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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
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Samstag den 3. October


Süddeutschland.
* Heidelberg, 30. Sept. Mit Vergnügen empfehlen wir
unfern Lesern das erste vor uns liegende Heft der „Alten und
Neuen Welt" für 1869, welche im dritten Jahrgang rm Verlage
von Gebr. Karl uno Nikolaus Benziger in Einsiedeln erscheint.
Diese illustrirte katholische Monatsschrift erfüllt gegenüber der Garten-
laube und andern katholikenfeindlichen derartigen Unterhaltungs-
blättern ihre Aufgabe in vollstem Maße und sollte daher eine stets
weitere Verbreitung auch in unserem Lande finden. Unterhaltung,
Belehrung und gesunder Mutterwitz sind gleichmäßig in dieser treff-
lichen Monatsschrift enthalten und auch dre Illustrationen sind recht
schön ausgeführt. Wir wünschen stets wachsendes Gedeihen!
* Heidelberg, 1. Okt. „Wählt Parteimänner, nur Partei
männer," — dies ist der Sinn eines Artikels der Bad. Landes
zeitung aus Waldshut vom 28. v. M.'s, indem sie vor der beab-
sichtigten Wahl des Fabrikanten Raver v. Kilian eindringlich warnt,
weil dieser, „obgleich kein Anhänger des Ultramontanismus, so doch
ein Mann von nicht ausgesprochener politischer Richtung ist."
Also so weit haben wir es bereits in diesem glückseligen Lande —
Dank der Landesbase! — gebracht, daß man selbst in Collegien
wie die Krcisversammlungen nur unbedingte Anhänger des
Ministeriums brauchen kann, die stets und überall mit demselben
durch Dick uno Dünn mitlaufen. Kenntnisse und Verständniß
der Vorlagen und dergl. Nebendinge sind unter solchen Um-
ständen nicht erforderlich, — Gott behüte! es genügt ministeriell
zu sein. Wir fragen aber die Landeszeitung, wozu man noch
Kreisversammlungen, überhaupt irgend einen der kostspieligen con-
stitutionellen Apparate bedarf, wenn die Wahlen nur dazu
dienen sollen nach dem wörtlichen Ausdruck dieses Blattes: „dem
Willen der Regierungspartei einen keiner Deutelung fähigen Aus-
druck zu geben" ? Ist denn damit nicht am klarsten das ganze
Scheinwesen der constitutionellen Maschinerie blosgelegt? — Das-
selbe liebenswürdige Blatt hat uns heute sehr amüsirt über die
Art und Weise wie es über den Pfälzer Boten herfällt. Was hat
denn der arme Bote gethan, daß er die geballten Fäuste der alten
Dame gegen sich in Bewegung sieht? Er hat es gewagt, die
krummen Nasen der Frankfurter Börsenjuden anzutasten, die in
den Augen jedes Fortschriltsma^.ues nach dem Herzen der Karls-
ruher Kasernenfreunde als heilig und unverletzlich zu betrachten
sind. Also nur die krummen Nasen in Ruhe gelassen, hörst Du,
altes Haus! Das sei eine Sprache, meint die erboste Alte, „die
aus einer nicht desinficirten Senkgrube hervorgegangcn scheint."
Nicht wahr, lieber Leser, das ist entsetzlich, — dagegen wird es doch

