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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 102-115 (1. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43881#0445

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* „Der Berliner Hochverrathsprozeß gegen den
königl. hannöverschen Staatsminister Grafen Adolf
v. Platen zu Hallermund."
(Schluß.)
Die Möglichkeit eines preußischen Gerichtsverfahrens über-
haupt gegen den hannöverschen Minister Grafen Platen-Hallermund
beruhte" auf der Fiction, daß derselbe preußischer Unterthan sei.
Deßhalb hatte die Vorladung diese Berliner Fiction hingestellt wie
ein Axiom. Der Gerichtshof bewies dann im Verlaufe der Sache,
daß er diese Fiction als die Cardinalfrage nicht erörtern wolle.
Er suchte die Einwände des Anwalts Dr. Lichlenstern gegen die-
selbe, den bündigen Nachweis staatsrechtlicher Autoritäten, daß
dieses vermeintliche Axiom eine reine Ficton sei, zu beseitigen durch
die Berufung auf eine Formalität. Darauf kam die Eingabe des
Grafen Platen,Hallermund selbst, mit dem abermaligen Nachweis
dieser Fiction. Auch dieser Eingabe suchte der Berliner Ger chts
Hof auszuweichen. Er that es dadurch, daß, soweit die Berliner
Zeitungsberichte erkennen lassen, ohne alle und jegliche Motivi-
rung der Präsident des Gerichtshofes den Antrag stellte, diese
Eingabe, ohne daß sie auch nur verlesen wurde, zu den Akten zu
nehmen. Die Basis der juristischen Fiction, daß der Graf Platen-
Hallermund preußischer Unterthan sei, war dadurch abermals ge
wonnen.
Betrachten wir das Verfahren des Gerichtshofes von dieser
seiner Fiction aus.
Was zunächst die Qualität dieses Staatsgerichtshofes selbst
betrifft: so ist derselbe bekanntlich errichtet lediglich auf Gruno
einer königlichen Verordnung. Er ist cin Ausnahmegerichtshof rmch
der Art derjenigen, wie sie durch das Vorbild der englischen
Sternkammer unter Karl I. einen nicht beneidenswerthen Ruf er-
langt haben. Deßhalb haben alle preußischen Kammern gegen dies
Ausnahmegericht Protest eingelegt. Daß derselbe fruchtlos geblieben,
ist der abermalige Beweis, daß der Zweck der Existenz des preußi-
schen Constitutionalismus nur darauf berechnet ist, in den Fällen,
wo man dessen bedarf, den Character der absoluten preußischen
Militäcmonarchie, die im schneidenden Gegensätze steht mit jeder
wahren menschlichen Freiheit, desto bester zu verhüllen.
Der allgemeine Theil der Anklage stützt sich darauf, daß alle
diejenigen Thatsachen, welche über das Unternehmen öer Herstellung
des Königs Georg V. von Hannover in seine Rechte bei jenem ersten
Hochverraths-Prozesse am 7. April d. Js. zur Sprache gebracht
sind, notorisch seien.
Eine Notorietät in diesem Sinne aber gibt es vor dem Straf-
rechte überhaupt nicht. Es ist anzunehmen, daß auch nach dem
preußischen Strafprozeßrechte eine Notorietät solcher Art nicht zu
rechtfertigen sein würde.
Nachoem dieser Jrrthum jenes ersten Hochverraths-Prozesses
vom 7. April zu Grunde gelegt ist, treten in rascher Folge die-
jenigen dieses zweiten vom 8. Juli hinzu.
Es wird zuerst der Vermögensvertrag vom 29. September
1^67 angeführt, und gesagt, daß nach diesem Abkommen der
König Georg V. von Hannover „für die vollständige Abtretung
feines Landes eine Entschädigung von sechszehn Millionen Thalern
erhielt."
Bekanntlich aber betraf der Vertrag vom 29. September 1867
lediglich das Vermögen des Königs von Hannover, nicht seine
Krone, noch überhaupt politische Rechte. Bekanntlich schließt der
erste Paragraph des vereinbarten Vertrages die Meinung, als ob
der König von Hannover durch diesen Vertrag auf seine Krone
verzichtet hätte, ausdrücklich aus. Bekanntlich ist den Mitgliedern
des preußischen Landtages Vor der Berathung über die Genehmi-
gung dieses Vertrages — man vergleiche die Rede des Herrn von
Brunneck im preußischen Herrenhause am 18. Februar 1868 —
rn Aussicht gestellt, daß die preußische Regierung sich, durch die
Beschlagnahme auf das Vermögen des Königs Georg V., der Er-
füllung dieses Vertrages entziehen werde. Bekanntlich publicirte
daraus am 3. März 1868 der preußische Staatsanzeiger, mit dem
Gesetze über die Bestreitung der dem Könige von Hannover ge-
währten Ausgleichssumme, in einer und derselben Nummer die
Beschlagnahme des gesammten königlich hannöverschen Vermögens.

