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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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* Rede des Zollparlamentsabgeordneten Dr. Bissing
vor seinen Wählern in Külsheim.
Meine Herren! Wenn ich mich in Ihrer Mitte eingefunden
habe, so geschieht dies nicht sowohl um einen abermaligen Rechen-
schassbericht über das Zollparlament und meine Thätigkeit bei dem-
selben abzulegen, als vielmehr mein Wort einzulösen, welches ich
Ihnen vor der Wahl gegeben hatte, — in Ihre Mitte zu kommen
und mich Ihnen persönlich vorzustellen, ein Versprechen, das ich
eines Mißverständnisses wegen erst heute zu erfüllen in der Lage
bin. Das Zollparlament ist jetzt schon zu lange vorüber, als daß
in unserer rasch lebenden Zeit noch ein großes Interesse an das-
selbe sich knüpfen könnte, auch habe ich den Rechenschaftsbericht, den
ich in Grünsfeld erstattete, in zwei unserer gelesensten Blätter
veröffentlichen lassen, so daß er als an den ganzen Bezirk gerichtet
zu betrachten ist und ich mich daher der Mühe überhoben erachte,
schon oft Gesagtes nochmals zu wiederholen. Sie kennen die Stel-
lung, die ich in Berlin eiqenommen habe, — ich zweifle nicht, daß
dieselbe Ihren Beifall gefunden hat, da ich mir schmeichle, genau
im Sinne und in der politischen Richtung der großen Mehrheit
dieses Wahlbezirkes gehandelt zu haben. So übergehen wir denn
das Zollparlament, so bedeutsam es auch für die Gestaltung der
deutschen Dinge sein mag und sei es auch nur dadurch, daß durch
den Widerstand der süddeutschen Fraction die Locomotive noch un-
geheizt am Maine stehen gelassen wurde.
Meine Absicht ist heute eine andere: wie die Freunde des
Ministeriums Jolly das Land mit. Bürgera benden beglücken, eine
Nachahmung der wandernden Casino's, so will ich mit meinen
Wählern einen Bürgermittag halten, nur mit dem Unterschiede,
daß bei den Vorträgen der Herren Bluntschli, Kiefer, Fauler u. s. w.
der Arm der vollziehenden Gerechtigkeit ferne bleibt, während ich
stets die Ehre Hube, von der bewaffneten Macht das Geleite zu er-
halten.
Meine Herren! Der badische Ministerialrath Kiefer, zugleich
Abgeordneter des letzten Opferlandtages, beglückt jetzt den Wahl-
bezirk, in welchem er bei der Zöllparlamentswahl durchgefallen ist,
mit sogenannten Bürgerabenden, bei denen er „höhere Politik"
treibt und mit Verachtung auf alle die armseligen Kirchthurms-
streitereien unseres so glücklichen Musterstaates herabsieht. Meine
Herren! Der Abgeordnete Kiefer hat in dieser Beziehung vielfach
Recht, wenigstens pflichte ich ihm in der Verachtung der badischen
Scandälchen bei, — er hat Recht, wenn er vor dem Volke auch
einmal große Politik treiben will, damit dessen Gesichtskreis sich
erweitert und nicht immer an der nächsten Scholle haften bleibt.
Machen wir's also heute ganz ebenso, wagen wir uns auf das
hohe Meer der europäischen Politik hinaus, kehren wir aber am
Schluffe in die bescheidene Heimath zurück und seien wir nicht
ungehalten, wenn der Landgraben keine großen Schiffe trägt, son-
dern dankbar, wenn er den von den Wogen und der Brandung
des Meeres herumgeworfenen Wanderer zum Ausruhen an seinen
Gestaden einladet, dort wo er an dem stillen Kämmerlein vorüber-
fluthet, das für die abgeschafften Pensionäre ein süßes Nuhcplätzchen
gewährt, wohin auch ich bereits, wie ein Blatt dieser Gegend sagte,
sehnsuchtsvolle Blicke geworfen hätte, obgleich ich Sie versichern
kann, daß ich sehr weit von diesem Verlangen entfernt bin und
— offen gestanden gar keinen Geschmack am parlamentarischen
Leben zu finden weiß.
Meine Herren! Die Zustände Europa's, namentlich die
Deutschlands wie sie der Prager Friede geschaffen Hot, sind nur
provisorische, an deren längere Dauer kein politisch denkender Kopf
zu glauben vermag. Die alten Allianzen haben sich gelöst, neue
werden von allen Seiten mit fieberhafter Hast angebaynt. Die
Armeen werden in einer Weise vermehrt, daß der Bürger die un
geheme Last nicht mehr zu tragen vermag und die Staaten des
europäischen Continentes sammt und sonders dem Bankerotte zu
iretben. Jeder rüstet sich gegen den Nachbar bis an die Zähne,
wert Niemand mehr dem Andern trauen kann, weil Niemand weiß,
ob er nrcht im nächsten Augenblick meuchlings überfallen wird.
Nicht wer Gerechtigkeit und ehrlichen Frieden liebt, wird von der
Welt bewundert, sondern wer bei Nacht und Nebel die Pfade des
Räubers wandelt und im Hause des Nachbarn Vcrräther wirbt,
die ihm beim nächtlichen Pochen das Hofthor öffnen. Auch der

letzte Rest von Anstand wird im Verkehr der Staaten bei Seite
gesetzt und wer die Schamlosigkeit am weitesten treibt, wird mit
Händeklatschen und Bravo begrüßt. Wie sollte da Friede bleiben
können, wo jetzt schon die Minen und Contreminen von allen Sei-
ten gelegt sind und die Hand schon die Lunte erfaßt hat, um sie
in's gefüllte Pulmrfaß zu schleudern!
