Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.
Preis Vierteljahr!. 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.
* Herr Bluntschli und der „Bürger-Abend".
In der Heidelberger Harmonie, so werden wir belehrt, soll
jetzt alle 4 Wochen ein sog. Bürgerabend abgehalten werden, wo
die Universiiätsgrößen die Gelegenheit beim Schopf erfassen, um
sich in einem Schwall von Worten vor dem Philfftertyum zu expec-
toriren, das die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, bei ge-
wissen Kraftstellen Bravo zu schreien und mit den Füssen zu trom-
meln, dafür aber die Freiheit genießt, jenen Helden des Katheders
dichte Wolken von Tabak unter die Nase blasen und in ihrer
Gegenwart gewaltige Biermassen vertilgen zu dürfen. Eine Rede
halten, sein Compliment machen, das Bravo in die Tasche stecken
und dann unter allseitigen Bücklingen gute Nacht wünschen, —
das ist es, was Herr Bluntschli „Fühlung mit dem Volke" nennt.
Gott wie mager! Und sogar dieses Bischen Fühlung ist Euch ver-
loren gegangen, wie Herr Bluntschli klagend in seiner Neve ein
gesteht, obgleich die Matadore der Wissenschaft seit Jahren land-
auf- und abgezogen sind, um wie Trödler und Mraktschreier ihre
Weisheit an den Mann zu bringen von den alten Assyriern an
bis zu Cavour und bis zu den bösen Ultramontanen unserer Tage,
die zwar nur ein „kleines Häuflern", bei geheimen und directen
Wahlen aber ungeheure Massen in's Feld führen! Und gar noch,
lieber Leser, welche Beredsamkeit wurde da obendrein noch entfaltet!
Glücklich, wenn du sie nie gehört, glücklich, wenn du sie nie gelesen
hast! Voll Selbstliebe und Selbstlob unausstehlich bis zum Er-
brechen, weitschweifig und in entsetzliche Perioden eingetheilt, in
schleppender Sprache, ohne Feuer, ohne Kraft, mit mattem
Organ, — wahre Bettelsuppen waren sie die Vorträge, die man
zur „Fühlung" mit dem Volke für nothwendig hielt. Wie oft war
Mancyer nicht versucht nach faulen Eiern zu greifen und dem Un-
ausstehlichen damit ein Compliment zu machen!
Also ähnliche Redeübungen sollen jetzl wieder, mehr weil die
Herren sich selbst gern sprechen hören, als des Publikums wegen
in Scene gesetzt werden, und Herr Bluntschli hat den Reigen
in der Harmonie eröffnet. Bei dem Namen Bluntschli glaubten
wir, es werde eine gewaltige Rede vom Stapel laufen, aber wie
hatten wir uns getäuscht, als wir die Maus aus dem kreisenden
Berge springen sahen! Bluntschli hat keine Rede gehalten, es war
ein albernes, abgedroschenes, schäbiges Geschwätz
Herr Bluntschli hat, wie die Heidelberger Zeitung referirt,
das „heimtückffche, jesuitische Gebühren der uüramontanen Partei
einer strengen und scharfen, wahrhaft vernichtenden Kritik" unter-
zogen. „Handgreifliche Verdrehungen und Lügen" sollen es gewesen
sein, welchen die ultramontane Partei ihren Sieg bei der Wahl
verdankte. Wir meinen, Herr Bluntschli, wenn man einer andern
Partei „Verdrehungen und Lügen" vorwirft, so muß man als ehr-
licher Mann auch jener Partei die „Verdrehungen und Lügen"
nachweisen, so aber ohne Beweis sind dergleichen Aussprüche nicht
blos nichtssagende Phrasen, sondern geradezu Unverschämtheiten
und fallen daher als „Verdrehungen und Lügen" auf den zurück,
der sie mit dem unerhörtesten Leichtsinn und Uebermuth geäußert
hat. Wir haben in unfern Reden bei den verschiedensten Gelegen-
heiten, so oft wir Personen und Parteien bekämpften, stets die Be-
weise für unsere Behauptungen erbracht, wie z. B. die Bedrückung
ver Gewissensfreiheit durch Lamey von Dr. Bissing dadurch nach-
gewiesen wurde, daß man einzelnen in ihrem Gewissen gekränkten
Katholiken, welche Strafen von 70—80 fl. nicht zu erschwingen
vermochten, das Vieh aus dem Stall herausholte und es der Zwangs-
versteigerung aussetzte.
