildende Kunst aber kein Handwerk,
und ihr Handwerkliches in dem eben berührten Sinne
wird dem Nichtkünstler, dem Unpersönlichen ebenso
wenig helfen, ein beeindruckendes Kunstwerk hervor-
zubringen, als einem Unmusikalischen etwa die Kenntniß
der Harmonielehre. Nein, Persönlichkeit und Technik
können erst dann in ihren intimen Zusammenhängen ver-
standen werden, wenn wir den Boden kennen gelernt
haben, aus dem Beide einzig erwachsen, den Ursprung,
der in sich alle Elemente vereinigt, die wir in Beiden
wiederfinden. Zn ihren Wechselbeziehungen unter-
einander können wir Persönlichkeit und Technik erst
dann verstehen, wenn wir ihre Beziehungen zur Wirk-
lichkeit zur gegebenen Realität seftgestellt haben.
Formen, Farben und Bewegungen der Außenwelt,
nichts Anderes war und ist die Grundlage aller
bildenden Kunst und wird es ewig sein. Auch eine
Ideenmalerei von letzter Vergeistigung wird immer und
ewig aus Symbole, d. h. auf Verkörperung, Gestaltung
ihrer Ideen — aus Beziehung derselben zur wirklichen —

oder wo historisches Kostüm in Betracht kommt, zur
wirklich gewesenen Welt angewiesen sein. Das ver-
hältniß des Künstlers zur Wirklichkeit, zu den gegebenen
Darstellungsobjekten, z. B. der Landschaft, kann nun
nach der Seite der Persönlichkeit hin entweder ein mehr
objektives oder ein überwiegend subjektives sein. Dies
will besagen: Der „objektive" Künstler, der ideale
Naturalist — das Wort „ideal" hier nur gleich-
bedeutend mit typisch — würde bestrebt sein, die ge-
gebene Wirklichkeit den Formen, wie den Farben nach
absolut naturgetreu zu reproduzieren, keinen der ge-
gebenen werte irgendwie aufzufassen, ihm durch keinen
Einsühlungsprozeß Subjektives, Empfundenes, persön-
liches unterzulegen.
Nehmen wir andererseits einen absoluten Phantasie-
künstler, der nur sein Innenleben, seine Ideen, seine
Nervenschwingungen bildlich reproduziren und weiter-
geben wollte, so dürste er in seinem Schaffen keinerlei
Beziehungen zur Wirklichkeit haben, müßte also entweder
ganz Linienkünstler (Ornamentist der „freien" Linie) oder
Kolorist von so konsequenter Subjektivität sein, daß er
versuchen würde, nur durch Farbenakkorde ohne formale,
zeichnerische Grundlage zu wirken. Diese beiden idealen
Typen können natürlich nur gedacht, angenommen
werden, denn die unsinnige „Kunst"forderung, der sie
durch ihre Thätigkeit dienten, könnte auf der einen
Seite nur von der photographischen Kamera, auf der
anderen nur vom Wahnsinn realisirt werden. Was
die Kunst aber von je gab und immer nur geben kann,
ist die sinnliche Verdeutlichung der psychophysischen
Wechselbeziehungen im Künstler, vermittelt durch die
subjektive, persönliche Darstellung objektiv-gegebener
Wirklichkeitsmomente. So dürfen wir wohl ohne
weiteres annehmen, daß es niemals einen Künstler
von Rang und Bedeutung gegeben habe, der nicht,
zumal in den Jahren seiner Entwicklung, in heftigem
Kampfe mit der Wirklichkeit gelegen, um gerade
im Kampfe mit ihr das zu fiuden, was ihn über
sie erhob, ihn befähigte, mehr zu geben, als bloßen
Naturabklatsch, nemlich die mit der Wirklichkeit im
schöpferischen Augenblicke, ein schöpferisches Leben hin-
durch vermählte Persönlichkeit.
Dem bisher Ausgeführten wäre es zu dauken,
wenn der Leser mit mir die Ansicht theilte, Saß es in
gleicher weise Mißtrauen erregen muß, wenn in den
Leistungen eines Künstlers sich ein auffälliger Mangel
an Technik zeigt, wenn das objektiv Gegebene nicht
genügend vom persönlichen verarbeitet, verformt ist,
wie wenn andererseits das technische Moment über-
wiegt. Dem letzteren Falle wird man wohl im Kunst-
leben am häufigsten begegnen.
Die Erscheinung des Routiniers, des technischen
Virtuosen, dessen Arbeiten bei allem Geschick der Mache
einen starken künstlerischen Eindruck, ein warmes Mit-
empfinden nicht aufkommen lassen, wäre hieran an-
schließend zu deuten, wir kommen dieser Erscheinung
sofort näher, wenn wir an der Hand der bisher ge-
 
Annotationen