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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
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Donnerstag und Samstag.

* Zur Lage.
Längst war es öffentliches Gehelmniß, daß der Thron der
Königin von Spanien nicht mehr fest stehe und daß jeden Tag eine
Schilderhebung gegen sie statlfinoen könne, und daher war Niemand
verwundert, sondern alle Welt darauf vorbereitet, als der Telegraph
eines Tages die Mittheilung brachte, daß ganz Spanien in den
Flammen der Revolution stehe. Die Weiberregierung ist selten
etwas werth, — am wenigsten in Spanien. Wenn es irgendwo
einer kraftvollen männlichen Faust bedarf, die die Zügel der Ne-
gierung festhält, so ist es hier, wo glückliche Soldatenführer sich
um die Herrschaft reißen und bei jedem Widerstand, der ihren Ab-
sichten von oben entgegentritt, voll Trotz und Uebermuth an den
Säbel schlagen und mit dem Ausstand drohen. Isabella weiß da-
von zu erzählen, wie diese stolzen Prätorianer austreten, wie sie
sich unter einander bekämpften und wie sie selbst nur eine Spiel-
puppe in den Händen des Glücklichsten war. Aber alle diese Aus-
stände reichten nur bis zu den Stufrn drs Thrones hin, wo
sie stillstanden, — erst dem neuesten, der vorübergehend alle unzu-
friedenen Elemente in sich vereinigte, ist auch die Dynastie selbst
erlegen. Wir haben wenig Vertrauen in die Dauer der Freund-
schaft eyrgeiziger Führer unter einander, aber schlimmer als es bis-
her gewesen ist, kann es kaum in der Zukunft werden. Der Spanier
ist von Hause aus stets monarchisch gesinnt gewesen, aber die Mo-
narchie hat sich dermaßen durch dre lüderlichste Wirtschaft zu Grunde
gerichtet, daß kaum mehr etwas arideres übrig bleibt als es ein-
mal mit der Republik zu probiren, zumal die bis jetzt genannten
Candidäten, der einfältige Herzog von Montpenster, der Urenkel
des Don Carlos und der König von Portugal nur wenig Aus-
sicht auf die Erlangung der Krone Huben dürften. Ob es dann
mit der Republik, die aber nur eine föderative sein könnte,
besser würde, ist freilich eine Frage, die wir der Zukunft über-
lassen müssen. Die Köln. Blätter fällen ein sehr geistreiches Ur-
theil, wenn sie hierüber schreiben:
„Aber — fragt man schließlich — wenn keiner von allen die-
sen Candidaten eine Anwartschaft auf den spanischen Thron hat,
was soll denn am Ende daraus werden? Nun, mir mögen fast
wagen, zu antworten — ein Pläsidentenstuhl. Ja, man hat es
feit lange und man erklärt es noch heute ziemlich allgemein für
eine baare Unmöglichkeit, daß das so royalistisch gesinnte spanische
Volk für eine Republik sich entscheiden oder, wenn eine solche pro-
clamirt würde, sie dauernd aufrecht Halen könnte. Man dürfte sich
täuschen. Gerade weil das Volk seinen innigen Glauben und sein
treues Festhalten an der Monarchie vielfach so schwer gebüßt hat,

dürfte es, dem spanischen Charakter gemäß, geneigt sein, mit der
selben Entschiedenheit und Energie dem Gegentheil sich hinzugeben
und nun — mit erregter Phantasie — alles Heil von einer repu-
blikanischen Staatsform zu erwarten. Uebrigens scheint es uns
