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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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95. Donnerstag den 13. August 1868.


Das Treiben der Servilen am See.
— Conftanz, 10. Aug. In Nr. 88 hat der Pfälzer Bote
eine sehr richtige Anschauung über die Zustände der hiesigen Gegend
geliefert. Zur Bestätigung u. Vervollständigung jenes Aufsatzes möchte
ich darauf aufmerksam machen, daß die Kindheit, in der wir noch
stecken, sich besonders in den hier üblichen Schimpfworten
manifestirt. Darin liegt aber anch gerade das Knabenhafte
unserer Zustände. Beim Mangel von geistigen Waffen werden ja
so gern von der lieben Jugend Spott- und Schimpfnamen erfun-
den, um dem Gegner eins zu versetzen. Gedankenlos schreit der
Chorus nach und der arme Betroffene sieht sich oft noch in späte-
ren Jahren mit dem ersten Spottnamen aus der Schule bezeichnet.
Wer sich am meisten dagegen sträubt und dadurch zeigt, wie un
angenehm ihm eine derartige Benennung ist, der hat sicherlich am
längsten sie zu führen. Wer dagegen aus einem solchen Buben-
streiche sich nichts macht nnd selbst darüber lacht, an dem prallt
diese Bosheit wirkungslos ab und wird derselbe niemals einen
Spottnamen lange behalten.
Aehnlich verhält es sich mit den hier gang und gäbe gewor
denen Schimpfworten. Man meint, es sei noch eine Heerde von
Buben beisammen, wenn man die Kraftausdrücke vernimmt, welche
besonders in Wirthshäusern erklingen. Namentlich ist es ein
Schlagwort, das eine magische Kraft bei unserer Bevölkerung aus-
übt; es heißt „ultramontan." Während man im Unterland
darüber lacht, während es in Württemberg sogar als eine Ehren-
bezeichnung gegen die Bettelpreußen gilt, ist es hier das enkant
teri-ibls, mit dem noch Wunder bewirkt werden. „Sie sind ein
Ochs oder ein Esel", dies kann noch als Ehrenauszeichnung gelten
gegenüber der Benennung „ultramontan." Sehr schlau wird die-
ses Schlag- und Schimpfwort, je nach den einzelnen Persönlich
ketten mehr oder minder angewendet. Fürchtet man die Opposi-
tion eines einflußreichen Mannes und werden bei ihr alle mögliche
Arten von Liebkosungen vergeblich versucht, — dann wird als
letztes Elixir das Bannwort „ultramontan" aus der gothaischen
Pandorabüchse hervorgeholt. Wirkt es, so wird der Betreffende
wieder zu Gnaden ausgenommen, wirkt es nicht, so erfolgen dann
Schlag auf Schlag die niederträchtigsten Verfolgungen. Einer be-
sondern Aufmerksamkeit erfreut sich in dieser Beziehung die Zunft
der Wirthe; denn da das Wirthshausleben einen bedeutenden
Factor für die Macht der Parteien Süddeutschlands abgibt, so
gilt neben dem Hrn. Oberamtmann ein Wirth als einflußreichste
Cin Lebenslauf.
(Aus der Augsburger Abendzeitung.)
(Schluß.)
Eine ganze Woche hindurch sprach man in den Salons vsn nichts anderem
als von dem Wunderkleide der Tänzerin und Heine schrieb an Cotta's „Allge-
meine Zeitung" : „Es ist ein Glück, daß die Tänzerinnen nur kurze Kleider
tragen, sonst müßten sich ihre Galans in Mettermch'sche Staatsschulden stürzen,
um für ihre Unschuld das Feigenblatt herdeizujchasstn." Die schöne Barbarin!
war glücklich in ihren Triumphen, St. Armand in den Armen der Gräfin
Wanda.
