28._ Donnerstag den 5. März_ 1868.
Süddeutschland.
D Aus dem Unterland. (Wie ein Unterschulmeister seinen
Oberschulmeistec anführt). Zum Beweis, daß nicht Alles Gold ist,
was die neue Schulära hervorbringt, sondern mitunter auch etwas
Schwindel getrieben wird und sogar den so „bewährten Kreisschul-
räthen" und den auf der Höhe der Intelligenz stehenden Oberschul-
rähen eitel Dunst und Nebel vorgemacht werden kann, diene fol-
gendes Stückchen:
Im Sommer des Jahres 1867 visitirte ein neuärarischer
Obe-schulrath die Schulen eines Unterländer Amtsbezirkes. Wie
früher bei den alten Visitatoren die Lehrer der Nachbarorten bei
der Prüfung sich einfanden, so schlich sich auch diesmal der Eine
oder Anoere herbei, nicht so sehr aus Interesse für solche außer-
ordentliche Prüfungen, sondern um seine Devotion zu zeigen und
vorzüglich um die Prüfungsweise des neuen „von Oben" gekommenen
Herrn zu erspähen. Unser serviler Schulmeister hatte bald das
Wahre gefunden. Er bemerkte nämlich, daß der außerordentliche
Herr bei den Prüfungen jeweils einen Abschnitt aus dem damals
noch „unbekannten" Lesebüchlein den Schülern zum Nachschreiben
vorlas. Was thut ein Schulmeister in der Angst? Sogleich be-
bestellt er sich vom Geiger eine bestimmte Anzahl solcher Büchlein,
paukt den Inhalt seinen Kindern tüchtig ein, und bis der Ober-
schulmeister nach 14 Tagen in die Schule kam, war das Meiste
gelernt. Befragt, ob in seiner Schule auch schon das neue Lese-
buch eingeführt sei, anwortete er: „Nein, aber bestellt ist es".
Klugerweise hatte er das Büchlein vorher in die nah gelegene Orts-
kirche bringen lassen, denkend: „da drinn sind sie sicher, da hinein
kommt und geht gewiß kein Oberschulrath". Und er hat richtig
calculirt. Das vorgelesene Stück soll von den Kindern ganz ordent-
lich nachgeschrieben und der Commissär sich recht befriedigend über
den Stand der Schule ausgesprochen haben. Kein Wunder! Geht
hin ihr Collegen und thut deßgleichen, — wenn ihr gute Noten
wollt.
/X Waibstadt. Wie der Bote bereits berichtet, erhielt un-
ser Candidat Herr Mühlhäusser 203, Bluntschli dagegen nur 91
Stimmen. Wenn man die Wahl für gut erklären kann, so hätte
dies ganz gewiß und zwar in noch höheren! Maße stattfinden
können, wenn man von einer gewissen Seite aus nicht allzusehr
für Bluntschli gearbeitet hätte, denn die hiesige Einwohnerschaft
dachte nicht daran, Bluntschli zu wählen, — wie es halt nun
immer geht so auch hier —, Herr Bürgermeister V. hielt bei
Gelegenheit der Versammlung des Sängervereins eine höchst pa-
triotische Rede und es gelang ihm mit noch anderen Gesinnungs¬
genossen mit Ach und Grach 91 Stimmen für Bluntschli zu ge-
winnen. Wir rufen daher den wackern Katholiken Waibstadts
die brav gewählt haben ein lauttöuendes Vivat zu!
* Aus dem Odenwald. Der Wohlstand lebe hoch! In einer
Gemeinde des Bezirksamtes W., die lange nicht 1000 Seelen hat,
beliefen sich im Jahre 1866 die Pfandeinträge auf ca. 800 fl.,
im Jahre 1867 aber wie hoch? Auf über 10,000 fl. sage mit
Worten: über Zehntausend Gulden. Zwar wurden diese Schulden
nicht alle erst im vorigen Jahre gemacht, sondern in Folge der
durch die erhöhten Steuern, Vergantungen und trüben Aussichten
in die Zukunft entstandene allgemeine Creditlosigkeit wollten die
Gläubiger gesichert sein. Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob
auch in anderen Gemeinden gleiche oder ähnliche Erscheinungen
vorgekommen sind.
Und nun noch etwas. Vor nicht langer Zeit murren die
Bezirksräthe an das Amt W. beschieden und ihnen eröffnet, daß
die eingesendtte Erndteberichte von der Negierung mit dem Bemer-
ken zurückgekommen seien, daß die Zahlen zu nieder gestellt sein
müßten; sie sollten nochmals einer Schätzung unterzogen werden.
