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Pfälzer Bote für Stadt und Land — 1868

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Nr. 142-154 (1. Dezember - 31. Dezember)
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L L. Preis Vierteljahr!. 40 kr. »hne
4^»/^ Hi Trägerlehn und Postaufschlag.
44N^ Jns.-Geb. 2 kr. die Spaltzelle.

Erscheint wöchentlich 3 Mal: Dienst«-,
Donnerstag und Samstag.

M144.

Samstag den 5. December




Bestellungen auf den „Pfälzer Boten" für den
Monat Dezember können bei allen Postanstallen und Postboten ge-
macht werden. _
Oesterreich und die Nationalliberalen.
(Pfälzer Zeitung.)
Es ist noch nicht lange her, daß Oesterreich von preußischen
Blättern förmlich geliebkost wurde. Selbst die Oesterreicher Fres-
ser diesseits des Mains, die sonst preußischer sind oder thun, als
Bismarck selbst, verzichteten eine Zeit lang daraus täglich das
Haus Habsburg in ekLZie abzuschlachten und gewährten ihm groß-
müthig noch einige Lebenstage. Es war dies zu der Zeit, als
Frankreich um die Bundesgenossen des Kaiserstaates warb. Später
tauchte sogar das Gerücht einer Annäherung zwischen Preußen u.
Oesterreich auf, und die Satelliten des Berliner Preßbureans war-
fen dem letzteren förmliche Kußhände zu.
Seit Kurzem muß nun aber ein anderes Losungswort von
Berlin gekommen sein, denn die von dort inspirirten Blätter ver-
künden jetzt wieder täglich das letzte Stündlein der „staatlichen
Spottgeburt" Austria, die bereits das hippokratische Gesicht zeige
und rettungslos verloren sei. Ja, der „Pfälz. Curier" drängt
sich schon im Namen des Nationalliberalismus an ihr Sterbe-
lager, um als lachender Erbe Deutschösterrcich dem preußischen
Militärstaat einzuoerlciben. Es wird aber sicher noch viel Wasser
den Rhein hinabfließen, bis dieser Fall eintritt. Auch schein! die
„Kreuzzeitung" noch nicht an die schlimme Prognose der groß-
preußischen Staatsdoctoren zu glauben, weil sie es sonst schwer-
lich der Mühe werth gehalten hätte, gegen den eine Zeit lang von
ihr gehätschelten Herrn v. Beust ganz grimmig loszufahren. In
einem Leitartikel, überschrieben: .,S ch wa r ze P u n kte " schreibt
sie: „Die „schwarzen Punkte", die früher am französischen Hori-
zonte sichtbar w'ren, sind nunmehr am österreichisch-ungarrschen
sichtbar geworden. Fast sollte man aus die Vermuthung kommen,
daß der Leiter der auswärtigen Politik Oesterreichs ein Licht ohne
solche „schwarze Punkte" nicht leuchten lassen zu können glaube."
Die „Kreuzzeitung" verwahrt dann Preußen gegen den Vor
wurf österreichischer Blätter, daß es in Rumänien wühle und daß
es rüste, woraus das genannte Blatt mit folgenden Worten seinen
Artikel schließt: „Die Sache steht eben so, daß England und Frank-
reich entschieden friedliche Neigungen aussprechen. Dies aber paßt
Herrn v. Beust nicht. Deßhalb stachelt und hetzt er überall in
den Cabinetten gegen Preußen, und die Preßsatelltten, die er in
ganz Europa unterhält, Hetzen gleicher Weise mit allen Mitteln
der Täuschung und der Jnrrigue. Der böse Wille ist also ganz
vorhanden und das Ziel klar. Nur, ob es erreicht wird?"
Die Wiener „Presse" antwortet auf diese und andere An-
griffe in folgender Weise:
„Seit einigen Tagen wälzt sich eine schäumend schlammige
Fluth arger Beschuldigungen durch die Spalten preußischer Blät-
ter vfftciöser Factur. Während in Frankreich Alles Friedenszu-
versicht und Wohlwollen athme, entblöde man sich nicht, in Oester-
reich sort und fort zu Hetzen. Die „Deutsche Allg. Ztg." läßt sich
sogar aus Berlin versichern, die Rede des Freiherrn v. Beust gelte
in dortigen politischen Kreisen „durchaus nicht als friedlich, viel-
mehr als zum wenigsten mit der Knegsfackel spielend." Habe doch
der König in seiner Thronrede unzweideutige Friedensworte ge-
sprochen und selbst jene hohen Worte vermieden, die in K.el miß
verstanden wurden u. s. w. u. s. w.
„Es fällt uns wahrlich nicht schwer, hierauf mit großer
Mäßigung zu erwidern. Die Mäßigung ist die beste Waffe gegen
offenbares Unrecht und handgreifliche Verdächtigung. Preußen
wolle ehrlich den Frieden, sagt man uns. Vortrefflich! Aber als
unverrückbar Bedingung der Erhaltung des allgemeinen Friedens
gilt uns wohl nicht mit Unrecht die pünktliche Erfüllung des Prager
Friedensvertrags.
„Nun, dieser Vertrag erblickte das Licht des Welt, als er
bereits durchlöchert und unwirksam gemacht war. Die Schutz- und
Trutzvertrüge mit den süddeutschen Staaten waren seine Vocläu
fer und damit war die „internationale Unabhängigkeit" des deut-
schen Südens in die Luft geblasen. Oesterreich wurde zum Aus-
treten aus dem tausendjährigen Verbände mit Deutschland ver¬