Eine noch lächerlichere Behauptung des Herrn Bluntschli war
es, die sogenannte liberale, in der Thal aber servile Partei habe
den Kampfplatz offen betreten, die ultramontane dagegen mit ge-
heimen Wühlereien. Mein Gott, wie einfältig, wie schülerhaft
von Einem, der sich einen großen Politiker nennt! Wahrhaftig
wir wundern uns nur darüber, daß eine solche Kost von Ihnen,
Herr Geheimerath, noch Abnehmer finden kann! Die Knaben, wenn
sie gegen einander Krieg führen, bedienen sich öfter solcher Beschö-
nigungsmittel für ihre Niederlage; bei Männern, die tief im
Schwabenaller stecken, hält man dies für „Humbug". Der Herr
Gehennerath hat wohl gedacht, wir hätten ihn, Herrn Lamey,
Herrn Jolly und den Maschinendirector und Wagenschmierer in der
Karlsruher Stcphanienstraße zu unseren Berathungen über die
Wahlen sowohl in Freiburg wie hier in der Wohnung Lindau's
einladen müssen, damit die Herren unfern Feldzugsplan von vorn-
herein durchschauen könnten! Schade, daß sie nichts von diesen
beiden Zusammenkünften wußten, ansonsten der Geh. Rath und
Professor des Rechts dafür hätte sorgen können, daß die saubere
Haurrechlstheorie des Oberamtmanns Schmieder zur Anwendung
gekommen wäre. Sind Sie denn so offenherzig, Herr Bluntschli?
Oder trägt nicht Herr Bluntschli manche Geheimnisse auf dem
Herzen, die er nicht aller Welt mitzutheilen für gut findet, wie
z. B. die von ihm seiner Zeit eingeleitete, aber verunglückte Minister-
geschichte seines Freundes Friedrich Romer, jenes Cagliostro und
Melternichschen Agenten in der Schweiz, der das Pech hatte, bei
seinem Erscheinen als Ministercandidat vor König Max von Bayern
besoffen zu sein und damit die schönsten Pläne seines Genoffen
Der schwarze Gentleman.
Lus den Erinnerungen eines Lrztes.
(Fortsetzung.)
Felix gerieth mit der Hand auf eine Krystallscherbe, und verletzte sich der-
maßen, daß das Blut hervorsprang. Edmund hob ihn auf, verband die wunde
Hand, empfahl ihn unserer Sorgfalt und ritt, der Pflicht der Gastfreundschaft
genügend, mit den Jägern davon.
Nachdem sie fort waren, versank Felix nach und nach in einen Zustand
halber Bewußtlosigkeit, und während ich neben dem Sessel, in den er sich mit
geschlossenen Augen zurücklehnte, leise mit der Mutter sprach, entschlüpfte mir,
ich weiß selbst nicht wie es kam, mit Bezug auf den verlorenen Ring die
Worte Verlobung und Braut.
Felix öffnete sofort die Augen und fragte mit fieberischer Betonung:
„Braut? Von wem sprecht Ihr?"
„Von Niemanden", antwortete ich verwirrt. Aber damit gab er sich nicht
zufrieden, denn als die Mutter nach wenigen Augenblicken das Zimmer verließ,
sah er mich mit großen fragenden Blicken an, und so mußte ich ihm denn
Alles erzählen, was für mich mit dem Ringe zusammenhing, wobei ich das
Ganze ins Lächerliche zu ziehen suchte.
Felix wurde immer aufmerksamer und träumischer. „Braut?" wiederholte
er. „Da wärest Du ja nicht mehr meine Schwester!"
Diese Worte machten mich betroffen; stumm senkte ich die Augen, es folgte
ein langes, verlegenes Schweigen, und um es um jeden Preis zu brechen,
fragte ich ihn nach der Ursache seines Unfalls.
„Das weiß ich selbst nicht", antwortete er. „Als ich mich niederließ, muß
mein Knie auf einen Stein oder fonst etwas Scharfes gestoßen sein, denn ich
empfand einen durchdringenden Schmerz, der sich selbst jetzt noch nicht ver-
loren hat".
„Komm", sagte ich, „wir wollen sehen, ob wir der Ursache auf die Spur
kommen können".