Der hiesige Herr Bürgermeister blieb aber bei seinen esten Angaben
fest stehen. (Der Mann gefällt uns. Die Redaction).
4. Aus dem Kreise Mosbach. Eine neue Art, das Volk
„reif" zu machen, hat jünst ein Amtsvorstand erfunden. Derselbe
will nämlich sein Büreau zur Kanzel machen, wie folgende Ge-
schichte lehrt: Einige Bauern hatten eine Klage eingereicht gegen
ihren religionsfeindlichen Schullehrer. Beim Verhör nun nahm
der Amlsvorstand einen der Kläger beiseite: „Hören Sie, sprach
er, es ist mir zu Ohren gekommen (offenbar durch den Schul-
lehrer), in Ihrem Hause wird der Pfälzer Bote und Bad. Beo-
bachter gelesen, und ich weiß auch, es finden bei Ihnen öfters
Zusammenkünfte statt; da wird dann Schöffengericht abgehalten
über die Regierung und die Gesetze — nehmen Sie sich nur in
Acht! — „Herr Oberamtmann", erwiederte der Bauer, „Len Pfäl-
zer Boten und den Bad. Beobachter habe ich früher gelesen aber
schon seit einiger Zeit nicht mehr; ich habe nur das Mainzer
Volksblättlein. Uebrigens geht es Niemanden etwas an, was
für Zeitungen ich lesen will. Und was in meinem Hause geredet
wird, darf Jedermann hören." — Nun, nun, meinte der Gestrenge,
— es freut mich, daß Sie diese ultramontanen Blätter nicht
halten. Ich kann nicht, wie Eure Geistlichen, auf die Kanzel
stehen und euch vorpredigen; darum muß ich es benutzen, wenn
die Leute so zu mir kommen. — Sehen Sie (und hier holte er
aus den Akten die Klagschrift des andern Bauern), hier sind fast
Der schwarze Gentleman.
Aus den Erinnerungen eines Arztes.
(Fortsetzung.)
Hätte Letzterer feindselige Absichten genährt, so wäre es ihm in der That
bei der Zerstreutheit des Forschers in Leichtes gewesen, dieselben auszusühren.
Mehr im Tone freundlicher Mahnung, als in dem des Vorwurfs sprach der
Kabyle in fränkischer Mundart:
„Es ist nicht recht von Dir, Fremdling, daß Du die Ruhe des Grabes
störst. Die Lebenden können durch eine Unterhaltung mit den Todten wenig
gewinnen."
Mit geheimer Befriediguug darüber, daß dieser directe Vorwurf ihn von
der peinlichen Pflicht befreute, sich über eine Regung zu erklären, deren er sich
bereits schämte, antwortete Edmund:
„Du würdest Recht haben, wenn das Grab nicht Geheimnisse verschlösse,
welche der Welt von Nutzen sein können. Ueberdieß trachte ich nur nach den
Geheimnissen dieser, nicht nach denen der andern Welt."
„Wie kannst Du sagen" , antwortete der Araber, „ob die Offenbarung
der dem Grabe anvertrauten Geheimnisse den Lebenden in irgend einer Weise
von Nutzen sein kann? So lange eine Kraft verborgen liegt, schlummert sie.
aber entfesselt — kannst Du dafür bürgen, daß sie nicht Unheil statt
„Nach einem Schlummer von Jahrtausenden", murmelte Edmund wie
im Selbstgespräch vor sich hin, „möchte ihre Kraft denn doch erschöpft sein."
„Bist Du dessen so ganz gewiß?" entgegnete der Araber nach einem
Augenblick bedeutungsvollen Schweigens. „Was sagst Du von dem Samen-
korn, welches, heute dem durch Dich entweihten Grabe entrissen, morgen in
die Furche gelegt wird, und obgleich es aus der Zeit des Pharao herstammt,
ebenso üppig emporsprießt und Frucht bringt als gehörte es zur vorjährigen
Ernte?" Wie weißt Du, daß die Kraft der Jahrhunderte, welche spurlos
am Waizenkorn vorüberging, die unsichtbare Saat der menschlichen Leidenschaft
erstickt hat?"
