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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 40-51 (2. April - 30. April)
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Donnerstag und Samstag.

47.

Dienstag den 21. April

1868.

* Prozeß Lindau.
(Nach stenographischer Aufzeichnung).
Präsident Obkircher: Wir verhandeln die Anklage«
fache gegen Kaufmann Jakob Lindau von hier, wegen Gefährdung
der öffentlichen Ruhe und Sicherheit. Die Anklagekammer in
Mannheim hat unterm 7. April d. I. verfügt, die Sache nach An-
sicht des § 26 Ziff. 1 der Gerichtsverfassung an die Strafkammer
des Kreisgerichts Heidelberg zu geben. Geben Sie Ihre persön-
lichen Verhältnisse an.
I. Lindau. Ich heiße Jakob Lindau, bin 36 Jahre alt,
katholisch, Kaufmann, verheirathet, ohne Kinder, Abgeordneter der
II. Kammer und am 18. Febr. d. I. gewählt als Abgeordneter
in's Zollparlament.
Staatsanwalt: Die erste Anklage, welche nach dem Oster-
feste Ihrer Beurtheilung unterbreitet werden wird, ist die Anklage
gegen Kaufmann Jakob Lindau von hier wegen Gefährdung der
öffentlichen Ruhe und Ordnung. Ich kann zunächst nicht verhehlen,
daß ich mich nur mit einem gewissen Mißbehagen zur Erhebung
dieser Anklage entschlossen habe. Das vorliegende Preßerzeugniß,
um dessen strafrechtliche Beurtheilung es sich heute handelt, gibt
einmal kund, daß in unserm innern badischen Staatsleben ein ge-
wissermaßen ungesunder abnormer Zustand ist, daß nämlich das
Staatsschiff nicht, wie es wünschenswerth wäre, ruhig auf den
Wogen des politischen Lebens einherschreitet, daß diese vielmehr
durch politische Leidenschaften unterwühlt und aufgeregt sind. Das
ist ein Grund. Sodann gestehe ich auch gerne zu, daß ein per
sönlicher Grund hinzugekommen ist, nämlich der, gegen einen Mann
einzuschreiten — man mag über seine politische Thäligkeit eine
Ansicht haben wie man will, man mag über die Art und Weise,
wie seine Wahl zum Zollparlamente zu Slande kam, denken wie
man will — der Abgeordnete der II. Kammer und in zwei Wahl-
bezirken des Landes auch zum Abgeordneten für das Zollparlament
gewählt worden ist. Nach dieser kurzen Einleitung gehe ich zum
Gegenstände der vorwürfigen Anklage selbst über.
In Heidelberg erscheint unter dem Druck und Verlage von
L. Schweiß und unter der verantwortlichen Redaction von I. M.
Flaschon ein Blatt „Pfälzer Bote für Stadt und Land." An der
Spitze der Nro. 38 d. Bl. vom 28. März d. I. ist ein Artikel
„Offenes Sendschreiben an Herrn Staatsminister Jolly in Karls
ruhe", unterzeichnet „I. Lindau, Zollpariamentsabgeordneter des
8. Wahlbezirks". Das Blatt wurde am 27. März in Verkehr ge-
setzt, es wurde ausgegeben und als die Polizeibehörde von der ihr
nach dem Gesetze zustehenden Befugniß Gebrauch machte und dessen
Beschlagnahme verfügte, mar dasselbe schon in den öffentlichen
Lokalen der Stadt aufgelegt und hatte bereits seine Versendung
durch die Post begonnen. Der Artikel, um den es sich handelt,
erwähnt zunächst eines Erlasses des Ministeriums des Innern vom
20. März d. I., bezw. der Artikel stellt die Sache so dar, als ob
dieser Erlaß persönlich allein von dem Herrn Slaatsminister Jolly
ausgegangen wäre. Es ist in dem Artikel gesagt, daß der Erlaß
vom 20. März eine Beschwerde des Verfassers des Artikels, näm-
lich des Kaufmanns Jakob Lindau, gegen den Beschluß des Bezirks-
Amts Bühl vom 17. März als unbegründet zurückgewiesen habe,
und als Inhalt des Beschlusses des Bezirksamts Bühl ist in dem
Artikel angegeben, das Bezirksamt Bühl habe am 17. d. M. die
beabsichtigte Volksversammlung und jede Volksversammlung wegen
Befürchtung von Ruhestörungen im Interesse der öffentlichen
Sicherheit im Voraus verboten. Der Artikel macht sodann keinen
Hehl daraus, daß der Verfasser es vorgezogen habe, statt den
ordnungsmäßigen Weg der Berufung gegen diesen Ministerial Be-
schluß an das Staatsministerium zu betreten, die Angelegenheit
auf dem Wege der Presse zu erledigen. Nun kommt eine Stelle,
die folgendermaßen lautet: „Dem öffentlichen Urtheil darf ich
vor Allem nicht vorenthalten, wie es in Baden für dieselben Ver-
hältnisse zweierlei Maaß in Anwendung der Gesetze gibt". Dies
ist die erste Stelle des Artikels, in welcher die A..klage eine
Uebertretung des Strafgesetzes erblickt, nämlich des Artikels
631 u des Strafgesetzbuches; sie enthält nach Ansicht der
Anklage einmal eine Erdichtung, oder eine Entstellung der
Wahrheit insofern als sie die unwahre Thatsache aufstellt, es