wohl selbstverständlich in der Ordnung sein, wenn die Landesbase
das Gemeinste gegen Alle, die an der Spitze unserer Richtung
stehen, sich zu erlauben ervreistet? Oder ist es nöthig daran zu
erinnern, mit welcher cpnischen Rohheit und Unflätherei die Alte
über Roßhirt, v. Stotzingen, Lindau und den „ersten Mitarbeiter"
des harmlosen Boten vor, während und nach dem Zollparlamente
hergefallen ist? Hat sie sich nicht der allerinfamsten Ausdrücke gegen
dieselben, namentlich gegen die drei Letzlern bedient? Und was die
„Nasen" betrifft, so könnten wir ihr recht gut in's Gedächtniß
zurückrufeu, wenn uns die Sache nicht zu delikat wäre, wie sie
einen der Unsrigen am Schluffe des Zollparlaments wegen seiner
etwas länglichen Nase verhöhnt hat. Oder sollen wir die Landes-
zeitung noch daran erinnern, wie sie sogar die Frauen angesehener
Männer auf unserer Seite mit den Ausbrüchen ihrer Rohheit nicht
verschonte? Wo ist da die „nicht desinficirte Senkgrube?" Wir meinen
in Karlsruhe hat man mehr Unrath auszuputzen als in der gesun-
den Heidelberger Luft, die der Bote rühmet, und an dies Geschäft
sollte sich die Landesbase machen, da ihre Lieblingsbeschäftigung
doch darin besteht, in oes ganzen Landes Koch ihre Finger zu
haben. Wir aber meinen, wenn man über Unflätherei u. dergl.
Beschwerden führen will, müsse mau selbst sich frei wissen von jedem
Cpnismus, von jeder Rohheit der Sprache. Kann das die Landes-
base aufrichtig von sich versichern oder gilt auch hier nicht das
Gleichnis; vom Splitter in des Nachbars und vom Balken in dem
eigenen Auge? Möge sich das die Landeszeitung zu Herzen nehmen,
und den Spucknapf scheuern, der w viel eckelerregcnden Auswurf
schon in sich ausgenommen hat!
d/ Heidelberg, 29. Sept. Wie wir vernehmen, geht man da-
hier mit der Absicht um, den Gefängnißgarten zu einem Barracken-
hospital für Rachenbräunkranke zu benutzen, da eine Epidemie im
akademischen Hospitale bei Anwesenheit dieser Kranken zu befürchten
stehe. Die Nachbarschaft beim Gefäugnißgebäude soll über diese
Maßnahme sehr bestürzt sein, was nur ganz begreiflich finden. Wenn
man aus sanitätspolizeilichen und anderen Rücksichten (man will nicht
gerne an den Tod erinnert sein) die Kirchhöfe außerhalb der Stadt
verlegt, so wäre es noch weit mehr angezeigt, ein solches Barracken-
lager, das die furchtbarste Krankheit in sich birgt, aus dem nächsten
Bereiche der Gesunden zu bringen.
St. Leon, 1. Oct. Heute früh acht Uhr fand in hiesiger
Pfarrkirche die Feier der goldenen Hochzeit der Johann Simon
Steg müllcr'schen Eheleute statt. Die ganze Feier machte auf
die alten Eheleute sowohl, als auch auf deren Kmder und Enkel,
und insbesondere auch auf die sehr zahlreich anwesenden Gemeinde-

Der Enderle von Ketsch.*)
Erzählung von E. Diethoff.

1.
Wer kennt nicht die obere Rheinebene, oder hat nicht zum wenigsten in
Bild und Wort etwas gesehen und gehört von diesem lachenden Gottesgarten,
von diesem üppigen Gefilde des Segens von Basel bis Mainz und noch ein
Stück weiter durch den Gau? Wie Edelfteinschnüre, dicht aneinander gereiht,
ziehen sich Städte und Dörfer durch die gesegneten Fluren. In blauduftiger
Ferne begleiten zu beiden Seiten Vogesen und Schwarzwald, Taunus und
Odenwald den mächtigen Strom, dem reichen Gemälde als Rahmen und wirk-
samer Hintergrund dienend, bis wo bei Bingen das Gebirge, nah an ihn heran-
tretend, das breit anwogende Wasser in engbestimmte Gränzen bannt.
Dort wo unsere Geschichte beginnt, fluthet es jedoch noch ungehemmt, sei
es von natürlichen oder künstlichen Dämmen, durch das Land.
Ueppiger Waldwuchs bedeckt die flachen Ufer des Stromes, wenn anders
man von bestimmten Ufern reden kann, denn es wäre schwer zu entscheiden,
wo der Wald beginnt und das Wasser aushört.
Zahllose bewaldete Inseln („Wörthe" nennt sie das Volk am Rhein) streut
das Land über den Fluß. Zahllose Arme breitet dieser aus und durchschlingt
wie mit einem Silbernetz den Wald; da und dort, wenn wir es am wenigsten
vermuthen, wenn wir uns weit weg von ihm wähnen, schimmert es durch die
überhängenden Weiden und rauscht im selbstgegrabenen Bette ein schmaler Theil
des breiten Stromes vorüber. Die mächtige Eiche und die hier heimische Sil-