Edmund selbst hatte die Wahrheit des vom Fremden herbeigezogenen
Phänomens erprobt und wußte gegen diese scharfsinnige Argumentation nichts
einzuwenden. Ueberdieß schien der Kabyle keine Antwort von ihm zu erwar-
ten, sondern hatte sich der Mumie genähert, welche er mit leidenschaftlicher
Aufmerksamkeit betrachtete. Plötzlich streckte er seine braune Arme aus, ergriff
die Hand des Todten, zog den Ring vom verdorrten Finger ab, heftete seine
glänzenden Augen auf den violett strahlenden Stein und betrachtete die darauf
gravirten Worte. „Sieh her", sagte er, „das ist die Sprache des Kronos,
des unzerstörbaren Zerstörers! Mir gehört die Welt, und alle Dinge vereini-
gen sich in mir. Ich allein schaffe, und ich allein vernichte. Ich will, was
ich will. Ich gebe und ich nehme. Ich theile den Sterbenden ihr flüchtiges
Glück aus und entziehe es ihnen wieder. Aus Erdenstaub entsprungen, darf
der Mensch nicht den Händen des Schicksals wehren. Hüte Dich, mit dem
Finger von Staub das Werk des höchsten Richters anzutasten !"
„Ist das der Sinn der Inschrift?" rief Graf Edmund.
„Es sind ihre Worte", erwiderte der Kabyle, ihm den Ring an den Fin-
ger steckend. „Möchtest Du nie ihren Sinn an Dir selbst erfahren. Sieh nie-
der zu Deinen Füßen. Da liegt das erste Opfer des Orakels. Möchtest Du
nicht das zweite werden!"
Er deutete mit dem Finger auf die Mumie. Dann nahm er Edmund
den Papyrus aus der Hand und fuhr fort:
„Hier siehst Du Rhamses und seine beiden Kinder, Sethos den älteren
und Amasis den jüngeren Sohn. Das Vorrecht der Erstgeburt hintansetzend,
bestimmt der König den zu seinem Nachfolger, welcher ihm die Inschrift des
Ringes erklärt. Indem er den Scepter dem Weisesten geben will, handelt er
selbst unweise, denn er verkehrt die Ordnung der Natur. Amasis ist mit
durchdringendem Scharfsinn begabt und erräth zu seinem Unglück die Bedeu-
tung des Amulets. Der Mensch soll nicht den Händen des Schicksals wehren.
Hüte Dich, mit dem Finger von Staub das Werk des höchsten Richters a^u-
tasten ! Diese Wahrheit, welche ihm einen Thron kostet, prägt Sethos tief,
tief seinem Gedächtniß ein. /
(Fortsetzung folgt.)
Süddeutschland.
D Aus dem Unterland. (Wie ein Unterschulmeister seinen
Oberschulmeistec anführt). Zum Beweis, daß nicht Alles Gold ist,
was die neue Schulära hervorbringt, sondern mitunter auch etwas
Schwindel getrieben wird und sogar den so „bewährten Kreisschul-
räthen" und den auf der Höhe der Intelligenz stehenden Oberschul-
rähen eitel Dunst und Nebel vorgemacht werden kann, diene fol-
gendes Stückchen:
Im Sommer des Jahres 1867 visitirte ein neuärarischer
Obe-schulrath die Schulen eines Unterländer Amtsbezirkes. Wie
früher bei den alten Visitatoren die Lehrer der Nachbarorten bei
der Prüfung sich einfanden, so schlich sich auch diesmal der Eine
oder Anoere herbei, nicht so sehr aus Interesse für solche außer-
ordentliche Prüfungen, sondern um seine Devotion zu zeigen und
vorzüglich um die Prüfungsweise des neuen „von Oben" gekommenen
Herrn zu erspähen. Unser serviler Schulmeister hatte bald das
Wahre gefunden. Er bemerkte nämlich, daß der außerordentliche
Herr bei den Prüfungen jeweils einen Abschnitt aus dem damals
noch „unbekannten" Lesebüchlein den Schülern zum Nachschreiben
vorlas. Was thut ein Schulmeister in der Angst? Sogleich be-
bestellt er sich vom Geiger eine bestimmte Anzahl solcher Büchlein,
paukt den Inhalt seinen Kindern tüchtig ein, und bis der Ober-
schulmeister nach 14 Tagen in die Schule kam, war das Meiste
gelernt. Befragt, ob in seiner Schule auch schon das neue Lese-
buch eingeführt sei, anwortete er: „Nein, aber bestellt ist es".
Klugerweise hatte er das Büchlein vorher in die nah gelegene Orts-
kirche bringen lassen, denkend: „da drinn sind sie sicher, da hinein
kommt und geht gewiß kein Oberschulrath". Und er hat richtig
calculirt. Das vorgelesene Stück soll von den Kindern ganz ordent-
lich nachgeschrieben und der Commissär sich recht befriedigend über
den Stand der Schule ausgesprochen haben. Kein Wunder! Geht
hin ihr Collegen und thut deßgleichen, — wenn ihr gute Noten
wollt.
