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Donnerstag den 20. August
Russisches.
(Schluß.)
Auch die Berliner „Volkszeitung" meint, es sei doch nöthig,
diese schauerliche, in nnserm Jahrhundert beispiellose Barbarei, wie
sie der jüngste Erlaß des Statthalters von Lühaucn bekunde, an's
Licht zu stellen. „Einer Bevölkerung, die durchschnittlich keiner
andern als der Muttersprache mächtig ist, wird dieselbe öffentlich
zu sprechen verboten, und unter „öffentlich" wird nicht etwa die
Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten, sondern auch das Privat-
gespräch verstanden, wenn mehr als zwei Personen zugegen sind!
Ja, in der eigenen Familie ist ein polnisches Wort verboten, wenn
Dienstboten dabei sind; denn nur zwischen Eltern und Kindern,
zwischen Mann und Weib ist die Muttersprache kein Staatsver-
brechen. Es ist nicht möglich, diese Schandthat der Gewalt durch
eine Umschreibung deutlicher zu zeigen, als der Erlaß selber es thut.
Wir können nur sagen: wenn nicht dieser Erlaß in allen Zeitungen
als authentisch mitgetheilt wäre, würden wir geglaubt haben, er
sei ein Machwerk irgend eines hirnverbrannten Polen, der die
Welt durch solche Erfindung zu äffen beabsichtigt. Ein schauer-
licheres Zeugniß hat sich schwerlich eine Regierung jemals aus-
gestellt.
„lieber du Folgen einer solchen Barbaren-Wirthschast in Li-
thauen können wir uns kaum eine Vermuthung erlauben. Man
sollte meinen, daß dergleichen nur von einem Regiment ersonnen
werden kau >, das absichtlich ein unglückliches Volk zur Verzweiflung
treiben will. Man muß es aber wissen, wie bereits in früheren
Jahren das Gesinde jedes Hauses in Polen abgerichtet war, der
Geheimpolizei über alles, was im Innern der Familien vorging,
Bericht zu erstatten, um zu erkennen, daß" dieser Erlaß, der selbst
das unschuldigste Wort in der Muttersprache zu einem Verbrechen
stempelt, eine wahre Fundgrube der Angeberei sein wird und ein
System der Verfolgung einsührt, das nur mit der Ausrottung
eines Volkes oder in den wildesten Thaten seiner Empörung eilt
Ende erreicht.
„Einen Begriff von der Grausamkeit dieser Barbarei kann
man sich aber erst dann machen, wenn man weiß, wie nahe ver-
wandt die russische mit der polnischen Sprache ist. Die Entschei-
dung, ob ein paar gesprochene Worte dem polnischen oder russischen
Sprachschatz angehören, wird in vielen Füllen selbst einem Sprach-
forscher schwer. Eine Polizei, die hierüber entscheiden soll, hat im
buchstäblichsten Sinne des Wortes, das Schicksal Aller, die nicht
ewig verstummen wollen und können, in Händen. Wenn solche
Barbarei noch menschlich zu ertragen sein soll, kann sie nur im
verworfensten System der Bestechlichkeit eine Milderung finden;
denn die Bestechlichkeit ist menschlich und barmherzig,
wo die Willkür unmenschlich und unbarmherzig wüthet!
„Hier ist nicht ein Kampf überlegener Cultur, sondern die
' loße nackte Gewalt und asiatische Grausamkeit, welche die Aus-
rottung eines jedenfalls civilisirtern Stammes betreibt, und, wie
wir sehen, mit Mitteln betreibt, die ein Hohn unseres Zeitalters
und eine Verspottung aller Menschlichkeit ist.
„Wie aber werden die gebildeten Staaten Europas diese
Barbarei ausnehmen?
„In den Zeiten unserer Jugend, wo die Humanität nicht
bloß im Innern der Herzen, sondern auch rm öffentlichen Leben
der Völker ihren Ausdruck sand, hätte der Schrei der Empörung
der beleidigten Menschheit bis hinauf zu den Negierungen ihren
tiefen Nachhall gesunden. Heutigen Tages aber,--— ist uns
vielleicht gar noch das Loos beschießen, uns der Intimität mit
einer Regierung rühmen zu müssen, die solcher Thaten fähig ist!
Doch gleichviel wie die Leiter der Politik diese Schandthat auf-
nehmen, wir legen Protest dagegen ein im Namen der erhöhten
Cultur und im Namen der beleidigten Menschlichkeit."
Weiterhin fragt die Volkszeitung, welches wohl die Folgen
der russischen Barbarei sein mögen. „Wir wissen nicht, welche
Haltung die Cabinette dagegen einnehmeu werden; wenn wir aber
aus das humane Bewußtsten des Völkerlebens blicken, sollten wir
meinen, es müßte diese schauerliche Enthüllung Rußlands nur die
eine Folge haben, daß sich endlich die nicht russischen Slaven von
allen Projecten des Sieges ihrer Nationalität unter moskowitischer
Protection mit Entrüstung abwenden.
„Freilich setzt dies eine Reife des Urtheils bei den Ezechen
voraus, welche die Führer derselben bisher keineswegs an den
Tag gelegt haben. Wir sehen sie vielmehr Bahnen einschlagen,
die das Gegerttheil darthun und befürchten lassen, daß sie wie alle
im Untergang begriffenen Völkerschaften einen Kampf führen, der
nur die Selbstvernichtung beschleunigt.
