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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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M 91. Dienstag den 4. August 1868.


Bestellungen auf den „Pfälzer Boten" für die
Monate August und September werden bei der
Expedition d. Bll wie bei allen Großh. Postan-
stalten angenommen.
Das Wiener Schützenfest und seine Tadeler.
(Köln. Blätter.)
Die Kreuzzeitung bekundete einen richtigen Jnstinct, als sie
noch vor Eröffnung des Wiener Schützenfestes (unter dem 21. d.)
einen Artikel losließ, um diesem Feste moralischen Abbruch zu thun.
und dessen national-politische Bedeutung, die jetzt unmöglich
mehr geläugnet werden kann, herabzusetzen. Jener Artikel
lautete:
„Zum deutschen Bundesschießen."
„Man kann's nicht läugnen, daß die Wiener alles thun, was
dazu dienen kann, dem bevorstehenden sogenannten Deutschen Bun
desschießen seinen Character als „nationales Ucbungs- und Ver-
gniigungsfest" zu bewahren und vor anderweitiger Ausbeutung dies
Fest zu sichern. Ob die in Aussicht genommenen, zum Theil recht
seltsamen Vorsichtsmaßregeln gegen polrtische Demonstrationen den
erwarteten Erfolg haben, steht freilich dahin. Aber auch wenn
dem so wäre und alles auf das erwünschteste verliefe, so Hütten da-
mit unsere Bedenken gegen dergleichen allgemeine deutsche Feste noch
keineswegs sich erledigt.
„Wir müssen vielmehr immer wieder hervorheben, daß wir —
und zwar von einem höhern nationalen Standpuncte aus s?ch in
diesem Festgepränge nichts Anderes als eine ganz undeutsche Ver-
brämung eurer Genußsucht erkennen, welche leider allerdings „na-
tional" zu werden noch immer droht, ob sie gleich durch die heil-
same Ausrüttelurig des Jahres 1866 mit ihren extravaganten
Aeußerungen ein wenig eingeschränkt worden ist. Wir fassen daber
den Begriff Genußsucht etwas weit und rechnen Zu den Objecten
derselben nicht nur die schöne Reise, Bier, Wein und silberne Prä
mien, sondern auch die Ehre, toasten zu dürfen und betoastet zu
werden, allenfalls auch das Quantum gedankenloser Schwärmerei
für ein nationales Utopien.
„Daß aber dieses dürftige Thun, an dem nach Lage der
Dinge der wahrhafte Kern unseres Volkes, der arbeitende Mann
aller Berussklasfen, kaum Theil nimmt, sich die Firma schreibt als
patriotische, d. i. als eine sittliche That, — das ist's was solche
Festversammtungen gefährlich macht, nicht zwar gefährlich für den
Frieden, aber gefährlich für den Volksverstand, für das Sitten-
bewußtsein des Volkes. Und von diesem Standpunkte scheinen uns
alle Versammlungen von minder prätentiösem Namen und engerer
localer Begrenzung entsprechend weniger bedenklich, während solche
anderseits durch die mit ihnen zusammenhängenden technischen Be
rathungen (z. B. bei Kreisturnfesten) sogar ihren Werth haben
mögen.
„Darum noch ein Mal: cs ist nicht dies bestimmte Wiener
Bundeöschießen allem, und nicht allein der mögliche Mißbrauch zu
bestimmten politischen (nicht „nationalen") Zwecken, was unsere
Bedenken herrwrruft — wir müssen gegen alle diese mit dem
Schilde des Patriotismus die Genußsucht deckenden Massenscste uns
erklären."
Also mit kurzen Worten versucht die Kreuzzeitung, das groß-
artige nationale Fest als ein bloßes Vergnügnngsftst, als'eine
Gelegenheit eiteler, sittenschädigender Bummelet und Rednern anzu-
schwärzen. Nun wollen wir, um ganz gerecht zu sein, ihr zuge
stehen, daß allerdings dem Deutschen ein gewisser Hang innewohru,
in materieller Behaglichkeit seinen Gefühlen und Ideen Ausdruck
zu geben und mit luftigen, fliegenden Worten die Bekämpfung
mächtiger Bestände, die Erreichung schwerer praciischer Zwecke zu
vL-tuchen. Wir erinnern uns der Zahllosen Declamcttiouen gegen
die Mißstände des deutschen Bunces, all' des Geredes und Sing-
sangs für nationale Einheit, Macht und Größe, das in den Lüften
verhallt ist, ohne auch nur ein Brett aus dem alrcn Gefüge zu
lösen noch zu dem neuen Bau ein Grün, steinchen zu legen. — Und
dennoch sind wir weit entfernt, dem deutschen Volke aus diesem

