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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 1-13 (2. Januar - 30. Januar)
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Dienstag den 7. Januar

1868.

Herr Stadtpfarrer Zäringer und die „heiligen
Güter" des Protestantenvereins.
Vos der Weschnitz, 1. Jan. Herr Stadtpfarrer Zäringer
in Weinheim hat also die Glieder des Prorestantenvereins zum
Schutze aufgerufen gegen Jesuiten und Ultramontane, „damit nicht
die heiligen^ Güter der Kirche der offenen Gewalt und heimlichen
List der Ultramontanen und Jesuiten zum Opfer fallen."
Wir haben uns lang besonnen, was denn das für „heilige
Güter" sein möchten, für deren Erhaltung der Protestantenverein
grimmige Schlachten schlagen soll gegen die gewalthätigen Ultra-
montanen und hinterlistigen Jesuiten. Materielle, greifbare Güter,
so dachten wir, kann Herr Zäringer mit diesen „heiligen Gütern"
nicht gemeint haben, z. B. protestantisches Kirchen-, Schul - und
Armenvermögen, da er ja wissen muß, mit welcher Sorgfalt hohe
Staatsregierung über die Erhaltung derselben wacht, wobei wir
jeden Vergleich und Gegensatz aus bekannten Gründen vermeiden.
Auch über der protestantischen Ehre wird von Staatswegen sorg-
fältig gewacht, da ja Herr Zäringer missen muß, wie ein armer
kathol. Tropf, der einen Protestanten „Ketzer" ütulirte, hinter
Schloß und Riegel gesteckt wurde, während es als ungeheuere An-
maßung und Lächerlichkeit Seitens aller unserer Gegner betrachtet
wird, wenn Ultramontane und Jesuiten d. h. Katholiken auch eine
Ehre haben oder gar wegen Ehrenkränkung ihrer Kirche oder ihres
Glaubens klagen wollten, mährend sie herzlich froh sein müßten,
wenn man ihnen noch das Leben läßt und sie nicht auf der Stelle
wie „tolle Hunde" todtschlägt, wie die alte Bad. Landeszeitung
meinte und man in Mannheim und Neckarsteinach versucht hat.
Hr. Zäringer kann unter den bedrohten „heiligen Gütern" auch
nicht gemeint haben die Güter, die alle Kirchen als unveräußer-
lich für sich in Anspruch rühmen, nämlich Gewissens-, Glaubens-,
Lehr-, Rede- und Versommlnngssrecheit, denn diese Freiheit steht
ja sür die protestantische Kirche in voller Blüthe, und wachen über
deren ungeyinderter Entfaltung die Häupter des Protestantenver
eins als leckende Dirigenten unseres öffentlichen Lebens, während
Ultramontane und Jesuiten vor allen Ausschreitungen in dieser
Richtung durch Anwendung heilsamer polizeilicher Vorkehrungen
bewahrt bleiben und auf Turnübungen in Preßzwangsjacken oder
hinter Festungswällen und industriellen Kreisanstalten angewiesen
sind. Herr Zäringer kann auch die seitherigen Grund - und Glau-
benslehren der evangelisch-protestantischen Kirche nicht als bedroht
erachtet haben; denn diese Grund- und Glaubenslehren hat ja der
Protestantenverein selber als altes Gerümpel aus der Rüstkammer
finsterer Jahrhunderte über Bord geworfen: „Weg mit allen dog-
matischen Ueberlieferungen über Bibel, Christus und Kirchenthum"
(Heidelberger Kirchenblatt Nr. 39,1867.) Grundlegend für die
Kirche des Protestantenvereins ist ja nur noch: das „Anpassen an
das moderne Bewußtsein". „Leute, so sagt Herr Stadlpfarrer
Zäringer selber in seiner geistvollen Rede vor den 35 in Wein-
heim, Leute, die den modernen Kleiderschnitt gewohnt sind, stecken
ihre Glieder nicht in mittelalterliche Gewänder." Güter aber,
die der Protestantenverein preisgegeben Mid aus die Straße ge-
worfen, werden Ultramontane und Jesuiten auch nicht ausheben
mögen. Die gestohlenen protestantischen Häuser, Aecker und Wie-
sen, die abgeschnittenen evangelischen Hälse und Gurgeln kann
der Hr. Stadtpfarrer wohl auch nicht unter den gefährdeten „hei-
ligen Gütern" verstanden haben, denn genannte Raub- und Schlacht-
objecte befinden sich sämwtlich noch im Besitz ihrer ursprünglichen
Inhaber, nur daß sie sich nachträglich in protestantische Enten
und Mythen verwandelt haben, nach denen Jesuiten und Ultra
montane Nicht pirschen gehen, sondern den protestantischen Ge-
schichtsfabrikanlen in Heidelberg zur Beute lassen. Wo aber, um
aller Welt, stecken denn die heiligen Güter des Protestanlenver-
eins, nach denen Jesuiten und Ultramontane wie blutgierige
Löwen und schleichende Füchse lechzen? Sollte Hr. Zäringer nur
einen Schuß in's Blaue haben thun wollen, wie die Schutzen in
den Weinbergen, um eventuelle Spatzen und Staaren zu ver-
scheuchen, die an die „heiligen Güler" naschen gehen wollien,
oder hätte der Hr. Stadtpfarrer, wie weiland die alte Hexe von
Endor vor König Saul, dem erstaunten Auditorium zu Weinheim
die bekannten Nebelbilder vorführen wollen, die Zur Belebung

