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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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Das Ende des deutschen Schützenfenfestes.
Ein Bürgerminister hat's eingeleitet, ein Staatsminister hat's
geschlossen, dies deutsche Bürgerfest. Damit hat es einen guten
Rahmen bekommen. Für Deutsch Oesterreich, für Frei-Deutschland
freut uns das. Es gehört sich, daß das deutsche Land, welches die
Brüder aus Deutschland aufzusuchen kamen und mit dem sie sich
verbunden erklärten trotz alledem — „up ewig ungedeckt" —, auch
staatlich als solches vertreten war Zum Gruß wie zum Abschied.
Das Auftreten Beust's mußte ein anderes sein als das Gis-
kra's; die ganze Art dieser Männer ist verschieden und, wie ähn-
lich auch immer, verschieden ist doch ihre Stellung. Nicht nur ist
Giskra Minister von Deutschösterreich, Beust Kanzler des Gesammt-
reichs; letzterer vertritt auch die auswärtigen Beziehungen des Ge-
sammtreichs und er vor allen mußte daher eine gewisse Zurückhal-
tung beobachten. Das hat er selbst betont, und man hat ihn —
verstanden. Der Sinn seiner Rede ist: vertragsmäßig aus Deutsch-
land ausgeschlossen, geistig sind wir drin, und aus dem Wege der
Freiheit wollen auch wir staatlich wieder hinein.
Das ist ein richtiges und gutes Programm, vorsichtig ausge-
drückt und doch klar verständlich. Zu oft schon haben wir in
unserer Sprache denselben Gedanken ausgesprochen, als daß wir
ihn nicht bestens willkommen heißen sollten, auch wo er in den
feineren Wendungen der osficiellen Welt austrttt.
Besonders ein Umstand ist's, der dem Auftreten des österrei-
chischen Reichskanzlers ein interessantes Relief giebt. Man fühlt
in Großpreußen tief, schmerzlich tief, Gott sei Lob und Dank, die
politische, die nationale des Bedeutung deutschen Schützenfestes in Wien,
und man schreit vor Pein und Wuth so laut auf, chaß es eine
Lust ist. Das Zusammentreffen der Lamarmora'schen Enthüllung
mit dem großdeutichen Feste — so sehr gelegen dies Zusammen-
treffen, daß es hoffentlich nicht blos zufällig ist — hat vollends
dem Faß den Boden ausgeschlagen, und hätte der vaterländische
Festjubel im deutschen Wien und aus dem deutschen Wien noch
einer Begleitung bedurft, um als herrlichste Zukunftsmusik zu
dringen in Herz und Sinne, so wäre diese Begleitung das Wuth
geheul aus dem Norder» gewesen, wo die einen im frechen Trotz
die Abruzzen-Politik der beiden pommerschen Grafen verherrlichen,
die andern mit neuer Heuchelei von dem neu hergcstellten Einver-
nehmen winseln, um über den zerschmetternden Eindruck jener bei-
spiellosen Enthüllung wohl oder übel sich Hinwegzulügen, ihre Leser
hinwegzutäuschen. Den Schlußaccord dieser Begleitung bildet end-
lich die osficielle Provinzial Correspondenz mit ihrem berüchtigten
„Deutschland mißbilligt diese Umtriebe" — das Deutschland näm-
lich der Depeschenschreiber Bismarck-Usedom und der Zeitungsschrei-
ber Braß Treitschke-Gödsche.
Deutschland mißbilligt diese Umtriebe —- und tritt in diese
Umtriebe hinein, der österreichische Reichskanzler kommt cxtra dazu
her. Er muß sie also wohl nicht mißbilligen. Wir auch nicht.
(Demokr. Corcesp.)

Russisches.
(Köln. Blätter.)
Ein offenbar in Polen lebender Mitarbeiter der „Weser-Ztg."
hat Buch geführt über die einzelnen Maßregeln in dem russischen
Vertilgungskricg gegen die Polen und bemerkt jetzt beim UebeNehen
dieses langen Sünden-Negisters: „Diese Maßregeln Pagen das Ge
präge asiatischer Härte und Nachsucht und sind unlusmuen in der
Geschichte beispiellos. „Wir mögen viel gesündigt gaben," sagte
uns ein polnischer Edelmann, „aber eine so mongolische, so grau-
same Behandlung haben wir nicht verdient!" Und wohl hatte er
Recht. Bisher hat sich überall in der Geschichte nur das Gesetz
vollzogen, daß ein culturlich höher stehendes Volk das niedere ab-
sorbirte, hier versucht es ein tiefer stehendes umarkchrt und ohne
vor den rohesten Mitteln zurückzvschrecken. Hierin liegt eben still-
schwL!gend das unfreiwillige Eingcständniß, daß den Russen die
Waffe der Cultur gegen die Polen nrcht zu Gebote steht. Sie wer-
den ibr Ziel auf dem Wege roher Vergewaltigung der Mutter-
sprache der Unterdrückten, die für jedes Volk das heiligste Brsitz-
thum ist, nicht erreichen. Auch selbst wer, wie wir, nicht zu mn
sentimentalen Freunden der Polen gehört, der wird doch ein System

