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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 116-129 (1. Oktober - 31. Oktober)
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Samstag den 10. October

120.


Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienstag,
Donnerstag und Samstag.

L Preis vierteljährl. 40 kr. shn»
Trägerlohn und Postaufschlag.
Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzeile.

* Die Behandlung des Herrn Thierarzt Wirth
im badischen Dienste.
Die Presse hat stie heilige Ausgabe sich Derer anzunehmen,
die hintangesetzt, verfolgt, verkannt werden wegen ihrer politischen
oder religiösen Ueberzeugung; sie ist die Vertreterin der öffent-
lichen Meinung und darf sich als solche nicht dazu hergeben, alles
unbedingt zu loben und zu preisen, was von denen ausgeht, die
ihrer hervorragenden und mächtigen Stellung im Staate wegen
nicht leicht ungestraft getadelt werden. Wir gehören zu der un-
abhängigen Presse, die weder rechts noch links schauen darf
nach der Gunst der Großen oder des Pyilisterpöbels, sondern die
allenthalben einzustehen hat für die Ehre, die Unschuld, die Inte-
grität der Verfolgten. Wir haben unfern Lesern die Leidensge-
schichte zweier Männer vorgetragen, die die schwersten Demüthi-
gungen und Verfolgungen über sich haben ergehen lassen müssen,
die aber nur um so reiner und edler aus allen Prüfungen her-
vorgegangen sind, die man über sie verhängt hatte: Dr. Fischer
und Bürgermeister Baumer.
Heute wollen wir es versuchen, die Maßregelung eines Dritten
zu schildern und damit die Bitte an alle Diejenigen verbinden,
die außerdem in diesem Lande zu dulden hatten, uns ihre Leidens-
geschichte vertrauensvoll mitzutheilen, gleichviel welcher Partei
sie angehören, gleichviel welchen kirchlichen oder politischen Glauben
sie bekennen mögen. Die Zeit muß vorbei sein, wo die Thränen
blos im Stillen geweint werden, — heraus an das Licht der
Oeffentlichkeit müssen alle Duldungen, und wer hat mehr Muth
sie ungeschcut der Welt zu erzählen, als unser Bote, „in dessen
deutschem Herzen die Furcht keinen Wiederhall findet"?
Wir haben es heute mit Thierarzt Wirth zu thun. Der-
selbe ist nun bald 21 Jahre in seiner praktischen Thätigkeit, indem
er sein Examen im Spätjahr 1847 machte und seine Licenz kurz
vor der Revolution erhielt. Ein in seiner Heimath in Billigheim
am 8. März 1848 erfolgter revolutionärer Exceß gegen den Grafen
v. Leiningen wurde für seine politische Richtung bestimmend, —
er hielt zur angestammten Regierung seines Großherzogs und
meldete sich als charakterfester, seinem Fürsten treu ergebener
Mann im Frühjahre 1848 freiwillig zum Militär, also zu einer
Zeit wo schon Alles fahnenflüchtig zu werden drohte. Da kam
der Militäraufstand im Mai 1849; allein derselbe berührte das
Leibdragonerregiment, bei welchem Wirth stand, nicht direkt, viel-
mehr rückte dasselbe in Karlsruhe ein, um eine Contrerevolution
zu bewerkstelligen, ein Unternehmen, das aber an dem Mangel
* Lesefrüchte.*)
Wir fahren aus dem Tagebuch Giehne's fort, unseren Lesern
einige weitere geistreiche Stellen mitzutheilen. Er schreibt vom
23. Aug. 1866:
Man hat Wien die Hauptstadt Deutschlands genannt. So war es ein-
mal; als die Residenz der deutschen Kaiser war Wien die Hauptstadt des
deutschen Reichs. Auch ist ihm aus jener Zeit eine Eigenschaft übrig geblieben,
die in der That großartig -ns Auge fällt: Berufsgattung und Stände zu-
sammen, sowie in Paris aus allen Theilen Frankreichs, werden allmählig ein-
heimisch, machen sich ansässig, bilden sich zu einem ständigen Element der Be-
völkerung heran, und es folgt immer wieder eine irische Zuwanderung nach.
Berlin repräsentirt auch in dieser Beziehung mehr den Particularismus. Es
ist rascher heran gewachsen als Wien, und bekanntlich erfolgt die Zunahme
in den Großstädten fast ausschließlich durch den Zuzug vrn außen her, nicht
aus dem Grundstock von innen heraus. Berlin muß also einen sehr starken
Zuzug gehabt haben; jedoch kommt derselbe keineswegs aus allen Theilen
Deutschlands gleichmäßig, wie bei der Kaiserstadt. In Wien lebt eine ganz
ansehnliche Zahl Preußen (sogar in der Zeitungspresse sind solche betheiligt),
während in Berlin das österreichische Element nur sehr spärlich vertreten ist.
Die Kaiserstadt faßt in ihren Mauern Angehörige aller deutschen Staaten und
Stämme zusammen, und hätte schon vermöge dieser Eigenschaft einen Anspruch
darauf gehabt, die Hauptstadt Deutschlands zu heißen; unglücklicher Weise
aber steht ein wesentlicher Einwand entgegen, und das ist der, daß sie selbst
sich keineswegs als solche ausfaßt, auch kein Interesse dafür hat, von andern
als solche betrachtet zu werden Dem großen Publikum war der nicht-öster-
reichische Deutsche in Wien immerdar ein Fremder, ein Ausländer, und in so-
*) Wir müssen die angefangene Erzählung: „Der Enderle von Ketsch"
unterbrechen, da uns die Verfasserin die Fortsetzung derselben (außer gegen ein
uns zu hoch scheinendes Honorar) verboten hat. Wir werden bestrebt sein,
nach Beendigung der „Lesefrüchte" aus Giehne's Buch einen andern interessan-
te Stoff im Feuilleton zu bienten. Die Redaction.

