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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 90-102 (1. August - 29. August)
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Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.
90.

1868.

Samstag den 1. August

L Preis Vierteljahr!. 40 kr. oder
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.


* Bismarck und der süddeutsche Bund.
Bismarck weilt auf seinem Gute Varzin. Er hat Muße die
Naturkräfte zu beobachten: wie der Same keimt, wie er zur Frucht
sich entwickelt. Aber er sieht auch, daß der letzte Prozeß — solcher
der Reife — nicht vorschnell und durch künstliche Mittel herbeige-
führt und daß zur Ernte ohne vorherige Reife nicht geschritten
werden kann. Einst hatte er in vertrautem Kreise die Borussia
mit einer Jungfrau verglichen, die sich nicht selbst anbieten könne, die
die Erklärung der Freier aus dem Süden abwarten müsse. Heute
belehrt ihn Varzin, daß die überreife Frucht, wie die Ernte für
ihn erst mit dem Zeitpunkte einer Krise eintreten werde, die in
nicht allzuferner Zeit vorauszusehen ist. .
Wir wollen deutlicher sprechen, denn es ist uns aus guter
Quelle die anfänglich überraschende, doch bei näherer Prüfung sehr
wahrscheinliche Behauptung mitgetheilt worden, daß Bismarck
der Herstellung eines Südbundes —freilich nicht deswon
der öffentlichen Meinung gewünschten Südbundes — keinen
Widerstand entgegensetze.
Um diese Behauptung zu begründen, wird ein kurzer Ueber-
blick der Situation genügen; es wird daraus hervorgehen, daß die
Actien gegenwärtig schlecht stehen für die preußische Politik.
Der einzige, ziemlich sichere Bundesgenosse für Preußen ist
Rußland. Seine Hilfe ist insofern hoch anzuschlagen, wenn nicht
innere und äußere Feinde seine Action lähmen. Aber hiefür wird
der umsichtige und in politischen Ränken vielerfahrene Herrscher
an der Seine schon Sorge tragen. Schweden, Dänemark und die
Türkei werden schwerlich müssige Zuschauer bei einem Kriege sein,
worin Preußen und Rußland sich gegenseitig decken, auch mag noch
der einem Herrscher von Gottes Gnaden sowohl anstehende für
Italien im Jahre 1866 bestimmte preußische Operationsplan eine
würdige Nachahmung darin finden, daß das ganze ehemalige Polen
dem russischen Czaren auf den Hals gejagt wird. Außerdem wird
die russische Hilfe wegen des Mangels an Eisenbahnen nicht so
rasch als nöthig geliefert werden können, ja bei einem Feldzug im
Winter oder bei Beginn des Frühjahrs zu Land und zur See auf
große Schwierigkeiten stoßen. Rußland, als preußischer Bundes-
genosse, wird aber auch in den Beziehungen Preußens zu England
ungünstig wirken, da Rußland außer Nordamerika der gefährlichste
und verhaßteste Gegner von England ist.
Aus einen andern früheren Bundesgenossen, Italien, wird
Preußen nicht rechnen können. Die Geldnoth, die Parteispaltungen,
die Zustände in Neapel und Sicilien, wie überhaupt die geogra-
graphische Lage lassen Italien als einen ohnmächtigen Verbündeten
nach beiden Seilen hin erscheinen und würde die Zusammenziehung
eines spanischen Heeres allein schon genügen, keinen Italiener als
preußischen Kampsgenoffen außer Landes marschiren zu sehen. Es mag
als ein überaus deutliches Zeichen der italienischen Haltung im
nächsten Kriege gelten, daß der Kronprinz von Italien an Ems
vorüberg ereist ist, ohne dem Netter Italiens, König Wilhelm, seine
Aufwallung abgestaltet zu haben.
Bismarck wird aber auch in den Zuständen der im Jahre
1866 anncxirten Staaten keine ermuthigende Aufforderung sich in
einen Krieg einzulassen, gesunden haben. Mit jedem Tage wird
die Stimmung in Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen,
Nassau und Frankfurt erbitterter gegen das preußische Regime, tue
Menschen- und Geldsteuern sind darin verdoppelt und verdreifacht,
die Polizeiwirthschaft unerträglich, das Vertrauen in einen festen
Bestand der Dinge verschwunden. L-tzrerer Umstand lähmt auch
im übrigen Preußen die Industrie und den Handel und so zeigt
sich nach allen Seiten hin eine Unzufriedenheit, deren einzige Ab
hülfe, nämlich durch Entwaffnung, geradezu unmöglich ist. So
werden sich dann die schön klingenden Phrasen der Naüonallrberalen
noch lange nicht verwirklichen. Ebensowenig werden die zum Nord-
bund gehörigen Staaten einen besondcrn Beistand zu leisten ver-
mögen. Zwar werden die Mecklenburger und Oldenburger als
treue Vasallen wieder recht wacker kämpfen; allein ihre Zahl ist
zu gering. Sachsen, die thüringcn'schen Staaten und Braunschweig
hegen aber dieselbe Abneigung gegen Preußen wie sie in Süd
dentschland vorhanden ist.
Was nun die Unterstützung durch Süddeutschland anbelangt,
so sind allerdings die Allianzverträge mit Preußen abgeschlossen;

