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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 52-64 (2. Mai - 30. Mai)
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M 52._Samstag den 2. Mai_ 1868.


* Prozeß Lindau.
(Nach stenographischer Aufzeichnung).
(Fortsetzung.)
Staatsanwalt: Der Angeklagte hat bei Beginn seiner Ver-
theidigung die heutige Hauptverhandlung eine Satyre zu nennen
beliebt, insofern, als er gehindert worden sei, durch das Ministerium
des Innern, bezw. das Bez.-Amt Bühl, in seinem Wahlbezirk sich mit
seinen Wählern zu besprechen und nunmehr gegen ihn eine Anklage
erhoben werde, die, wenn sie einen Erfolg hat, ihn auf einige Mo-
nate in diesen Bezirk, aus dem er beseitigt werden sollte, zurück-
bringt. Ich, für meine Person, möchte die heutige Verhandlung
nicht sowohl eine Satyre, als eine Tragödie nennen, insofern die
Anklage gegen einen Mann gerichtet werden mußte, der berufen
sein soll, nicht nur an der Gesetzgebung des badischen Landes, son-
dern ganz Deutschlands mitzuwirken, gegen einen Mann, bei dem
man mehr Sinn für Gesetzlichkeit hätte voraussetzen dürfen, als
daß er in so flagranter Weise die Schranken des Gesetzes übertrete
und nur diese flagrante Gesetzesübertretung hat bei mir das im
allgemeinen vorhandene innere Widerstreben zur Erhebung dieser
Anklage zu überwinden vermocht.
Daß diese Gesetzesübertretung vorliegt, werde ich nachher des
Näheren auseinandersetzen und ich kann jetzt schon darauf aufmerk-
sam machen, daß ich mit dieser Ansicht nicht allein stehe, ebenso-
wenig als Herr Lindau glaubt mit der Motivirung des Verbots
allein zu stehen; ich kann darauf aufmerksam machen, daß ein
Collegium, die Raths- und Anklagekammer in Mannheim, bei der
Bestätigung der Beschlagnahme auch von derselben Ansicht aus-
gegangen ist.
Was mich in der Vertheidigung mit Indignation erfüllt hat,
ist das, daß die beiden Herren dem Gerichtshof glauben machen
wollen, der Verfasser habe in seinem Artikel eigentlich dem Herrn
Staatsminister Jolly nur sagen wollen, der Herr Staatsminister
Jolly habe seine Pflicht gethan, es sei ganz in der Ordnung ge-
wesen, wenn er das Verbot der Versammlung in Bühl deßhalb
erlassen habe, damit sich Herr Lindau nicht mit seinen Wählern
besprechen könne, um den Herrn Lindau von seinen Wählern ab-
zuschneiden.
Wenn die beiden Herren dem Gerichtshof glauben machen
wollen, es hätte gesagt werden wollen, es sei ganz in der Ordnung,
wenn für dieselben Verhältnisse zweierlei Maß von Gesetz ange-
wendet werde und es sei ganz in der Ordnung gewesen, daß hier
zweierlei Maß in Anwendung gebracht worden sei, so halte ich
diese Art der Vertheidigung für sehr bedenklich, weitere Ausdrücke
will ich darüber nicht gebrauchen. Ich glaube, es wird genügen,
auf diese exorbitante Art der Vertheidigung aufmerksam zu machen
und auf das Unglaubwürdige, daß eine solche Absicht bei Verfassung
des Schreibens vorgelegen sei.
Wenn ich die Quintessenz der Vertheidigung richtig verstanden
habe und diese herauszufinden war deßhalb nicht leicht, da eine
Menge von thatsächlichen nicht hierher gehörigen Fragen herein-
gezogen worden, die zur Behandlung der gegenwärtigen Sache
nur in einem ganz entfernten Zusammenhang steht, ich sage,, wenn
ich die Quintessenz richtig verstanden habe, so wollte der Angeklagte
bestreiten, daß er die Absicht gehabt habe, durch die Mittel, welche
die Anklage unterstellt, zum Haß und zur Verachtung gegen das
Staatsministerium oder die Reaierung aufzureizen, oder durch Ent-
stellung der Wahrheit und Eroichtung Unzufriedenheit zu erregen,
er wollte glauben machen, er habe nur die Absicht gehabt, ein
erlittenes Unrecht zur Kenntniß seiner Wähler zu bringen und
diesen zugleich kund zu thun, daß er der Aufforderung, in ihrer
Mitte zu erscheine«, nicht habe nachkommen können. Allein nach
meiner Ueberzeugung ist dem Herrn Lindau durch die Verfügung
des Bez.-Amtes Bühl und des Ministeriums des Innern durchaus
kein Unrecht geschehen, das Bez.Amt Bühl hat lediglich das Gesetz
angewendet, nämlich den H 11 in Verbindung mit ß 4 des Gesetzes
vom 21. November 1867, eines Gesetzes, zu dessen Zustandekommen
Herr Lindau als Abgeordneter selbst mitgewirkt Hal, wenigstens ist
er gerade mit diesem Gesetzesparagraphen, der gegen ihn nachher
durch das Bezirksamt angewendet worden ist, wie ich aus dem
Kammerbericht der Karlsruher Zeitung ersehe, einverstanden gewesen,
er hat allerdings schließlich gegen das Gesetz gestimmt mit seiner