Und dieses Pulverfaß ist Deutschland! Niemand kann es,
wie ich vorhin sagte, verborgen bleiben, daß die Zustände, wie sie
sich jetzt gestaltet haben, unmöglich in Deutschland zu halten sind.
Wir sind im großen Vaterlande gewöhnt, daß in irgend einer
Form das deutsche Wesen verbunden bleibt, selbst auf die Gefahr
hin, daß das Band so schwach sei, wie es der alte Bundestag ge-
schaffen hatte. Der Prager Friede hat auch dieses zerrissen, und
Gesammtdeutschland existirt nicht mehr. Der Prager Friede
ist deßhalb unhaltbar, — die Wege ihn abzuändern sind nur zwei-
facher Art. Entweder muß Preußen Oesterreich die Hand zur auf-
richtigen Versöhnung reichen und seine wohlmeinenden Gesinnungen
gegen" dasselbe durch Tha Len, nicht blos durch Phrasen beweisen,
oder es muß auf dem bisher betretenen Wege forlschreiteu d. h.
die Zertrümmerung Oesterreichs weiter planen und zu diesem Zwecke
auch vor dem europäischen Kriege nicht zurückschrecken. Im ersteren
Falle muß Preußen es als eine Unbilligkeit erkennen, dem Land
für immer das deutsche Vaterhaus verschließen zu wollen, das
Deutschland so viele Kaiser gegeben, das Deutschlands Geschicke so
lange geleitet, das Deutschland mehr wie einmal vor der orienta-
lischen Barbarei gerettet hat. Es ist selbstverständlich, daß Preußen
nicht die Früchte seines Sieges bei Königgrätz wieder opfern soll,
es wird was es hat behalten, aber es wird nicht darüber hinaus-
streben wollen. Es wird daher mit Oesterreich das engste Bünd-
niß eingehen und dessen Wahrheit dadurch bekräftigen, daß es die
Militärconventiouen mit den süddeutschen Staaten löst, überhaupt
nicht weiter auf deren Einverleibung speculirt, sondern gemeinsam
mit Oesterreich die Errichtung eines süddeutschen Bundes befördert,
und die Bollwerke Mainz, Rastatt und Ulm mit Oesterreich zusammen
besetzt. Ein lebenskräftiger süddeutscher Bund wird dann das beste
Bindemittel der bisher feindlich getrennten Brüder sein und mit
diesen gemeinsam die gewaltigste Conföderation darstellen, ohne deren
Zustimmung kein Kanonenschuß in Europa abgefeuert werden darf,
und da der Bund seiner Natur nach friedlich sein wird, werden
sich alle Völker Europa's der Segnungen eines soliden und dauern-
den Friedens zu erfreuen haben. Handel und Wandel, die zu lange
schon darniederliegen, werden fröhlich aufblühen und die Staaten
wie die Einzelnen werden sich von den finanziellen Calamitäien zu
erholen vermögen, welche der Mangel an Vertrauen in den Bestand
der Dinge und eine ins Ungemessene angewachsene Militärmacht
hervorgerufen hat. Auch die Segnungen der politischen Freiheit,
die mit der Herrschaft des Säbels unvereinbar sind, werden nicht
ausbleiben, und so dürften wir den glückseligsten Zuständen ent-
gegensetzen.
Doch ach! das sind Träume, — Träume, die realisirbar
wären, wenn Preußen sich nicht entschlossen Härte, den zweiten Weg
zu betreten, d. h. fortzuwandeln auf dem verlocklnden, aber gefahr-
vollen Pfade des Ehrgeizes, der kein Ende findet, der sich rm Un-
gewissen verläuft. Man ist in Berlin noch nicht zufrieden mit den
Resultaten des Jahres 1866, so großartig sie auch gewesen sein
mochten. Den Beleg dafür bietet die Usedom'sche Note und die
neusten Zettelungen mit Italien, wie sie die Presse veröffentlicht
hat. Auf diesem Wegs gibt es kein Halt mehr, der Appetit kommt
beim Essen, — und Preußen hat bereits den Hunger Napoleons I.,
der nie zu stillen war und mit einer Katastrophe endete. Meine
Herren! Die verderbliche Frucht, die im Garten des norddeutschen
Bundeskanzlers gcpflauzt wird, geht rasch ihrer Reife entgegen,
und wenn ich Ihnen meine innerste Herzensmeinung sagen soll, so
glaube ich an den baldigen Ausbruch des Krieges. Die Einver-
leibung der süddeutschen Länder, tue Zertrümmerung Oesterreichs
ist beschlossene Sache. Vor einigen Tagm reichten sich der König
von Preußen und der russische Kaiser in Schmalbach die Hände,
— ihre Allianz ist eine natürliche: Oesterreich steht ihnen beiden
im Wege, dem einen zur Wetterveifolgung seiner Absichten in
Deutschland, dem andern auf seinem Weg nach Coustautwopel.
Italien soll der Dritte im Bunde werden, — „und bist du nicht
willig, so brauch ich Gewalt", rief man ihm von Berlin bereits
 
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