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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 1-13 (2. Januar - 30. Januar)
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und Sand

1868.

Preis vierteljährl. 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
, Jns.-Geb. 2 kr. die SpaUzeile.

Donnerstag den 23. Januar

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.

Gevatter Tod.
Macht und Größe — Glanz und Pracht — Annexion, Accesi
sion, Convention — Gesandtschaft aus Gesandtschaft — Parlament
auf Parlament — wo will das hin mit all der Herrlichkeit?! Die
Millionen fliegen, bald als Prämie für siegreiche Feldherren, bald
als Entschädigung für depossedirte Fürsten, bald zur Erhöhnng der
Krondotalion, bald und zumeist für alles, worauf Macht und Größe
beruhen soll. Ein Budget höher als je zuvor, wird votirt rascher
als je zuvor; in der Finsterniß des Sitzungssaales werden die
Zahlen unlesbar — macht nichts! wir haben „heidenmäßig viel
Geld", und als wolle man die Zeiten vergessen machen, wo man
nichts wußte und kannte als Budget zu nergeln, während draußen
der Bruderkrieg sich vorbereitete, so eilt man nun hinweg über
Hunderte und Tausende.
Da tönt von sern her leises Klagen, das wird zum lauten
Aechzen, das schwillt an zum herzerschütternden Nothschrei — und
in all dem Schwindel von übermüthigem Selbstgefühl, von Pracht
und Herrlichkeit und Ueberflnß, steht plötzlich da Gevatter Tod.
Nicht jener, den man uns kennen gelehrt auf den Schlachtfeldern
von 1866, der wilde, rasche Mäher in blutiger Saat, für den man
den „Gott der Schlachten" erfunden hat, eigens erfunden einen
privilegirten Special-Gott, dessen Engel jener vermuthlich sein soll,
nein, der hier erscheint, ist der grause, langsame Würger, dem der
entsprechende „Gott" noch fehlt — der Hungertod. An der Ost-
grenze des Reichs herrscht der Hungertyphus, herrscht aller an-
dern Regierung zu Trotz und Hohn, durchbricht jede Ordnung,
jede Autorität, und feine Opfer durchirren Stadt und Land ohne
und gegen alle Polizei: denn freilich ihre Legitimation tragen sie
im Antlitz und wer sie ansieht, weiß wer sie sind, und ihr Begehren
sagt die stumme Sprache des Elends ohne Worte.--
Wir klagen Niemand an. Das wäre großes Unrecht. Bei
so furchtbarem Unglück die Schuld einem Einzelnen auch nur an-
deutend beizumessen, das geht gegen unser Gewissen. Cäsar macht
nicht Schnee und Frost, gewiß nicht, aber wohlgemerkt! Cäsar
macht auch nicht Wärme uud Sonnenschein. Und davon drängt
es uns ein Wort zu sagen.
Der Cäsarismus, darin dem Absolutismus gleich, verlangt
von den Menschen, daß sie ihn als eine zweie Vorsehung betrachten.
Das Denken gewöhnt er ihnen womöglich ab, nur arbeiten läßt
er sie, und zwar für sich mit; denn nachdem er das größere Opfer
der Selbstständigkeit abgeopfert, sind die geringern Opfer an Steuern
uns stellenweise auch an Menschenleben nur Beilagen gleichsam,