/X Waibstadt. Wie der Bote bereits berichtet, erhielt un-
ser Candidat Herr Mühlhäusser 203, Bluntschli dagegen nur 91
Stimmen. Wenn man die Wahl für gut erklären kann, so hätte
dies ganz gewiß und zwar in noch höheren! Maße stattfinden
können, wenn man von einer gewissen Seite aus nicht allzusehr
für Bluntschli gearbeitet hätte, denn die hiesige Einwohnerschaft
dachte nicht daran, Bluntschli zu wählen, — wie es halt nun
immer geht so auch hier —, Herr Bürgermeister V. hielt bei
Gelegenheit der Versammlung des Sängervereins eine höchst pa-
triotische Rede und es gelang ihm mit noch anderen Gesinnungs¬
genossen mit Ach und Grach 91 Stimmen für Bluntschli zu ge-
winnen. Wir rufen daher den wackern Katholiken Waibstadts
die brav gewählt haben ein lauttöuendes Vivat zu!
* Aus dem Odenwald. Der Wohlstand lebe hoch! In einer
Gemeinde des Bezirksamtes W., die lange nicht 1000 Seelen hat,
beliefen sich im Jahre 1866 die Pfandeinträge auf ca. 800 fl.,
im Jahre 1867 aber wie hoch? Auf über 10,000 fl. sage mit
Worten: über Zehntausend Gulden. Zwar wurden diese Schulden
nicht alle erst im vorigen Jahre gemacht, sondern in Folge der
durch die erhöhten Steuern, Vergantungen und trüben Aussichten
in die Zukunft entstandene allgemeine Creditlosigkeit wollten die
Gläubiger gesichert sein. Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob
auch in anderen Gemeinden gleiche oder ähnliche Erscheinungen
vorgekommen sind.
Und nun noch etwas. Vor nicht langer Zeit murren die
Bezirksräthe an das Amt W. beschieden und ihnen eröffnet, daß
die eingesendtte Erndteberichte von der Negierung mit dem Bemer-
ken zurückgekommen seien, daß die Zahlen zu nieder gestellt sein
müßten; sie sollten nochmals einer Schätzung unterzogen werden.
Der hiesige Herr Bürgermeister blieb aber bei seinen esten Angaben
fest stehen. (Der Mann gefällt uns. Die Redaction).
4. Aus dem Kreise Mosbach. Eine neue Art, das Volk
„reif" zu machen, hat jünst ein Amtsvorstand erfunden. Derselbe
will nämlich sein Büreau zur Kanzel machen, wie folgende Ge-
schichte lehrt: Einige Bauern hatten eine Klage eingereicht gegen
ihren religionsfeindlichen Schullehrer. Beim Verhör nun nahm
der Amlsvorstand einen der Kläger beiseite: „Hören Sie, sprach
er, es ist mir zu Ohren gekommen (offenbar durch den Schul-
lehrer), in Ihrem Hause wird der Pfälzer Bote und Bad. Beo-
bachter gelesen, und ich weiß auch, es finden bei Ihnen öfters
Zusammenkünfte statt; da wird dann Schöffengericht abgehalten
über die Regierung und die Gesetze — nehmen Sie sich nur in
Acht! — „Herr Oberamtmann", erwiederte der Bauer, „Len Pfäl-
zer Boten und den Bad. Beobachter habe ich früher gelesen aber
schon seit einiger Zeit nicht mehr; ich habe nur das Mainzer
Volksblättlein. Uebrigens geht es Niemanden etwas an, was
für Zeitungen ich lesen will. Und was in meinem Hause geredet
wird, darf Jedermann hören." — Nun, nun, meinte der Gestrenge,
— es freut mich, daß Sie diese ultramontanen Blätter nicht
halten. Ich kann nicht, wie Eure Geistlichen, auf die Kanzel
stehen und euch vorpredigen; darum muß ich es benutzen, wenn
die Leute so zu mir kommen. — Sehen Sie (und hier holte er
aus den Akten die Klagschrift des andern Bauern), hier sind fast
Der schwarze Gentleman.
Aus den Erinnerungen eines Arztes.
(Fortsetzung.)
Hätte Letzterer feindselige Absichten genährt, so wäre es ihm in der That
bei der Zerstreutheit des Forschers in Leichtes gewesen, dieselben auszusühren.