nicht billigen, welches gegen die Unterworfenen mit schonungsloser
Härte verfährt."
Den Anfang des Sprachkrieges machte die Verordnung, daß
alle städtischen Firmen auch russisch geschrieben sein müßten, obwohl
die meisten Polen keinen Buchstaben des Cyrillischen Alphabets
kennen, da sie sich bekanntlich des lateinischen Buchstaben bedienen.
In den Verkaufsläden Warschaus war bis heute fast nur polnisch
oder — deutsch zu hören. Ein russischer Obrist brach darüber in
Wuth aus und sagte dem erwähnten Berichterstatter der „Weser-
Zeitung" : „Das ist also eine russische Provinz, das ist die Haupt-
stadt, und doch könnte ich als russischer Offtcier kaum ein Paar
Handschuhe einkaufen, wenn ich nicht eine Deutsche zur Frau hätte!"
Straßen-Namen und Theaterzettel sind bereits russisch. Die „Poli-
zei Zeitung" erscheint in russischer und polnischer Sprache, eine
Colonne russisch, die andere polnisch. Schon früher mußte Warschau
es ruhig mit ansehen, daß auf dem Obelisk im Sächsischen Garten,
der den in der Revolution von 1831 gefallenen Polen gesetzt ist,
die polnische Widmung an die Söhne des Landes weggenommen
und dafür — eine furchtbare Metamorphose — die Erinnerungs-
tafel in russischer Schrift und Sprache, im Sinne völlig umgekehrt
und den in der Revolution gefallenen russischen Soldaten gewidmet
wurde.
Das Ministerium der öffentlichen Aufklärung verfügte, daß die
Hochschule zu Warschau nach Ablauf von drei Jahren in sämmt-
lrchen Vorlesungen der russischen Sprache sich zu bedienen habe,
wovon nur der Lehrstuhl für polnische Sprache und Literatur eine
Ausnahme machen solle. Den Professoren, die sich die russische
Sprache in dem Maße aneignen würden, daß sie die Vorlesungen
russisch hallen könnten, sollte eine Gehaltsverbcsserung gewährt
werden. Schon im Mai wurden fünf russische Lehrstühle errichtet,
zwei für die russische Sprache, einer für die altslavische Sprache,
sodann je einer für russische Literatur und für russische Geschichte.
Die Jnaugurationsreden der neu hergeschickten Professoren zeigten
sämwlUch die unverhohlene Mission, dem Russischen Bahn zu bre-
chen, die Einheit der Slavenwelt zu betonen und — wenn mög-
lich — die Polen zu begeistern für „jene glanzvolle und glückliche
Zukunft, welche unsere große Slavenwelt erwartet," sagt Professor
Polewoj. Der verheißene höhere Gehalt beträgt das Doppelte des
gegenwärtigen, nämlich 3000 Rubel. Gleichzeitig erging vom Cu-
rator des Warschauer Lehrbezirks eine Instruction für die Prüfun-
gen der Studirenden, der gemäß das Russische bei denselben stufen-
weise sortschreiten sollte.
Von der Universität und den Gymnasien ging man über zu
den höhern Privat-Anstalten und Pensionären, die fortan Geschichte
und Geographie russisch vorzutragen haben. Ein Befehl der jüng-
sten Tage macht noch kürzen: Prozeß. Es wird verordnet, daß
bis spätestens zum 1. Januar bei oer Prüfungscommission sämmt-
liche Lehrer eine Prüfung in der russischen Sprache abzulegeu Halles
da vom genannten Tage an in allen Schulen des ehemaligen
Königreichs Polen die russische Sprache allein noch als UntemicyG-
tprache dienen soll. Aber auch hiermit begnügt man sich nicht,
sondern es werden die Bestimmungen auch aus Prrvat Institute
ausgedehnt und dürfen auch in duseu, vom genannten Lage an
keine Lehrer oder Lehrerinnen mehr angcstellt werden, Welche die
Prüfung nicht bestanden haben. Auf dem platten Lande versteht
Niemand russisch. Was da werden soll, weiß Niemand.
Die osficiellen Bläuer begannen bald, eine Rubrik m ihrem
polnischen Theil cinzusührcn: „O sterreich und die slavischcn Län-
der", „Türkei und die slavischen Länder", um jederzeit die Leser-
welt daran zu erinnern, daß Oesterreich nrd die Türkei noch Gebiete
an Rußland auSzulicfern hätten. Die Pnua-presse folgte nach.
Das Organisationccomüs gab Anfangs dieses Jahres eine neue
Gouvernements-, Kreis- und Gemeindeordnung heraus, besann sich
aber später eines peacstschen Weges, der bei Emanirung des Ge-
setzcs noch Niemand eingefallen war, nämlich, daß in Zukunft
iämmtliche Ortsnamen nicht mehr polnisch, sondern russisch zu
tprechen und zu schreiben seien, wodurch die meisten Namen Vo-
cale und Endungen verändern. Das Gesetz wurde alio neu ema-
rrirt und zwang so die gcsammte Puffe, dre polnischen Ortsnamen
russificstt zn schreiben. Im amtlichen Verkehr galt natürlich die-
selbe Vorschrift.
Tas Departement der indirecten Steuern des FinauZmiriiste-
 
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