Eines Tages stürzte Czartoryski, der Chef der polnischen Emigration, ver-
zweifelt in das Bureau des Poiizeiministers. Ein unerhörtes Attentat war
verübt worden, die Kasette der Gräfin Wanda war von einem unbekannten
Frevler erbrochen, die Statuten, Pläne, Namensregister der polnischen Emi-
gration geraubt, das Leben von Tausenden stand aus dem Spiel, ein großer
Theil des in Polen lebenden Adels war compromittirt, Nikolaus kannte kein
Erbarmen. Die der Grosin Wanda geraubten Papiere dem unbarmherzigen
Czar ausgeliefert, hieß ein Blutbad so groß als wie das Weltmeer anrichten.
Der Polizeiminifter eilte zum König, der König berief Herrn von Guizot, Gui-
zot conferirte mit den Gesandten der Großmächte, während dessen die Papiere
Wanda's nach St. Petersburg wanderten und die Bardarini konnte sich rühmen,
mr nächsten neuen Ballet ein Kleid getragen zu haben, das das erstere an
Pracht und Eleganz weit verdunkelte, denn St. Armand war nunmehr wieder
chr Lrrbhaber. Der Czar ist zwar weit, aber seine Rubeln flössen in St. Ar-
mands Sack, man spricht, daß die Papiers, die er der Gräfin Wanda stahl,
«hm eine halbe Million einirugen. Auf Grund der Papiere Wanda's begann
nunmehr m Warschau eine Razzia, gegen welche der Bethlehemiüsche Kinder-
mord eme Klenngkeit war. Die Gräfin Wanda vergiftete sich, St. Armand
folgte als -ndtragender ihrer Leiche. Bald daraus ging er mit seiner Barbarini
nach Amerika, die Iankees überschütteten die Tänzerin in ihrem Kunstparoxis-
mus mit Dollars, die St. Armand stets gewissenhaft wieder verspielte. In
St. Francisco nahte sich die Tänzerin unvorsichtig der Lampe, ihr Kleid fing
Heuer, und ehe Rettung geschafft werden konnte, lag die so gefeierte und be-
wunderte Tänzerin — ein verkohlter Leichnam auf dem Podium.
Das Publikum war vor Bestürzung außer sich, noch mehr aber St. Ar-

Persönlichkeit. Ist er doch auch ein geistiger Cnlturförster durch
das Halten von Tagesblättern, die der gemeine Mann nur im
Wirthshause zu lesen pflegt. Nun ist es aber bereits so weit in
der gothaischen Toleranz gekommen, daß ein Wirth, der des Gleich-
gewichts wegen z. B. die alte Landesbase und den Bad. Beobachter
hält, gleichwohl als „Ultramontaner" verschrieen und ihm so lange
durch die elendsten preußischen Pfiffe zugesetzt wird, bis er, nur
um einmal Ruhe zu bekommen, den Beobachter abschafft. Wehe
auch dem Wirthe, bei welchem die „Schwarzröcke" einkehren, wehe
zugleich den übrigen Gästen, die sich gleichfalls dort einfinden;
sie werden als „Ultramontane" verpönt und müssen die Gesellschaft
der fog. Honorationen meiden. Hat mir doch hierüber ein pro-
testantischer Stacusdiener, der wegen des guten Vieres es gleich-
wohl wagt, öfters unter „Schwarzröcken" ein Stündlein zuzubrin-
gen, die Einzelnheüen seiner Misere mit einem Sarkasmus offenbart,
daß heute mir noch die Lachmuskeln in Anspruch genommen sind.