und Stärkung des protestantischen Bewußtseins gegen die „Papisten"
und „Römlinge" in den protestantischen Arsenalen zu sachdien-
lichem Gebrauch in Bereitschaft gehalten werden? Sollte der Hr.
Stadtpfarrer wirklich den „modernen Kleiderschnitt", den kleid-
samen, für diesmal abgelegt haben, um in mittelalterlichen Lappen
und Lumpen gegen Jesuiten und Ultramontane Sturm zu laufen?
Das aber hätte uns an dem Herrn Stadtpfarrer, der ein so ab-
gesagter Feind der alten Form ist, gar zu inconsequent und
lächerlich geschienen, und käme es uns wie eine Ehrenkränkung
vor, wenn wir behaupten wollten: der Protestantenverein, der
mit den alten Formen und Traditionen seiner Kirche so vollstän-
dig gebrochen, hätte dieselben nur gegen die katholische Kirche bei-
behalten. Also waren wir mit den „heiligen Gütern" des Pro-
testantenvereins so gescheidt wie zuvor.
Halt, dachten wir, befragen wir einmal das Amts- und Re-
gierungsblatt des Protestantenvereins, das Heidelberger evangel.
Kircheublatt, das muß doch irgend einen Aufschluß über die „hei-
ligen Güter" geben können. Und richtig hatten wir uns nicht ge-
täuscht. Wir fanden dort die Grundsätze entwickelt, auf denen die
Protestantenvereinskirche aufgebaut ist. Diese Grundsätze werden
wir wohl als die „heiligen Güter" des Protestantenvereins zu be-
trachten haben, denn sie haben ihn in's Dasein gerufen, mit
ihnen steht und fällt er. Wir werden sie nach dem Heidelberger
Moniteur wörtlich ansühren und uns einige Erläuterungen dazu
erlauben.
1. Das seitherige Christen- und Kirchenthum verträgt sich
nicht mehr mit der modernen Welt, sie will nichts mehr davon
wissen, wir müssen eine Religwn machen, die dem modernen Be-
wußtsein entspricht: „an die Stelle des Dogma tritt dre ursprüng-
liche Religion des menschlichen Herzens" (Nr. 44, 1867) d. h. eine
Religion, wie sie ursprünglich, ohne Dogma und Offenbarung,
Jahrtausende hindurch zu finden war bei den Heiden und den
Germanen des Exministers Lamey in Götzengreuel, gesunder Sinn-
lichkeit und dem Recht des Stärkeren, welchem Allem das Christen-
thum mit seinen Dogmen ein Ende gemacht, denen nun aber
wieder der Protestantenverein den Hals bricht, zu Gunsten der
wieder hergestellten „ursprünglichen Religion des menschlichen Her-
zens". Die Ursprünglichkeit und Berechtigung dieser Religion hat
Professor Vogt vor einem ausgewühlten und zahlreichen Publikum
in Mannheim dargethan, dem er mit dessen Beifall und höchlicher
Zufriedenheit seine Affenabstammung nachwies.
3. „Die christliche Wahrheit besteht in der Wahrheit, daß
wir die Wahrheit nicht haben" — „die Wahrheit liegt in der
Wahrheit, die Wahrheit nicht zu haben" (Nr. 50, 1867). Nun,
das Gegentheil von Wahrheit ist Unwahrheit; die Wahrheit des
Protestantenvereins besteht also in der Unwahrheit; und weiß er,
daß er die Wahrheit nicht hat und lehrt doch, wie heißt man den,
der wissentlich die Unwahrheit lehrt? und sagt er, daß seine Leh-
ren unwahr sind oder nicht wahr, oder daß er nicht weiß, ob sie
wahr sind, was muß das sür ein „gebildetes Publicum" sein,
das ihm trotzdem nachläuft?
3. (Nr. 50, 1867.) „In dem Bewußtsein, die Gerechtigkeit
nicht zu haben, findet er die Vergebung seiner Sünden". Also z. B.
ein Dieb oder Ehebrecher, der sich bewußt ist, ein solcher zu sein,
ist durch dieses Wissen schlechthin absolvirt und frei von Schuld
und Strafe; und wenn er im Wahnsinn oder Trunkenheit stiehlt
oder ehebricht, wo er nicht weiß, was er thut, ist er ein Dieb
oder Ehebrecher und wird ihm nichts vergeben, kommt er aber
wieder zum Bewußtsein, so ist er straf- und sündenlos. Der
Protestantenverein kann also zu seiner Gemeinde der Heiligen nur
bewußte Sünder brauchen. Der „Weise von Nazareth", der mit
seiner Gerechtigkeit prahlte: — „wer aus euch kann mich einer
Sünde beschuldigen —" hätte also kein Mitglied des Prolestanten-
oereins werden können. Ob die badischen Staatsanwälte, Gerichte
und Strafgesetze mit der Vergebnngs- und Freisprechungsweise
des Prolestanlenvereins einverstanden sind, das kümmert uns nichts,
aber dem Hrn. Stadtpfarrer Zäringer können wir die beruhigende
Versicherung geben, daß Jesuiten und Ultramontane nach diesen
„heiligen Gütern" des Protestantenvereins nicht die geringste Lust
verspüren, da sie weder zu den „Aupnssern" und „Ursprünglichen",
noch zu den „Bewußten" und „Wahren im Unwahren" gehören,
und daß diese im Vollgcnuß ihrer „Heckigthümer" zu stören sie
 
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