Der neue Bußprediger an der Saalbach.
X Bruchsal, 3. Nov. Jetzt schlag ein Rad! An der Saal-
bach schlammigen Ufern taucht urplötzlich ein neuerBußpredi-
ger auf, nicht im Gewände von Kameelhaaren, auch nicht im
Gewände eines Jesuiten, Kaputziners oder eines anderen beliebigen
Ultramontanen, nein! der neue Bußprediger ist der leibhafte
Kraichgaubote. Unglaublich, aber doch wahr. Ein allgemeiner
Aufschrei des erstaunten Publikums durcheilt unsere Straßen; jung
und alt, mit und ohne Intelligenz, gruppirt sich, alles staunt,
fragt und lauscht der wunderbaren Mähr vom neuen Bußprediger.
Ist denn das Weltende nahe? — fragt der Eine; nicht doch, sagt
ein Anderer, es hat ja noch nicht geblasen; Er solle sich bei der
eigenen Nase nehmen, schmollt ein Dritter; Gottes Wunder, seufzt
Israel dazwischen. Was ist's? Eine aufsprossende Blüthe
der neuen badischen Aera; um sie summt und brummt der Kraich-
gaubote als neuer Bußprediger mit böser Miene, denn er, der ge
schäftigste Pflegvater will diese neue Blüthe knicken.
Zur Sache jetzt und Spaß bei Seite. In Nr. 125 und 127
wirft der Kraichgaubote auf die socialen Zustände unserer Stadt
seinen forschenden Blick und entdeckt bei der städtischen Jugend und
in den Familien den Greuel der Verwüstung. Die Schul-
jugend wird von aller Welt angeklagt einer heillosen Nacht-
schwärmerei, der Nichtachtung jeder Autorität, des Ungehorsams
gegen geistliche und weltliche Vorgesetzte und eines zügellosen Be-
nehmens überhaupt. In den Familien sieht unser Bußpredigsr
einen finsteren Geist in voller Wirksamkeit, der die Kinder gegen
Kirche und Schule aufhetzt, ihre Unarten gegen Geistliche und
Lehrer unterstützt und in der wegwerfendsten Weise über staatliche
Ordnung sich äußert. Sofort appellirt der zürnende Bote an die
gemeinschaftliche Arbeit dec Kirche, Schule und Familie, um dem
wuchernden Uebel der Jugendverwilderung zu steuern und gelangt
endlich, wie der gemeine Liberalismus nicht anders kann, bei der
Polizeiwachtstube an mit dem Ruf: Polizei 'raus!
Wir gestehen offen, daß wir über die Bußpredigt des Kraich-
gauboten nicht wenig erstaunt waren; hat uns doch derselbe seither
immer dahin belehrt, daß die in der modernen Schule geschulte
Jugend nichts zu wünschen übrig lasse, und daß der moderne
Schulsegen im üppigsten Grün allenthalben hervorbreche, besonders
seit das entwürdigende Joch geistlicher Bevormundung und Ver-
dummung den Lehrern abgenommen sei. Fern sei es von uns,
die Jugendverwilderung schönfärben zu wollen, allein wenn der
Kraichgaubote diesen Greuel der Verwüstung als strengster Sitten-
richter angreift und nun auf einmal sowohl in der Kinderwelt als
Im Leben schweigen und sterbend vergeben.
Nach dem Spanischen des Fern an Cabellero.
(Fortsetzung.)
Die Neugierde des Fremden, angeregt durch das Gehörte, führte ihn nach
mehreren Tagen in das Haus der Dame zurück, um die Unterhaltung über
jenen Gegenstand wieder auzuknüpfen. Nach den ersten Begrüßungen sagte er
zu ihr:
„Sie werden sich vielleicht über meine Zudringlichkeit wundern, Sennora,
allein ich trage ein großes Verlangen, etwas Näheres über das Verbrechen zu
hören, von dem Sie neulich gesprochen haben und dessen Spuren selbst die
Zeit nicht zu verwischen vermocht haben.
Ich will Ihnen gern Alles sagen," erwiderte die Dame, „was ich weiß,
das heißt, was hier alle Welt weiß; allein das Ereigniß wird jetzt, nach so
langer Zeit, schwerlich den tiefen und düstern Eindruck aus Sie machen, den
es damals aus alle Einwohner der Stadt gemacht hat."
„Vor ungefähr zehn Jahren kam ein Offizier mit seiner Frau, drei kleinen
Kindern und seiner Schwiegermutter in diese Stadt und bezog das anstoßende
Haus. Nach seinem Aeußeren und seiner Lebensweise zu schließen, war er ein
vortrefflicher Mann. Mit der unverkennbaren Liebe für seine noch sehr junge
Frau verband er einen väterlichen Ernst; Innigkeit und Glück herrschten in
der Familie. Die Frau war, wie das poetische Volkssprichwort sagt, eine
„Taube ohne Galle;" sie fühlte sich unendlich glücklich, daß ihre Wahl auf
einen so würdigen Gatten gefallen war, und daß drei liebliche Engel, il-re
Kinder, sie umgaben. Sie war eine jener vortrefflichen Frauen, die nur in
dem engen Kreise derjenigen Pflichten leben, welche sie als Tochter, Gattin und
Mutter haben. Was die ältere Dame betraf, so gehörte sie zu den Wesen,
welche die Welt, um sie schnell unterzubringen, in die Claffe der „armen
Frauen" stellt. Sie war sehr fromm, brachte ihr ruhiges Dasein großentheils
in der Kirche zu und betete für Diejenigen, die sie liebte.
