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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 40-51 (2. April - 30. April)
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* Prozeß Lindau.
(Nach stenographischer Aufzeichnung).
(Fortsetzung.)
Verteidiger Schulz fährt fort:
Man scheint sich choquirt zu haben, daß ein einfacher Bürger,
ein Jakob Lindau, es wagt, sich öffentlich an den Herrn Minister
zu wenden, dem Herrn Minister selbst öffentlich Vorwürfe zu
machen. In einem constitutionellen Lande, in einem Lande, wo
wirklich constitutionelle Grundsätze in Fleisch und Blut überge-
gangen sind, könnte dies gar mcht auffallend sein. Lindau hat
überdies eine Stellung rm Lande, die vielleicht mächtiger ist,
als diejenige des Herrn Ministers; man betrachte nur den Zauber,
den er auf die Bevölkerung übt. Lindau hat bei den Wahlen
einen Einfluß offenbart, der die Hälfte der Bewohner des Landes
unter seine Fahne führte und er hat damit bewiesen, daß feine
Popularität und die Anerkennung des Volkes für ihn eine viel
größere ist als. für die jetzige Regierung.
Man weiß ja ohnehin, welche außerordentliche Mittel eine
Regierung hat, Einfluß zu üben. Sie, besitzt von vornherein eine
ganz überwiegende Macht, indem sie die Obrigkeit bildet — und
die Obrigkeit zu achten, ist das erste Gebot unserer Religion und
das erste Bedürfniß des ruhigen Bürgers. Deßhalb wird eine
große Zahl der Staatsbürger und unter diesen sind gar Viele,
die es nehmen, wie man es ihnen bietet, naturgemäß mit der
Regierung stimmen und dann kommt die Regierung noch mit
ihren zahllosen besonderen Einflüssen. Mein Client hat Ihnen
mehrere Vorgänge von Beeinflussung der Wahlen erzählt, er hätte
eine Menge anderer anführen können; er hätte z. B. aus dem
14. Wahlbezirk anführen können, daß ein Obereinnchmer sämmtliche
Accisoren seines Bezirkes zu Protokoll verpflichtete, daß sie bei
Strafe der Absetzung nicht den bösen Lindau zu wählen hätten,
sondern den Kandidaten der Regierung! Die Stellung des Herrn
Lindau ist eine solche, daß er, der Zollparlamentsabgeordnete, sich
wohl herausnehmen durfte, sich direcl an den Herrn Minister zu
wenden. Ich sage nun: sobald mir dies anerkennen, müssen wir
auch zugeben, daß er sich als ehrlicher Gegner und in anständiger
Form an ihn gewendet, daß er sich in keiner Weise dem Straf-
gesetze preisgegebeu hat, und das ist es, was ich näher auszu
führen habe.
Man fand daran Aergerniß, daß Herr Lindau im Eingänge
sagt, es habe sich gezeigt, daß man mit zweierlei Maß im Lande
messe. Herr Lindau hat selbst schon hervorgehoben: das ist ein
Vorwurf, der in keinem constitutionellen Staate, überhaupt in
keinem Staate der Verwaltungsbehörde gegenüber aufgestellt wer-
den kann; es ist gar nicht möglich, ein einziges Maß unzulegen,
der Minister muß nach Umständen handeln, er hat, wie ich eben
zeigte, das Recht, gegen das Volum aller seiner Räche zu handeln,
er kann hier gestallen, was er dort verbietet. Nun könnte unter
den gegebenen Umständen Herr Jolly als berechtigt angesehen wer-
den, wor Allem für nothwendig zu halten, daß er Minister bleibe;
das darf, das muß er sogar, wenn er als ein tüchtiger überlege-
ner Mann an der Spitze der Regierung stünde. Die Landes-
Zeitung, der kleine Moniteur der Herren Minister, hat gesagt,
warum die Versammlung in Bühl verboten werden mußte: sie
mußte verboten werden, damit Lindau keinen Einfluß übe auf die
Bevölkerung!
Das konnte der Herr Jolly kraft feines Amtes thun, da er
befürchten mochte, es werde ihm dadurch unmöglich gemacht, die
Zügel mit starker Hand fortzuführen. Wenn e? in diesem Sinne
handelte, so that er zwar Unrecht, insoweit er seine Person viel
zu hoch stellte, er durfte es aber thun, wenn er der Ansicht ist,
daß seine Regierung die beste sei, daß sie zum Wohle des Landes
aufrecht erhalten werden müsse.
Es ist gewiß kein Amtsmißbrauch, wenn er die Stadt Mann-
heim anders behandelt, als die Stadt Freiburg, sofern er dort
verschiedene Stimmungen, verschiedene Bedürfnisse vorfindet. Es
ist also in dem Vorhalte, zweierlei Maß zu haben, durchaus keine
Ehrenbeleidigung für einen constitutionellen verwaltenden Minister
enthalten; ich glaube ein solcher Herr muß mehr als zweierlei, er
muß fünf und sechserlei Maß haben: darin kann also eine Schmäh-
ung nimmermehr gefunden werden.

