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* Ueber die Erzbischofswahl in Freiburg.
(Fortsetzung.)
Was den Vollzug der Vereinbarung von 1827 betrifft, so
drückt sich der vorliegende Aufsatz im Kirchenarchive in folgender
scharfsinniger Weise aus:
So war die Repristination der Frankfurter „Kirchenpragmatik"
durch die Verordnungen der vereinigten Regierungen vom 30. Jan.
1830*) und das cit. Bisthumsfundations-Jnstrument von 1827
entweder ein rechtlich nichtiger Act oder ein Vertragsbruch. Im
ersteren Falle konnten und wollten die Regierungen die cit. Bulle
nicht alteriren. Sie ist also die einzig hier maßgebende Vorschrift,
welche von dem einen Contrahenten nicht einseitig interpretirt
werden darf. Im andern Falle kann die Regierung sich nicht auf
diese von ihr selbst verletzte Vereinbarung berufen, von welcher
der andere Contrahent gleichfalls zurücktreten kann.
Der heil. Stuhl erließ gegen jene Verordnungen von 1827
und 1830 das bekannte Lrsvs ksrvsnsrat non icku, xriclsm,**)
wodurch er gegen die Nechtsgiltigkeit dieser einseitigen, für die
Kirche nicht verbindlichen Reglerungsacte***) protcstirte: „lüberu
68b iv8t,itubiov6 äivinu, . . . ivtellisruka 8xoii8a . . . 0üri8bi
, . . krintüx68 ostliZaba xuklies kicks xollieiti 8uvt, 86 plav6
lil-erara . . . Iwolsmuul pru68takur08 . . . Huoä ack xl6num
zu8 . . . jrrri8ckiok,ioai8 Iipi86oxali8." Durch die Note des Car-
dinals Bernetti vom 5. Okt. 1833 an die badische Regierung wurde
*) Abgedruckt bei Walter, Kirchenrecht. Bonn 1856. S. 730.
**) Walter a. a. O. S. 731. Walter tonlos S. 345.
***) Mohl, Staatsrecht des Königreichs Württemberg II. S. 535. Richter,
Kirchenrecht (Leipzig 1858) S. 160. constatiren, daß diese einseitigen, staatlichen
Bestimmungen kein Recht erzeugen.
„gegen das Edict" vom Jahre 1830 und „andere gleichartige Acte"
der Regierung protestirt und die „vollständige Beobachtung der ge-
troffenen Uebereinkommen verlangt. . . . In dem Breve vom
4. Dec. 1843 an den Bischof von Rottenburg wird ebenso die er-
wähnte Bestimmung im Bisthumsfundations-Jnstrument von 1827
als die Kirche nicht bindend zurückgewiesen.
Die Regierungs-Entschließung vom 3. März 1853 auf die
bischöfl. Denkschrift von 1851 erklärte die Vereinbarung von 1827
dahin, es sei Pflicht der Wähler: „nur solche Personen auf den
bischöfl. Stuhl oder zu Domcapitularen zu wählen, von welchen
sie sich vor dem Wahlact Gewißheit verschafft, daß sie dem Landes-
herrn besonders wohlgefällig seien." Die Denkschrift des ober-
rheinischen Episcopats vom 18. Juni 1853 erwiderte: „die Befug-
niß, welche die Bulle uck äorn. ZroZ. eu8t. den Landesherren ein-
räumt, besteht in dem Rechte, xsi^onns iuinn8 Zrntu6 von der
Candidatenliste zu streichen, ein — sehr . . . weitgehendes, allen
Ansprüchen des Staats . . . genügendes Recht. Es ist den Bischöfen
nicht gestattet, dieses Recht zu erweitern. . . . Der Landesherr
kann mehr als einen Candidctten streichen . . . jedoch so, daß wie
die . . . Bulle . . . stipulirt, eine für eine wirkliche Wahl zuläng-
liche Zahl von Candidaten auf der Liste stehen bleibe. Jede
weitere Einwirkung der Regierungen auf die Wahlen müssen wir
als rechtlich unzulässig und verderblich . . . erklären. ... Die bei
der Constituirung der Bisthümer erlassenen Breven . . . wieder-
holen rein und einfach die Bestimmungen der Bulle aä ckorn. ZrsZ.
on8k. . . . ohne irgend etwas zu ändern oder zuzusetzen. . . .
Sie beziehen sich auf die damalige erste Besetzung. . . . Sie haben
nicht die Natur von Gesetzen oder dispositivcn Erlassen, sondern
von . . . „Ermahnungsschreiben."
* Lesefrüchte.