die sich von selbst verstehen. Indem er ihnen so die Sorge für
ihr Bestes abnimmt — gegen die kleine Gegenleistung, versteht sich,
daß sie wiederum für sein Bestes sorgen —, bringt er sie leicht
auf den Gedanken, daß wie für das Beste so auch für das Noch-
wendigste zu sorgen seine Sache sei, namentlich im Fall der Noth.
Er liebt es ja, sich möglichst oft und möglichst stark mit der „Last
seiner Ungeheuern Verantwortlichkeit" in Scene zu setzen; er sieht
ja in der sonst landesüblichen Bescheidenheit kein Hinderniß, mög-
lichst oft zu versichern, wie ihm das „Wohlergehen" feiner Mit-
menschen (er sagt: Unterthemen) am Herzen liege — als könne
für das Wohlergehen von Millionen, welches zu zerstören allerdings
leider in seiner Mach: liegt, er sorgen, er der Einzelne! Er stu-
dirt ja alles, kennt alles, weiß alles, — von der Ausrottung der
Wälder und den verheerenden Überschwemmungen, die ihre Folge
sind, bis zum Chasfepot-Gewehr und der Kugelspritze, von der In-
vasion fremder oder befreundeter Länder bis zum Straßenverkauf
von Zeitungsnummern. Was Wunder, daß im Volksglauben dann
auch der angeblich allwaltenden Regierung zugemessen wird, was
Schuld der wirklich allwaltenden Natur ist? daß wie die Regie-
rung das „Wohlergehen" sich selbst zuschreibt, dann auch die Noth
ihr zugeschneben wird? Das Abcäsarische „xunoin st eivesnsss"
wiederholt sich eben im Neucäfarischen mit seinem blinden Ver-
trauen so gut wie mit seiner tiefen Gefahr auch, und während in
freien Staaten wohl eine oder die andere Verwaltungsbehörde,
aber niemals ein Regimenr, ein System durch solche Nothstände
gestürzt ist, können sie dem Cäsarismus rasch verderblich werden.
Ein andrer Umstand kommt hinzu, der den Cäsarismus noch
tiefer trifft. Wir wiederholen, es wäre Unrecht, Einzelne anzu-
klagen, und daß an schlechten Erndtcn, an harten Wintern kein
System auf Erden schuldig ist, brauchen wir wohl kaum hinzuzu-
fügen. Aber daß eine schlechte Erndte, ein harter Winter hin-
reicht, in einer überwiegend ackerbautreibenden Provinz wie Ost-
preußen so furchtbar verheerende Folgen anznrichten, daran trifft
allerdings eine schwere Mitschuld das System. Jeder Steuerdruck
lastet mit zunehmender Progression auf den unteren Klassen der
Bevölkerung; kommt dann Noth an Mann, so schränken die Rei-
cheren sich ein und verringern die Ausgaben, die im Verkehr, wenn
auch nur spärlich, tropfenweise bis in die arbeitende Bevölkerung
hinein segnend wirken, aber die Armen selbst, die schon auf das
Nothwendigste beschränkt sind, was ist bei denen Einschränkung?!
Nun, eben Hunger. — Und endlich noch ein Moment, das gerade
auf Preußen in voller Schärfe zutrifft. Jeder fühlt's, man braucht's
nur zu nennen. Vor einigen Jahren hat ein preußischer Minister

Der schwarze Gentleman.
Üuo den Erinnerungen eines Arztes.

(Fortsetzung.)
War, aber die geheimnißvolle Loreley betrifft, die Zauberin mit der stren-
gen Miene, i.eren Einstuß mich für einen Augenblick vollständig gebannt hatte,
so mar sie —' fnußte mich eben darein finden — nicht etwa eine Rheinnixe,
sondern eme schlichte Gräfin, die Gattin des kühnen Schwimmers. Während
AsAtz-s-se" ""t Enthusiasmus gepriesen wurde, fand die eisige
Gleichgültigkeit der Gräfin namentlich bei den Frauen eine sehr mißbilligende
Beurthellung, obgleich einige Herren sie zu vertheidigen und ihre Ruhe durch
ihre feste Ueberzeugung zu erklären suchten, daß ihr Mann nicht nur sich, son-
dern auch das Kind wohlbehaltin aus der Affaire ziehen werde. Hierzu kam
außerdem noch der Verdacht daß es mit der Dame nicht recht richtig sein
Oin geheliner Lberreglecungsrath trat dazwischen und gab uns einige
wenige Aufschluffe über das Paar. Der Graf und die Gräfin lebten fast
wahrend des ganzen wahres auf dem Majorat, welches Zehn Meilen von Bres-
au entfernt lag, m vollständigster Abgeschiedenheit von der Welt. Nie mach-
en sie Besuoge und me empfingen sie Fremde bei sich. Von Zeit zu Zeit vsr-
sie Deutschland um ewige Monate in Paris zuzubringen. Da es für
-. Majorat keine direkte Erben gab, so mußte dasselbe nach dem Tode des
k°s m-L sich i° Schl-si-n jiir
ten Erklärungen sand die Unterhaltung ihren Abschluß. Wir näher-
sieb unserer Reise, und die Gruppen der Plauderer zerstreuten
über 'd?-- außer mir schienen entschlossen zu sein, nicht weiter
Ni-nümt-bi- und Gesehene nachzudenken. Ich aber beugte mich über die
" vergegenwärtigte mir den unaussprechlichen Schmerz, welchen ich
starren Zügen der Gräfin verborgen glaubte, die geistige
A" blicken offenbarte, die von Zeit zu Zeit aus den
»/silpiiniii's. ..fAbs Gemahls schossen. Wahrlich, sagte ich mir, was auck
GMenniuß dwfer beiden Seelen sein mag, ich hab? genug gesehen nm zu