Mehr im Tone freundlicher Mahnung, als in dem des Vorwurfs sprach der
Kabyle in fränkischer Mundart:
„Es ist nicht recht von Dir, Fremdling, daß Du die Ruhe des Grabes
störst. Die Lebenden können durch eine Unterhaltung mit den Todten wenig
gewinnen."
Mit geheimer Befriediguug darüber, daß dieser directe Vorwurf ihn von
der peinlichen Pflicht befreute, sich über eine Regung zu erklären, deren er sich
bereits schämte, antwortete Edmund:
„Du würdest Recht haben, wenn das Grab nicht Geheimnisse verschlösse,
welche der Welt von Nutzen sein können. Ueberdieß trachte ich nur nach den
Geheimnissen dieser, nicht nach denen der andern Welt."
„Wie kannst Du sagen" , antwortete der Araber, „ob die Offenbarung
der dem Grabe anvertrauten Geheimnisse den Lebenden in irgend einer Weise
von Nutzen sein kann? So lange eine Kraft verborgen liegt, schlummert sie.
aber entfesselt — kannst Du dafür bürgen, daß sie nicht Unheil statt
„Nach einem Schlummer von Jahrtausenden", murmelte Edmund wie
im Selbstgespräch vor sich hin, „möchte ihre Kraft denn doch erschöpft sein."
„Bist Du dessen so ganz gewiß?" entgegnete der Araber nach einem
Augenblick bedeutungsvollen Schweigens. „Was sagst Du von dem Samen-
korn, welches, heute dem durch Dich entweihten Grabe entrissen, morgen in
die Furche gelegt wird, und obgleich es aus der Zeit des Pharao herstammt,
ebenso üppig emporsprießt und Frucht bringt als gehörte es zur vorjährigen
Ernte?" Wie weißt Du, daß die Kraft der Jahrhunderte, welche spurlos
am Waizenkorn vorüberging, die unsichtbare Saat der menschlichen Leidenschaft
erstickt hat?"
Edmund selbst hatte die Wahrheit des vom Fremden herbeigezogenen
Phänomens erprobt und wußte gegen diese scharfsinnige Argumentation nichts
einzuwenden. Ueberdieß schien der Kabyle keine Antwort von ihm zu erwar-
ten, sondern hatte sich der Mumie genähert, welche er mit leidenschaftlicher
Aufmerksamkeit betrachtete. Plötzlich streckte er seine braune Arme aus, ergriff
die Hand des Todten, zog den Ring vom verdorrten Finger ab, heftete seine
glänzenden Augen auf den violett strahlenden Stein und betrachtete die darauf
gravirten Worte. „Sieh her", sagte er, „das ist die Sprache des Kronos,
des unzerstörbaren Zerstörers! Mir gehört die Welt, und alle Dinge vereini-
gen sich in mir. Ich allein schaffe, und ich allein vernichte. Ich will, was
ich will. Ich gebe und ich nehme. Ich theile den Sterbenden ihr flüchtiges
Glück aus und entziehe es ihnen wieder. Aus Erdenstaub entsprungen, darf
der Mensch nicht den Händen des Schicksals wehren. Hüte Dich, mit dem
Finger von Staub das Werk des höchsten Richters anzutasten !"
„Ist das der Sinn der Inschrift?" rief Graf Edmund.
„Es sind ihre Worte", erwiderte der Kabyle, ihm den Ring an den Fin-
ger steckend. „Möchtest Du nie ihren Sinn an Dir selbst erfahren. Sieh nie-
der zu Deinen Füßen. Da liegt das erste Opfer des Orakels. Möchtest Du
nicht das zweite werden!"
Er deutete mit dem Finger auf die Mumie. Dann nahm er Edmund
den Papyrus aus der Hand und fuhr fort:
„Hier siehst Du Rhamses und seine beiden Kinder, Sethos den älteren
und Amasis den jüngeren Sohn. Das Vorrecht der Erstgeburt hintansetzend,
bestimmt der König den zu seinem Nachfolger, welcher ihm die Inschrift des
Ringes erklärt. Indem er den Scepter dem Weisesten geben will, handelt er
selbst unweise, denn er verkehrt die Ordnung der Natur. Amasis ist mit
durchdringendem Scharfsinn begabt und erräth zu seinem Unglück die Bedeu-
tung des Amulets. Der Mensch soll nicht den Händen des Schicksals wehren.
Hüte Dich, mit dem Finger von Staub das Werk des höchsten Richters a^u-
tasten ! Diese Wahrheit, welche ihm einen Thron kostet, prägt Sethos tief,
tief seinem Gedächtniß ein. /
(Fortsetzung folgt.)