Fortsetzung aus Giehne's Tagebuch; Seite 185:
Ein Beurtheiler von außen her, der Franzose Ludwig Blanc, schrieb ein-
mal : „Deutschland wird heute preußisch, um morgen demokratisch zu werden."
In der jüngsten Zeit, als dieser Ausspruch von andern citirt wurde, nahm
er ihn zurück, und erklärte, derselbe passe nicht mehr zu den Umständen; allein
so ganz Unrecht, scheint mir, hatte seine ältere Anschauung nicht. Aehnlich
schrieb mir dieser Tage ein deutscher Gesinnungsverwandter des Franzosen,
Georg Herwegh, von dem Standpunkt seiner Partei aus, die Vorgänge in
Deutschland seien Wasser auf ihre Mühle; auch in diesem Ausspruch, scheint
mir, ist etwas Wahres enthalten, das ihm theilweise recht gibt. Ludwig Blanc
ging wohl von der Betrachtung aus, daß man, um Deutschland preußisch zu
machen, nothwendig der Legimität Abbruch thun müsse; in diesem Falle aber
fand die Democratie natürlich eine offene Bresche vor sich, wenn sie zum An-
griff schritt, oder man kann ihr mit der Beschwichtigung durch nothgedrungene
Loncefsionen entgehen, weil man den Legitimisten gegenüber in ihr einen An-
haltspunkt sah. Es war dies eine sehr naheliegende Gedankenreihe. Man hätte
auch von Frankreich sagen können, es werde heute Napoleonisch, um morgen
Lemocratisch zu werden; Manche sahen es so an, und die Entwickelung ist noch
nicht zu Ende. Napoleon III. nahm seine Krone nicht „vom Tische des Herrn";
er konnte sich nicht auf die Legitimität stützen, weil dies für ihn eine Selbst-
verläugnung zu Gunsten Anderer gewesen wäre; demokratisch wollte er auch
nicht sein, weil sich das nicht mit seinem Anspruch auf Schalten und Walten
vertrug. Allein da die Legitimisten seine natürlichen Gegner waren, so waren
die Gegner des Legitimismus hinwiederum eine indirecte Anlehnung für ihn,
brauchbar je nach den Umständen, und er verschmähte sie nicht, sondern nahm
auch Democraten in sein Lager auf, falls sie sich seiner Politik anbequemten.
Man erwies und man empfing Rücksichten, auf der einen wie auf der andern
Seite. Aus dieser Lage ist hervorgegangen, was man die Jmperialdemocratie
zu nennen pflegt. Die Zusammenfügung aus Gegensätzen sieht mehr aus wie
ein Provisorium, als wie ein Grundbau für die Vererbung auf die Nachwelt;
indeß in der Hand Napoleons, der sich auf solche Dinge versteht, hat sich das
mixtum compositum politisch anwendbar gezeigt, und die demokratischen Mittel,
deren er sich bediente, sind ihm bis jetzt nicht über den Kopf gewachsen. Daß
übrigens nicht einem Jeden das Spiel in gleicher Weise gelingt, ersieht man
aus dem Beispiel Italiens.
Wir Alle haben gesehen, wie die Kreuzzeitung ehedem dieser französischen
und italienischen Politik mit jeder Faser ihres Wesens abhold und entgegen
rvar. Es muß ihr selber spanisch vorgekommen sein, als sie sich auf einmal
Arm in Arm mit Garibaldi fand, und im Gefolge des preußischen Kriegs
aus gefangenen Soldaten die Freischaar unter Klapka zusammenbrmgen sah,
welcher den Ungarn die Gesetze von 1848 in Aussicht stellte. Die Kreuzzeitung
begreift auch sehr wohl, daß sie unter dem Druck eines unheilbaren Wider-
spruchs nut sich selbst leidet; daher der Wortschwall, womit sie jede Aehnlich-
keit ihrer Politik mit der italienischen von sich abzuwülzen bemüht ist. Allein
die Thatsachen stehen fest wie ein Granitsels. Ich kann mir nicht anders
Lenken, als daß Napoleon einen inncrn Triumph empfindet, wenn er sieht,
wie nun die Kreuzzeitung aus der Rolle einer „Gazette de France" her»us-
sällt (Hannover, Nassau und Hessen-Cassel haben nun ebenfalls ihre Bourbons),
und wie Graf Bismarck nach seinem Recept Jmperialdemocraten im preußischen
Abgeordnetenhause an sich zieht, und die Legitimisten in der Kreuzzeitung ver-
geblich nach einer Stätte suchen, die ihnen ein Obdach böte. Der alte Gerlach
ist wie eine Salzsäule der Legitimität stehen geblieben. Wie da die Kreuzzeitung
einen rettenden Ausweg finden oder eine Umkehr bewerkstelligen soll, ist mir
unklar. Im Jahre 1848 gab es in Frankreich wohlhabende Bauern und kleine
Grundbesitzer, die zu den „Rothen" hinüberneigten, obwohl es ihnen selbstver-
ständlich keineswegs darum zu thun war, ihre Aecker der allgemeinen Verthei»
lung zu überliefern. Was aber wollten sie denn? Von der Gelegenheit hätten
sie gern profitirt, um die auf ihren Grundstücken ruhenden Hypotheken unent-
geldlich zu löschen, und sobald ihnen das gelungen wäre, sollte nach ihrer An-
sicht wieder eine himmelhohe Mauer zum Schutze des Eigenthums aufgerichtet
werden. Glücklicher Weise gelang ihnen das Erste nicht; jedenfalls aber, mensch-
licher Voraussicht nach, würde ihnen das Zweite alsdann schwerlich gelungen
sein. Ein Princip, einmal durchlöchert, ist eben einfach nicht mehr ganz.