„Während bisher die slavischen Völkerschaften Oesterreichs, die
Polen, die Cremten, die Slavonier mit den Czechen gemeinsam in
Opposition zu der Neuschöpfung des österreichischen Staates stan-
den, haben sie gegenwärtig eine andere, mindestens nicht feindselige
Stellung eingenommen. Diese Völkerschaften überzeugten sich, daß
sie fortan in einem Staate leben werden, dessen freiheitliche Gesetze
nicht blos den Deutschen und den Ungarn, sondern auch ihnen zu
Das SLurmlicht von Haklarsholm.
Eine Strandgeschichte.
Zwischen Sandhügeln an der Nordostküste Jütlands liegt ein langes Thal,
Haklarsholm genannt, weil eine alte Sage besagt, daß in den Zeiten des grauen
Alterthums, lange bevor sich die Dünenhügel gebildet oder das Meer auf sein
gegenwärtiges Niveau zurückgezogen hatte, dieses Thal ein Eiland (oder Holm
wie es in der skandinavischen Sprache heißt) gewesen und daß über besagtes
Eiland ein mächtiger Häuptling geherrscht habe, den man wegen keiner kühnen
Thaten zu Wasser und zu Land Haklar mit der schweren Hand hieß. Land-
wärts breitet es sich zu einem Wiesen- und Weidegrunde aus, der von Schäkern
und Hirten bewohnt wird; seewärts aber senkt es sich mit leichter Böschung
nach dem schmalen Strande hinab, welcher zwischen den Sandhügeln und den
Gewässern der Ostsee liegt und an diesem Ende des Thales steht ein altes
Fischerdörfcheu, dessen Hütten theilweise aus Backsteinen, theilweise aus Holz-
werk erbaut sind. Das Bauholz hiezu soll von Schiffen herrühren, die auf
dem Felsenriff gestrandet, welches sich auf viele Meilen hin dem Strande ent-
lang zieht, bei niedrigstem Wafferstande kaum sichtbar ist und diesen Strich zu
einem der gefährlichsten an der ganzen jütischen Küste macht. Ungefähr auf
der halben Länge des Thales, auf einer kahlen ansteigenden Erhöhung, steht
em burgartiges Schloß, altersgrau nud großartig, das, seit einem halben Jahr-
hundert nicht mehr bewohnt, jetzt in aller Stille in Trümmer zerfällt. Die
Geschichte Jütlands erzählt, daß es schon eine Burg der Freiherren von Hak-
larsholm war, als man in diesen Gegenden noch Wodin und Thor anbetete,
Familie blieb in dessen Besitze, bis vor etwa 50 Jahren das Ge-
schlecht auf eine dunkle und seltsame Weise ausstarb.
Der letzte Freiherr von Haklarsholm war einer der stolzesten Männer in
Jütland, von ächt dänischer Abkunft, ohne einen Tropfen von dem verhaßten
deutschen Blute in seinen Adern. Sein Stammbau reichte hinauf in die fernen
Zeiten der Sagas. Einer seiner Ahnen war ein Gefährte von Harald Blau-
zahn gewesen; ein anderer hatte mit Rollo an der Eroberung der Normandie
theilgenommen, ein dritter Kanut dem Großen beigestanden, das Reich England
zu unterwerfen; und seit jenem Tage pflegte die Familie ihre Töchter mit
Städten und Grafschaften in jenem Lande anstatt der Mitgift auszustatten,
obschon weder die Damen noch ihre glücklichen Ehemänner jemals eine Möglichkeit
hatten, in denselben wirkliche Besitzthümer zu finden. Der Baron that sich da-
rauf und auf manches Andere sehr viel zu gute, denn auf seine Rerchthümer
konnte er nicht stolz sein; der beste Theil von Haklarsholm, die grasreichen
Weidewälder, auf denen zahlreiche Heerden von Rindern und Schafen sich äßten
und die Hserdenbesitzer reich und wohlhabend wurden, waren von seinem ver-
schwenderischen Vater in Christians VII. alten schlimmen Zeiten veräußert
worden. Und so war dem Sohne nichts mehr zum Erbe geblieben, als das
alte Schloß, das seewärts gelegene Ende des Thales, das Fischerdörfchen und
der benachbarte Strand und er hatte überdies dis Anwartschaft auf die Hinter-
lassenschaft eines reichen Onkels dadurch verscherzt, das er eine Dame gehei-
rathet, die außer ihrem hübschen Gesicht und uralten Adel auch nicht das
mindeste Vermögen hatte. Ein Edelmann aber, welcher von einem Gefährten
von Harald Blauzahn abstammte, konnte sich nicht dazu bequemen, zur Auf-
rechthaltung seines Ranges und Standes etwas Geringeres zu benützen, als
ein Amt von der Regierung und hiezu fehlte es dem Baron sowohl an Be-
fähigung wie an Freunden bei Hose. Sein Loos war ihm in Zeiten gefallen,
wo adeliges Blut und alter Stamm wenig Geltung mehr hatten und Bauern
sich an Rechten mit dem Grundherrn messen konnten. Und da er und seine
Gattin gleichen Sinnes waren, ein Fall, welcher selbst bei glücklichen Paaren
nicht häufig ist, so lebten sie auf sehr dürftigem Fuße, bewohnten nur einige
der kleinsten Zimmer in ihrem Ahnenschloß, hatten als Dienerschaft nur einen
tauben Alten und dessen Tochter bei sich und erzogen ihr einziges Kind, einen
Sohn, welcher nach einem seiner berühmten Vorfahren Vextel hieß, einfach und
mäßig, aber doch als den künftigen Erben ihres Gutes.
Die Familie war ebenso einsam als arm; der Baron und seine Gattin
hatten nur wenige und entfernte Verwandte und diese unterhielten nur einen
dürftigen seltenen Briefwechsel mit dem verarmten Hause Haklarsholm.
(Fortsetzung folgt.)