Die Diener hatten den Saal noch nicht betreten, und es lag dort noch
Alles so wie wir es verlassen. Indem Felix sich bückte, um das Taschentuch
aufzuheben, beugte auch ich mich nieder, um nach dem verhängnißvollen schar-
fen Gegenstand zu suchen.
„Da hab' ich's!" rief Felix, etwas aus den Falten des Taschentuchs her-
vorziehend. Denke Dir unser Erstaunen, als es der Ring, mein Verlobungs-
ring war.
Schweigend und beide tief erröthend, blickten wir einander an, und Gott
mag wissen, was in unseren Herzen vorging. Das Schicksal hatte sein Urtheil
gefällt, und wir fühlten, daß es wahr gesprochen.
Wie mag es zugegangen sein? Darnach fragten wir uns erst später, als
wir Arm in Arm durch die Allee gingen, an deren Ende die Sphynx steht.
Unsere Taschentücher mußten neben einander gelegen und ich mußte sie ver-
wechselt haben.
Felix stellte mich seinen Eltern als seine Braut vor, und sie segneten uns
als Brautleute, wie sie uns als Geschwister gesegnet hatten. Es schien ihnen
nicht unerwartet zu kommen. Wie eigenthümlich, jetzt die Braut Dessen zu sein,
welcher noch vor einer Stunde mein Bruder gewesen! Aber ich.fühle, daß sich
in meiner Brust em Dunkel gelichtet hat, welches mich, wenn ich in mich selbst
schaute, häufig in Verlegenheit setzte. Mein zweiter Vater wollte die Verlo-
bung, welche ihn ganz glücklich macht, sofort nach der Rückkehr der Jäger pro-
clamiren; die Mutter aber hielt es nicht für passend, Jemandem etwas davon
zu sagen, bevor Edmund, das künftige Haupt der Familie, seine Einwilligung
dazu gegeben.
Edmund kam aber nicht mit den Andern zurück. Anfänglich murde dies
im allgemeinen Getümmel nicht bemerkt, und wir Frauen waren vollauf mit
der Anrichtung des Mahls beschäftigt. Als man sich endlich nach ihm erkun-
digte, konnte Niemand Aufschluß über ihn geben.
(Fortsetzung folgt.)
Donnerstag und Samstag.
Preis Vierteljahr!. 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.
* Herr Bluntschli und der „Bürger-Abend".
In der Heidelberger Harmonie, so werden wir belehrt, soll
jetzt alle 4 Wochen ein sog. Bürgerabend abgehalten werden, wo
die Universiiätsgrößen die Gelegenheit beim Schopf erfassen, um
sich in einem Schwall von Worten vor dem Philfftertyum zu expec-
toriren, das die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, bei ge-
wissen Kraftstellen Bravo zu schreien und mit den Füssen zu trom-
meln, dafür aber die Freiheit genießt, jenen Helden des Katheders
dichte Wolken von Tabak unter die Nase blasen und in ihrer
Gegenwart gewaltige Biermassen vertilgen zu dürfen. Eine Rede
halten, sein Compliment machen, das Bravo in die Tasche stecken
und dann unter allseitigen Bücklingen gute Nacht wünschen, —
das ist es, was Herr Bluntschli „Fühlung mit dem Volke" nennt.
Gott wie mager! Und sogar dieses Bischen Fühlung ist Euch ver-
loren gegangen, wie Herr Bluntschli klagend in seiner Neve ein
gesteht, obgleich die Matadore der Wissenschaft seit Jahren land-
auf- und abgezogen sind, um wie Trödler und Mraktschreier ihre
Weisheit an den Mann zu bringen von den alten Assyriern an
bis zu Cavour und bis zu den bösen Ultramontanen unserer Tage,
die zwar nur ein „kleines Häuflern", bei geheimen und directen
Wahlen aber ungeheure Massen in's Feld führen! Und gar noch,
lieber Leser, welche Beredsamkeit wurde da obendrein noch entfaltet!
Glücklich, wenn du sie nie gehört, glücklich, wenn du sie nie gelesen
hast! Voll Selbstliebe und Selbstlob unausstehlich bis zum Er-
brechen, weitschweifig und in entsetzliche Perioden eingetheilt, in
schleppender Sprache, ohne Feuer, ohne Kraft, mit mattem
Organ, — wahre Bettelsuppen waren sie die Vorträge, die man
zur „Fühlung" mit dem Volke für nothwendig hielt. Wie oft war
Mancyer nicht versucht nach faulen Eiern zu greifen und dem Un-
ausstehlichen damit ein Compliment zu machen!
