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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0517

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Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.

Preis Vierteljahr!. 40 kr. ohne
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzelle.

für Stadt



.N 129.

Samstag den 31. October




Bestellungen auf den Pfälzer Boten für die Monate Ncvbr.
und Dezember können bei allen Grosth. Postanstalten nnd Postboten
gemacht werden.
Der Kraichgaubote in der Falle.
X Bruchsal, 26. Okt. Es ist eigentlich schade, dtM Kraichgau
boten einen Leitartikel zu widmen. Wir thun es auch blos rn der
Hauptabsicht, um diejenige Partei, sür welche unser Amtsblatt seim
Druckerschwärze verbraucht, im wundervollen bengalischen Glanze
ihres Daseins sichtbar werden zu lassen. Wie in der Regel bei
einer bengalischen Beleuchtung den Zuschauern das bekannte „Ah!"
und „Oh!" unwillkürlich entlockt wird, so dürste dasselbe auch jctzl
der Fall sein, wo wir dem hohen und niedern Publikum den Kraich
ga -boten, in seiner eigenen Falle zappelnd, vorzuführen uns er-
lauben.
Daß bezüglich der vielen neuen Steuern ein badisches Landes-
kind seine eigenen Ansichten haben darf, ohne gerade polizeilich ge-
straft zu werden, ist Gott fei Dank unter dem bürgerlichen
Elemente möglich; einem Beamten dagegen möchten wir nichi
rachen, von Ueberbürdung der Steuern zu reden, denn es würdt
ihm sofort der Zorn und Unwille, wenn nicht noch Schlimmeres,
von Oben zu Theck werden.
Zur Sache jetzt. Der Kraichgaubote, in der Regel servil bis
über die Ohren, verirrt sich ? hie und da bei seinen publicistischen
Irrfahrten zu einem bürgerfreundlichen Gedanken. So auch
in Betreff der Besteuerung.
Wörtlich wie folgt schrieb er am 7. Juli des Jahres 1868:
„Es spürt nun der Bürger erst allmählig die höhere Be-
lastung durch den neuen Umschwung. Die Gemeinden haben be
deutend mehr für Schule, Straßen- und Kreis lasten zu tragen, nue
früher, und auch die Staatssteuern sind erhöht worden, was nun
nach und nach erst gefühlt wird. Rechner man hiezu den
Verlust an soviel hunderttausend Arbeitstagen und Arbeilsgewinn
durch Vermehrung des Contingents (Militär) und größere Dienst-
zeit, so macht dies allerdings sehr viel aus uns wirkt em-
pfindlich."
So der Kraichgaubote. Das war doch einmal ein genießbares
Uriheil, das den ungeiheilten Beifall bei allen Steuer pflichtigen
des politisch unverdorbenen Bürgerstandes erhielt. Schade nur,
daß der Kraichgaubote gar sobald im nämlichen Betreffe wieder
umsattelte und auf jene Volkseinduselung hinzuwirken für gut sand,
womit die herrlichen „Bürgerabende" die bezirks- und gemeinde-
räthlich zusammengetrommelien Bauern regaliren.
Allem Anschein nach hat den Kraichgauboten entweder ein
entsetzliches Grauen erfaßt, da s, er mit seiner Steuer klage auf ganz
ullramontaner Fährte sich befinde, oder aber es ist ihm von irgend
einem Obermaschinisten der liberalen Presse ein Ruck und Druck
versetzt worden. Sei dem wie ihm wolle. Der Kraichgaubote läßt
den Contre-Dampf los und schreibt in einem Lertarickcl: „Etwas
vom Steuerdruck" — wie folgt am 24. October des Jahres 1868:
„Wenn ein Steuerdruck bestände, so könnten die Leute die Ab
gaben nicht aufbringen, müßten sich deßhalb an andern Ausgaben
und Genüssen abzwacken und wäre als ein Rückgang des allge-
meinen Verbrauchs, besonders aber der Luxusgegenstände und Luxus-
genüsse offenbar zu sehen. Nichts weniger als dies ist aber zu be-
merken, wir sehen vielmehr dieselben Leute, welche solche schwere
Vorwürfe erheben, oft an einem einzigen Tage gänzlich unnölhige
Ausgaben machen und so ihre Genußsucht übertreiben, daß dies
ebenso viel oder weit mehr ausmacht, als dre Sieuer sür das ganze
Jahr beträgt. Wo dieß aber der Fall ist, und kein Mensch wird
daran zweifeln können, da kann doch die Klage wegen Steuer-
druck nicht wahr sein und gehört zu den urgen Uebertrei-
bungen, welche Parteisucht oder Geda nt en losigkeit nur
an den Tag bringt. Es liegt darin aber auch sehr
vrel Perfidie" rc.
So der Kraichgaubote drei Monate nach dem 7. Juli, wo
er die Fühlbarkeit des Steuerdruckes rxtra betonte. J.tzt, am
stellt er dieselbe in höchst täppischer Werfe cnischiedcn
m ^rede und schlägt sich so jämmerlich auf's eigene Muul, daß
er sich selbst Mit Bezug auf seine flühkreu AsugetUirg-n „ P a r le-
sucht, Gedankenlosigkeit und Perfidie" zum Bo wurst
macht.

