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Donnerstag den 19. November
* Die Jahresberichte
der Landescommissäre über die Zustünde und
Ergebnisse der inner« Verwaltung
für das Jahr 1867.
(Fortsetzung.)
Nachdem wir uns ziemlich eingehend mit dem Berichte des
Landescommissärs der Seegegend befaßt haben, wollen wir ein
wenig zusehen, was
II.
Herr Jonathan Winter als Commissär für die Kreise Lör-
rach, Freiburg und Offenburg Schönes, „auf Anordnung
des Ministeriums des Innern" Veröffentlichtes uns mitzuthei-
len hat.
Was zunächst die Ergebnisse der Volkszählung betrifft,
so Hal im Jahr 1867 seit 1864 keine Vermehrung stattgefunden,
da in den 3 Jahren in den 3 Kreisen nur 345 mehr nachzuweisen
sind, was so gut wie nichts heißen will. Diese kleine Zunahme
ist nur dem Wachsthum der Stadt Freiburg zuzuschreiben, auf
dem Lande ergibt sich allenthalben eine Verminoerung, wie z. B.
der Amtsbezirk Kenzingen mit 700 und der Amtsbezirk Staufen
mit 533 im Rückstand geblieben ist. Daraus darf man mit
Sicherheit aus Abnahme des Wohlstandes schließen, denn wo die
thätige ländliche Bevölkerung nicht mehr Nahrung genug aus dem
Boden zieht, vermehrt sich das städtische Proletariat.
Die Zahl der Geburten hat im Jahr 1867 gegen das Jahr
1866 um 430 abgenommen, die der Trauungen um 9 sich
vermehrt, die der Verstorbenen um 1163 sich vermindert. Die
Zahl der Auswanderer ist um 92 gestiegen, also die der
Badischmüden im Aufblühen begriffen. Es scheint also fast, als
ob die Zustände jenseits des Oceans doch überwiegend besser seien
als diesseits und sogar besser als in dem diesseits liberal regier-
ten Baden unter Excellenz Jolly's sürtrefflicher Leitung, an deren
glänzenden Erfolgen Herr Jonathan Winter auch seinen Antheil
beanspruchen darf. Aber so wie Herr Renk nur die Zahl der
officiellen Auswanderer anzugeben weiß, im Uebrigen aber
eine ungenannte Zahl sich auf Französisch Empfehlender nicht in
Abrede stellen kann, so muß auch Herr Jonathan Winter zuge-
stehen, daß „insbesondere viele junge Männer unter 20 Jahren
unter den Auswanderern begriffen seien, so daß man annehmen
könne (nicht so schüchtern, Herr Jonathan Winter, Sie dürsen's
keck behaupten!j, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht
sie zur Auswanderung veranlaßt habe." Herr Jonathan Winter
wird ohne Zweifel mit uns daraus den Schluß ziehen, daß die
jungen Leute noch nicht so heldenmäßig für das „Ziel" begeistert
sind, daß sie sich selbst als „Opfer" für dasselbe darbieten, sondern
daß sie sogar die hohen Freuden des cisatlantischen Paradieses
Baden wohlfeilen Kaufes im Stiche lasten, noch ehe der erste
Franzose und Oesterreicher die Trommel gerührt hat.
Wenn sonach die Auswanderung sehr beträchtlich war,
so sagt der Herr Commissär, daß die Einwanderung „gleich
unbedeutend" geblieben ist. Indessen vermuthen wir, daß dieses
ungünstige Verhältniß sich nunmehr in erheblicher Weise bessern
dürfte, da es im vorigen Jahre noch nicht durch die National
zeuung und andere nationale Blätter constatirt war, daß Baden
dnsscttS des Oceans der vortrefflichst geleitete Staat sei.
Wie sein College Renk, so legt auch Herr Landescommissär
Winter ein hohes Gewicht aus das wirthschaftliche Leben und
ergeht sich daher mrt Ausführlichkeit über den „Wohlstand im
Allgemeinen" und den „un Besonderen." Wir meinen, wo Wohl-
stand im Besondern" ist, herrscht ec auch „rm Allgemeinen", Herr
Jonathan Winter dagegen ist ganz mit Collega Renk einverstan-
den, daß im Allgemeinen kein Nolhstand vorhanden sei, während bei
ocr Untersuchung der einzelnen Theüe sich ein ganz anderes Ver-
haltuig herausstelle. Die betreffenden „allgemeinen" Redensarten
der Berichte der Landescommissäre überhaupt sehen sich einander
so aus s Haar ähnlich, daß man notwendigerweise annehmen muß, daß
dieser heiklichste Punkt ihrer Aufgabe zuvor in gemeinsamer Sitzung
berathen worden sei. „Der Wohlstand hat im Allgemeinen einen
Rückgang genommen", sagt Winter, — „ein wirklicher Nothstand
ist aber nirgends eingetreten", obgleich er zugibt, „daß viele Land-
wirthe in der Lage sind, jetzt schon ihr Brod kaufen zu müssen",
obgleich er ferner zugcbt, daß zwar „von den Amtsbezirken Schönau
und Wolfach und einigen Thälern des Schwarzwaldes wenig-
stens keine Abnahme des Wohlstandes berichtet, woge-
gen ein solcher wirthschaftlicher Rückgang in geringerem oder höherem
Grad aus allen andern Bezirken gemeldet wird", obgleich er end-
lich folgendes Zugeständniß macht: „Zu der Mißerndte an Frucht
kommt noch der Mangel an Absatz des neuen Weines, von wel-
chem der größere Theil noch unverkauft in den Kellern der Pro-
ducenten liegt. Es wird dieser Umstand in gleicher Weise beklagt
in allen weinbautreibenden Bezirken, von der Rench bis zur
Wiese. Da die meisten Weinproducenten mit ihren Geldeinnahmcn
lediglich auf den Weinerlös angewiesen sind, so ist in Folge des
Mangels an Absatz dieses Productes begreiflich auch überall ein
fühlbarer Geldmangel eingetreten."