entschlossener Führer scheiterte. Obgleich das Regiment nun ge-
zwungen wurde, an dem Aufstande einen — wenn auch nur
passiven— Antheil zu nehmen, so wollte Wirth als treuer Diener
seines Fürsten gleichwohl aus dem Dienste scheiden und wurde
nur durch die dringendsten Vorstellungen seiner nächsten Vorge-
setzten mit Hinweis auf das werthvolle Material des Staates —
die vielen Pferde — von diesem Vorhaben zurückgebracht. Da-
gegen konnte er sich unter keinen Umständen dazu entschließen,
seinen früheren Eid zu vergessen und der neuen Regierung den
Huldigungseid zu leisten, wie man verlangt hatte.
So blieb Wirth bis zum Jahr 1855 beim Militär, wo sich
für ihn eine pecuniär gute Civilanstellung in Mosbach fand, die
er trotz einer Masse von Bewerbern und zahllosen Jntriguen er-
hielt. Wirth hatte in den 11 Jahren seiner Dienstführung in
Mosbach beständig gegen Seuchen unter den Pferden anzukämpfen.
Die Lungenseuche, die gewöhnlich in 3—4 Orten zugleich herrschte,
konnte fast heimisch genannt werden, die Rotzkrankheit unter den
Pferden zweier Poststallungen dauerte einige Jahre. Aber trotz
diesen vielen und anhaltenden Seuchen konnte Niemand über
großen Verlust klagen. Der Aufwand an Zeit, Mühe, Umsicht,
Kosten u. s. w. bei solchen Gelegenheiten kann nur von Sachver-
ständigen bemessen werden. Den Laien in diesem Fach muß zur
Erklärung bemerkt werden, daß Wirth viele Gänge zur Contro-
lirung der von ihm angeordneten Maßregeln bei Nacht machte,
die gar nicht angerechnet werden konnten, da er nicht von den
Privaten, sondern aus der Staatskasse entschädigt wurde. Aber
mehr als Geld war für einen wackeren Mann wie Wirth das
Bewußtsein treuer Pflichterfüllung werth und das unbedingte Ver-
trauen und die glänzende Anerkennung seiner Vorgesetzten. So
liegt uns ein Zeugniß des Herrn Oberamtmann Orff, damals
in Mosbach, vom 8. April 1865 vor, welches wir zum Beweise
des Gesagten unfern Lesern nicht vorenthalten dürfen, — es
lautet:
„Dem Herrn Thierarzt Wirth dahier bezeuge ich gerne, daß
derselbe während meines mehr als 10jährigen Aufenthaltes dahier
in obiger Eigenschaft und als von sämmtlichen Amtsgemeinden
ausgestellter Bezirksthierarzt sich meine volle Zufriedenheit und
mein ganzes Vertrauen durch unermüdlichen Elfer, gewissenhafte
Dienstführung und in jeder Beziehung ehrenhaftes Betragen er-
worben hat.
Derselbe war zugleich Mitglied im Vorstande des landwirth-
schaftlichen Vezirksvereins und hat auch in dieser Eigenschaft
mancherlei Gutes gewirkt und eine anerkennenswerthe Thätigkeit
fern hat der Austritt Oesterreichs aus dem deutschen Bunde Nichts zu ändern