allein eine unbedingte Heeresfolge ist darin keineswegs zugesagt.
Im Gegenteil erinnern wir nur an die bedeutsamen in der Ab-
geordnetenkammer gesprochenenWorte des württembergischen Ministers
v. Mittnacht, welche mit großer Betonung dahin gingen, daß die
württembergische Regierung jeden einzelnen Fall besonders erwägen
werde, ob nach den Voraussetzungen des Bündnißvertrages eine
kriegerische Beiheiligung zu Gunsten Preußens stattzufinden habe.
Diese Sprache war deutlich genug, sie wird wahrscheinlich noch
deutlicher in der neuen württembergischen Kammer geführt werden.
Sie stimmt aber auch vollständig überein mit dem Geist, der die
süddeutschen Truppen durchweht und neue Nahrung gesogen hat
aus dem für Italien entworfenen preußischen Kriegsplan, der,
wie sogar ein preußisches Blatt hervorhebt, Fahnenflucht und Eid-
bruch der Regimenter unter seine Hilfsmittel rechnete, u-nd wie
wir hinzusügen, den Katechismus von Gottes Gnaden zu illustriren
geeignet ist.
Unter solchen Umständen hat die Kriegspartei in Frankreich
große Aussicht, ihren heißesten Wunsch — einen Krieg mit Preußen
— bald verwirklicht zu sehen. Scheint es doch, daß die von Frank-
reich ersehnten Bundesgenossen keine großen Schwierigkeiten machen,
Belgien und Holland, wie auch Spanien in erster, Dänemark und
Schweden in zweiter Linie.
Aber auch für Oesterreich ist kein Grund vorhanden, der preuß.
Eroberungspolitik seine Dienste zu leihen. Die Ausführung des
Prager Friedens, die Allianzverträge mit den süddeutschen Staaten,
die Wühlereien in Ungarn und Böhmen, sowie au der untern
Donau, die Zärtlichkeit für Italien zeigen klar, daß die preußischen
Absichten gegen Oesterreich noch die gleichen sind, wie jene im mehr-
citirten italien. Operationsplan. Oesterreich muß zertrümmert
werden, damit Preußen zur Weltmacht emporsteigen kann — das
ist Bismarck'sche Politik. Wie kein Halbwegs vernünftiger Mensch
von einem aus dem Hinterhalt Hervorbrechenden sich zum zweiten-
male überraschen läßt, so wird auch Oesterreich vor Bismarckffchen
Pfiffen und Kniffen auf der Huth sein. Es wird aber auch
aufs innigste überzeugt sein, daß ein Sieg Preußens über Frank-
reich unbedingt die Folge haben muß, daß es als letzter Gegner Preu-
ßens sofort an die Reihe kommen und mit einem Vernichtungs-
kampf bedroht wird. Waschweiber mögen noch von einer Neutra-
lität Oesterreichs im bevorstehenden französisch-preußischen Kriege
fabeln, aber kein Politiker.
Wohl mag Bismarck im Hinblick aus seine Freunde u. Feinde
zu der festen Ueberzeugung gelangt sein: „Die Frucht ist noch nicht
reif, noch kann ich nicht ernten." Aber wann wird dies der Fall
sein? Wer vermag es vorauszusagen! Nur eine Eventualität
ist es, im jetzigen Augenblick, auf die der gewiegte Staatsmann
das höchste Gewicht legen muß: eine voraussichtlich in wenigen
Jahren in Frankreich eintretende Katastrophe, herbcigeführt durch
den Tod des Kaisers oder durch eine Revolution. Dann naht der
Tag der Bismarckffchen Erndte heran, denn cs ist sicher anzu-
nehmen, daß mit einer solchen Katastrophe ein gewaltiger Kampf
der Parteien in Frankreich verbunden fern wird — ein Kampf,
der eine Action nach außen erschwert, ja wahrscheinlich wohl un-
möglich macht. Ist doch mit vollster Gewißheit die eine Tyalsache
vorauszuschen, daß dre jetzt ziemlich sicheren Verbündeten nicht in
der Lage sein weiden, ihren Beistand gegen Preußen zu leisten,
wenn sie selbst noch nicht wissen, welchem Regime dieser Beistand
gewährt wird.
Ein solcher Moment aber ist ganz dazu geeignet, das preuß.
Schwert in die Wagschale zu legen, ist auch würdig der glorreichen
Vergangenheit, die uns belehrt, wre mitten im tiefsten Frieden und
unter Versicherung der brüderlichsten Gesinnung gerüstet und wie
das Terrain durch Genie-Oificiere ausgenommen und stuoirt wird,
auf dem einst ein blutiger Bruderkamps staufinden soll. Ja dann
rst der Moment gekommen, uns Süddeutschen die Pistole auf die
Brust zu setzen mit dem „Entweder" — „Oder." Und ihr, die
ihr Euch auf Verträge berufen wollt, denkt an dre deutsche Bundes-
acte, denkt an den Gastciner Vertrag!
Was folgt aber aus all' diesem? Bismarck wird das stolze
gegen Probst geschleuderte Wort: „in der Brust des deutschen Mannes
hat die Furcht keinen Widerhall" nicht einlösen; er wird den
Frieden für jetzt zu erhalten suchen. Und um ihn zu erhallen, wird
er sich anstellen, als ob es ihm darum zu thun sei, die Stipula-
 
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