Also ähnliche Redeübungen sollen jetzl wieder, mehr weil die
Herren sich selbst gern sprechen hören, als des Publikums wegen
in Scene gesetzt werden, und Herr Bluntschli hat den Reigen
in der Harmonie eröffnet. Bei dem Namen Bluntschli glaubten
wir, es werde eine gewaltige Rede vom Stapel laufen, aber wie
hatten wir uns getäuscht, als wir die Maus aus dem kreisenden
Berge springen sahen! Bluntschli hat keine Rede gehalten, es war
ein albernes, abgedroschenes, schäbiges Geschwätz
Herr Bluntschli hat, wie die Heidelberger Zeitung referirt,
das „heimtückffche, jesuitische Gebühren der uüramontanen Partei
einer strengen und scharfen, wahrhaft vernichtenden Kritik" unter-
zogen. „Handgreifliche Verdrehungen und Lügen" sollen es gewesen
sein, welchen die ultramontane Partei ihren Sieg bei der Wahl
verdankte. Wir meinen, Herr Bluntschli, wenn man einer andern
Partei „Verdrehungen und Lügen" vorwirft, so muß man als ehr-
licher Mann auch jener Partei die „Verdrehungen und Lügen"
nachweisen, so aber ohne Beweis sind dergleichen Aussprüche nicht
blos nichtssagende Phrasen, sondern geradezu Unverschämtheiten
und fallen daher als „Verdrehungen und Lügen" auf den zurück,
der sie mit dem unerhörtesten Leichtsinn und Uebermuth geäußert
hat. Wir haben in unfern Reden bei den verschiedensten Gelegen-
heiten, so oft wir Personen und Parteien bekämpften, stets die Be-
weise für unsere Behauptungen erbracht, wie z. B. die Bedrückung
ver Gewissensfreiheit durch Lamey von Dr. Bissing dadurch nach-
gewiesen wurde, daß man einzelnen in ihrem Gewissen gekränkten
Katholiken, welche Strafen von 70—80 fl. nicht zu erschwingen
vermochten, das Vieh aus dem Stall herausholte und es der Zwangs-
versteigerung aussetzte.
Eine noch lächerlichere Behauptung des Herrn Bluntschli war
es, die sogenannte liberale, in der Thal aber servile Partei habe
den Kampfplatz offen betreten, die ultramontane dagegen mit ge-
heimen Wühlereien. Mein Gott, wie einfältig, wie schülerhaft
von Einem, der sich einen großen Politiker nennt! Wahrhaftig
wir wundern uns nur darüber, daß eine solche Kost von Ihnen,
Herr Geheimerath, noch Abnehmer finden kann! Die Knaben, wenn
sie gegen einander Krieg führen, bedienen sich öfter solcher Beschö-
nigungsmittel für ihre Niederlage; bei Männern, die tief im
Schwabenaller stecken, hält man dies für „Humbug". Der Herr
Gehennerath hat wohl gedacht, wir hätten ihn, Herrn Lamey,
Herrn Jolly und den Maschinendirector und Wagenschmierer in der
Karlsruher Stcphanienstraße zu unseren Berathungen über die
Wahlen sowohl in Freiburg wie hier in der Wohnung Lindau's
einladen müssen, damit die Herren unfern Feldzugsplan von vorn-
herein durchschauen könnten! Schade, daß sie nichts von diesen
beiden Zusammenkünften wußten, ansonsten der Geh. Rath und
Professor des Rechts dafür hätte sorgen können, daß die saubere
Haurrechlstheorie des Oberamtmanns Schmieder zur Anwendung
gekommen wäre. Sind Sie denn so offenherzig, Herr Bluntschli?
Oder trägt nicht Herr Bluntschli manche Geheimnisse auf dem
Herzen, die er nicht aller Welt mitzutheilen für gut findet, wie
z. B. die von ihm seiner Zeit eingeleitete, aber verunglückte Minister-
geschichte seines Freundes Friedrich Romer, jenes Cagliostro und
Melternichschen Agenten in der Schweiz, der das Pech hatte, bei
seinem Erscheinen als Ministercandidat vor König Max von Bayern
besoffen zu sein und damit die schönsten Pläne seines Genoffen
Der schwarze Gentleman.