wissen, daß sie auf ewig durch ein unversöhnliches Geschick mit einander ver-
bunden sind.
Die Sonne senkte sich und war schon beinahe verschwunden, als wir lang-
sam vor dem schwärzlichen Gemäuer der alten Kaiserstadt Colonia hinglitten.
Die breiten Thürme des Doms zeichneten sich schwarz am purpurnen Horizont
ab, und als ich den Blick zum kolossalen Krahn erhob, welcher seine scelettar-
tigen Arme gegen den Drachensels ausstreckt, schien es mir, als riese er diesem
zu: „Niemand kann das Vergangene zurückrufen. Die Jahre kommen und ver-
gehen, und von der Zeit, die da war, sind nur wir noch dageblieben. So
lasse denn unser Streben der Versöhnung geweiht sein!"
Und der Fels, dem Stück für Stück das gigantische Gemäuer des Doms
entrissen wurde, antwortete auf diesen melancholischen Anruf nur durch ein
düsteres Schweigen.
2.
Kaum weiß ich mir selbst Rechenschaft darüber abzulegen, wie ein Ereig-
niß gleich dem im zweiten Kapitel beschriebenen einen solchen Eindruck auf
mich machen konnte. Was hatte ich denn am Ende gesehen? Ein umgestürz-
tes Boot und einen Knaben, welcher durch einen rüstigen Schwimmer vom
Tode gerettet wurde. Der Schwimmer war zufällig ein schlesischer Graf und
mit einer Frau von auffallender Schönheit verheirathet, ohne daß das Glück
dieser Ehe zu lächeln schien. In diesem allem lag nichts Ungewöhnliches. Es
kommt häufig vor, daß ein schlecht geführtes Boot umstürzt, daß Jemand in's
Wasser fällt und von einem geübten Schwimmer gerettet wird, und noch häu-
figer sind unglückliche Ehen in höhern Ständen. Dennoch aber bildete der
Vorfall auf dem Rheinboot eine Epoche in meinem Leben. Es war mir ver-
gönnt worden, mit einem Blick das innerste Geheimniß zweier Wesen zu er-
lauschen. Welcher Art dies Geheimniß sei, blieb mir bis jetzt verborgen; aber
mit dem einem Blick hatte ich erkannt, daß ein Gedanke, ein Gefühl diese
beiden für einander bestimmten Wesen auf immer von einander fern hielt.
Welches Seelenleben muß hier verborgen liegen, welches Glück hier durch
ein unerbittliches Verhängniß erschüttert sein! „Also me?" hatte der Graf,
nachdem er ein Menschenleben gerettet, leise flüsternden Tones, mit emem un-
aussprechlich bittenden Blick gesagt. „Nie!" lautete die Antwort der grau-
samen Loreley, und mit der stummen Resignation der Verzweiflung beugte der
Verurtheilte sein Haupt. (Forts, folgt.)
 
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