Eine so großartige sich eigenhändig zugMgte öffentliche Be-
schämung ist köstl-ch über Alles, und nur die liberalen Kleinpreß-
biäulein eignen sich wegen ihres Maschinencharaclers dazu, so etwas
zu ertragen, ohne sich zu schämen.
Im Uebrigen räumen wir dem Kraichgar boten „Partersucht,
Gedankenlosigkeit und Peifidr." ohne Widerrede ein und machen
Ichlreßlich nur noch darauf aufmerksam, wie herrlich sich die öffent-
liche Meinung gestalten muß, wo unsere Amrsvcrkündiger, den
ganzen Schutz ihrer politischen und socialen Erbärmlichkeiten unter
dem Volke absitzen.
So viel sür heute. Dem Herausgeber des Kraichgauboten
empfehlen wir schließlich zum Selbststudium das Buch von Lukas:
Die Presse, ein Stück moderner Versimplung."
Die bürgerliche Standesbeamtung.
ii.
(Schluß.)
Das Ansehen der Pfarrer wurde durch diese Praxis tief
herabgewürdigt und das kirchliche Bewußtsein derselben corrum-
p rl. Die Bezirksbeamten gewohnten sich daran, die Pfarrer, die
als Standesbeamte ihnen untergeordnet waren und von ihnen be-
straft werden konnten, auch rm übrigen Dienstverkehr als ihre
Untergebenen zu betrachten und gegen sie eine Sprache und Hal-
tung anzunehmen, die man wohl fernem Bedienten gegenüber sich
erlauben darf, nicht aber gegen Männer, die nicht im Dienste
des Staates stehen, von ihm nicht besoldet sind, sohin in keiner
Beziehung vo-. ihm alhängen. Die Pfarrer, im Bereich der Slaats-
willkühr und an deren Dictate gewöhnt, voll Reipecls gegen den
Slaalspatronat künftiger Beförderung wegen, ohne Aussicht auf
auf einen wirksamen Schutz ihrer krrchlicheu Vorgesetzten, die in
den nämlichen Fffseln lagen, ließen sich bisweilen Druge gefallen, die
sie vor sich selbst, vor ihren Gemeinden und den Staatsbehörden
herabsetzen mußten. Das rücksichtslose Vorgehen der Staatsgewalt
im Kirchen- und Schulstreit, die Unbormäßrgkeit oder Lauigkeit
mancher Geistlichen in beiden Fällen gegen dre Befehle der Kirchen-
bchölden wäre nicht möglich gewesen, wenn die Staatsgewalt nicht
an unbedingtes Befehlen, die Geistlichen nicht an Gehorsam gegen
dieselbe auch auf kirchlichem Gebiete gewöhnt gewesen, und ein
Widerspruch gegen irgend einen Befehl derselben beiden Theilen
kaum denkbar erschienen wäre. Man hatte sich in die Vor¬
stellung hineingelebt, daß cs kein Recht an und sür sich gebe,
v.el iehr Recht sei, was die Gewalt gebiete, ein Grundsatz, den
in neuester Zeit in unserem Lande zwei maßgebende Größen,
Lamey und Bluntschli, also sormulirt haben: „das Gesetz ist das
öffentliche Gewissen" — „die Gesetzgebung des modernen Staates
ist die absolute Vernunft."
Es liegt uns ferne durch diese Besprechung einen Tadel gegen
die Staatsgewalt wegen ihres Verfahrens in Beziehung auf die
Standesbeamtung auszusprechen. Wir kennen die Wichtigkeit einer
wrgfältig.n Führung der Standesbücher sür alle Verhältnisse des
bürgerlichen Lebens zu gut, um nicht eine strenge Gesetzgebung
und Controls in dieser Beziehung für gerechtfertigt zu finden.
Wir wollten nur constatiren, daß der kirchliche Besitzstand dieser
Bücher durch Zwangmaßregeln gestört wurde, die Staatsgewalt
eigenmächtig auf einem Gebiete vorsuhr, wo ihr nur der Nieß-
brauch, unter Achtung der Rechte und Vorbehalte des alleinigen
Brsitzers vergönn! war, daß kirchliche Nichte und Grundsätze aus
Conuivcnz gegen die Staatsgewalt prcisgegebcn wurden, daß die
Geiulichen für ihre Mühe und Viraulwoitung in diesem wichtigen
Geschäfte weder Anerkennung noch Belohnung sanden, im Gegen-
checke in ihrem Ansehen, in ihrer kirchlichen Unabhängigkeit schwer
geschädigt wurden.
Warum aber sollen die Kirchenbücher nicht mehr als Staudes-
bücher gellen und die Geistlichen nicht melr S.audcsbeamle sein,
n chdem sie doch über ein halbes Jahrhund-ri dem Staate voll-
ständig genügten? Aeußcrlich gibt man für diese Maßregel als
Gl und an : Dre Geistlichen seien vom Staate unabaä ngig , mar?
sinde bei ihnen nicht den nölhigen Gehorsam für Durchführung
oer Staatsgcsetzs auf dem Gebiete der Slandesbcarnrnug, d^silberr
? ^'e; nicht to zuverlässig in ihrer G schaüssicht'".'! - w- nN o
 
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