Bekanntlich hat demnach der König von Hannover nicht blos das
Capital von 16 Millionen nicht erhallen, sondern auch nicht die ver-
tragsmäßig festgestellten, vom 1. Juli 1866 an bis zum März
1868 aufgelaufenen Zinsen.
Auf diese Thatsache paßt das Wort: notorisch, welches der
Berliner Staatsgerichtshof auf andere sehr bestrittene und zweifel-
haft Dinge anwendet. Und zwar paßt hier das Wort: noto-
risch so sehr, daß es in hohem Grade zweifelhaft ist, ob ein frei-
williger Jrrthum des Berliner Staatsgerichtshofes darüber noch im
Bereiche der Möglichkeit liegt.
Der Kühnheit der. Jrrthümer dieses Berliner Staatsgerichts-
Hofes entspricht in gleicher Weise die Kühnheit der Folgerungen.
„Der König von Hannover, sagt die Anklage des Berliner
Staatsgerichtshofes, hat bei der Feier seiner silberen Hochzeit m
einem Toaste die Hoffnung ausgesprochen, daß er als freier selbst-
ständiger König wieder in seine Lande zurückkehren werde. Die
Zeitungen haben dies berichtet. Diesen Zeitungen ist von keiner
Seite widersprochen."
Was folgt nun daraus? Ein Unparteiischer würde erwidern,
daß das Aussprechen dieser Hoffnung in einem Toaste, der jeden-
falls nur im g.schlossenen Kreise geladener Gäste ausgebrachl sein
kann, nicht blos möglich, sondern auch wahrscheinlich ist.
Der Berliner Staatsgerichtshof aber folgert daraus, daß „das
Unternehmen (des Hochverraths gegen Preußen) von dem Könige
Georg V. von Hannover mit Geld und zwar mit großen Summen
unterstützt worden sei'." Eines weiteren Beweises dafür bedarf es
bei diesem Gerichtshöfe nicht.
Als die Seele des ganzen „Unternehmens" bezeichnet die An-
klage den Grafen Adolf von Platen-Hallermund. Sie folgert dies
daraus, daß er die der Kriegserklärung am 15. Juni 1866 un-
mittelbar vorangegangenen Noten dem preußischen Gesandten über-
reicht, daß er ferner in Briefen an seinen Bruder und in anderen
Schrif stücken Beweise seines Preußenhasses gegeben habe.
Wir haben es mit einer ernsten Sache zu thun, und doch
wird es sehr schwer, bei solchen Dingen den Ernst zu bewahren.
Nehmen wir an: der Graf Platen-Hallermund habe wirklich
am 15. Juni 1866 solche Noten überreicht, wie hier gesagt wird;
nehmen wir an, dieselben seien erfüllt gewesen von der bittersten
Feindseligkeit gegen Preußen: so war doch damals der Graf Platen-
Hallermund der Minister eines von Preußen anerkannten fouver-
ainen Königs und für das was er damals that, nur diesem seinem
Könige verantwortlich. Auf den feindseligen Ton von Noten, die
am 15. Juni 1866 von einem Minister eines souverainen Königs
geschrieben worden sein sollen, im Juli 1868 gegen diesen selben
Minister als preußischen Unterthan eine Anklage auf Hochverrath
zu begründen — das würde selbst der englischen Sternkammer,
oem Vorbilde dieses Berliner Staatsgerichtshofes, als ein novum
in dieser Art von Praxis erschienen sein.
Aber wir machen diese Bemerkung nur nebenbei. Noch wich-
tiger nämlich ist, daß auch das von dem Berliner Staatsgerichts-
bofe vorausgesetzte Fundament seiner Behauptung fehlt. Eine solche
Note, wie diejenige, von welcher der preußische Staatsgerichtshof
hier spricht, ist officiell nicht vorhanden, und zwar deßhalb nicht,
weil die preußische Regierung sie nicht vorhanden sein
lassen wollte.
Wiederholen wir hier kurz das im geschichtlichen Eingänge
Gesagte. Bis zum 15. Juni 1866 war das Verhältniß der beiden
Regierungen, der hannöverschen und der preußischen ein bundes-
freundliches. Eine feindselige Note ist bis dahin nicht geschrieben,
weder von der einen Seite noch von der anderen. Am 15. Juni
1866 dagegen überreichte der preußische Gesandte, Prinz Isenburg,
eine Sommation, welche die Alternative stellte zwischen preußischer
Vasallenschaft oder Krieg. Auf die mündliche Verneinung der
ersteren sprach der preußische Gesandte die Kriegserklärung auS,
und wies einige Stunden später die schriftliche Antworts-Note deß-
halb zurück, weil er noch Privatmann fei. Die Note ist mithin
auf osficielle Weise in preußische Hände nicht gelangt.
Dessen ungeachtet könnte nun noch immerhin diese Note,
obwohl sie in den Augen der preußischen Regierung nur ein werth-
loses Papier geblieben ist, sehr feindselige Gesinnungen gegen Preu-
ßen aussprechen. Auch das thut sie nicht.
Es ergibt sich daraus die ganz erstaunliche Unwissenheit des
 
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