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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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Samstag den 15. August

* Zum Verfassungsfest.
Der fünfzigjährige Bestand unserer Verfassung soll gefeiert
werden. Einverstanden; denn die Verfassung hat uns viel Gutes
gebracht, viel Schlechtes abgchalten. Aber sonderbarerweise sind
es nur die Regierungsorgane, welche zur Feier auffordern, die oppo-
sitionellen Blätter schweigen. Und warum schweigen sie? weil sie
wissen, daß diese Feier weiter nichts sein soll als eine Parteide-
monstration, als ein Mittel um die gefährdete Partei bei künftigen
Wahlen zu retten, die Schlappe bei den Zollparlamentswahlen
wieder gut zu machen. Dahin will nun aber die Opposition nicht
folgen; sie meint, das ganze Land müsse sich zur Verfassungsfeier
gleichmäßig betheiligen, nicht ein Bruchtheil der Bevölkerung und
nur eine bevorzugte Kaste. Sie meint, das Verfassungssest wäre
ganz dazu gemacht, um einmal eine Versöhnung in unserem Lande
anzubahnen. Schon zu lange währt ja der Kampf auf dem poli-
tischen wie auf dem religiösen Gebiete! Möchte doch auch hier
einmal Fihr. Hans v. Türkheim Recht haben mit dem bekannten
Ausruf: „Es ist ja Alles möglich in Baden!" Aber hiezu sind
leider die Dinge nicht angethan und dies liegt auch keineswegs in
der Absicht der gothaischen Herren.
Doch welch' ein Unterschied zwischen der ersten Verfassungs-
feier und der jetzigen! Im Jahre 1843 waren es die Elemente
der Volkspartei, welche die Feier anregten und glücklich durchführten,
— der Beamtenstand und der größere Theil der Bourgeois hatten
sich ausgeschlossen, heute ist das Umgekehrte der Fall. Welche
Schlüsse Kann man hieraus ziehen!
Haben wir somit unsere Ansicht darüber ausgesprochen, ob
ein Verfassungsfest gefeiert werden und wer es feiern soll, so möge
es uns gestattet sein, bei der Frage etwas länger Zu verweilen
über das Wie des Festes. Hierüber werden natürlich die Ansich
ten sehr weit auseinander gehen, ja nach dem Standpunkte oder
vielleicht gar nach den Interessen, denen Einer huldigt. Ländlich,
sittlich, — so darf denn auch der Bote seine Ansicht aussprechen.
Er meint nämlich vor Allem, das Verfassungssest könnte am
besten damit gefeiert werden, wenn man nicht allein nur die Vor-
züge unserer Verfassung hervorhebe, sondern ganz besonders auf
die Mängel derselben und auf die Nichtübereinstimmung mit den
Begriffen der Neuzeit aufmerksam machen würde. Eine Zusammen
stellung aller derjenigen Paragraphen, die sich als practisch nicht
bewährt haben oder veraltet sind, also verändert werden müßten,
sollte in populärer Weise verfaßt und in Adressen aus allen Ge-
meinden des Landes unterschrieben an den Stufen des Thrones
niedergelegt werden.
Wir verzichten darauf, die einzelnen Punkte anzuführen, die
einer Abänderung zu unterwerfen seien; sie sind ja bereits schon
seit langer Zeit in den ständischen Verhandlungen bezeichnet wor-
den. Es dürste wirklich schwer werden, irgend eine Materie, welche
in den Kreis der ständischen Wirksamkeit gehört, ausfindig zu machen,
die nicht im Ständesaal besprochen worden wäre.
Um aber unsrerseits einen kleinen Beitrag zu einer sehr er-
wünschten Aenderung zu liefern, möchten wir einen Hauptpunkt
hervorheben, der sich so recht dazu eignen würde, um den Opfer-
muth unserer Beamten auf's Glänzendste zu documcntiren, die ja
doch heute die Verfassungsfeier in ihre allmächtige Hand nehmen.
Dieser Punkt betrifft die Erleichterung der allzu hoch angelegten
Steuerkräfte durch die Abänderung des veralteten Staatsdiener-
und Pensionsgesetzes.
Wenn man, ganz besonders in den letzten Jahren, unaufhör-
lrch dre Phrasen von den berechtigten Forderungen des „modernen
Staates" gehört und gelesen hat, so muß man als Freund des
Volkes mit Recht darüber erstaunt sein, daß in dem „Musterstaa!"
Baden noch immer ein Staatsdiencrgesetz aus einer vorsündfluth-
uchen Periode fortbesteht. Es datirt vom 30. Januar 1819! Ein
Gesitz, das fast auf jedem Landtage und eigenthümlicherweise in
den sogenannten Neactionszeiten mehr denn jetzt als total veraltet
und unzweckmäßig verurtherlt wurde; ein Gesetz, das man damit
am Vesten kennzeichnen kann, wenn man seinen ersten Paraqrapüen
cttrrt, der da lautet:
„Alle Civilstaatsdienste bis zu den Kanzlisten-
diensten bei Mittelstellen abwärts und mit Ein-
schluß derselben sind in der Regel nach 5jährigen Dienst-