*) Wir entlehnen diese Erzählung den Didaskalia (Jahrgang 1865), welche
dieselbe wahrscheinlich einer andern Quelle entnommen haben. Wir glauben,
die Erzählung dürste für unsere Leser um so größeres Interessen haben, als
ihr Schauplatz Ketsch, Schwetzingen und Heidelberg umfaßt, eine Gegend, die
für alle Welt so viel Ansprechendes bietet und in welcher unser Bote eine starke
Verbreitung hat. Die Redaction des Pfälzer Boten.

berpappel werfen ihre Schatten darüber, von Stamm zu Stamm schlingen
sich die flatternden Gewinde des Hopfens und des ächten Weinstockes, welcher
einzig und allein in Deutschland nur hier in dieser Wildniß vorkommt. Blüh-
ende Büsche und beerentragendes Gerank flechten undurchdringliche Lauben
über die stillen Altwasser, auf welchen die Wasserrose schwimmt, umnickt von
den Federbüscheln des Schilfes.
Ja er ist schön, der Uferwald! wenn auch verschieden in seiner Schön-
heit vom Bergwald.
Der Bergwald, das ist der ernste, feste Mann; kraftvoll setzt er seinen
Fuß, wo nur immer es gehen mag, auf die Stirnen der Berge und auf die
nackten Felsrippen ihrer Seiten. Ein unermüdlicher Schaffer, überwindet er
das magerste, dürrste Geröll, Leben spendend und erweckend. Ein rüstiger
Kämpfer, ringt er mit Wettern und Stürmen, langsam in gedrungener Kraft
wächst er heran, ein Fürst und ein Herrscher Aber der Uferwald, das ist die
zaubervolle Nixe, breit hingelagert in der Fülle ihres schönen Leibes am Strom-
gelände. Vielfarbig wehende Kränze umschlingen ihr Haar und ihre rinnnenden
Silberschleier umsäumen fabelhaft breite Blätter und Blumen. Sie ist ver-
führerisch schön, die von den Armen des Stromes umschlungene Nymphe, ver-
führerisch schön! Denn der Uferwald, der rasch aufschießt im feuchten Boden
und unter dem milden Himmel, der Baumriesen hervorbringt in Jahrzenten,
wie der Bergwald sie nur in Jahrhunderten zählt, er hegt böse Mächte in
seinem Schooße. Unter der Fülle des Laubes und der Blüthen liegen verbor-
gene Sümpfe, trügerisch von der moosgrünen Decke der Meerlinsen überwoben,
böse Fieber brüten darunter und Myriaden von gierigen, kleinen Blutsaugern
durchschwirren die von dem Dufte blühender Lindenbäume und dem Gesänge
der Nachtigallen geschwellte Luft. Es ist wie der gefeite Wald im Märchen,
der, unter dem Schutze seiner Geister, das Geheimniß seiner zauberischen Schön-
heit neidisch hütet. — So ist er noch heute, der Rheinwald, heute noch, ob-
schon die wachsende Cultur ihn immer mehr zurückgedrängt und einge-
hegt hat.
(Fortsetzung folgt.)
 
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