einzigen Stimme, allein nicht deßhalb, weil in das Gesetz die
HZ 4 und 11 ausgenommen worden sind, sondern weil in das Ge-
setz nicht der schöne Satz des ehemaligen Gesetzes vom 15. Febr. 1851
ausgenommen worden ist, ich sage, der schöne Satz ohne jede weitere
Bedeutung. In dem Gesetze vom 15. Febr. 1851 stand allerdings
an der Spitze dieser schöne Satz, den uns Herr Lindau selbst vor-
getragen Hut, nämlich: „die Staatsangehörigen haben das Recht,
zu solchen Zwecken, welche dem Strafgesetze nicht zuwiderlaufen,
Vereine zu gründen und sich friedlich und ohne Waffen zu ver-
sammeln, nun kommt aber der zweite Absatz, wo es heißt: die
Ausübung dieses Rechtes untersteht den nachstehenden Bestimmungen;
aber alle nachstehenden Bestimmungen sind nichts anders als
Beschränkungen dieses Grundsatzes, so daß das Recht schließlich in
der Luft hängt und diese Ausübung nur von der Willkür oder dem
Ermessen der Polizeibehörde abhängt. Ich gehe noch einmal daraus
zurück und sage, gegen den Angeklagten ist nur das Gesetz ange-
wendet worden und zwar ein Gesetz, womit er sich selbst einver-
standen erklärt hat. Die Voraussetzungen hiezu waren auch voll-
ständig da, wie wir uns aus den verlesenen Aktenstücken meines
Erachtens hinreichend überzeugen konnten, der Z 4 des Gesetzes
sagt nämlich in Verbindung mit Z 11, daß eine Volksversammlung
dann verboten werden könne, wenn sie den «Ltaatsgesetzen sder der
Sittlichkeit zuwiderlaufe, oder den Staat gefährde. Was zu ge-
schehen habe, wenn die Gefahr nicht vorhanden sei, darüber hat
das Gesetz nichts bestimmt und nichts bestimmen können und ich
bin deßhalb mit dem Herrn Vertheidiger Schulz vollkommen darin
einverstanden, daß ich dieses Gesetz unmöglich als ein besonders
freisinniges bezeichnen könne, denn wenn die Handhabung des Ge-
setzes von so allgemeinen Begriffen abhängt, wie Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit, so hat man mit Recht jenen schönen Satz,
der an der Spitze des Vereinsgesetzes stand, ausgelassen, weil in
dem neuen Gesetze wieder nicht in vollem Maße von einem solchen
garantirten Rechte die Sprache sein kann. Daß aber die Polizei-
behörde im gegenwärtigen Fall an der Hand dieses Gesetzes voll-
kommen berechtigt war, jene Volksversammlung zu verbieten, welche
Herr Lindau zu veranstalten beabsichtigte, das kann nach meiner
Ueberzeugung keinem Zweifel unterliegen.
Wir haben gehört aus den verlesenen Aktenstücken, daß die
Stimmung im Bezirk Bühl zwischen der clericalen und der national-
liberalen Partei eine gereizte gewesen ist, es geht aus den Akten
hervor, daß früher Tätlichkeiten verübt worden sind an Anhängern
der Partei des Herrn Lindau, der Polizeibeamte hatte auch sichere
Nachricht, daß aus den benachbarten Hanauer Bezirken sich Wähler
einfinden würden, welche anders, welche gegen Herrn Lindau ge-
stimmt haben.
Ich kann mich kurz fassen, nach meiner Ueberzeugung kann
es keinem Zweifel unterliegen, daß für das Bezirks - Amt Bühl
und für das Ministerium des Innern durch die thatsächlichen
Verhältnisse Anlaß genug gegeben war, den Z 4 mit dem Z 11
des Vereinsgesetzes gegen Herrn Lindau in Anwendung zu
bringen, daß ihm somit kein Unrecht geschehen ist und er keinen
Anlaß hatte, in dieser Weise über dieses angebliche Unrecht sich
zu expectoriren, wie er es gethan hat, aber auch selbst, wenn ihm
ein Unrecht geschehen wäre, wenn das Bezirksamt und das Mini-
sterium gegen das Gesetz verfahren wären, fo durfte er nichts-
destoweniger das Strafgesetzbuch nicht in der Weise übertreten, wie
es hier geschehen ist, dann wäre ihm ein anderer Weg offen ge-
standen, der Recurs an das Staatsministerium und schließlich der
Weg an die Kammer. Eine Uebertretung des Strafgesetzes läßt
sich nicht entschuldigen, auch nicht durch ein geschehenes Unrecht
und kein Ministerium, selbst wenn nicht correct gehandelt woroen
wäre, hätte sich einen solchen Vorwurf gefallen lassen dürfen, ohne
daß seine Autorität in Frage gestellt worden wäre und deßhalb
war es die Pflicht derjenigen Behörde, welche das Strafrecht aus-
zuüben hat, dagegen einzuschreiten.
Herr Lindau hat in seiner Vertheidigung wohl bemerkt, er
habe den Weg der Beschwerde an das Staatsministerium deßhalb
nicht betreten, weil er sich damit wieder an dieselbe Person gewen-
det hätte. Es ist diese, Ansicht eine durchaus unrichtige, wenn
auch das Staatsministerium zu seinen Mitgliedern den Herrn
Staatsminister Jolly zählt, sogar zu seinem Vorsitzenden, so ist
das Staatsministerium doch auch aus anderen Mitgliedern zu-
 
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