— Aber am schlimmsten sind jedenfalls die Gemeindebeamten daran,
wenn man ultramontane Tendenzen bei ihnen entdeckt. Es ver-
steht sich daß solche Leute von den HH. Beamten „gebührend" be-
handelt werden. Dies wird aber von verkommenen Subjekten be-
sonders gut verstanden und der „Ultramontane" so lange maltrai-
tirt, bis er aus purem Ekel vor dem „Fortschritt" den Stab
niederlegt. Zur Ehre vieler Gemeindebeamten muß ich hier be-
zeugen, daß wenn sie könnten, wie sie wollten (d. h. wenn sie wirk-
liche Courage hätten. Randglosse der Redaktion), der widerwärtige
Fanatismus gegen die Personen der kirchlich Gesinnten schon längst
in ihren Gemeinden ausgelöscht wäre. Aber die Piepmeier bilden
in der Regel die Mehrzahl der Gemeindeverwaltung undlassen ge-
duldig Alles zu, wenn sie nur damit den Schein retten, nicht als
„Ulrramontane" verschrieen zu werden. Da soll z. B. ein neuer
Weg angelegt werden; alle Einsichtigen, wie auch die Techniker
sind darüber einig, daß die Richtung T. gewählt werden muß; allein
bei dieser Richtung gelangt der Bruder der Schwiegermutter eines
„Ultramontuncn" zu einigem Vortheil, während die andere Richtung
Z. die Interessen eines nationalliberalen Wirthes ausrecht erhält —
Grund genug, um die Anhänger der ersten Richtung als „Ultra-
montane" zu bezeichnen und somit die Angstmänner auf dem
Rathhause zu veranlassen, die zweite Richtung zu decretiren. Oder
ein Gemeinde-Pascha, ein zweiter Haußmann, will sich ein Denk-
mal errichten durch großartige Bauten; unbekümmert um den
Geldbeutel seiner Gemeindemitglieder verfolgt er Pläne, mit
mand, denn er war plötzlich ein B.ttler geworden. Die Tänzerin war seine
einzige Erwerbsquelle gewesen, und diese war nun versiegt. Um sich Reisegeld
nach Europa zu verschaffen, das Silberkleid der Tänzerin war längst verspielt,
stellte er den Leichnam in einer Bude zur Schau aus, gegen ein Eintrittsgeld
von einem Dollar. Siech an Geist und Leib kehrte St. Armand nach Paris
in dem Momente zurück, da Louis Philipp unfreiwillig von dort abreiste. Der
Pole Czinowski erkannte den Räuber der Papiere Wanda's und schoß ihn im
Bois Le Boulgne zum Krüppel. Mit einem Bein hinkte der Elende nach
langem Siechrhum auf dem Pariser Straßsnpflaster von aller Welt verachtet,
von seinen Freunden verstoßen und verlassen, ein elender Mensch. Ein Falsch-
spieler von Profession war St. Armand der Verfolgung der Polizei Preis ge-
geben, die ihn überall suchte und fand. Seine Menfchenkenntniß machte sich
endlich die Polizei zu Nutzen, er war ein gut bezahlter Polizeispion. Die Wege
der Vorsehung und der Polizei sind unergründlich. Eines Tages war St. Ar-
mand aus dem goldenen Buche der Polizei, in welchem jeder Polizeiagent em
Blatt hat, für immer gestrichen und er ward — ein Lumpensammler. Der
RouH von ehedem suchte nun inr Kericht sein Brod, wühlte in den Kloaken
und suchte Trost im Absynth, der ihm die Champagnernächte von ehedem ver-
gessen machte.
Der Elende war zu tief gesunken, als daß sich noch Jemand um ihn ge-
kümmert hätte, nichts hatte er aus dem Schiffbruch des Ledens gerettet als
die Verachtung aller jener, die er einst gekannt. Da erschien er eines Tages
bei dem Buchhändler Michel Levy, um ihm seine Memoiren zum Kaufe anzu-
bieten. Der stolze Titel dieses Werkes lautete: „M-moiren eines Lumpen-
sammlers." Der Buchhändler nahm das beschmutzte Manuskript aus den noch
«schmutzigeren Händen des Lumpensammlers und übergab es Herrn Feydeau zur
Beurtheilung. Das Urtheil des Romanciers der „Fanny" lautete durchaus
ungünstig, er gab dem Menschen, der ehedem Millionen verschwendete, 100 Frcs.,
die dieser mit Dank annahm. Feydeau hatte nunmehr in den „Memoiren eines
Lumpensammlers" ein reiches Material zu einem vielbändigen Romane gewonnen,
welches er in seinem Buche: „Der Mann einer Tänzerin" sehr reich verwerthete.
Wir wollen für das unsaubere Buch Feydeau's keine Reclume machen, eben
so wenig als wir dem Helden dieses Buches eins Thräne nachweinen möchten,
aber das Leben dieses Pariser Lumpensammlers ist ein lehrreiches Beispiel, da-
s rum versehen wir es mit dem Spruche: ,Memento mori!"
 
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