Ueberdies wäre dieser Vorwurf lediglich ein unrichtiges Ur-
theil, was ich besonders hervorheben muß. Mein Client stand
schon einmal vor diesem Gerichtshof, damals nicht als Angeklagter,
sondern als Ankläger, er hatte die schwersten Verletzungen seiner
Person und feiner Ehre angeklagt; feine Handlungen wurden
infam genannt, es war ihm von seinen Gegnern zugerufen wor-
den: er müsse ausgestoßen werden aus der bürgerlichen Gesell-
schaft ! — Allein der hohe Gerichtshof erklärte diese und — ähn-
liche Reden für nicht strafbar, weil sie lediglich Urtheile seien!
Ich freue mich, heute vor demselben Gerichtshöfe zu stehen, weil
ich hoffe, daß er auch die angeklagten Reden blos als erlaubte
Urtheile erkennen wird, wenn sie auch nicht als richtig befunden
würden.
Es sollen grobe Schmähungen in dem Briefe enthalten sein!
Staatsrath Bekk hebt in der bereits angeführten Ausführung der
oberhofgerichtlichen Jahrbücher hervor zur Begründung der An-
klage nach Art. 631 u des Strafgesetzes, daß eine gewöhnliche
Ehrenkränkung nicht genüge, daß eine grobe Schmähung verübt
worden fein müsse. Eine solche grobe Schmähung kann hier schon
oeßwegen nicht vorliegen, weil überhaupt nicht geschmäht wor-
den ist.
Die Zweite von der Anklage hervorgehobene Stelle ist die,
bezüglich deren dem Angeklagten der Vorwurf gemacht wird, er
habe die Regierung der Parteiherrschaft beschuldigt. Der Ange-
klagte hat hier lediglich seine Ansicht entwickelt, er hat nur ein
Urtheil gefällt und wenn das Urtheil auch nicht ganz richtig
wäre, so könnte es, wie gezeigt, nicht strafbar sein. Allein er
war im Stande, seine Folgerungen zu begründen. Es ist eine
Thatsache nnd die Regierung hat es offen und oft erklärt, daß
sie im Interesse einer Partei, der licht- und preußensreundlichen
Partei, thätig ist, daß sic ihre Maßregeln nur von diesem Partei-
standpunkte aus trifft: das ist allbekannt. Es ist mit Hohn durch
die Landeszeitung insinuirt worden, daß es sich von selbst ver-
stehe, daß die Regierung keine Männer in's Amt rufen werde,
die ihr nicht ganz angehören. Herr Lindau wird also nie von
ihnen berufen werden, er darf sich sagen: dieser Partei bin ich
wie Gift, mit ihr werde ich nie etwas gemein haben! Er kann
daher mit Grund behaupten, daß die Regierung nur vom Partei-
standpunkte handelt, er konnte namentlich sagen und ich fand diese
Bemerkung in seinem Sendschreiben sehr treffend, wenn die An-
hänger der Regierung bekennen müssen und die Regierung selbst
bekennen muß, das Vock ist uns fremd, so hat sie damit bekannt,
daß sie nur im Sinne einer Minorität des Volkes thätig ist.
Tüese Folgerung wird man nicht ablehnen können. Freilich sieht
man das Volk an als eine Masse, die stets geschoben werden
muß, die keinen Willen hat und haben soll; man sagt, wir sind
die Intelligenz, ihr aber seid nur einfältiges Volk, oder wie wir
in den Wahlkämpfen hörten, ihr seid nur verächtliches Stimm-
vieh ! S. K. Hoheit der Großherzog hat selbst in feierlicher
Stunde gesagt: wenn die Majorität des Volkes durch seine Ver-
treter einen Willen äußert, io werde ich demselben Rechnung
tragen. Hätte die Majorität erklärt: wir sehen mit Mißtrauen
auf das jetzige Ministerium, so würde der Landesherr sich wohl
veranlaßt gesehen haben, eine Aenderung eintreten zu lassen.
Wenn nun bei der Wahl sich zeigte, daß die Regierung nicht
frei über das Volk verfügt, wenn man vielmehr erkennen mußte,
die Majorität des Volkes gehe nicht mit der Regierung, wenn diese
Voraussetzungen vorlagen, so ist auch die Anschauung des Send-
schreibens wohl begründet. Ich wiederhole, eine Parteiherrschaft in
einem constitutionellen Staate einem Minister vorwerfen zu wollen,
ist ein Unding.
Sehen Sie nach England, nach Belgien! Da folgt ein Mini-
sterium dem andern, die Torris den Wighs, die Clericalen den
Liberalen, Niemand wird daran denken, die Minister strafbar zu
finden, daß sie für ihre Partei thätig sind, daß sie ausschließlich
nach den Grundsätzen der Partei handeln. In der That ist eine
andere Ansicht von der Thätigkeit eines Ministers eine antidilu-
vianische: Die Gottheit spricht nicht mehr unmittelbar zu den Sterb-
lichen. Sobald sich entgegenstehende Interessen zur Geltung zu brin-
gen suchen, sobald Parteien für die eine und andere Richtung sich
bilden und abschließen, so nehmen sie in gesonderten Lagern ihre
Stellung im Staate und der an das Ruder gelangte Führer, über-
 
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