werde in Baden für dieselben Verhältnisse zweierlei Maß
in Ausführung der Gesetze angewendet. Es bedarf wohl keines
weiteren Nachweises, daß diese Thatsache eine unwahre ist, es wird
genügen, meinerseits zu behaupten, daß in Baden nicht für die-
selben Verhältnisse mit zweierlei Maß bei Ausübung der Gesetze
gemessen wird. Jedenfalls liegt in dieser Behauptung der Vorwurf
der Parteilichkeit gegenüber den sämmtlichen Behörden, die es mit
Anwendung der Gesetze zu thun haben, insbesondere liegt darin
der Vorwurf der Parteilichkeit gegenüber dem Großh. Ministerium
des Innern, was sich daraus ergibt, daß dieser Vorwurf unmittel-
bar angeknüpft ist an einen Erlaß des Ministeriums des Innern
vom 20. März d. I.; daß der Vorwurf speciell gegen das Mini-
sterium des Innern gerichtet werden wollte, ergibt sich auch aus
dem, was dem Vorwurfe nachfolgt, nämlich aus der versuchten Be-
gründung und Beweisführung der Wahrheit dieses Satzes. Diese
Beweisführung bezieht sich auf den Inhalt des Erlasses des
Ministeriums des Innern, der im Anfänge des Schreibens
erwähnt ist. »Nun kommt in der Beweisführung der Aus-
druck, Herr I. Lindau habe „in geschlossenem Raume" verlangt
seine Wähler zu sprechen. Ich behaupte und werde nachweisen,
daß auch diese Aeußerung der Wahrheit nicht entspricht, daß viel-
mehr Herr I. Lindau eine Volksversammlung im Freien in Bühl
beabsichtigt habe. Es ist also auch hier wieder eine unwahre That-
sache angegeben, eine Erdichtung aufgestellt, welche geeignet ist, zum
Haß und zur Verachtung gegen die Staatsregierung auszureizen,
und auch objectiv geeignet ist, durch das Mittel der Erdichtung
Unzufriedenheit nut der Verfügung des Ministeriums des Innern zu
erregen. Nach der Behauptung der Anklage liegt in dem Vorwurfe
der Parteilichkeit gegen die Executivbehörden eine grobe Schmähung,
die auch wieder objectiv geeignet ist, zum Haß und zur Verachtung
gegen die Regierung aufzureizen und Unzufriedenheit gegen das Mini-
sterium des Innern zu erregen. Wenn nun ein Ausdruck objectiv
geeignet ist, diese Wirkung hervorzubringen, so muß man auch an-
nehmen, daß derjenige, der es gethan hat, dabei die Absicht hatte, diese
Wirkung hervorzubringen, wenn man nicht annehmen will, er habe
es ohne Bewußtsein gethan, was wir bei dem Angeklagten nicht
werden annehmen können.
Die zweite Stelle, welche unter die Anklage gestellt wird, ist
folgende: es ist im Laufe des Artikels davon die Rede, daß hier
in Heidelberg eine Volksversammlung stattgesunden habe, es ist
speciell erwähnt der am 27. März im Saale der Harmonie dahier
abgehaltene Bürgerabend, es ist erklärt, daß Herr Geh.-Nath
Bluntschli, der ein Parteigenosse des Herrn Staatsministers Jolly
genannt, und Herr Stadtdirector Stößer, der als ihm unterstehend
bezeichnet wird, in dem Bürgerabend unsere Situation klar darge-
legt hätten; sie hätten sich dahin geäußert, man müsse das Volk
mehr aufzuklären und zu gewinnen suchen und nun fährt der Ar-
tikel so fort: „deßhalb ist es natürlich geboten, daß man die poli-
tischen Gegner vom Volke abzuschneiden sucht! Das ist für mich
das Motiv des Verbots". Auch in dieser Stelle sieht die Anklage
wieder eine Erdichtung insofern, als hier behauptet ist, das Ver-
bot der Volksversammlung in Bühl, bezw. die Verwerfung der Be-
schwerde gegen jenes Verbot durch das Ministerium des Innern
sei deßhalb erfolgt, um den Verfasser des Artikels vom Volke ab-
zuschneiden, da er ein politischer Gegner des jetzigen Ministeriums sei,
speciell des Präsidenten des Ministeriums, des Herrn Staatsministers
Jolly. Diese Erdichtung ist auch wieder, wie die vorhergehende
Aeußerung, nach Behauptung der Anklage geeignet, zum Haß und zur
Verachtung gegen die Staatsregierung aufzureizen und Unzufrieden-
heit mit. der ganzen Verfügung des Ministeriums des Innern zu er-
regen, sie enthält mindestens eine grobe Schmähung und zwar nach
meiner Ueberzeugung eine noch gröbere Schmähung als die von mir
zuerst behandelte Aeußerung : sie beschuldigt den Herrn Staatsminister
Jolly offenbar eines Amtsmißbrauches, der, wenn er erwiesen wäre,
strafbar wäre. Es wird hier der Herr Minister des Innern be-
schuldigt, aus Parteilichkeit die freie Ausübung eines staatsbürger-
lichen Rechtes des Verfassers des Artikels gehindert zu haben oder
sein Amt, seine dienstliche Stellung zur widerrechtlichenBenachtheiligung
des Verfassers des Artikels, seiner Wähler und Parteigenossen ge-
braucht zu haben. Das wäre, wenn es wahr wäre, der Thatbestand
des Z 659 des Strafgesetzbuchs, und es kann keinem Zweifel unter-
liegen, daß in dieser Aeußerung eine grobe Schmähung gegen die
 
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