Dies ist es offenbar, woraus Georg Herwegh hindeutet; seine Auffassung
ist keine isolirte, und das sollte der Kreuzzeitung immerhin zu denken geben.
Was sich dagegen einwenden läßt, ist die Erfahrung, daß ein größerer Staat
fester in sich selbst ruht, als ein kleinerer oder sich schneller wieder vermöge
seiner Schwerkraft zurechtsetzt. In den Stürmen von 1848 zwar gerieth auch
Berlin in Schwankung, aber Preußen erholte sich schneller, als die Mittel- und
Kleinstaaten. Indeß hat die Sache zwei Seiten, namentlich wo es sich um eine
beträchtliche Verhältnißzahl neu annectirter Bevölkerung handelt. Napoleon III.,
obwohl der Erwählte des allgemeinen Stimmrechts, geht allem Anschein nach
nicht darauf aus, seine sämmtlichen Wähler zu bewaffnen; es ist zu bezweifeln,
ob er in neuen Provinzen, wenn sich deren Volkszahl zu dem neuen Frank-
reich wie 4 zu 18 verhielte, das preußische Landwehrsystcm einführen würde.
Vermuthlich würde er erst mit sich zu Rathe gehen, ob man auch sicher sei,
die neue Mannschaft ausschließlich für die ihr zugedachte Bestimmung zu exer-
ciren. Es fit möglich, daß er sich eher jener Absicht zuneigt, von der Ludwig
Blanc zurückgekommen ist. Die Zukunft allein ist die entscheidende Instanz in
der Frage, welche der beiden Ansichten Recht oder Unrecht behalten wird. Allein
gleichviel wie das Urtheil dieser Instanz schließlich ausfallen möge, in der
einen Beziehung aber scheint mir Napoleon, auch wenn der Ausgang des preu-
ßischen Kriegs seine Berechnungen täuschte, einen entschiedenen Erfolg errungen
zu haben: die Politik der Kreuzzeitung hat er moralisch todtgeschlagen. Es ist
dies nicht ein Triumph über die Kreuzzeitung, sondern über ein Princi p. Von
welcher Tragweite, das ergibt sich aus einer schlichten Hinweisung auf die Zu-
kunft der Napoleonischen Dynastie in Frankreich. Das politische System Na-
poleons III. ist zu eng mit seiner Persönlichkeit verknüpst, als daß sich Voraus-
sagen ließe, ob und auf wie lange es ihn überdauern wird. Wenn er das Scepter
niederlegt, tritt sein Sohn und Nachfolger in eine schwierige Stellung ein; sie
wird ihm erleichtert in erster Linie, wenn eine Vergrößerung Frankreichs ein
Verdienst dieser Dynastie bildet und in zweiter, wenn in den Nachbarstaaten
ein ähnliches Verhältniß zu dem Princip der Legitimität besteht, wie in Frank-
reich selbst. Darum konnte das Kaiserreich nicht „der Friede" sein. Es brauchte
im Ausland Umgestaltungen, wie man sie nur durch Krieg erlangt. Weder
die Einheit Italiens, noch die Erweiterung Preußens (die Zerspaltung Deutsch-
lands wohl) war im Interesse Frankreichs; daß man aber sowohl in Italien
als in Deutschland sich nunmehr auf dem Boden der Neuerungen befindet, wie
es die Napoleonische gegenüber den Orleans und Bourbons ist, das war ein
dynastisches Interesse für Napoleon III. Die dadurch hervorgebrachte Spaltung
lebt als ein solches fort für seinen Nachfolger.