Lus den Erinnerungen eines Lrztes.
(Fortsetzung.)
Felix gerieth mit der Hand auf eine Krystallscherbe, und verletzte sich der-
maßen, daß das Blut hervorsprang. Edmund hob ihn auf, verband die wunde
Hand, empfahl ihn unserer Sorgfalt und ritt, der Pflicht der Gastfreundschaft
genügend, mit den Jägern davon.
Nachdem sie fort waren, versank Felix nach und nach in einen Zustand
halber Bewußtlosigkeit, und während ich neben dem Sessel, in den er sich mit
geschlossenen Augen zurücklehnte, leise mit der Mutter sprach, entschlüpfte mir,
ich weiß selbst nicht wie es kam, mit Bezug auf den verlorenen Ring die
Worte Verlobung und Braut.
Felix öffnete sofort die Augen und fragte mit fieberischer Betonung:
„Braut? Von wem sprecht Ihr?"
„Von Niemanden", antwortete ich verwirrt. Aber damit gab er sich nicht
zufrieden, denn als die Mutter nach wenigen Augenblicken das Zimmer verließ,
sah er mich mit großen fragenden Blicken an, und so mußte ich ihm denn
Alles erzählen, was für mich mit dem Ringe zusammenhing, wobei ich das
Ganze ins Lächerliche zu ziehen suchte.
Felix wurde immer aufmerksamer und träumischer. „Braut?" wiederholte
er. „Da wärest Du ja nicht mehr meine Schwester!"
Diese Worte machten mich betroffen; stumm senkte ich die Augen, es folgte
ein langes, verlegenes Schweigen, und um es um jeden Preis zu brechen,
fragte ich ihn nach der Ursache seines Unfalls.
„Das weiß ich selbst nicht", antwortete er. „Als ich mich niederließ, muß
mein Knie auf einen Stein oder fonst etwas Scharfes gestoßen sein, denn ich
empfand einen durchdringenden Schmerz, der sich selbst jetzt noch nicht ver-
loren hat".
„Komm", sagte ich, „wir wollen sehen, ob wir der Ursache auf die Spur
kommen können".
Die Diener hatten den Saal noch nicht betreten, und es lag dort noch
Alles so wie wir es verlassen. Indem Felix sich bückte, um das Taschentuch
aufzuheben, beugte auch ich mich nieder, um nach dem verhängnißvollen schar-
fen Gegenstand zu suchen.
„Da hab' ich's!" rief Felix, etwas aus den Falten des Taschentuchs her-
vorziehend. Denke Dir unser Erstaunen, als es der Ring, mein Verlobungs-
ring war.
Schweigend und beide tief erröthend, blickten wir einander an, und Gott
mag wissen, was in unseren Herzen vorging. Das Schicksal hatte sein Urtheil
gefällt, und wir fühlten, daß es wahr gesprochen.
Wie mag es zugegangen sein? Darnach fragten wir uns erst später, als
wir Arm in Arm durch die Allee gingen, an deren Ende die Sphynx steht.
Unsere Taschentücher mußten neben einander gelegen und ich mußte sie ver-
wechselt haben.
Felix stellte mich seinen Eltern als seine Braut vor, und sie segneten uns
als Brautleute, wie sie uns als Geschwister gesegnet hatten. Es schien ihnen
nicht unerwartet zu kommen. Wie eigenthümlich, jetzt die Braut Dessen zu sein,
welcher noch vor einer Stunde mein Bruder gewesen! Aber ich.fühle, daß sich
in meiner Brust em Dunkel gelichtet hat, welches mich, wenn ich in mich selbst
schaute, häufig in Verlegenheit setzte. Mein zweiter Vater wollte die Verlo-
bung, welche ihn ganz glücklich macht, sofort nach der Rückkehr der Jäger pro-
clamiren; die Mutter aber hielt es nicht für passend, Jemandem etwas davon
zu sagen, bevor Edmund, das künftige Haupt der Familie, seine Einwilligung
dazu gegeben.
Edmund kam aber nicht mit den Andern zurück. Anfänglich murde dies
im allgemeinen Getümmel nicht bemerkt, und wir Frauen waren vollauf mit
der Anrichtung des Mahls beschäftigt. Als man sich endlich nach ihm erkun-
digte, konnte Niemand Aufschluß über ihn geben.
(Fortsetzung folgt.)