„Diese beiden Damen waren Grundbesitzerinnen in einem kleinen Dorfe
und wurden aus diesem Grunde von Vielen „Bäuerinnen" genannt. Was
im Familienleben das Abhandenfein jeder Achtung vor geist-
licher und weltlicher Autorität unumwunden beklagt und die
schädlichen Folgen hieraus den Vätern der Stadt mit schwarzen
Farben ausmalt, so müssen wir unverholen unsere Vernehmlassung
dahin abgeben, daß hiezu der Kraichgaubote kein Recht hat,
denn er ist auf eine weite Strecke selbst der Mitschuldige an
dem, was er als Bußprediger zu geißeln für nothwendig erachtet.
Seit fünf Jahren ist der Kraichgaubote der enge Verbündete der
liberalen Presse und seit dieser Zeit hat er, wie wir ihm wieder-
holt vorzuwerfen hatten, den letzten Bleibuchstabeu daran gesetzt,
die kirchliche Autorität zu erschüttern. Das fortlaufende
Freimaurergeheul über Pfaffen, Jesuiten und Finsterlinge, die
immerwährenden gehässigen Angriffe auf Papst, Bischöfe und die
ganze katholische Kirche, das geschäftige Zusammentragen alles
Schmutzes, der sich in der liberalen Presse gegen den geistlichen
Stand vorfand, das Aufgreifen eines jeden sogenannten schlechten
und frivolen Witzes gegen die Ultramontanen, der jedesmal kund-
gegebene Beifall, so oft ein Recht der Kirche da und dort einge-
büßt wurde; die Raserei gegen Rom und die Garibaldifreuudschast
— fürwahr, diese Artikel, bis zum Eckel im Kraichgauboten vor-
und abgeleiert, können unmöglich veredelnd auf Jung noch Alt
einwirken uno müssen schließlich jene Früchte hervortreiben, die
jetzt als Sitten- und Gottlosigkeit vom neuen Bußprediger ver-
dammt werden. ' '. .
Der Kraichgaubote stellt ein gutes Rssultm der-Medererziehung
in Aussicht, wo Kirche, Schule und Familie Har?d m Hand gehen.
Das ist recht vernünftig gesprochen und hierin treffen auch alle
Pädagogen, mit Ausnahme der Disterweg'schen und ähnlicher zu-
sammen. Schade nur, daß dies Band zwischen Kirchs, Schule und
und Familie in Folge der modernen Schule gelockert und entzwei-
geschnitten ist, ber welchem Geschäfte gerade der Kraichgaubote bis-
her als lustiger Handlanger sich erwiesen hat. Er, der mir nichts
dir nichts der Kirche jedes Recht an dis Schule rundweg abge-
sprochen; er, der den Mi sch sch ulen vollen Beifall zollt, wo immer
solche in Folge der Abstimmung zu Stande kommen, und schmerz-
lich berührt wird, wo die Vernichtung der Confsssionsschulen nicht
durchgesetzt wird; er, der wie jeder rabiate Schullehrer schon bei
dem Namen — kirchlicher Einfluß — die Gänsehaut bekommt
— er, der räthselhafte Mann betont mit starker Beimischung pie-
tistischen Gewinsels über die Verdorbenheit der Zeit die Wohl-
thätigkeit und Nothwendigkeit des kirchlichen Ein-
flusses!
Es geht nicht mit rechten Dingen zu und der Kraichgaubote
j mich jedoch betrifft, fo kann ich'nur jagen, daß ich in ihrem Hause immer einen
feinen Anstand, schätzensrverthe Offenheit und strenge Sitte, ohne alle Affec-
tation, gefunden habe. Wenn man mit solchen Eigenschaften eine „Bäuerin"
ist, so braucht man sich dessen nicht zu schämen. Ich besuchte häufig ihr Haus,
weil der darin herrschende Friede, das bescheidene und stille Glück einen sehr
wohlthätigen Eindruck auf mein Herz machten, und weil ich mich zu dem ehren-
haften, in der Erfüllung seiner Pflichten so gewissenhaften Manne, sowie zu
der anmuthigen jungen Frau, die sich ihrer Tugenden freute, so wie sich An-
dere der Vergnügungen freuen, und zu der guten Alten hingezogen fühlte, die
nichts that als Lächeln und Beten. Allein dieses Glück, obgleich einfach und
bescheiden, war zu vollkommen, um in dieser Welt von Dauer zu sein, wo
selbst die Besseren des Himmels vergessen, wenn ihr irdisches Dasein von zu
großen Annehnlichkeiten umgeben ist. Eines Morgens kam meine Kammerfrau
in heftiger Aufregung, mit verstörtem Gesicht und stockendem Athem in mein.
Zimmer gestürzt.
„Was ist, Manuela?" sragte ich erschrocken.
„Ach, Sennora, — ein Unglück — eine Greuelthat —"
„Was ist denn geschehen? Sprich!"
„In dieser Nacht ist — in dem Nebenhause — erschrecken Sie rächt,
Sennora!"
„Nein, aber sprich aus!"
„Ist die alte Dame getödtet worden!"
„Getödtet? Ist es möglich?"
„Ja, Sennora, ermordet, mit Messerstichen umgebracht!"
„Heilige Mutter Gottes!" rief ich entsetzt. „Aber wie ist es denn ge-
schehen? Sind Räuber eingebrochen?"
„Wahrscheinlich, aber es ist noch nichts bekannt."
„Es begab sich," fuhr die Dame fort, „daß der Bediente, welcher in einem
Gemache unter dem Hausflur schlief, am Morgen ausgegangen war, um den
Markt zu besuchen. Er hatte, seiner Versicherung nach, beim Fortgehen die
Hausthüre eben so fest verschlossen gefunden, wie sie am vorhergehenden Abende
gewesen war. Der Mörder konnte also unmöglich durch den Hof in das Haus
gedrungen sein.
(Fortsetzung folgt.)