ganz oberflächlich geurtheilt, daß das spanische Volk nicht das Zeug
zu einem republikanischen Leben und Wesen in sich trage. Wir
glauben im Gegentheil, daß der Spanier weit mehr von den dazu
nöthigen Tugenden besitzt, als der Franzose, der Italiener und
selbst der Deutsche. Die Spanier sind keineswegs, wie man sie
uns früher zu schildern pflegte, nur abenteuernd«- Hidalgos und
ehrgeizige Schwärmer; es gibt dort mehr als irgendwo fleißige,
ruhige, ehrbare Bürger und wahre, redliche Patrioten. Auch ist
der vielgenannte spanische „Stolz", das Gefühl und die Aufrecht-
hebung der eigenen Würde, kein leerer Wahn und dürfte mit oem
nöthigen republikanischen Stolze eine sehr nahe und günstige Ver-
wandtschaft haben. Außerdem aber wurzeln und walten schon von
Alters her in den Provincial- und städtischen Verfassungen Spa-
niens so viele republikanische Keime, die nur einiger Entwickelung
und Zusammenfügung bedürfen, um einen ganz naturwüchsigen
republikanischen Bau darzustellen. Schließlich möchten wir auch
noch auf das glückliche Verhältniß der spanischen Städte zu ein-
ander aufmerksam machen, welches jene gefährliche Concentration
der nationalen Kräfte in einem Punkt, wie in Frankreich, aus-
schließt und an sich schon ein gewisses Gleichgewicht derselben be-
dingt. Madrid wird nie so alle Schwesterstädte aussaugen und
das ganze Leben des Landes verschlingen können wie Paris; es
wird nie eine solche Touristen- und AUeweltsstadt, eine solche all-
gemeine Demoralisirungsanstalt werden wie die französische Haupt-
stadt. Madrid hat weit mehr mit dem republikanischen Washington
als mit dem kaiserlichen Paris Ähnlichkeit.
Wenn es aber schon an den natürlichen und dauernden Be-
dingungen eines republikanischen Staatswesens in Spanien nicht
fehlt, so kommen die historischen Bedingungen des Augenblicks noch
gewaltig fördernd hinzu. Denn nicht nur, daß auf der einen Seite
jeder monarchischen Nestituirung des Staats die oben entwickelten
Schwierigkeiten entgegenstehen, so sind anderseits für eine republica-
nische Constituirung eben jetzt bedeutende Elemente und persönliche
Facioren vorhanden, welche sich geltend zu machen die Gewalt und
oen Willen haben. Von den Ereignissen selbst sind Männer, wie
Serrano, Prim, Dulce, Olozaga u. A. an die Spitze und das Ru-
der des Staats gebracht worden, das sie ohne Grund und Noth
nicht wieder aus der Hand lassen werden. Eine bürgerliche Regent-
schaft ist factisch vorhanden, es käme nur noch darauf an, sie for-
Ganze Provinzen warf man mit Vergnügen zum Fenster hinaus und verhalf
im Auslande selber dazu durch einen muntern Bürgerkrieg daheim.
Eine Zeit lang, allerdings, sah es aus, als wäre hierin ein gewisser Um-
schwung eingetreten, allein die jüngsten Ereignisse haben gezeigt, daß dies eine
optische Täuschung war. Hieß vordem die Zersplitterung „germanische Freiheit",
so nennt man sie jetzt „liberal-national" ; nahm vordem ein Reichsfeind einen
deutschen Bürgerkrieg gleichsam in seinen Sold (im dreißigjährigen Kriege stossen
die französischen Pensionen stromweise in Deutschland), so kann er jetzo sein
eigenes Geld sparen, und gibt blos den Antrieb her oder die Genehmigung.