gehabt. Im Jahre 1848, als so viel von deutscher Brüderschaft die Rede war,
fanden einige Norddeutsche öffentlichen Anklang in Wien, jedoch nicht als
„deutsche Landsleute"; das Volk ging vielmehr von der naiven Ansicht aus,
auf Dinge wie Freiheit und Revolution müßten sie sich als Ausländer besser
verstehen. Die deutsche Brüderlichkeit bei dem großen Juristenfeste war gewiß
aufrichtig gemeint, allein der Mittelpunkt dieser Strömung war ein kleinerer,
wissenschaftlich gebildeter Kreis. Wenn man drei Tage nach dem vollendeten
Enthusiasmus einige der gefeiertsten Gäste und deutschen Brüder in den öster-
reichischen Staatsdienst berufen hätte, das Geschrei: „Schon wieder Ausländer !"
wäre nicht ausgeblieben. Bei dem Wiener Universitätsjubiläum hatte man,
glaube ich, mehr Gothaischgesinnte, d. h. Gegner Oesterreichs, als gute Deutsche
zu Gästen; kein Wunder, daß man sich gegenseitig nicht recht verstand. Herz-
lich und liebenswürdig begrüßte Wien bei mehrfachen Gelegenheiten Festbesuche
aus Schwaben nnd Bayern; es hatte auch seine politischen Sympathcen dabei,
jedoch von diesen ist noch ein weiter Weg bis zu dem Gedanken, eine Kaiser-
stadt auch für Deutschland zu sein. Näher daran.streifte das Gefühl, das sich
1863 bei der Reise des Kaisers nach Frankfurt regte, aber es überlebte nicht
seine Veranlassung. Mit dem Scheitern der Bundesreform verschwand es wie-
der. Für Wien ist der Deutsche von außen her ein Fremder. Von zwei nam-
haften Führern der Nationalvereinsrichtung sagt man, sie seien ursprünglich
Deutsch gesinnt, d. h. großdeutsch gewesen, und ein Aufenthalt in Wien habe
sie binnen kurzer Zeit umgestimmt und in Kleindeutsche verwandelt; ich weiß
nicht, ob die Sache beglaubigt ist, aber es ist sehr wohl denkbar.
Die Regierung allein wußte die Verbindung mit Deutschland nach ihrem
vollen Werthe zu schätzen, und Dies blieb sich unter sehr verschiedenartigen
Ministerien gleich. In Wien gab es einst einen Liberalismus, der Das für
eine Art von Erbsünde der Staatskanzlei, für eine der leidigen Traditionen
Metternichs anfah. Das Großdeutschthum verstand dieser Liberalismus eben
darum nicht, aber die Regierung verstand es. Man rühmt der österreichischen
Staatskunst eine große Zähigkeit nach ; Napoleon I. hat dies empfunden. Auch
jetzt ließ sie es daran nicht fehlen, wurde jedoch in sofern überholt, als die
preußische ihrerseits rühriger war. Es gibt eine eigenthümliche Erklärung da-
für. Paradox ausgedrückt, war die österreichische Politik schwächer durch Mangel
 
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