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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
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M 147.

Samstag den 12. December



Die erste Schlappe.
(Demokr. Corresp.)
Rothbuch, daher Rückzug! — ist die neueste Parole Großpreu-
ßens. Man hat bös was auf die Finger bekommen und steck: sie
geschwind in die Tasche. Man hat ein wenig Sturm geläutet zur
Unzeit und nun machte man Friedensgeläute mit aller Macht.
Ergötzlich zu hören. Wie werden wir denn dran denken, Rumä-
nien auszuhetzen? so versichert man mit gutgespielter Entrüstung.
Hübsch die Verträge halten, so lautet die Vermahnung an Vetter
Karl. Der böse Bratiano entlassen, er hat ja aus der Schule
geschwatzt! Vor allem: herzlichste Freundschaft für Ungarn, welches
sich ganz unnütz ängstigt. Die Kölnische Ztg. zählt sämmtliche
europäische Verdienste der Magyaren auf, nach Jahrhunderten ge-
ordnet — factisch! — und zieht aus diesem kurzen Abriß der Welt-
geschichte in U8UM LunZuriuk den für Transleithanien gewiß höchst
schmeichelhaften Schluß, mit einer solchen Nation werde sich Zollern
doch nicht verfeinden wollen noch können den Rumänen zu Liebe
— diesen Rumänen, die an Zahl und Bildung so wenig be-
deuteten !
So wird man vor Angst ungeschickt und übertreibt. Und die
Uebertreibung schadet wie immer. In Pesth weiß man zu gut wie
man dran ist, und man antwortete dem entsprechend, kühl abweisend,
fügt ungenirt zu dem Schaden noch den Spott. Kommt hinzu,
daß von einer neuen Waffensendung, diesmal zu Schiff, gleichzeitig
aus Rumänien verlautet, wie aus Berlin von jenen Freundschafts-
versicherungen, und da mag denn Vetter Karl in seiner Thronrede
noch so loyal sprechen — verlorne Liebesmühe! Das Geklirr der
heimlichen Waffensendungen stimmt zu schlecht dazu.
So sehen wir denn Großpreußen zum ersten Mal seit zwei Jah-
ren im vollen Rückzüge. Wie es in solchen Fällen pflegt, sucht es
sich mit dem Tugendmante! zu decken. Vergebens. Es ist, über-
führt, das rumänische Arsenal gefüllt zu haben, und Europa schreibt
ihm diesen Act der Nächstenliebe nach Verdienst auf sein schon ziem-
lich belastetes 6onto. Auch daß man Bratiano fallen läßt, hilft
nichts mehr, sondern zeigt nur, wie richtig Beust den wunden Fleck
getroffen. Wir fürchten, selbst der wiederauftretende Bismarck wird
es nicht leicht haben, die Sache zu reguliren, und für Vetter Karl
hoffen wir, daß er sich seine preußische Lieutenants-Stelle offen be-
halten hat. Denn darüber kann kein Zweifel bestehen: mit Bra-
tiano's Entlassung ist die Sache nicht abgethan; Zollern muß sein
Söhnchen Heimrufen oder die Mächte müssen ihm den Laufpaß ge-
ben — „zieh heim an Deine Spree", auf daß er fortan nachdenke
über das finnige Wort: Spiele nie mit Schießgewehr.
* Die Jahresberichte
der Landescommissäre über die Zustände und
Ergebnisse der innern Verwaltung
für das Jahr 1867.
(Fortsetzung.)
Es war kein schönes Bild, das wir unfern Lesern über die
Zustände dieses Landes unter der Rubrik „Wohlstand" bisher ent-
rollt haben, aber nicht nach eigener Phantasie, sondern mit den
Worten der höchsten Beamten selbst, deren trostlose Schilderungen
auch den letzten Zweifel an dem Aufgange einer Aera des Rück-
ganges auf allen Gebieten des wirthschaftlichen Lebens verschwin-
den lassen. Nicht sowohl die inneren Verhältnisse Baden's tragen
hieran die vorzüglichste Schuld, so viel auch im Einzelnen gesün-
digt worden ist, sondern vor allem ist es die allzu nahe Berüh-
rung mit Preußen — die Beeinflussung von dorther, die Nachäffung
von hier aus —, welche den Volkswohlstand allenthalben zerrüttet
und Staaten und Stämme dem Bankerotte zutreibt. Sollte doch
der Antrag des Juden Lasker im preußischen Abgeordnetenhause,
der auf nichts weniger als die Entlastung Preußens von seinem
Deficit und die Ueberladung des letzteren auf die deutschen Bundes-
genossen des Nordens und Südens hinauslief und den halb offenen
und im Geheimen vollständigen Beifall des preuß. Ministeriums für sich
hatte, auch dem blödesten Auge die Gefahren für den Volkswohl-
stand zeigen, in welche wir uns kopfüber stürmen, wenn wir die
schon stark geleerten Truhen den Fängen des Adlers Hinhalten u.