leistungen des Dieners unwiderruflich" — (und da-
mit pensionsberechtigt);
ein Gesetz, das, wie competente Stimmen behaupten, nirgends in
Europa solch günstige Verhältnisse für Staatsdiener schafft; ein
GJetz, welches bei Gelegenheit der Vorlage eines neuen Entwurfs
durch Staatsrath v. Stengel also bezeichnet wurde: „Das Staats-
dienerediet vom 30. Januar 1819 hat sich hauptsächlich nach drei
Richtungen hin als unzweckmäßig erwiesen, indem es die Rechte
unantastbarer Staatsdiener einer Reihe von Angestellten ge-
währt, deren Unabhängigkeit weder vom Interesse des Dienstes
geboten noch mit demselben vereinbarlich ist; sodann indem es
nachlässige oder unwürdige Staatsdiener mit einer Schonung be-
handelt, welche für den Dienst verderblich oder für den Pensions-
etat lästig ist; endlich indem es die Bewilligung von Nuhegehalten
selbst so reichlich bemißt, daß der Staatskasse eine unerschwingliche
Last daraus erwachsen ist."
In Folge des Fortbestandes dieses veralteten Staatsdiener-
gesctzes ist die Pensionslast auf eine außerordentliche Höhe getrieben
worden. Doch kann die jetzige Höhe nicht einmal als Maximum
betrachtet werden, denn es ist ein öffentliches Geheimniß, daß ein
von den Pensionären niedergesetzter Ausschuß die Rechtsverbindlich-
keit eines in den Jahren 1844 und 1848 erlassenen Gesetzes an-
greift, wornach ^/s der Besoldung als Functionsgehalt angesehen
und nicht in die Pension mit eingerechnet wird. Würde ein Ur-
theil zu Gunsten dieser Reclamanten ergehen, so könnte die Staatskasse
noch einige Millionen nachzuzahlen haben, wodurch denn selbstver-
ständlich die bereits erhöhte Steuerlast nicht unbedeutend hinauf-
geschraubt werden dürfte.
Aber es ist nicht allein das Gesetz selbst, sondern auch die
Art und Weise wie es vollzogen wird, ein Stein des Anstoßes.
Unwillkürlich drängen sich den: schlichten Bürger eigene Gedanken
auf, wenn er einen Nimrod tagelang von Morgens bis Abends
durch die Felder und Wälder mit Weidmannslust, mit Entbehrungen
and Anstrengungen aller Art streifen sieht und auf seine Frage
nach dem Namen zur Antwort erhält: „es ist der pensionirte Offi-
cier N. N." Auch schüttelt der schlichte Bürger darüber den Kopf,
wenn er hört, daß ein pensionirter Staatsdiener mit rüstiger Kraft
im Dienste von Privaten oder als Artikelschreiber in alle mögliche
Blätter noch ebenso viel oder noch mehr erwirbt als seine Pension
beträgt. Noch minder kann es dem schlichten Bürger einleuchten,
wenn er einen fetten Pensionär näher kennen lernt, dessen gänz-
liche Unfähigkeit für jede geistige Arbeit vollständig zu Tage tritt.
Noch weit mehr aber fällt es auf, wenn die gesetzlichen Be-
stimmungen in Bezug auf Dienstentlassung nicht eingehalten
werden, wenn vielmehr ein Staatsdiener, obgleich er bereits mehrere
Dienergrade erhallen hat, auf em erneutes unsittliches Betragen
hin nicht sofort entlassen, sondern pensionirt wird.
Daneben werden auch noch in neuester Zeit Pensionen in einer
Höhe verliehen, die vorher niemals stattgefunden hat und mit dem
Gesetze selbst schlechterdings sich nicht verträgt. Der Z 6 des SLaats-
dienergesctzes schreibt die Höhe des Ruhegehaltes vor; in seinem
dritten Absatz bestimmt er weiter:
„Diener, welche durch Anstrengungen im Dienste oder
durch einen Unglücksfall, der sie in Ausübung ihrer Dienst-
pflicht getroffen hat, dienstuntauglich geworden sind
und welche nach ihrem Dienstalter noch nicht den vollen
Gehalt ansprechen können, sollen eine angemessene Erhöhung
ihres reglementmäßigen Ruhegehalts erhalten."
Wenn späterhin der Z. 9 Nr. 3 bestimmt, daß der höchste
gesetzmäßige Ruhegehalt in keinem Falle 4000 fl. übersteigen darf,
daß er jedoch wegen langwieriger und ausgezeichneter
Tllenste oder auch wegen anderer Rücksichten im Wege der Gnade
erhöht werden kann, so ist diese Bestimmung ganz deutlich und un-
bestritten nur für solche Personen anwendbar, die einen Anspruch
aus einen „gesetzmäßigen" Ruhegehalt von 4000 fl. bereits haben,
aber keineswegs für solche, deren gesetzmäßiger Ruhegehalt diese
Summe nicht erreicht.
Es sind uns mehrere Fälle bezeichnet worden, in denen die
erwähnten gesetzlichen Bestimmungen außer Acht gelassen sein
sollen, von denen wir jedoch nur einen herausgreifen wollen, weil
bei mehrfacher öffentlicher Anregung Um Widerspruch dagegen er-
hoben worden ist.
 
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