besondern Hange, aus dieser Eigenheit einen moralischen Vorwurf
zu machen. Im Gegentheil — wenn wir nur absehen von der
natürlichen Unziemlichkeit und Lächerlichkeit jeder Uebertreibung —
gibt sich uns sine der edelsten, werthvollsten Eigenschaften der
deutschen Nation darin kund, nämlich die Fähigkeit idealer Begei-
sterung, Erhebung und Befriedigung überhaupt. Gerade die Unter-
stellung der Kreuzzeitung, daß es unter dem Titel patriotischer
Feste bei dem Deutschen nur auf Befriedigung der Genußsucht und
des bummelerischen Hanges zu thun sei, ist grundlos und vielmehr
das Gegentheil wahr. Der Deutsche liebt und sucht im Durch-
schnitt keinen Genuß, kein Spiel, keine Lustbarkeit, die ihm nicht
zugleich eine gewisse Befriedigung seiner gemüthlichen An-
liegen, feiner idealen Wünsche und Bestrebungen verheißt und
^ermöglicht. Daß er aber bei solchen idealistischen Kundgebungen
verweilt, daß er vielfach damit sich begnügt, ohne Zum practischen
Wirken überzugehen, hat wiederum darin seinen natürlichen und
seinen natürlichen Grund, daß er dem Ideal selbst eine gewisse
Wirklichkeit und Realität beimißt und nicht blos das für existirend
erachtet, was in matterieller Verkörperung erscheint und mit den
Händen sich greisen läßt. In der That, Freiheit, Recht, Brüder-
lichkeit, Einheit existiren nicht blos da, wo sie schon eine reale
Form gesunden, sondern ebenso auch da, wo sie ideell in tausend
Herzen walten und glühen; und umgekehrt, die schönsten Formeln
der Freiheit, des Rechts, der Nationalität u. s. w. Lessing sagt:
Die erstrebte Wahrheit ist nicht mehr als die gegebene, und
Lessing — war ein Deutscher. So genügt auch heute dem
deutschen Volke nicht die gegebene, die von Macht und Gewalt, die
von außen her ihm zugeworfene Form der „Einigung"; es will
diese von innen heraus, seinem Ideal gemäß, selbst erstreben, selbst
schaffen, selbst formen. Nicht das Factum, nicht die bestehende
Form an sich genügt ihm, sondern nur die aus eigener, freier und
idealer Mitwirkung geschaffene Thatsache und Form. Der Deutsche
will nichts ohne und für sich machen lassen; er will selbst mit
seinem Sinnen und Trachten dabei sein, will mit rathen und
thaten. Diese Lust und Kraft der Initiative, des selbsteigenen
Wirkens und Mitwirkens ist es, was den deutschen Character aus-
zeichnet^ was den eigentlichen Begriff der „Freiheit" des deutschen
Wesens constituirt. Eine solche Initiative und Selbstthätigkeit ist
aber ohne eine kräftige, die ganze Nation durchdringende, beseligende
und einigende Idealität nicht möglich. Nur der Idealist läßt sich
von Andern nicht octropiren; der Realist nimmt die Vortheile
hin, von wem und wie sie ihm geboten werden mögen. So ist
also der Idealismus des Deutschen keine leere Sache, sondern eine
wesentliche Bedingung, ein wesentliches Element seiner Freiheit,
seiner ganzen social-nationalen Existenz und Bethätigung. Wenn
der Deutsche idealisirt und schwärmt, thut er nur, was er thun
muß und als Deutscher nicht lassen kann. Das Feste feiern,
Toasten und Reden aber ist nur tue äußerliche Manifestation die-
ser innern Idealität, Freiheit und Selbstthätigkeit. Eben deßhalb
behaupten nur auch — und Niemand, selbst die „N. Pr. Ztg" nicht,
wird uns dies bestreuen — daß in der Art, wie es in Deulsch-
l- nd grschicht, keine andere Nation befähigt ist, gemächliche und
patriotische Feste zu feiern, mag ihre „Genußsucht", ihre „Ettel-
Pu", ihr „müßigaängerifcher, bummelenfcher" Hang noch so groß
seiii. Man veranstalte doch einmal ein solches „sranMsche Bundes-
schießen" in Paris — cs wird eine Parade, Maskerade oder Fü-
siladc daraus werden; hallet es rn Florenz — und man wird von
allerlei Sirett, Sp cuttet und Scandal hören; veranstaltet es in
Moskau — Ui d man wird sich balgen, betrinken und conspiriren;
Veranstalter es selbst ur London — mar. wird essen, Reden halten
und Resolutionen fassen: aber schwärmen, glühen, sich erheben und
umarmen wird man nicht. „Böse Menschen haben keine Lieder":
oerkomniene, unfre-.e, crstarite Nationen kerne — Schützen-, Turner-
und Lieverfeste! Nur der Idealismus, die Freiheit und Autonomie
des deutschen Wesens ist's, was sie möglich macht — und nicht
die „Genußsucht", nicht die Luft zum „Müßiggang". Daß aber
gemächliche Begeisterung, ideale Erhebung, frerheuliche Bewegung
— ohne Kraft und Wirkung sei, kann nur die Kreuzzeitung glauben;
der Erfolg wird sie widerlegen. Diesen Erfolg aber deutet pro-
phetisch der Sänger (Dr. Hermann Rollet) an in dem zu dem
großen Concert am 3. August gedichteten Festliede, worin es am
Schluffe heißt:
 
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