in der Verpreußung noch reißendere Fortschritte machen, als es
bisher schon geschehen ist. Ehemals waren unsere finanziellen
staatlichen Zustände und der nicht mit Anführungszeichen versehene
Wohlstand unseres Volkes berühmt und bewundert, und gerade
die Preußen waren es, die bei Durchreisung unseres Landes die
allenthalben herrschende Wohlhabenheit des Bürger- und Bauern-
standes im Vergleich zu ihren Zuständen beneideten und insbeson-
dere das blühende Aussehen unserer Dörfer priesen, wovon man
im Norden gar keinen Begriff hat. Und wie ist es jetzt oder wie
wird es bald sein? Wenn der Kuckuck im Wald schreit, muß man
mit dem Geld rasseln um noch mehr Zu erhalten, — hüte dich,
hüte dich, Bauer, dies künftig zu thun, versteck deine Börse viel-
mehr, wenn der Kuckuck schreit, wenn du nicht willst, daß dein
Geld — zum Kuckuck gehen soll! Doch nun
IV.
zum letzten unserer Berichte, — hören wir, was Herr Landescom-
missär Fecht über die Zustände in den Kreisen Mannheim, Hei-
delberg, Mosbach uns Schönes zu sagen hat.
Die Volkszählung hat noch keine sicheren Resultate ge-
bracht, weßhalb der Bericht darüber keinen Aufschluß gibt; dagegen
Hot die Zahl der Geburten im Jahr 1867 gegen das Vorjahr
um 14,980 abgenommen, eine für die 3 Kreise äußerst bedeutende
Zahl. Die Todesfälle sind etwas geringer beziffert als die
von 1866. Die Ehen haben sich um 138 vermehrt, woraus
der Herr Landescommissä.r günstige Schlüsse in „wirtschaftlicher
Beziehung" machen zu dürfen glaubt. Gönnen wir ihm dieses
Privatvergnügen, da wir im Fortgang sehen werden, wie wenig
seine Hoffnung gerechtfertigt ist, zu welcher der eigene Bericht
überall im Gegensätze steht. Indessen der Ertrinkende hängt sich
auch an einen Strohhalm, warum also nicht der „Beschreiber des
Rückgangs wider Willen" an einige Eheschließungen mehr als im
Jckyre zuvor?
Die etwas größere Zahl der Eheschließungen yat Herrn Fecht
zu einem behaglichen Händereiben veranlaßt, aber die vielen Ehe-
scheidungsprocesse gibt der Berichterstatter blos mit trocke-
nen Zahlen an, ohne Vergleich mit dem Vorjahre, ohne Bemerkung
triumphirender oder tadelnder Art. Förmliche Ehescheidungen
wurden nämlich 5 gerichtlich ausgesprochen, aber anhängig waren
bei dem Hofgericht Mannheim 11 solcher Prozesse, bei dem Kreis-
gericht Heidelberg gar 20, bei dem Kreisgericht Mosbach 2?
Die Auswanderung hat zugenommen, — die „Opfer"
wurden den Schiffscapüäns oder Auswanderungsagenten gebracht
und das „Ziel" war „jenseits des Oceans." Das mitgenom-
mene Vermögen überstieg im Jahr 1867 sehr bedeutend dasjenige
von 1866; wir geben die Gesammtsumme nach der Tabelle des
Landescommissärs:
1866 1867

eigenes Vermögen
aus Gemeinds- u.
eigenes Vermögen
aus Gemeinds- u.
der Auswanderer:
Staatsmitteln:
der Auswanderer:
Staatsmitteln:
fl-
fl-
fl-
fl-
287,769
4593
466,043
4346

„Am höchsten", sagt der Bericht, „— mit 126,000 fl. —
stellt sich der Betrag an Vermögen, welches aus dem Bezirk
Tauberbischofsheim ausgeführt wurde. Das Bezirksamt erläutert
diese hohe Zahl aus den eigenthümlichen Verhältnissen des Theiles
seines Bezirks, welcher das Gau genannt wird. Dort herrscht
tatsächlich noch Untheilbarkeit der Hofgüter und die Kinder, wel-
chen das Hofgut nicht zufällt, heirathen — oft mit beträchtlicher
Ausstattung — nach dem anstoßenden bayerischen Gau, wo die
gleichen Verhältnisse bestehen. Nach den Erhebungen des Bezirks-
amtes sind im letzten Jahr durch solche Heirathen an 80,000 fl.
in das bayerische Gau ausgeführt worden; andererseits wurden
aber auch wieder von einwandernden jungen Männern des baye-
rischen Gau's über 30,000 fl. Vermögen eingebracht."
Was den „Wohlstand im Allgemeinen" betrifft, so sagt der
Bericht: „Die Hoffnung, daß das Jahr 1867 die Wunden heilen
werde, welche im Vorjahr Krieg, Geschäftsstockung und Creditlosig-
keit, sowie eine schlechte Ernte der wirthschaftlichen Entwickelung
der drei Kreise geschlagen, ist leider nicht in Erfüllung gegangen."
Das ist schon eine schöne Einleitung für die Dinge, die da kom-
men sollen in einem Capitel, welches die Überschrift „Wohlstand
im Allgemeinen" trägt! So heißt es denn auch in dem Berichte,
 
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