Also „Nothstand" ist keiner da, — wer wird auch ein so
häßliches Wort gebrauchen! Dagegen „Geldmangel"! Da
nun aber Geldmangel kein Zeichen des Wohlstandes ist, so wollen
wir dem Herrn Landescommissär einen Vorschlag zur Vereinigung
machen: er hat selbst den Ausdruck „Rückgang" gebraucht, —wie
wär's, verehrtester Herr Commissär, wenn wir uns dahin verstän-
digten, daß wir den unliebsamen „Nothstand" fallen ließen und
Sie und der Pfälzer Bote gemeinsam ihr Capitel den „Rückgang
im Allgemeinen" überschreiben würden? —
Niemand muthe uns zu, mit dem Herrn Verfasser die Tabel-
len über die veräußerten Liegenschaften durchzugehen, denn
wenn er sie unter sein Capitel „Wohlstand im Allgemeinen" bringt,
so sind wir völlig im Unklaren über den innern Zusammenhang;
denn Liegenschaften werden ja nicht blos günstiger Vortheile wegen
verkauft, sondern nur in zu vielen Fällen, weil man eben verkau-
fen muß. Das Kostbarste ist aber das Resümö über den Beweis
des „Wohlstandes im Allgemeinen" aus den vermehrten Liegen-
schastsveräußerungen, indem der Herr Commissär ganz kleinlaut am
Schluffe seiner Tabellen sagt: „Darnach wäre eine Verminderung
des Preises der Liegenschaften um 3,52 Proc. gegen 1866 eingetreten.,,
Die Za hl befehle haben etwas zugenommen (30,489 gegen
30,362 des Jahres 1866), der vollzogenen Liegenschafts-
vollstreckungen sind es bedeutend mehr (445 gegen 294), we-
niger dagegen die vollzogener-en Fahrnißpfändungen
(487 gegen 498) und die Ganten (197 gegen 200). Die Pro-
zesse haben um 145 zugenommen.
Wenig Trost eröffnet der Herr Commissär weiter, wenn er
sagt: „Voraussichtlich dürste der wirthschaftliche Rückgang des vori-
gen Jahres sich erst im Jahr 1868 durch eine Vermehrung der
Schuldbetreibungen nachweisbar machen."
Was die Pfandurkunden betrifft, so sind deren 66 mehr,
als im vorhergehenden Jahre ausgefertigt worden.
Das Kapital steuerkapit al hat sich vermehrt, dagegen
das Gewerbe st euerkapital eine „sehr erhebliche Verminde-
rung" erlitten.
Die Ernte war im Jahr 1867 „schlecht bis sehr schlecht",
und der Hr. Verfasser bemerkt in dieser Hinsicht sehr richtig: „Die
meisten ärmeren, ja selbst die mittleren Landwirte brauchen ihren
Erndteertrag zur eigenen Lebsucht, für sie ist es unerheblich, ob
derselbe zu einem höheren oder geringern Werth angeschlagen ist;
ja man kann annehmen, daß wohl die Hälfte von ihnen mit dem
selbst gebauten Brod nicht zureicht und schon jetzt in der Lage ist,
solches bis zur nächsten Erndle kaufen zu müssen; für diese sind
die hohen Fruchlpreise gar noch ein sehr fühlbar weroender Nach-
teil ! "
Die erste Stelle unter den Handelsgewächsen nimmt in den
genannten Kreisen der Wern ein, allem der Verfasser muß zuge-
ven, daß es mit dem Geldertrag aus demselben ganz schlecht aus-
sieht, indem eine sehr verminderte Nachfrage eingetreien sei. Er
hätte noch hinzufügen dürfen, daß es noch viel schlechter werden
wird, wenn die enorm hohe Weinaccise nicht baldigst hecunterge-
setzt wird, wozu aber rnter Excellenz Jolly's excellentester Verwal-
tung diesseits des Oceans keine Aussicht vorhanden sein dürfte.
Den zweiten Rang nimmt der Hanf ein, über welchen aber
aus verschiedenen Ursachen keine „sicheren Erhebungen" gemacht
werden konnten.