Deutschland aber, wie vor Alters auch, liefert Menschenopfer zum Krieg und
den Grund und Boden für Lager und Schlachtfeld; der Unterschied ist nur,
daß ein Dienst ausländischer Interessen, insofern ein solcher mit dabei ist, sich
nunmehr unentgeldlich versieht. Also auch die Geldkosten trägt Deutschland
ausschließlich selber, und das mit Fug und Recht; denn nach der neuesten
Theorie sind deutsche Eroberungen nur dann zulässig, wenn sie aus einer
deutschen Tasche in die andere gehen, und folglich ist der Bürgerkrieg allem
ein „deutsch nationaler". Eine Nation ist nie stärker, als wenn sie den rechten
Arm gebraucht, um sich den linken damit abzuhauen, oder umgekehrt. Hat
aber ein deutscher Staat andere Erwerbungen gemacht, als auf Kosten deutscher
Nachbarn, hat er dem Ausland etwas abgewonnen, was vielleicht semen deut-
schen Gebietstheilen eine Vormauer, eine gute militärische Grenze verschaffte:
auf der Stelle gebe er es heraus, oder man wird ihn mit Hilfe des Auslan-
des dazu zwingen. Einem ausländischen Concurrenten den Rang abzulaufen,
stehe keinem Deutschen zu; wenn er Jemand Übervortheilen will, so halte er
sich an die deutsche Stamrnesverwandtschaft, an seine Brüder. So lautet die
neueste Theorie. Es geschieht den Oesterreichern schon recht, daß man ihnen
damit zu Leib rückte ; warum haben sie sich nicht ebenfalls auf die „nationale"
Eroberung rnrlegt ! ? Der alte Hans Dampf, der Natwnalverein, steht daneben
und re.bt sich vergnügt die Hände. Auch er ist in seiner Art ein Hans im
Glück. Deutschland m Bruchstücken, wie ein zersprungener Planet, Luxemburg
und Limburg wahrscheinlich für Deutschland verloren, möglicher Weise noch
eine Abfindung mit Frankreich bevorstehend, und diese Errungenschaften veredelt
durch eine Allianz, welche feindlich in Tprol einfiel: für Hans im Glück ist
das schon der Mühe werth, einen Freudensprung zu thun; — einen national-
liberalen !

* Lesefrüchte.
Aus Giehnes Tagebuch vom 30. Sept. 1866:
Sei es aus der Märchensaminlung der Gebrüder Grimm, sei es aus der
Kinderstube selbst, man kennt die Geschichte von Hans im Glück, wie er für
sieben Jahre Dienst seinen Lohn empfängt, einen Goldklumpen, und wie er
diesen Goldklumpen vertauscht gegen ein Pferd, das Pferd nachgehends gegen
eine Kuh, die Kuh wiederum gegen ein Schwein, das Schwein alsdann gegen
eine Gans, und die Gans schließlich gegen einen Armvoll Feldsteine, die ihm
ein Scheerenschleifer als Schleifsteine zur Gründung eines einträglichen Scheeren-
schleifergeschästes abläßt. Dieser letzte Handel, obwohl ebenfalls als ein Glück
zu betrachten, wird dem guten Hans doch bald lästig, denn die Sonne brennt
heiß und die Steine sind schwer; an einem Brunnen will er sich erquicken,
bückt sich zu weit über, und die Steine fallen hinein: da thut Hans im Glück
einen Freudensprung, und setzt nun kummerlos den Heimweg fort zu seiner
Mutter, um ihr zu erzählen, wie ihm das Glück immer wohlgewollt.' Es ist
eilt sinniges Märchen, diese Reihe von Glücksfälleu, und der Hans im Glück ist
am Ende der deutsche Michel selbst. Auf welcher Sprosse dieser Leiter er ge-
rade jetzt stehen mag, wage ich nicht zu entscheiden; aber ganz so, in herab-
steigender Stufenfolge, treibt er seine „nationale" Politik und fühlt sich auf
und nieder als den Hans im Glück dabe,. Man sieht es ihm nicht mehr an,
daß er mit einem großen Kaiserthum und einer deutschen Weltmacht anfing:
so weit ist er stufenweise herunter gekommen. Damals als er die Einheit
Deutschlands hatte, machte er Opposition dagegen; stets lehnte er sich auf
gegen das Kaiserthum, welches der nationale Mittelpunkt war, und gab nicht
eher Ruhe, als bis er statt eines e nzigen Oberhauptes deren einige Hundert
hatte Düse Opposition gegen die Emheit Deutschlands pflegte man die ger-
manische Freiheit, zwischen hinein auch wohl die „Sache d-s Evangeliums" zu
nennen. In demselben Maße, wie man den nationalen Mittelpunkt schwächte,
sank natürlich auch die Macht des Reichs gegen außen, allein daraus machte
sich der Rutsche Michel Nichts; mochten auch große Reichslande verloren
gehen, darum kühlte er sich nicht minder als den Hans im Glück, falls nur
auf die deutsche Einheit, den Kaiser, wiederum ein splitternder Hi/b fiel. Es
gab Nichts, was in Deutschland so populär gewesen wäre, wie die Zerspitterung.
 
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