mocht. Aber die kleine Compensation, die es in seinem nnd in
dem Interesse des europäischen Gleichgewichts davonzutragen hoffte:
die Selbständigkeit des deutschen Südens, war bereits
sequestrirt. Das große diplomatische Kunststück des Grafen Bis-
marck mag Bewunderung bei Jenen ernten, denen griechische Treue
als höchste Staatsklugheit gilt. Unser gutes österreichisches Ge-
wissen empört sich dagegen mit vollstem Rechte, und der größere
Theil Europas steht in dieser Frage aus der Seile unserer Auf-
fassung.
„Ungeachtet der Friedensreden des Königs Wilhelm bleibt es
unvergessen, daß Gras Bismarck bei mehr als einer Gelegenheit
in sehr durchsichtiger Weise erklärte, Norddeutschland müsse sich
zwar enthalten, Pressionen auf den deutschen Süden zu üben; sollte
dieser jedoch sich bittend vor die Pforte des Norddeutschen Bundes
hinstellen, so dürfe der Schlüsselbewahrer des Zukünftigen deutschen
Großreichs nicht zaudern, zu öffnen. Wir wünschten, gerade um
des lieben Friedens willen, solche und ähnliche Worte wären me
gesprochen worden; denn so l äuge unser em Oe ste r r eich nur
noch ein Athemzug des Lebens, nur eins Hand voll Macht,
nur eine Spur von Selbstgefühl übrig bleibt, dürfen
diese Worte und Gedanken nimmer verwirklicht wer-
den. Nicht heute, nicht morgen, nicht nach zwanzig
Jahren!
„Mögen doch all die großpreußischen Anwälte, dis uns die
Ehre anthuu, sich mit unserer Stellung so eingehend zu beschäftigen,
in ihren Busen greifen und sich selbst die Frage stellen: Wer will
den Frieden aufrichtiger — Derjenige, welcher das letzte Instrument
des deutschen Friedens als feste, unverrückbare Basis anerkennt,
oder Diejenigen, welche es als schiefe Ebene betrachten, auf der
man möglicherweise noch höher klimmen, aber auch herabfallen kann?
Es fällt uns nicht ein, das preußische Gouvernement als Complice
jener Herolde zu betrachten, welche weit über den Rhein bis zu
seinen Mündungen, die Nordsee und den Main tue lüsternen Blicks
schweifen lassen; aber um den Frieden, den wir aufrichtig wünschen,
zu assecuriren, halten wir cs für unerläßlich, daß solche ehrgeizige
Stimmen und Aspirationen rückhaltlos desavouirt werden. Da-
rüber ist zu unserem Bedauern die preußische Regierung bis jetzt
schweigend hinweggegangen und nur können uns der Empfindung
nicht entschlagen, daß es in diesem Punkte immer noch etwas, ja
viel zu ergänzen gibt.
„Die preußisch-russische Combination, die uns beängstigt, ist
älter, weit älter, als das gute Einvernehmen, in dem wir zu
Frankreich stehen. Preußen behauptet, daß es keine Allianz
mit Rußland habe; wrr behaupten mit gleich gutem Rechte, daß
wir keine Allianz mit Frankreich haben. Aber die Intimität der
beiden nordischen Cabinette datir! zur Februar Convention des
Jahres 1863 zurück, während unsere Entente mit Frankreich weit
jüngeren Dalums ist und erst durch die denkwürdige Enthüllung
der am 13., 17. und 22. August 1866 geschlossenen Verträge be-
festigt wurde. Immerfort stehen wir nur auf der Defensive, immer-
fort verfolgen wir keinen anderen Zweck, als uns zu erhalten, ge-
gen Aggressionen zu schützen, uns nothdürfrig zu rüsten, nachdem
ganz Europa von Bajonnelten und ganz Deutschland von Pickel-
hauben starrt. Und das hieße „mit der Kriegsfackel spielen?"
Im Gegentheile, es hieße arglos unser Haupt in den Rachen eines
Löwen legen, wenn wir nicht "zum wenigsten" energisch für die
wahrhafte Erfüllung des Prager Friedens einträten. Alinea 2
des Artikels II. der gleichlautenden Schutz- und Trutzbündniffe
sagt wörtlich: „Es garanüren sich die hohen Contraheiuen gegen-
seitig die Integrität des Gebietes ihrer bezüglichen Länder und ver-
pflichten sich, im Falle eines Krieges ihre volle Kriegsmacht zu die-
sem Zwecke einander zur Verfügung zu stellen." Artikel II. über-
trägt im Kriegsfalls den Oberbefehl über die süddeutschen Truppen
dem Könige von Preußen. Ein Termin für die Giltigkeitsdauer
dieser Verträge wurde nicht festgestellt; da von ihrer Erneuerung
keine Red* ist, so müssen wir dieselben für unauflöslich hallen.
Unter „diesem Zwecke" ist augenscheinlich „der Krieg" überhaupt
vorgesehen; denn wäre die Intention blos defensiv gemeint, dann
müßte es — sprachrichtig — zu jenem „Zwecke" heißen. Wenn
jedoch unabhängige Staaten ihr höchstes Souveränetätsrecht für
immerwährende Zeiten vergeben, so hören sie auf, unabhängig
zu sein. Ewige Allianzen kommen Annexionen so ziemlich gleich.
 
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